Projekt mit dem Waldkindergarten (reloaded)

Ich habe in die­sem Jahr wie­der einen poly­va­len­ten Che­mie­kurs. Das ist ein etwas selt­sa­mes Kon­strukt: Pri­mär geht es um Che­mie, jedoch sol­len auch Inhal­te ande­rer Natur­wis­sen­schaf­ten ein­flie­ßen und es darf nichts aus dem Ober­stu­fen­cur­ri­cu­lum Che­mie behan­delt wer­den. Über­haupt ist die­ser Kurs eine kom­plett cur­ri­cu­lums­freie Lehr­kraf­ter­ho­lungs­zo­ne. Er dient ledig­lich dazu, dass SuS, die bestimm­te Ober­stu­fen­pro­fi­le gewählt haben, ihre Bele­gungs­pflich­ten für das Abitur erfül­len kön­nen – wir sagen dazu „Abde­cker­kurs“. Gleich­wohl sind Noten zu erteilen.

Ich habe den SuS vier Inhal­te ange­bo­ten, u.a. eine Wie­der­be­le­bung mei­nes alten Wald­kin­der­gar­ten­pro­jek­tes, wel­ches kon­kur­renz­los von allen prä­fe­riert wurde.

Da ich mit dem Ablauf damals nicht so ganz zufrie­den war, las­se ich in die­sem Jahr eini­ge Ele­men­te aus dem klas­si­schen Pro­jekt­ma­nage­ment und mei­ne Erfah­run­gen mit Wikis aus dem letz­ten Jahr mit ein­flie­ßen, aber nicht zu viel, um die Trans­ak­ti­ons­kos­ten mög­lichst erträg­lich zu hal­ten – so gebe ich z.B. den ange­speck­ten Pro­jekt­ab­lauf­plan weit­ge­hend vor.

Das sieht dann so aus:

Wochen­tag Dop­pel­stun­de Inhalt
Frei­tag 1 Expe­ri­ment­aus­wahl, Projektaufräge
Frei­tag 2 M1: Pro­jekt­auf­trä­ge vor­stel­len, Mate­ri­al- und Gerä­te­lis­te erstellen
Mitt­woch 3 Expe­ri­ment selbst durch­füh­ren, ggf. optimieren
Frei­tag 4 Fei­er­tag
Frei­tag 5 Expe­ri­ment selbst durch­füh­ren, ggf. optimieren
Mitt­woch 6 Beschrei­bung zum Ver­suchs­auf­bau erstellen
Frei­tag 7 Beschrei­bung zum Ver­suchs­auf­bau erstellen
Frei­tag 8 M2: Abga­be Beschrei­bung zum Versuchsaufbau
Mitt­woch 9 Prä­sen­ta­ti­on für den Kurs Grup­pe A
Frei­tag 10 Prä­sen­ta­ti­on für den Kurs Grup­pe B
Frei­tag 11 Prä­sen­ta­ti­on für den Kurs Grup­pe C
Frei­tag 12 Opti­mie­rung und Bezü­ge zu ande­ren Experimenten
Mitt­woch 13 Opti­mie­rung und Bezü­ge zu ande­ren Experimenten
Frei­tag 14 M3: Wald­kin­der­gar­ten­be­such
Frei­tag 15 Aus­wer­tung und Feedback
Mitt­woch 16 Über­ar­bei­tung Beschreibungen
Frei­tag 17 Über­ar­bei­tung, weih­nacht­li­cher Abschluss
Mitt­woch 18
Frei­tag 19
Mitt­woch 20
Frei­tag 21
Frei­tag 22
Mitt­woch 23

 

Zwei Dop­pel­stun­den hat­ten wir schon (nor­ma­ler­wei­se steht da ein Datum). Wer noch nie einen Pro­jekt­auf­trag gese­hen hat, fin­det hier eine Vor­la­ge. In Fett­druck sind die Mei­len­stei­ne bezeich­net – die­se geben mehr oder weni­ger vor, bis zu wel­chen Zeit­punkt ein Zwi­schen­ziel erreicht sein muss. Ein Pro­jekt­auf­trag ist eine gute Grund­la­ge, um sich dar­über klar zu wer­den, was man über­haupt mit einem Pro­jekt errei­chen möch­te. Vor allem die Pro­jekt­ri­si­ken sind dabei für mich von beson­de­rem Inter­es­se – mög­li­che Risi­ken sind z.B.:

  • Moti­va­ti­ons­ver­lust
  • Unter­schied­li­ches Enga­ge­ment in der Kleingruppe
  • fach­li­che Überforderung
  • […]

Man kann dann im Vor­we­ge dar­über reden, wie man den Risi­ken begeg­net (die SuS haben viel Erfah­rung mit gelun­ge­nen und weni­ger gelun­ge­nen Gruppenarbeitsprozessen).

Die in der ers­ten Pha­se zen­tra­le Beschrei­bung des Ver­su­ches besitzt fol­gen­de Struktur:

  • Grup­pen­mit­glie­der
  • Pro­jekt­auf­trag (Ver­lin­kung auf Datei)
  • Benö­tig­te Geräte
  • Benö­tig­te Chemikalien
  • Durch­füh­rung
  • Doku­men­ta­ti­on der eige­nen Durchführung
  • Theo­re­ti­scher Hin­ter­grund (gym­na­si­al)
  • War­um ist das Expe­ri­ment für Kin­der geeignet?
  • Kind­ge­rech­te Erklärung
  • Was kann das Kind bei dem Expe­ri­ment über Che­mie lernen?

Es wird im Unter­richt immer ein fes­tes Ritu­al in Form eines Ple­nums geben, in dem die Grup­pen fol­gen­de Aspek­te berichten:

  1. Was haben wir heu­te erreicht?
  2. Wel­che Pro­ble­me gab es dabei?
  3. Was ist in nächs­ten Zeit zu erledigen?

In der Prä­sen­ta­ti­ons­pha­se schlüpft das Ple­num in die Rol­le von Kin­der­gar­ten­kin­dern und Beob­ach­tern, wäh­rend jeweils ein Expe­ri­ment tat­säch­lich durch­ge­führt wird. Dabei tau­chen erfah­rungs­ge­mäß Pro­ble­me auf, an die auch ich vor­her nicht gedacht hät­te – vor allem auch Koope­ra­ti­ons­mög­lich­kei­ten zwi­schen Gruppen.

Nach dem Besuch der Kin­der erfolgt eine letz­te Refle­xi­on, die fol­gen­de Ele­men­te umfasst:

  • Rück­mel­dung der Kin­der (muss auch vor­be­rei­tet werden)
  • Rück­mel­dung der Kurs­teil­ge­ben­den an mich und mei­nen Unterrichtsstil
  • Über­le­gun­gen zur Wei­ter­ar­beit, z.B. mit Grundschulkindern

Gesam­melt und erle­digt wer­den alle Arbeits­schrit­te in einem nicht­öf­fent­li­chen Doku­Wi­ki. Uns ste­hen in der Che­mie acht Lap­tops für die ernst­haf­te Arbeit und eini­ge Nexus7-Tablets für Recher­che und Zuar­beit zur Ver­fü­gung. Natür­lich gibt es LAN- und WLAN-Ver­sor­gung, sodass auf Tot­holz weit­ge­hend ver­zich­tet wer­den kann.

 

 

 

Projekt mit dem Waldkindergarten

Ich unter­rich­te in die­sem Schul­jahr einen soge­nann­ten poly­va­len­ten Che­mie­kurs. Die­ser Kurs ist not­wen­dig, damit die Schü­le­rin­nen und Schü­ler ihre Bele­gungs­pflich­ten in der Pro­fil­ober­stu­fe erfül­len, und er soll prin­zi­pi­ell fach­über­grei­fend inner­halb der Natur­wis­sen­schaf­ten ange­legt sein. Als Che­mie-/Deutsch­leh­rer tut man sich da selbst­re­dend schwe­rer als jemand mit einer zwei­ten Natur­wis­sen­schaft als Beifach.

Da ich ja immer fixe Ideen habe (es gibt zu die­sem Kurs kein Cur­ri­cu­lum!) und es an unse­rer Schu­le schon Pro­jek­te gab, in denen Schü­le­rin­nen und Schü­ler Grund­schü­lern die Che­mie näher­ge­bracht haben, habe ich dem Kurs vor­ge­schla­gen, einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen und den ört­li­chen Wald­kin­der­gar­ten mit ein­zu­bin­den, zu dem ich gute Kon­tak­te haben und die beim Haus der klei­nen For­scher mit­ma­chen. Mein Kurs woll­te und hat unter dem Rah­men­the­ma „Far­ben“ eini­ge Expe­ri­men­te erson­nen, aber gleich­zei­tig auch eine Didak­ti­sie­rung für Kin­der die­ses Alters.

Schritt 1 – Pla­nungs­pha­se A:

Anhand von Mate­ri­al aus unse­rer Schu­le, z.B. den vom Kurs des letz­ten Jah­res erstell­ten Rea­der für die Grund­schü­ler, und anhand von Inter­net­re­cher­chen wur­den ver­schie­de­ne Ver­su­che von den sechs Teams aus­ge­wählt. Schwer­punkt bil­de­te dabei die Pra­xis – d.h. es muss­te Sicher­heit um Umgang mit Gerä­ten und Stof­fen erwor­ben wer­den. Ich habe mich nur bei wirk­lich sicher­heits­re­le­van­ten Aspek­ten ein­ge­schal­tet.  Hier eine Aus­wahl von Auf­bau­ten – die Fotos sind von den SuS erstellt (der erfah­re­ne Che­mie­leh­rer erkennt eini­ge Klas­si­ker, alle ande­ren sei­en auf das Doku­men­ta­ti­ons­wi­ki ver­wie­sen, wel­ches wir im Kurs gera­de befül­len – Link folgt):

 

Milch­bild – Mit Zau­ber­stab und Lebens­mit­tel­far­be Mus­ter zeichnen

 

Eine ein­fa­che Lava­lam­pe – Salz reißt Öl mit…

Schritt 2 – Erprobungphase:

Alle Ver­su­che wur­den im Unter­richts­raum an Sta­tio­nen auf­ge­baut. Wir sind als gan­ze Lern­grup­pe von Sta­ti­on zu Sta­ti­on gezo­gen. Die zustän­di­gen Teams haben SuS, die die Kin­der „simu­lie­ren“ soll­ten, ihren Ver­such vor­ge­stellt bzw. durch­füh­ren las­sen. In die­ser Pha­se kam es auch zu span­nen­den Erkennt­nis­sen auf bei­den Seiten.

Schritt 3 – Pla­nungs­pha­se B:

Die Expe­ri­men­te wur­de ent­spre­chend der Erfah­run­gen (SuS geben erstaun­lich rea­lis­ti­sche Kin­der­gar­ten­kin­der ab, wenn man sie nur lässt…) vor allem unter die­sen Fra­ge­stel­lun­gen überarbeitet:

  • Was kann ein Kind machen, was ich bis­her vor­ge­macht habe?
  • Was kann alles schief­ge­hen und ver­mei­de ich das durch einen geeig­ne­ten Versuchsaufbau?
  • Wie set­ze ich mei­nen Anspruch an die Ver­mitt­lung von Hin­ter­grün­den zum Expe­ri­ment kind­ge­recht um?
  • Was brau­che ich noch für mein Vor­ha­ben (Mate­ri­al, Hilfen)?

Schritt 4 – Durchführung:

Am 6. Mai war es dann soweit. Die SuS waren für das Pro­jekt für die ers­ten bei­den Stun­den nebst Herrn Riecken frei­ge­stellt (in der 3./4. Stun­de lag unser regu­lä­rer Unter­richt). Da ich den Unter­richt der KuK ach­te, gehe ich bei Pro­jek­ten mög­lichst mini­mal­stun­den­plan­in­va­siv vor. Mei­ne regu­lä­ren Klas­sen hat­ten zumin­dest zur Hälf­te Auf­ga­ben erhal­ten – gleich­wohl wur­de ich natür­lich ver­tre­ten. Lei­der kann ich aus Daten­schutz­grün­den kei­ne Fotos veröffentlichen.

Ich habe sel­ten so betei­lig­te und enga­gier­te SuS erlebt – selbst Klo­gän­ge mit den Kin­dern wur­den selbst­be­stimmt durch­ge­führt. Als ein Glück­griff erwies sich, dass Herr Riecken in der Auf­re­gung die Kin­der in fünf Grup­pen statt in die not­wen­di­gen sechs auf­ge­teilt hat­te – so blieb ein „Joker“ und es durf­te an Sta­ti­on A auch ein­mal län­ger als an Sta­ti­on B dauern.

Schritt 5 – Reflexion:

Erst­mal haben wir ca. 200 Fotos von die­sem Tag am Bea­mer geschaut – die Erzie­he­rin­nen und Herr Riecken haben viel foto­gra­fiert… Dann ging es in den PC-Raum zu einem anony­men Feed­back mit Mood­le. Hier eini­ge Ergeb­nis­se, die für sich selbst sprechen:

Frei­text­fra­ge: Was hat mich bei der Durch­füh­rung posi­tiv überrascht?

Kin­der waren sehr engagiert.
Das Wis­sen das eini­ge Kin­der bereits mitbringen
Es war alles gut
Die Begeis­te­rung der Kin­der sowie die Aus­dau­er in Bezug auf diese.
Die Kin­der waren sehr inter­es­siert und haben viel nach­ge­fragt. Zudem woll­ten sie viel selbst machen.
Mei­ne eige­ne, und die Moti­va­ti­on der anderen
Kin­der haben die Theo­rie oft schnell verstanden.
Das über­aus star­ke Inter­es­se der Kinder
nichts
eini­ge Kin­der­gar­ten­kin­der waren inter­es­siert und wissbegierig.
Des Wei­te­ren hat­ten eini­ge der Kids viel Spaß.
Dass die Kin­der teil­wei­se gut mit­ge­ar­bei­tet haben und schon eini­ges ver­stan­den haben
Die meis­ten Kids waren sehr enga­giert dabei!

Wir haben übri­gens sehr viel mit dem Kugel­teil­chen­mo­dell gear­bei­tet. Das ist – auf jeder Che­mie­fort­bil­dung zu hören – „wis­sen­schaft­lich nach­ge­wie­sen“ für Kin­der bis zur 6. Klas­se „viel zu abs­trakt“ – Phä­no­me­ne rei­chen aus. In der Phy­sik hin­ge­gen ist es „wis­sen­schaft­lich erwie­sen“, dass es in der 5. Klas­se ein­ge­setzt wer­den soll­te, um Phä­no­me­ne zu erklä­ren, damit es nicht allein auf kon­su­mie­ren­des Gepüt­scher hin­aus­läuft. Ich oute mich ja immer auf Che­mie­fort­bil­dun­gen damit, nicht auf dem neu­es­ten Stand der Wis­sen­schaft zu sein. Die Fra­ge nach Bele­gen reicht meist aber schon für eine ent­lar­ven­de „Weilnunmaldasistnunmalso“-Argumentation, meist gepaart mit einem per­sön­li­chen Angriff – das nur am Rande.

Wei­ter mit den Evaluationsergebnissen:

Über den letz­ten Punkt kann man sich strei­ten – oder auch nicht, denn:

Frei­text­fra­ge: Fol­gen­des wür­de ich bei einer Wie­der­ho­lung des Pro­jek­tes anders machen

even­tu­ell einen ande­ren Ver­such wählen
die Kin­der mehr machen lassen.
ein­fa­che­re The­men, die nicht che­misch erläu­tert wer­den müs­sen und viel­leicht noch ver­ständ­li­cher sind.
Ich wür­de ver­su­chen das Pro­jekt noch struk­tu­rier­ter auszuführen
ein wenig mehr Zeit einplanen
gemein­sa­me Pau­se mit den Kindern
Eine län­ge­re Zeit­span­ne aus­wäh­len und Ver­su­che wäh­len die ca. gleich lan­ge Zeit benötigen.
Ich glau­be, es wäre sinn­voll das Erklä­rungs­mo­dell noch bes­ser auf die Kids abzustimmen.
Expe­ri­men­te die die Kin­der mehr begeistern
mehr Zeit in ein­zel­ne Ver­su­che investieren

Im Anschluss habe ich ver­schie­de­ne Tools für die Doku­men­ta­ti­on der Ergebnisse/Erkenntnisse vor­ge­stellt (Blog, Maha­ra, Goo­g­le­Docs, Wiki) – die Wahl fiel auf ein Wiki.

Schritt 6 – Dokumentation:

Zur Zeit gestal­ten wir gera­de das Wiki – eine für mich und die SuS völ­lig neue Erfah­rung, da wir alle noch nie mit so einem Tool gear­bei­tet haben – bis­her war alles eher WYSIWYG. Wie gesagt – viel­leicht ver­lin­ke ich es hier, wenn es fer­tig ist.

Fazit:

Das Pro­jekt läuft ja noch – ich tei­le die Wahr­neh­mung vie­ler SuS nicht, dass wenig über Che­mie gelernt wur­de. Anhand der Fra­gen, die  in der Vor­be­rei­tungs­pha­se gestellt wor­den sind, konn­te ich im Bera­tungs­pro­zess erken­nen, dass da schon das eine oder ande­re gesche­hen ist, da fie­len schon har­te Fach­be­grif­fe wie mobi­le oder sta­tio­nä­re Pha­se, Adhä­si­on usw..

Neben dem gan­zen fach­li­chen Kram war es für mich eine Offen­ba­rung, SuS weit­ge­hend außer­halb sys­te­misch vor­ge­ge­be­ner Schü­ler­rol­len zu erle­ben, näm­lich z.B. als zuge­wand­te Lern­be­glei­ter oder auch kom­pe­ten­te und umsich­ti­ge Expe­ri­men­ta­to­ren, als authen­tisch neu­gie­rig Fra­gen­de, als „Wis­sen-Wol­len­de“. Dafür sind Kin­der aber auch sehr effi­zi­en­te Indu­zie­rer… Viel effi­zi­en­ter als viel­leicht Men­schen mit vor­han­de­ner „clas­sic“ Schulerfahrung.

Ich weiß nicht, wie oft zwi­schen Samm­lung und Unter­richts­raum hin- und her­ge­rannt bin, um etwas zu holen, vor­zu­schla­gen, zu bera­ten, Mög­lich­kei­ten auf­zu­zei­gen, zu kor­ri­gie­ren, nach­zu­fra­gen… . Das war Arbeit – aber eine gänz­lich ande­re, ziem­lich for­dern­de. Der Auf­wand „drum­her­um“ hielt sich in Gren­zen, da das Mate­ri­al, was nicht in der Schu­le vor­han­den war, von den SuS besorgt wur­de. Ich muss­te nur Quit­tun­gen abrechnen.

Blogparade Partizipation

Jan Mar­tin Klin­ge hat mit einem Arti­kel mit der Über­schrift „Ich ent­schei­de“ auf Twit­ter eine Debat­te dar­über los­ge­tre­ten, inwie­weit und auf wel­chen Fel­dern Schü­le­rin­nen und Schü­ler den Schul­all­tag mit­ge­stal­ten kön­nen soll­ten. Zuge­spitzt sagt er, dass vie­le Ent­schei­dun­gen Schü­le­rin­nen und Schü­ler schlicht über­for­dern und sie auch dank­bar dafür sind, wenn sie kla­re, struk­tu­rier­te Ansa­gen erhalten.

Dejan Miha­j­lo­vic – lang­jäh­ri­ger Ver­bin­dungs­leh­rer – hat an dem Arti­kel Anstoß genom­men und eine Blog­pa­ra­de ins Leben geru­fen. Grob gesagt wünscht Dejan sich Schu­le als demo­kra­ti­sches Sys­tem, das alle Betei­lig­ten (Schü­ler, Eltern, Lehr­kräf­te) mit gän­gi­gen poli­ti­schen Metho­den mit­ge­stal­ten kön­nen, bis hin­un­ter auf die Unter­richts­ebe­ne. Ich den­ke, dass Dejan vor allem auch den gro­ßen gesell­schaft­li­chen Bogen sieht: Ich emp­fin­de es selbst so, dass gesell­schaft­li­che Par­ti­zi­pa­ti­on auf dem Rück­zug ist – die Ursa­chen sind viel­fäl­tig, aber Schu­le ist dar­an bestimmt nicht unbeteiligt.

Ich selbst habe im Rah­men von Per­so­nal­rats­ar­beit eine Wei­le ver­sucht, eine ech­te Arbeit­neh­mer­ver­tre­tung zu sein und poli­tisch inner­halb eines Kol­le­gi­ums zu arbei­ten. Die­ser Ver­such ist rela­tiv kläg­lich geschei­tert, u.a. weil ich damals unter­schätzt habe, dass Schu­le ein­fach kein demo­kra­ti­sches Sys­tem ist.

Als Medi­en­be­ra­ter erle­be ich, dass „Digi­ta­li­sie­rung“ dann an Schu­len in der Brei­te ein The­ma wird, wenn man es durch Vor­ga­ben vor­schreibt (und die Schul­in­spek­ti­on ansteht, die das mit in ihrem Kri­te­ri­en­ka­ta­log hat). Die­se Spra­che ver­steht das Sys­tem Schu­le: Wenn es „Vor­ga­ben von oben sind“, dann muss man es ja machen. Aber im Sin­ne eines Par­ti­zi­pa­ti­ons­ver­ständ­nis­ses ist ein sol­ches Vor­ge­hen eigent­lich unterirdisch.

Ich habe Schü­le­rin­nen und Schü­ler erlebt, die im Rah­men von Pro­jekt­un­ter­richt ein hal­bes Jahr gebraucht haben, um zu begrei­fen, dass es im Pro­jekt mit dem „Ist das auch so rich­tig, Herr Riecken?“ bei mir kei­ne Ant­wort gab außer: „Pro­bie­re es aus – wenn es aus dem Ruder läuft, bin ich schon da.“

All das muss alar­mie­ren. Dejan hat mei­ner Mei­nung nach abso­lut recht, was die Gestal­tung des Sys­tems Schu­le angeht. Auf der päd­ago­gi­schen Ebe­ne möch­te ich mich genau wie Jan-Mar­tin dar­auf momen­tan noch nicht nicht ein­las­sen. Dazu spä­ter mehr.

Die Sys­tem­ebe­ne

Auf Sys­tem­ebe­ne haben wir in Nie­der­sach­sen mit dem Schul­vor­stand im Prin­zip ein sehr mäch­ti­ges und m.E. oft unter­schätz­tes Instru­ment für Par­ti­zi­pa­ti­on – Eltern und Schü­ler: Hier ist der Hebel! Der Schul­vor­stand ent­schei­det z.B.

  • über die Beset­zung von Schulleitungsstellen
  • die Aus­ge­stal­tung der Stundentafel
  • Grund­sät­ze für die Außen­dar­stel­lung der Schule
  • u.v.m.

Die Gesamt­kon­fe­renz ist dage­gen abso­lut ent­wer­tet und im Wesent­li­chen nur noch „Beneh­mens­mit­tei­lungs­emp­fän­ger“. Damit ist der Schul­vor­stand das Gre­mi­um überhaupt.

Meckern könn­te man an sei­ner Zusam­men­set­zung: Er besteht zur Hälf­te aus Lehr­kräf­ten und zu je einem Vier­tel aus Eltern- und Schü­ler­ver­tre­ten­den. Bei Stim­men­gleich­heit ent­schei­det die Stim­me des Schul­lei­ters, der bzw. die auch immer mit dazugehört.

Als Schü­ler­ver­tre­ter muss ich mit also „nur“ mit den Eltern und einer Lehr­kraft einig sein, um struk­tu­rell ganz erheb­lich Ein­fluss neh­men zu kön­nen. Dass man die­ses Gre­mi­um nicht pari­tä­tisch besetzt, hat m.E. Grün­de im Sys­tem­er­halt: Es wür­de den Schul­frie­den erheb­lich stö­ren, wenn Leh­re­rin­nen und Leh­rer Din­ge umset­zen müs­sen, die sie nicht selbst bestim­men kön­nen bzw. bei denen sie über­stimmt wür­den. Das ist schon doof an Demo­kra­tie, dass man eben auch zu Min­der­hei­ten gehö­ren kann.

Dejan hat recht, da gibt es noch sehr viel zu tun. Jede Art von Ein­fluss­nah­me auf die Arbeit von Kol­le­gen führt wahr­schein­lich schnell zu hef­tigs­ten Beiß­re­fle­xen: Man stel­le sich ein­mal vor, der Schul­vor­stand hier in Nie­der­sach­sen beschlös­se tat­säch­lich an einer Schu­le die Bean­tra­gung des gebun­de­nen Ganz­tags­be­triebs (und das käme dann durch) und die­se Schu­le wäre tra­di­tio­nell eher auf Unter­richt­schluss nach der 6. Stun­de aus­ge­legt. In der Haut der Schul­lei­tung wür­de ich dann nicht ste­cken wollen.

Oder stel­len wir uns die Unge­heu­er­lich­keit vor, wenn der Schul­vor­stand außer bei Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten ver­bind­lich öffent­lich tagen müss­te und schul­in­ter­ne Pro­zes­se zar­te Anklän­ge von öffent­li­cher Trans­pa­renz bekä­men … Wie­der ein Argu­ment für die För­de­rung von Par­ti­zi­pa­ti­on, die ohne Trans­pa­renz eigent­lich undenk­bar ist. Wer Par­ti­zi­pa­ti­on för­dern will, muss zuerst trans­pa­rent werden.

(Des­we­gen ist das tro­ja­ni­sche Pferd für mehr Par­ti­zi­pa­ti­on bei Medi­en­bil­dungs­plä­nen der Punkt Informationsmanagement)

Auf der päd­ago­gi­schen Ebene

Tho­mas Rau hat in sei­nem Arti­kel alles für mich Wich­ti­ge geschrie­ben. Zusam­men­ge­fasst bin ich Fach­mann für mei­ne Fächer, habe sehr viel Unter­richts­er­fah­rung und weiß, dass es effi­zi­en­te und weni­ger effi­zi­en­te Wege gibt, um Wis­sen und Kom­pe­ten­zen zu errei­chen. Da bin ich bes­ser als mei­ne Schü­le­rin­nen und Schü­ler und zusätz­lich durch mei­ne for­ma­le Rol­le in einer Macht- sowie Ver­ant­wor­tungs­po­si­ti­on. Die­se Posi­ti­on ist im gege­be­nen Sys­tem z.B. auch durch kom­pe­tenz­ori­en­tier­te Rück­mel­dun­gen  kaum zu ent­schär­fen, denn am Schluss zählt momen­tan eh nur die Zahl, sodass Over­lay-Kom­pe­tenz­ge­sei­er mit etwas Pech nur dafür sorgt, dass mein Gegen­über die Rück­mel­dung ledig­lich ver­ar­ro­gan­tiert wahr­nimmt. Den­noch ver­su­che auch ich wie Jan-Mar­tin Unter­richt stel­len­wei­se zu öff­nen – hier im Blog sind auch eini­ge Bei­spie­le schon reflek­tiert. Das wird in einer fünf­ten Klas­se anders aus­se­hen als in einem Abiturjahrgang.

Ich bemü­he mich, eini­ger­ma­ßen trans­pa­rent zu sein, in dem wie ich unter­rich­te und beur­tei­le. Bei der Beur­tei­lung gelingt mir das kon­stant nur für einen Teil der Schü­le­rin­nen und Schü­ler – mein gro­ßes Entwicklungsfeld.

Eigent­lich ist die span­nen­de Fra­ge  – nicht nur, son­dern auch beim The­ma Par­ti­zi­pa­ti­on – an wel­cher Stel­le ich Schü­le­rin­nen und Schü­lern etwas zutrau­en darf und muss und an wel­chen ich sie schlicht auf­grund ihrer Ent­wick­lung her über­for­de­re. Ich den­ke, dass die Kom­pe­tenz­di­dak­tik oft zur Über­for­de­rung neigt  (weil sie z.B. von einer idea­li­sier­ten Schü­ler- und Leh­rer­per­sön­lich­keit ausgeht).

Manch­mal ist selbst die Fähig­keit „In der 7. Klas­se ein Streich­holz ent­zün­den kön­nen“ schon ein zu hoher Anspruch. Gibt es bestimmt bald eine App für. Oder es wird wahl­wei­se auf­grund des hohen Gefah­ren­po­ten­ti­als verboten.

Schmerzen – für Administratoren

Wenn wir Admi­nis­tra­to­ren von „Schmer­zen“ reden, mei­nen wir damit oft Set­ups, die recht kom­plex sind und sich nur durch extrem viel Durch­hal­te­ver­mö­gen rea­li­sie­ren las­sen. Ein gutes Bei­spiel sind Ver­zeich­nis­diens­te - durch mei­ne Linux­nä­he ins­be­son­de­re openLDAP. Bei die­sem Dienst hat man das Gefühl, als ob die Ent­wick­ler nor­ma­les „Fuß­volk“ gar nicht wollen.

Den­noch feie­re ich hier einen Durch­bruch nach dem ande­ren. Im Prin­zip läuft das zunächst für mich dar­auf hin­aus, dass ich Sin­gle-Sign-On (ein Pass­wort für alles) jetzt extrem aus­wei­ten kann, z.B. mei­ne Klas­sen­blogs und -wikis jetzt auch recht sicher mit den Anmel­de­da­ten nut­zen kann, die die SuS auch im Schul­netz­werk ver­wen­den. In Own­cloud kann ich sogar Grup­pen aus dem Schul­netz­werk über­neh­men. Oder ein schul­über­grei­fen­des WLAN auf­span­nen. Davon mache ich nahe­zu nichts. Aber ich könn­te jetzt schon auf eine Anfor­de­rung reagie­ren, die mit zie­im­li­cher Sicher­heit irgend­wann kom­men wird.

Wer mei­ne „Schmer­zen“ live erle­ben will, kann sich mei­ne Doku­men­ta­ti­on dazu zu Gemü­te füh­ren. Als Anwen­der muss man dafür schon sehr hart sein :o)… Viel­leicht fin­det der eine oder ande­re tech­nisch inter­es­sier­te auch auf der Haupt­sei­te etwas.

Und sie waren tatsächlich da …

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Von dem Bild bekommt man einen guten Ein­druck von dem Besuch der Kin­der­gar­ten­kin­der bei uns im Che­mie­kurs (rei­ner Abde­cker­er­gän­zungs­kurs, kein Cur­ri­cu­lum). Das Bild ist übri­gens mit einer GOPRO-Action­ka­me­ra gemacht (sowas hält unser Medi­en­zen­trum für die akti­ve Medi­en­ar­beit in der Schu­le bereit).  Mein Kurs hat selbst Expe­ri­men­te für Kin­der erar­bei­tet – dabei stand im Mit­tel­punkt, dass es nicht um die lei­der immer mehr didak­ti­schen Raum ein­neh­men­de Phä­no­me­no­lo­gie gehen soll, son­dern um Deu­tun­gen, die für Kin­der ver­steh­bar sind.

Adhä­si­on bei der Chro­ma­to­gra­phie kann man z.B. modell­haft durch Kin­der erklä­ren, die von ande­ren Kin­der gescho­ben wer­den – mal auf einem Bein ste­hend, mal auf zwei Bei­nen ste­hend. Das Lauf­mit­tel (das schie­ben­de Kind) kann das Farb­stoff­teil­chen (das gescho­be­nen Kind) unter­schied­lich gut bewe­gen. In sol­chen ver­meint­li­chen Details steckt sehr viel Denk­ar­beit (nicht mei­ne!): Die Erklä­rung ist nicht über die Maßen sim­pli­fi­ziert, ermög­lich aber trotz­dem eine in Grund­zü­gen kor­rek­te Vor­stel­lung von einem Teil­be­reich der sich tat­säch­lich abspie­len­den Vorgänge.

Neben der Schul­lei­te­rin waren auch Ver­tre­ter der ört­li­chen Lokal­zei­tun­gen zeit­wei­se anwe­send – die Inter­views haben natür­lich die Schü­le­rin­nen und Schü­ler selbst gege­ben. Die resul­tie­ren­den Arti­kel in den Zei­tun­gen haben mir bei­de sehr gut gefal­len. Für mich ist die­se „Ver­mark­tung“ rela­ti­ves Neu­land – die Akti­on selbst ist ja schon ein Remake. Den Schü­le­rin­nen und Schü­lern war die Öffent­lich­keit aber gar nicht so wich­tig – zumin­dest hat das unse­re klei­ne Eva­lua­ti­on hin­ter­her erge­ben. Die Atmo­sphä­re wäh­rend der Ver­an­stal­tung war so, dass fast alle Erwach­se­nen, die von außen kamen, lan­ge geblie­ben sind – es gab unglaub­lich viel zu schau­en, zu hören und zu erle­ben, z.B. sehr fokus­sier­te und gespann­te Kinder.

Ein Segen ist, dass ich Teil­neh­men­de aus der Video-AG mit in mei­nem Kurs sit­zen habe, die gemein­sam mit zusätz­lich frei­ge­stell­ten Schü­le­rin­nen die Doku­men­ta­ti­on über­nom­men habe. Ver­ti­kal­fahrt? GOPRO auf der Krei­de­ab­la­ge der Pylo­nen­ta­fel. Hori­zon­tal­fahrt? GOPRO auf fahr­ba­rem Over­head­pro­jek­tor (zu etwas müs­sen sie ja gut sein). Wack­ler? „Die GOPRO macht 4K – das kann man genau wie die opti­sche Ver­zer­rung durch den extre­men Weit­win­kel her­aus­rech­nen, Herr Riecken!“

Und wie geht es wei­ter? Zunächst habe ich fast sowas wie einen didak­ti­schen Kaper­brief bekom­men. Das Niveau von vie­len Erklär­vi­de­os (auch kom­mer­zi­el­len) gefällt mei­nen Schü­le­rin­nen und Schü­lern nicht. „Nä, das ist tech­nisch nicht gut gemacht, Herr Riecken!“ „Die Idee ist ja schon nett, aber die dra­ma­tur­gi­sche Umset­zung … !“ Und ich: „Fach­lich stimmt da und da aber etwas nicht!“. Der Kurs hat beschlos­sen, das bes­ser zu kön­nen. Nun denn. Ein neu­es Pro­jekt in einem neu­en Halb­jahr, dies­mal akti­ve Medi­en­ar­beit gepaart mit erhöh­tem fach­li­chen Anspruch. Ich weiß noch nicht ganz genau, wie ich das ange­he. Ich könn­te mir gut vor­stel­len, z.B. im Bereich der Koh­len­hy­dra­te – das eig­net sich sehr gut für Erklär­vi­de­os – zunächst in einen Input­pha­se zu gehen, um inhalt­li­che Ori­en­tie­rung zu schaf­fen, um dann dies­mal die SuS eige­ne Pro­jekt­pla­nun­gen (Zeit­ras­ter, Mile­sto­nes) ent­wi­ckeln zu las­sen. Aber das wird noch bis zum neu­en Jahr reifen.

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