Von Teergruben und Schuttbergen
Einmal mehr hat mich Philippe Wampfler an einen alten Artikel von mir erinnert: Es geht im Kern um die Frage, dass mit Verhinderungsdiskursen Innovation verhindert wird und Scheindebatten geführt würden, die innovative Akteure „zermürben“ (sollen).
Philippe verwendet das Bild der (rhetorischen) Teergrube. Der Begriff beschreibt in der Informatik ein Konzept, unerwünschte Verbindungen zwischen Rechner zu verlangsamen, wenn anzunehmen ist, dass von einer Verbindung ein Schadenspotential ausgeht – so muss man z.B. bei der häuslichen Fritzbox nach jeder falschen Passworteingabe etwas länger warten, bevor man einen neuen Versuch starten kann. Die Verbindung wird „klebrig“.
Witzigerweise ist das Konzept der Teergrube für den intendierten Zweck in Netzwerken völlig untauglich. Gewitzte Angreifer verfügen über Techniken, um diese „Sicherung“ zu umgehen – z.B. durch Verbindungsversuche von sehr vielen unterschiedlichen Rechnern gleichzeitig – eine vernetzte Angriffsstrategie. „Bestraft“ werden durch Teergruben eher legitime Verbindungen, z.B. Nutzer, die wirklich nur ihr Passwort vergessen haben, es durch einige Versuche mehr vielleicht aber herausbekommen könnten.
Für mich spricht aus Philippes Artikel zumindest Enttäuschung darüber, dass es so ist. Es ist für mich ein Alarmsignal, wenn ein innovativer Kopf wie Philippe das so für sich feststellt. Wie muss es erst Personen gehen, die Prozesse vor Ort auf höheren Ebenen längerfristig begleiten?
Keynotespeaker und Berater z.B. (das gilt nicht für Philippe, der ist auf vielen Ebenen unterwegs) haben in der Regel einen aus meiner Sicht relativ leichten Job. Eine Keynote ist schnell gehalten, ein Medienentwicklungsplan durch eine Agentur meist in sechs bis zwölf Monaten entwickelt – der Prozess der Entwicklung mag nicht leicht sein, aber die eigentliche Arbeit fängt in der Umsetzung vor Ort an, nach der Keynote, nach dem Medienentwicklungsplan. Meine Kritik an reinen klassischen Theoretikern mit einem aus meiner Sicht industriellen Wissenschaftsverständnis (Man fordert z.B. umfassende Reformen an Schulen und vernetztes Arbeiten, arbeitet und publiziert aber z.B. selbst immer noch in akademischen Blasen) ist auch schon alt. Es ist viel gedacht, beschrieben und visioniert worden und alles kommt nun nicht an oder vergraut in zermürbenden Verhinderungsdiskursen.
Ehrlich: Ich kann das verstehen. Denn all die Denker, Theoretiker und Visionäre haben tolle Ideen, aber keine Lösung, ja oft nicht einmal Ansätze für konkrete Umsetzungen. Damit meine ich keine Unterrichtsbeispiele oder neuen Inhalte. Ich meine damit systemische Transformationsforschung oder eben: „Wie machen wir das in Bezug auf die dazu notwendigen Haltungsänderungen bei sehr vielen Akteuren im System Schule?“ – da scheint mir Wissenschaft dann spätestens am Ende mit ihrem Latein. Derweil hat Schule vermeintlich wirklich andere, drängendere Sorgen.
Die Verhinderung hat eine systemische Funktion – natürlich aber auch eine Wirkung. Sie ist in meinen Augen kein „bewusster“ Akt, sondern Ausdruck dessen, dass vielleicht schlicht noch ein Weg zu gehen ist, der durchaus auch Stationen hat, die den heutigen „Innovatoren“ Sorgenfalten auf die Stirn treiben.
Mir persönlich helfen persönliche Gespräche viel. Wer sich im Denken isoliert fühlt, braucht eine sozial stabile Umgebung, Menschen, die ich anrufen oder besuchen kann – in meiner unmittelbaren Umgebung.