… ein reißerischer Titel. Ich bin Administrator von einer komplexen IT-Struktur und Berater für andere, die eine solche Struktur aufbauen oder erweitern wollen. In dieser Rolle habe ich naturgemäß eine andere Sicht auf die Thematik, da ich einen mehr technischen Blick besitze. Als Administrator habe ich auch andere Interessen als ein Anwender: Ich möchte, dass eine Struktur für möglichst viele Personen stabil und zufriedenstellend läuft, weil das meine eigenen Resourcen schont. Das hat ein Bisschen was von Politik: Da sind viele unterschiedliche Interessen, vor allem im Bereich der Endgeräte zu berücksichtigen und auszugleichen.
IT-Strukturen lassen sich technisch verhältnismäßig leicht beherrschen, wenn man auf standardisierte Schnittstellen zwischen den Soft- und Hardwarekomponenten achtet. Die sozialen Komponenten verursachen die wirklichen „Kosten“ in diesem Bereich, für die man viel Zeit benötigt. Ein Netz, welches die Resourcen eines Administrators durch reine Wartungsaufgaben auffrisst, wird trotz technischer Raffinessen für die Anwender nie befriedigend sein. Ich sehe immer wieder typische Fehler an Schulen bei der Konzeption von IT-Strukuren.
1. „Was für mich gut funktioniert, das ist auch für meine Schülerinnen und Schüler geeignet“
Ich habe persönlich eine Vorliebe für linuxbasierte Systeme. Diese „sprechen“ mit mir und verfügten meist schon Jahre vor typischen Consumerprodukten über Features, die unter Windows oder iOS als „bahnbrechend“ beworben und empfunden wurden. Trotzdem käme es mir nie in den Sinn, die ganze Welt zu freier Software und Unixsystemen bekehren zu wollen. Auch Geräte, die für den privaten Workflow hervorragend funktionieren (auch ich verschenke oder empfehle z.B. Appleprodukte), müssen nicht unbedingt einfach in komplexere Strukturen integrierbar sein. In einem großen Netz muss ich eine Handlung nicht einmal für mich durchführen oder beraten, sondern u.U. x Mal – und dann wird es in der Administration nach einer kurzen Phase der Euphorie langweilig oder auf Dauer sogar nervig.
Ein Gerät, welches ich nicht zentral steuern kann, welches ich für grundlegende Funktionen und Konfigurationen selbst einzeln Stück für Stück in die Hand nehmen muss, ist in diesem Sinne ungeeignet, weil es nicht den Möglichkeiten entspricht, die man heute in der IT hat. Dieses Grundproblem tritt z.B. bei einer gewissen Anzahl von Schulgeräten auf, z.B. auch bei iPads (die sich aber zentral mit einem Mac-Server verwalten ließen).
Dieses Problem äußert sich darin, dass es pädagogisch für sinnvoll erachtet wird, dass jeder sein eigenes Gerät mitbringt und selbst wartet, damit diese zentral Aufgabe nicht mehr in den Aufgabenbereich von Schule fällt. Damit kauft man sich jedoch andere Herausforderungen ein: Nicht umsonst gilt in Firmennetzen die Einbindung von privaten Geräten als große Herausforderung.
2. „Schule braucht kein eigenes Schulnetz, jeder greift irgendwann mit seinem Gerät selbst mobil auf das Internet zu“
Dazu habe ich an anderer Stelle etwas geschrieben. Vom Vernunftsgedanken bewegt sich das ganze ungefähr auf der Ebene, wie sinnvoll ein Auto als Fortbewegungsmittel ist: Man braucht für ein solches Ansinnen neben dem technischen Rahmen auch für jedes Kind einen eigenen Datenvertrag mit entsprechendem Datenvolumen. Kostet ein solcher Vertrag pro Kind 10,- Euro, kann man sich als Schule von der Gesamtsumme eine satte Standleitung mit garantierten technischen Parametern jenseits von „bis zu“ leisten und darüberhinaus darauf verzichten „Femtozellen“ in der Schule aufzustellen (quasi klitzekleine Sendemasten – eigentlich ist das dann eine Nachbildung von typischen, aber wesentlich günstigeren WLAN-Strukturen). Ich glaube, dass hinter diesem Satz mehr eine Hoffnung, denn ein pädagogisches Konzept steckt.
Dazu kommt, dass ich in der Schule gerne Daten und Informationen austauschen möchte, Ich will das nicht immer über cloudbasierte Dienste tun. Datenschutz ist für mich immer ein Thema. Ich finde es gut, wenn Kinder erste Erfahrungen in geschützteren Räumen machen und sie dann auf das große weite Internet übertragen, weil irgendwelche Dummheiten im kleineren Rahmen pädagogisch viel beherrschbarer und u.U. folgenloser bleiben.
3. „Wir müssen neue Endgeräte beschaffen! Nur das Neueste und Aktuellste ist zeitgemäß für Bildungsprozesse!“
Ein gebrauchtes Businesssubnotebook mit Core2Duo zum Preis von 170,- Euro hat weder Probleme mit der Darstellung von HD-Videos noch mit komplexeren, ajaxbasierten Webdiensten. Der Akku hält auch bis zu 8 Stunden. Es gibt günstige Ersatzteile am Markt, die auch noch leicht, also auch durch eine Schüler-AG, zu tauschen sind, weil diese Geräte in großen Stückzahlen gefertigt wurden. Endgeräte, zu denen auch Tablets gehören, machen für mich nur Sinn, wenn sie für kollaborative Prozesse eingesetzt werden. Dazu braucht man ein stabiles Netz und einen verlässlichen Zugang zum Internet im gesamten Schulgebäude.
Um alleine mit einer App zu lernen, brauche ich kein Gegenüber und kein Schulgebäude. Das Besondere an Schule ist für mich aber das Gegenüber. Und in dieser Einheit will ich nicht technisch eingeschränkt sein. Mich interessiert nicht, ob der Film jetzt ein bandbreitenhungriges HD-Video oder eine für Mobilgeräte gut komprimierte Version ist. Ich will klicken und ihn mir anschauen. Dafür brauche ich ein Netz. Wenn das nicht steht, habe ich viel Aufwand und mache auch mit dem neusten Verkaufsschlager ernüchternde Erfahrungen. Wie ein Auto verliert der neueste Verkaufsschlager übrigens in seinem ersten Jahr drastisch an Wert und ggf. an Akkukapazität. Da kann man viel Geld verbrennen. Ein Server, der die gleiche Leistung für die gleiche Anzahl an „dummen“ Anzeigegeräten zur Verfügung stellt, ist nach meiner Erfahrung mit einem 1/10 der Kosten zu realisieren.
Daher berate ich in der Regel zuerst das Netz und dann die Endgeräte.
4. „Was pädagogisch sinnvoll ist und wie demnach das Netz beschaffen sein soll, weiß ich als Anwender und Lehrer am besten.“
Ich bin ein Typ, der momentan mehrere Maschinen mit ESXi virtualisiert, der managebare Switche administriert, Acccesspoints (selbst mit DD-WRT versehen und konfiguriert) und Beamerlampen per SNMP überwacht und optische Verbindungen projektiert bzw. zur Not auch selbst verkabelt. Zudem kann ich mittlerweile auch Verkabelungspläne von Elektrikerfirmen einigermaßen lesen. Ich bilde mir trotzdem bis heute nicht ein, als Autodidakt – der ich nunmal bin – mehr über Netzwerke zu wissen als jemand, der so etwas täglich plant. Meine zeitlichen Resourcen sind (eigentlich) viel zu begrenzt, um Kabel über verstaubte Dachböden zu ziehen. Ein Durchschnittslehrer kann allenfalls Sätze formulieren wie: „Ich möchte überall im Hause einen verlässlichen Internetzugang haben“. Ein guter externer Berater nimmt vielleicht 500–800 Euro für zwei Stunden, wird aber dann auch die technisch wirklich relevanten Parameter abfragen: Ob ich mit 50 Leuten gleichzeitig YouTube-Videos schauen möchte oder kollaborativ mit Web2.0‑Diensten in Klassenstärke arbeiten möchte, ist technisch ein himmelweiter Unterschied hinsichtlich der Anforderungen und der Auslegung eines Netzes.
In der Beratung fange ich immer mittlerweile gerne: „Und was ändert sich bei Ihnen dadurch, wenn Sie Ihre heute als optimal empfundene Struktur besitzen?“ Diese Frage überrascht immer wieder, lenkt den Blick jedoch oft genug wieder zurück auf den Benutzer und weg von der Technik, die ebendiesem zu dienen hat und nicht umgekehrt. Das wiederum kann sie nur, wenn gewisse Mindeststandards unterstützt werden, was wiederum die Auswahl an Geräten u.U. bestimmt.