Schreibprozesse durch digitale Medien unterstützen
Ich habe auf diversen Veranstaltungen einen Workshop mit folgendem Inhalt angeboten:
S*S fällt es zunehmend schwerer, längere Texte zu konzipieren und handschriftlich niederzulegen. Das hat auch damit zu tun, dass die gebundene Handschrift in den niedersächsischen Grundschulen mittlerweile nur noch fakultativ gelehrt wird. Digitale Medien bieten hier Ansätze, den dadurch bedingten „Schreibhemmungen“ zu entgehen, da sie z.B. erweiterte Möglichkeiten bei der Textproduktion bieten. Am konkreten Beispielen erfahren Sie in diesem Workshop, wie Sie mit der an Ihrer Schule vorhandenen Technik, S*S erleichtern können, effizienter zu einem Text zu kommen und gezielter die gedankliche Strukturierung von Texten unterstützen können. Benötigt wird ein eigenes Endgerät (Tablet, Notebook).
Ich gehe dazu folgendermaßen vor:
Phase 1: Der Etherpad-Erstkontakt
Es gibt zahlreichen Anbieter, die ein kostenloses Etherpad anbieten, z.B.
- https://etherpad.nibis.de/ (Niedersächsischer Bildungsserver, in der Vergangenheit nicht sehr zuverlässig)
- https://zumpad.zum.de/ (Angebot der Zentrale für Unterrichtsmedien e.V., nach meiner Erfahrung sehr stabil)
- das Texte-Modul von IServ (an niedersachsens Schulen weit verbreitete Inhouse-Schulserverlösung)
Man kann sich trefflich darüber streiten, ob Etherpad nicht schon längst überholt ist, weil es doch eine Vielzahl weiterer, modernerer Angebote gibt, jedoch geht es mir weniger um das Tool, sondern um eine Art des Arbeitens. Zudem braucht Etherpad keinen Account – weder beim Ersteller noch bei Teilgebenden – das ist nicht zu unterschätzen. Das wesentlich hippere HackMD braucht schon wieder etwas Syntaxkenntnisse und schreckt dadurch gerade Anfänger eher ab – allein schon vom Design.
Die Teilnehmer bekommen von mir einen möglichst einfachen, abtippbaren Link zu einem Etherpad (die wenigsten sind in der Lage, einen QR-Code zu nutzen) und ohne weitere Vorbereitung die Aufgabe, Argumente zu einem möglichst banalen Thema (z.B. pro/contra Schuluniformen) in das Dokument zu schreiben. Wenn viele unterschiedliche Geräte (Notebook, Tablet, Handy) im Raum sind, ist das äußerst wertvoll für die spätere Auswertung.
Phase 2: Die unterrichtsbezogene Meta-Arbeit
Sofort danach mache ich Metaarbeit mit kleinen Impulsfragen:
- Wie ist es Ihnen ergangen?
- Was empfanden Sie als verstörend oder problematisch?
- Was „leistet“ so ein Dokument?
- Welche weiteren Anwendungsszenarien im Unterricht fallen Ihnen ein?
Mit dem letzten Impuls kommen die eigenen, meist sehr technischen und erstaunlicherweise immerwieder gleichen Fragen, z.B.:
1.) „Wie speichert man das?“
Es ist unglaublich schwer zu vermitteln, wie Speicherung bei einem Onlinedokument funktioniert. Die Vorstellung, dass mir ein Algorithmus den Klick auf das Diskettensymbol kleinschrittig und versioniert abnimmt, scheint völlig unkompatibel zum technischen Verständnis vieler Menschen zu sein. Es kommt hier extrem darauf an, diese Frage sehr ernstzunehmen, da das Konzept „Datei hinter Link“ sich sehr fundamental vom Konzept „Datei im eigenen Ordner zu Hause“ unterscheidet. Ich male da gerne eine Ordnerstruktur „auf dem Server“ an die Tafel. Bei sehr aufgeschlossenen Gruppen zeige ich auch die Timesliderfunktion von Etherpad.
2.) „Kann man auch Tabellen anlegen – ich arbeite an der Tafel ja immer auch mit Tabellen!“
Das was man an der Tafel gewohnt ist, soll auch 1:1 im digitalen Raum funktionieren. Diese Denkweise versperrt aber den Blick darauf, dass nun ganz andere Dinge möglich werden, z.B. in kürzester Zeit kollaborativ eine sortierbare Stoffsammlung zu haben, an der auch zurückhaltendere S*S partizipieren können. Davon erzähle ich ohne die Tabelle an der klassischen Tafel abzuwerten.
3.) „Wie geht des mit der anderen Schriftart?“
Das ist ähnlich zu beantworten wie Frage 2. Ich sage immer immer, dass Etherpad gut für Inhalte ist, die immer in aktueller Form ohne Herumschicken einer Datei vorliegen. Das Gestöhne beim Seitenhieb auf unterschiedliche Worddateien weicht dann schnell der Erkenntnis, dass das Sinn macht, so reduziert zu arbeiten – formatieren kann man ja hinterher immer noch in der Textverarbeitung seiner Wahl.
4.) „Und wie lege ich das an?“
Es ist unglaublich schwer zu vermitteln, dass ein Dokument durch eine Eingabe und einen Klick direkt im Netz entsteht. Auch da arbeite ich mit „Krücken“ und Tafelanschrieben wie bei Frage 1.
5.) „Also ich würde das zu Hause schon mit pro- und contra vorstrukturieren wollen!“
Das ist immer so eine tolle Frage, wenn sie denn kommt. Standardantwort: „Müssen Sie nicht, das können Sie hier die S*S machen lassen!“ Meistens wird es dann kurz still im Raum. „Und wie kontrolliere ich das?“ Meine Antwort: „Indem Sie den Arbeitsprozess – der ja nun transparent ist – immer wieder unterbrechen und reflektieren – das ist Ihre Profession und Aufgabe!“. Man kann z.B. ja vor dem Strukturieren das Entstandene auch überarbeiten lassen.
[…]
Nach den ersten beiden Phasen sind mindestens 45 Minuten vergangen – je nach Diskussionfreudigkeit der Teilnehmenden. Es ist eigentlich noch nicht viel geschehen in diesem Workshop, oder?
Phase 3: Die Ausblicke & Realismus
Ich werfe nun Erfahrungen in den Ring, z.B. dass S*S den Umgang mit solchen kollaborativen Formen lernen müssen und es natürlich anfangs zu Sabotage kommt (Dank Versionierung aber umkehrbar). Ich werfe die Idee in den Raum, schuleigene Konzepte so zu verfassen oder aber auch Sitzungen mit mehreren Personen „live“ zu protokollieren, sodass das Protokoll nach Abschluss nur noch etwas formatiert werden muss etc..
Ich weise auf Alternativen hin, zeige z.B. GoogleDocs, OnlyOffice & Co. Das halte ich aber bewusst kurz und biete bei Interesse an, dieses oder jenes Tool in einem separaten Workshop zu thematisieren.
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