Dagstuhl reloaded – das Frankfurt Dreieck

Das mitt­ler­wei­le weit bekann­te Dag­stuhl-Drei­eck wur­de oft für eine ein­sei­ti­ge tech­no­lo­gi­sche Fokus­sie­rung kri­ti­siert. In der Tat „krei­sen“ die Leit­fra­gen des Modells um eine Mit­te, deren Kern ein tech­ni­scher ist.

Die hier gewähl­te Dar­stel­lung aus dem Rou­ten­pla­ner #digi­tale­bil­dung zeigt die­ses Pro­blem noch­mals ver­schärft durch die Wahl der Pik­to­gram­me. Das Dag­stuhl-Drei­eck wird gele­gent­lich als „Brü­cke“ zwi­schen Medi­en­bil­dung und infor­ma­ti­scher Bil­dung „geframed“. Die­se Brü­cke wird not­wen­dig durch Über­spit­zun­gen bei­der „Lager“.

Ein häu­fig bemüh­ter Ste­reo­typ dafür ist der Autovergleich:

Man muss ein Auto nicht ver­ste­hen, um es benut­zen zu kön­nen, die Ein­füh­rung in die Benut­zung reicht“ – sagt der ste­reo­ty­pi­sche Medienpädagoge.

Wenn man Grund­zü­ge von auto­mo­bi­ler Tech­nik nicht ver­steht, kann man ein Auto nicht mün­dig benut­zen. Man begibt sich in eine gro­ße Abhän­gig­keit von tech­no­lo­gisch ver­sier­ten Men­schen und Fir­men“ – sagt der ste­reo­ty­pi­sche Informatiker.

Das Frank­furt Drei­eck löst aus mei­ner Sicht die­ses Pro­blem – und macht ein neu­es auf.

Im Zen­trum steht hier nicht mehr Tech­no­lo­gie, son­dern etwas neu­tra­ler ein Betrach­tungs­ge­gen­stand, der nicht nativ infor­ma­ti­scher Natur sein muss. Die­ser befin­det sich in einem kul­tu­rel­len Kon­text, der auf unter­schied­li­chen Ebe­nen ana­ly­siert wer­den kann. Das Frank­furt Drei­eck hat für mich das Poten­ti­al, die „ste­reo­ty­pe Kluft“ zwi­schen Medi­en­päd­ago­gik und Infor­ma­tik zu schließen.

Aller­dings opfert man im Frank­furt Drei­eck die ein­leuch­ten­de, kla­re Struk­tur des Dag­stuhl Drei­ecks. Allein die ver­wen­de­ten Begriff­lich­kei­ten – so sehr sie auch von ihrer Prä­zi­si­on her einen Gewinn gegen­über dem Dag­stuhl-Drei­eck dar­stel­len – sind wesent­lich schwie­ri­ger mit „Leben“ und „Bei­spie­len“ zu fül­len. Die Anschluss­fä­hig­keit für Geis­tes­wis­sen­schaft­ler steigt. Der Natur­wis­sen­schaft­ler in mir sieht zu viel Deu­tungs­raum. Zum Glück bin ich bei­des :o)…

 

 

Servicepost für #molol18 und #educampX

Sowohl auf dem #molol18 als auch auf dem #edu­campX habe ich eine Ses­si­on zum The­ma „Medi­en­bil­dung unplug­ged“ ange­bo­ten. Dabei stan­den zwei The­men­schwer­punk­te im Mittelpunkt:

  1. Scoring / Tracking
  2. Infor­ma­ti­sche Grund­la­gen (haupt­säch­lich Protokolle)
Scoring

Zunächst eine klei­ne Übung. Jeder Teil­ge­ben­de erhält ein wei­ßes DINA4-Blatt mit der Auf­ga­be, es mit fol­gen­den Ele­men­ten zu füllen:

  • eine Son­ne zeichnen
  • das Wort „Lie­be“ gra­fisch gestalten
  • die größ­te, dem jewei­li­gen Teil­ge­ben­den bekann­te Prim­zahl notieren

Es darf kein Name auf dem Blatt ste­hen und alles muss auf einer Blatt­sei­te Platz fin­den! Man soll­te unbe­dingt dicke Stif­te (Wachs­ma­ler oder Eddings) bereit­sstel­len. Die Blät­ter wer­den nach Abschluss die­ser Auf­ga­be ein­ge­sam­melt und gut durchgemischt.

Danach wird auf dem Boden des Rau­mes eine Ska­la von 1–4 aus­ge­legt (1 = trifft nicht zu, 2 = trifft weni­ger zu, 3 = trifft zu, 4 = trifft voll zu).

Die Grup­pe bekommt nun die Auf­ga­be, die Blät­ter auf der Ska­la nach vor­ge­ge­be­nen Kri­te­ri­en nach­ein­an­der in Durch­gän­gen anzu­ord­nen, z.B.:

  • krea­ti­ver Mensch
  • tech­nisch inter­es­sier­ter Mensch
  • enga­giert
  • gebil­det (Vor­sicht! Geht nicht bei jeder Grup­pe – außer­halb jeder Komfortzone)
  • faul (Vor­sicht! Geht nicht bei jeder Grup­pe – außer­halb jeder Komfortzone)
  • schwul (nicht machen las­sen, nur andeuten!)

Man kann dazu die Blät­ter neu ver­tei­len oder auf den Boden legen und auf das Enga­ge­ment der Grup­pe ver­trau­en. Nach jedem Durch­lauf soll jeder Teil­ge­ben­de sein Blatt auf der Ska­la suchen und in sich hin­ein­hor­chen, ob die Lage des Blat­tes „etwas mit ihm macht“.

Aus­wer­tungs­mög­lich­kei­ten:

  • die Grup­pe Erleb­nis­se erzäh­len lassen
  • ein­zel­ne Grup­pen­mit­glie­der ihre indi­vi­du­el­len Kri­te­ri­en für eine Zuord­nung offen­le­gen las­sen („Der kann­te eine hohe Prim­zahl, das muss ein Tech­ni­ker sein“, „Die Son­ne war so hübsch …“)
  • Was wäre mit Kri­te­ri­en wie „schwul“?
  • Refle­xi­on auf Meta­ebe­ne durch­füh­ren („Wo sind die­se Mecha­nis­men wirksam?“)
  • Kri­ti­sche Refle­xi­on – Scoring wird durch die­se Metho­de ein­sei­tig dar­ge­stellt („Wo ist Scoring nütz­lich?“ Wel­che Regeln soll­ten beim Track­ing gel­ten?“ „Wer soll­te die­se Regeln wie definieren?“)

Meta:

Die Grup­pe über­nimmt bzw. ein­zel­ne Grup­pen­mit­glie­der über­neh­men die Funk­ti­on eines Bewer­tungs­al­go­rith­mus, kön­nen aber im Gegen­satz zu einen „wirt­schaft­li­chen Algo­rith­mus“ ihre Kri­te­ri­en offen­le­gen, die momen­tan in Ein­zel­fäl­len auf­wän­dig rekon­stru­iert wer­den müs­sen.

Tracking

vgl. https://riecken.de/index.php/2016/12/eine-medienpaedagogische-kurzgeschichte/ (nicht alles unplug­ged mög­lich, aber das meis­te).

Protokolle

Auch hier­für gibt es eine klei­ne Übung. Die Teil­ge­ben­den schlie­ßen sich zu Paa­ren zusam­men und erhal­ten eine lee­re 5x5 Matrix und einen Kartensatz.

Der Kar­ten­satz besteht aus DINA5-Kar­ten, im einzelnen:

  • Zah­lenkar­ten (1–5)
  • Punk­te­kar­ten (2,4,8,16)
  • einer wei­ßen (ein­fach eine Punk­te- oder Zah­lenkar­te umdre­hen) und einer schwar­zen Kar­te (nicht mit im Set)

Jedes Paar erhält spä­ter(!) zusätz­lich eine DINA5-Kar­te mit einer klei­nen 5x5-Pixel­gra­fik aus einem Set ( PDF ODT ). Die­se soll­te auf nicht durch­schei­nen­dem Papier gedruckt sein.

Die Auf­ga­be besteht dar­in, zunächst im Paar jeman­den zu bestim­men, der die Rol­le des Sen­ders über­nimmt und einen, der die Rol­le des Emp­fän­gers spielt.

Der Sen­der soll dem Emp­fän­ger eine Pixel­gra­fik (5x5) durch den Raum allein mit Hil­fe des Kar­ten­sat­zes über­mit­teln. Der Emp­fän­ger notiert das Ergeb­nis in der lee­ren Matrix.

Dabei gilt:

  • es darf wäh­rend der Über­tra­gung nicht gespro­chen werden
  • es darf immer nur eine Kar­te zur­zeit hoch­ge­hal­ten werden
  • das Spiel endet, wenn die ers­ten drei Paa­re fer­tig sind
Phase 1:

Die Paa­re eini­gen sich auf ein Ver­fah­ren bzw. ent­wi­ckeln ein sol­ches und stel­len sich im Raum gleich­zei­tig mit den ande­ren Paa­ren gegen­über auf.

Phase 2:

Die Sen­der erhal­ten nun ver­deckt ihre Pixel­gra­fik. Auf ein Start­si­gnal begin­nen sie, das Bild durch den Raum zu ermit­teln. Wenn die ers­te drei Paa­re fer­tig sind, endet das Spiel.

Phase 3:

Die Paa­re bekom­men kurz Gele­gen­heit, ihr Ver­fah­ren zur über­ar­bei­ten. Danach geht es wie­der in Pha­se 2.

Aus­wer­tung­mög­lich­kei­ten:

  • Offen­le­gung eines „per­for­man­ten“ Ver­fah­rens (Gewin­ner) und eines „untaug­li­chen“ Verfahrens.
  • Dis­kus­si­on von Opti­mie­rungs­stra­te­gien – man muss mit mög­lichst wenig Kar­ten auskommen
  • ggf. Tausch der Part­ner ohne Offen­le­gung der Absprachen
  • Modi­fi­ka­ti­on: Über­tra­gung durch Töne / Sil­ben – dann wei­ter: Wo ist das Pro­blem, wenn das alle machen? (Anwen­dungs­fall: WLAN-Stö­run­gen in Ballungsgebieten)
  • Dis­kus­si­on auf Basis des Ori­gi­nal­ma­te­ri­als
  • Vor­stel­lung des Fax-Algo­rith­mus zur Datenübertragung

Meta:

Die Paa­re ent­wi­ckeln ein Pro­to­koll zur Daten­über­tra­gung. Die­ses Pro­to­koll muss man z.B. auch im Brow­ser immer vor die Adres­se stel­len ( http ftp https ftps … ). Wenn man die Paa­re ohne „Pro­to­koll­of­fen­le­gung“ durch­tauscht, gibt es Pro­ble­me, die ganz typisch auch bei der Inter­ak­ti­on von IT-Sys­te­men auf­tre­ten. Dann fand eine Opti­mie­rung des Algo­rith­mus in Pha­se 3 statt, der im Prin­zip meist auf Daten­kom­pres­si­on hin­aus­läuft – und schon haben wir einen bun­ten Rei­gen von infor­ma­ti­schen und all­tags­re­le­van­ten The­men auf dem Tisch – durch­aus auch auf Grundschulniveau.

 

 

 

 

Pflichtfach Informatik? Ein Streitgespräch.

Informatikunterricht? Muss das sein..!?

Immer wie­der tobt eine Debat­te über ver­pflich­ten­den Infor­ma­tik­un­ter­richt – Rea­li­tät ist er aber nur in drei Bun­des­län­dern. Ver­passt Deutsch­land beim Com­pu­ter­un­ter­richt eine gro­ße Chan­ce? Was ist eigent­lich zeit­ge­mä­ßer Infor­ma­tik­un­ter­richt und… braucht man Pro­gram­mie­ren wirk­lich? Maik Riecken und Jan-Mar­tin Klin­ge streiten.

Klin­ge: Maik, du schreibst auf dei­nem Blog, dass du die Fächer Deutsch und Che­mie an einem Gym­na­si­um in Nie­der­sa­chen unter­rich­test. Was hast du mit Infor­ma­tik zu tun?

Riecken: Nichts For­ma­les, d.h. ich habe weder eine Fakul­tas dafür oder noch irgend­ei­nen „offi­zi­el­len“ Kurs auf der Uni dazu besucht. Mit 14 Jah­ren habe ich mei­nen ers­ten Com­pu­ter bekom­men – einen Amiga500. Dar­auf habe ich eigent­lich fast nur gedad­delt, aber auch ers­te Geh­ver­su­che mit Ami­ga­Ba­sic gemacht. Das war schon was, weil man sogar eine GUI mit Maus hat­te und mit Ami­ga­Ba­sic pro­gram­mie­ren konn­te. Spä­ter habe ich dann sogar Din­ge in Assem­bler ver­sucht – ange­regt durch die damals schon sehr akti­ve „Demo­sze­ne“ und die Begrenzt­heit der Hard­ware – aller­dings habe ich es nie geschafft, mei­nem Kum­pel das ver­spro­che­ne Intro zu pro­gram­mie­ren – das ist heu­te noch so ein geflü­gel­ter Spruch zwi­schen uns: „Maik, wo bleibt mein Intro?“ In Kiel gab es spä­ter zu PC-Zei­ten dann eine Keim­zel­le der deut­schen Linux­sze­ne mit einem monat­li­chen Stamm­tisch – von da an ging es ab mit Ser­ver­diens­ten, Shell­script, MyS­QL usw.

Klin­ge: Assem­bler? Shell­script..?! Ich ver­ste­he nur die Hälf­te. Aber der spie­le­ri­sche Aspekt ist mir geläu­fig: Mit mei­nen Freun­den haben wir in den 90ern Com­pu­ter­spie­le mit­tels HEX-Edi­tor zer­legt und ver­än­dert. Wir sahen den Matrix-Code schon lan­ge vor dem Film – aber das war alles Frei­zeit und Spiel. Ist Infor­ma­tik an dei­ner Schu­le ein Pflichtfach?

Riecken: Nein. Schü­le­rin­nen und Schü­ler kön­nen das Fach in der Klas­se 10 bele­gen, wenn sie in der 11. Klas­se eine Natur­wis­sen­schaft durch Infor­ma­tik erset­zen wol­len. Dann müs­sen sie dort min­des­tens ein hal­bes Jahr „durch­hal­ten“. In Nie­der­sach­sen kann jeder Leh­rer bis zur Jahr­gangs­stu­fe zehn qua Amt alles unter­rich­ten – ich z.B. Infor­ma­tik. Da schließt sich dann der Kreis.

Klin­ge: Nun, dann sehe ich mich in der Posi­ti­on vie­ler Eltern oder auch fach­frem­der Kol­le­gen: Wenn ich an mei­nen eige­nen Infor­ma­tik­un­ter­richt den­ke, erin­ne­re ich mich an dunk­le Com­pu­ter­räu­me und ers­te Pro­gram­mier­ver­su­che in qba­sic. Mal ehr­lich – nichts, was ich da gelernt habe, hat mir je gehol­fen. Das war Zeit tot­schla­gen. Für mich ist Infor­ma­tik­un­ter­richt überflüssig.

Riecken: Bei mir war es tech­no­lo­gisch noch stein­zeit­li­cher. Ich habe auf einem Apple II gelernt – mit Bern­stein­mo­ni­tor. Ich mei­ne, das war Pas­cal oder auch ein Basicdia­lekt. Es war aber eine unglaub­li­che Fas­zi­na­ti­on zu spü­ren – und ein Pio­nier­geist. Text­ad­ven­tures selbst gestal­ten, Nadel­dru­cker ansteu­ern, Flop­py­disks orga­ni­sie­ren (die Flop­py ist heu­te immer noch das Sym­bol zum Spei­chern in den meis­ten Anwendungen).

Klin­ge: Schaue ich mir mei­ne zwei­jäh­ri­ge Toch­ter an, dann kann sie auf dem Tablet die Dis­play­sper­re über­win­den, ver­schie­de­ne Apps star­ten und in ihrem Lieb­lings­spiel, Dora Explo­rer, Puz­zle lösen, malen und mit den Figu­ren inter­agie­ren. Ich habe in dem Alter Sand geges­sen. Oder Erde. An guten Tagen beides.
Ich will damit sagen, dass Kin­der heu­te von früh auf mit Tech­no­lo­gie umzu­ge­hen ler­nen – wozu braucht es da Informatikunterricht?

Riecken: Dann erschließt sich dei­ne Toch­ter ihre Welt in die­sem Bereich medi­al ver­mit­telt. Sie lernt Inter­faces zu bedie­nen, aber eigent­lich nichts über Tech­nik dabei. Da zudem auf Wisch­ge­rä­ten vie­les leicht ist – selbst krea­tiv sein kann man da „ganz ein­fach“ (im Rah­men des­sen, was der jewei­li­ge Pro­gram­mie­rer unter Krea­ti­vi­tät ver­steht), kann die hap­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Welt dage­gen ger­ne schon­mal als mühe­voll erlebt wer­den. Es hängt sehr stark vom Eltern­haus ab, ob die Wisch­ge­rä­te als „Shut-up-Toy“ ein­ge­setzt wer­den, oder ob ein Aus­gleich geschaf­fen wird und Kin­der auch erle­ben dür­fen, dass sie anders­wo schei­tern und immer neue Stra­te­gien ent­wi­ckeln müs­sen. Kin­der erfah­ren die Welt mit ihren Sin­nen. Gerä­te spre­chen immer nur einen Aus­schnitt der Sin­ne an.

Klin­ge: Nun, mei­ne Infor­ma­tik­erfah­run­gen sind offen­sicht­lich anti­quiert – was beinhal­tet das Fach heutzutage?

Riecken: Ich sage immer, dass Infor­ma­tik das ein­zi­ge Fach ist, bei denen ich Schü­le­rin­nen und Schü­ler beim Den­ken bzw. Ihren Denk­schrit­ten zuschau­en kann. Eigent­lich geht es im Kern oft dar­um, ein Pro­blem in hand­hab­ba­re Teil­pro­ble­me zu zer­le­gen. Ich habe in die­sem Jahr mit mei­nen Schü­lern (sor­ry, war ein rei­ner Jun­gen­kurs) viel zum The­ma Pass­wort­ver­schlüs­se­lung gemacht. Auf­hän­ger waren die unzäh­li­gen gestoh­le­nen Pass­wort­da­ten­ban­ken im letz­ten Jahr (Yahoo, Lin­ke­dIn etc.). Die Schü­ler wis­sen jetzt z.B. war­um ein Pass­wort eine gewis­se Län­ge und Kom­ple­xi­tät haben soll­te und dass eine siche­re Pass­wort­spei­che­rung unmög­lich ist, son­dern allen­falls eine, die Angrif­fen eine zeit­lang stand­hält. Dann kann man noch dar­über sin­nie­ren, war­um selbst gro­ße Inter­net­fir­men die Grund­re­geln bei der Pass­wort­spei­che­rung nicht befol­gen usw. – und schon ist man ganz schnell bei betriebs­wirt­schaft­li­chen oder gar ethi­schen Fra­gen. Rei­ne Medi­en­kom­pe­tenz­ver­mitt­lung ohne infor­ma­ti­schen Hin­ter­grund ist in die­sem Feld eine rei­ne Black­box: „Mach dein Pass­wort lang und kom­plex!“ „Häh? War­um? Unbe­quem. Gibt doch ’ne App!“

Klin­ge: Umge­kehrt begeg­nen mir in der Schu­le oft Jugend­li­che, die mit 13 Jah­ren noch den Ein- und Aus­schal­ter am Com­pu­ter suchen und über­haupt kei­ne Erfah­rung mit einem sta­tio­nä­ren Com­pu­ter haben. Die­sen Kin­dern fehlt jede Grund­la­ge – ihnen Pro­gram­mie­ren bei­zu­brin­gen scheint her­aus­for­dernd – die müs­sen doch eher ler­nen, mit Office Pro­gram­men umzu­ge­hen. Die bräuch­ten eher einen Schreib­ma­schi­nen-Kurs. Wie begeg­nest du die­sem Spagat?

Riecken: Da gibt es heu­te ganz tol­le Ansät­ze – das Pro­blem haben wir ja nicht nur in Deutsch­land. „Unplug­ged“ begin­nen, über Kli­ckibun­ti (z.B. auf code.org) Grund­kon­zep­te erler­nen und dann erst­mal qua­si per „Online-App“ ers­te For­ma­li­sie­run­gen machen. Dafür braucht es anfangs nur einen Brow­ser und die Datei­en fin­den sich auch immer wie­der an, da die App alles erle­digt. Dann Schritt für Schritt Rich­tung Datei­sys­tem und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on gehen, bevor man dann kom­ple­xe­re Din­ge anfasst – meist aber eher sowas wie die Steue­rung von Model­len oder Robo­tern – dann sieht man auch einen Effekt sei­ner Code­zei­len. Im Zusam­men­spiel von Mecha­nik und Soft­ware braucht man dann Feh­ler­such­stra­te­gien, die bei man­chen Pro­gram­mier­an­sät­zen bes­ser als bei ande­ren grei­fen. So ent­ste­hen nach und nach sehr viel­fäl­ti­ge Anfor­de­rungs- und Arbeitsszenarien.
Die Idee, dass Infor­ma­tik etwas mit Tech­no­lo­gie zu tun hat, hal­te ich für falsch. Es gibt genug Bei­spie­le dafür, dass Infor­ma­tik­un­ter­richt voll­kom­men ohne Tech­no­lo­gie („unplug­ged“) funk­tio­nie­ren kann, etwa wenn ich die Lern­grup­pe Ideen ent­wi­ckeln las­se, mit wel­chen Stra­te­gien Men­schen z.B. nach der Grö­ße sor­tiert wer­den kön­nen. „Pro­gram­mie­ren“ heißt dann schlicht „nur“, die­se Stra­te­gie zu for­ma­li­sie­ren – ein­fach in ganz nor­ma­ler Spra­che, spä­ter in for­ma­li­sier­ter – das hilft sogar spä­ter beim Deutsch­auf­satz. Aber im Kern geht es gar nicht dar­um, son­dern um die Kon­zep­te, die z.B. einen Taschen­rech­ner funk­tio­nie­ren lassen.

Klin­ge: Nun, das klingt sicher für den ein oder ande­ren span­nend – aber letzt­lich haben doch wenig Schü­ler ein Inter­es­se dar­an, eine wei­te­re Fremd­spra­che zu ler­nen: Ob das jetzt fran­zö­sisch ist oder Java oder die Grund­la­gen von Pro­gram­men. Als Leh­rer lei­de ich jetzt schon unter dem vol­len Plan und der weni­gen Zeit. Ein wei­te­res Fach… Die Kin­der haben doch kei­ne Zeit mehr Kin­der zu sein.

Riecken: Infor­ma­tik ist kei­ne Spra­che. Infor­ma­tik ist nicht Pro­gram­mie­ren! Wenn wir den Bogen da kon­se­quent wei­ter span­nen: Was ist denn mit Fächern wie Mathe, Che­mie, Latein? Las­sen wir uns als Gesell­schaft davon lei­ten, ob aus­rei­chend vie­le Schü­le­rin­nen und Schü­ler Inter­es­se dafür auf­brin­gen (wol­len) oder ob Lehr­kräf­te dar­un­ter lei­den? Gera­de Latein – die­ses tote Ding? Ich glau­be, dass sehr vie­le Schü­le­rin­nen und Schü­ler unter die­sen Fächern durch­aus lei­den. Trotz­dem dis­ku­tie­ren wir nicht über deren Abschaf­fung, oder ob die­se Fächer frei gewählt wer­den dür­fen. Wenn es damals nach mir gegan­gen wäre, hät­te ich Eng­lisch sofort abge­wählt. Heu­te ist die­se Spra­che für mich unglaub­lich wich­tig gewor­den. Latein hin­ge­gen hat für mich nur eine sehr gerin­ge Bedeu­tung. Ich weiß, dass man mir unter­stel­len wird, mich für einen Kanon ein­zu­set­zen, das neue Ler­nen nicht ver­stan­den zu haben. Wenn ich heu­te in die Welt schaue, sehe ich kaum Beru­fe, die ohne digi­ta­le Kom­pe­ten­zen sinn­voll län­ge­re Zeit aus­zu­üben sind. Ich sehe wei­ter­ge­hend digi­ta­li­sier­te Zah­lungs­vor­gän­ge, weit­ge­hend digi­ta­li­sier­te Ver­wal­tungs­pro­zes­se – auch in Deutsch­land – allen Unken­ru­fen zum Trotz. Ich lese Aus­sa­gen von schlau­en Leu­ten in schlau­en Feuil­le­tons und den­ke oft genug: „Was für ein Depp!“ – auf Anwen­der­ebe­ne mag man wohl auf einen recht ober­fläch­li­chen Niveau Din­ge kom­men­tie­ren und wer­ten kön­nen – eine Ahnung von den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ist oft nicht ein­mal in Sicht ohne Grund­la­gen der Daten­ver­ar­bei­tung zu kennen.

Klin­ge: Hast du ein kon­kre­tes Beispiel?

Riecken: Das smar­te Haus ist ein Para­de­bei­spiel für mich. Ein Haus ist ja etwas, in dem man län­ger lebt. Es gibt zur­zeit unzäh­li­ge Gad­gets und Spiel­zeu­ge, um das Leben in Eigen­heim beque­mer zu machen: Elek­tro­ni­sche Schließ­sys­te­me, Hei­zungs­re­ge­lun­gen, Beleuch­tungs­ar­ti­kel, schalt­ba­re Steck­do­sen, Alarm­an­la­gen etc.. Das Wenigs­te ist zuein­an­der kom­pa­ti­bel (oder man benö­tigt spe­zi­el­le Zwi­schen­ge­rä­te, die doch wie­der eine Men­ge Wis­sen erfor­dern) und kaum eine Lösung ist so lang­le­big, dass Updates der Firm­ware auch über län­ge­re Zeit gewähr­leis­tet wären. Damit ist das Haus oft in kür­zes­ter Zeit ohne Zutun des Besit­zers mani­pu­lier­bar. Die Alter­na­ti­ve ist, sich immer wie­der neue Gad­gets mit den immer wie­der glei­chen Pro­ble­men zu kau­fen oder von Anfang an auf Sys­te­me zu set­zen, die auf dem ers­ten Blick viel mehr kos­ten, auf lan­ge Sicht jedoch sowohl soft­ware­tech­nisch als auch kon­zep­tio­nell und von Zusam­men­spiel der Kom­po­nen­ten her über­zeu­gen. Mit infor­ma­ti­scher Bil­dung wüss­te man in Grund­zü­gen, wie ein Pro­dukt, wel­ches mög­lichst lan­ge ein­ge­setzt wer­den soll, prin­zi­pi­ell desi­gned sein soll­te (bei Hand­werks­zeug und Mes­sern weiß man das ja im Prin­zip auch). Und man wüss­te, was „kos­ten­ef­fek­tiv“ ist und was inner­halb weni­ger Mona­te auf irgend­ei­ner Müll­hal­de in Afri­ka lan­den wird – weil z.B. die zuge­hö­ri­ge App für das neue Smart­phone nicht mehr ent­wi­ckelt wird.

Klin­ge: Ich muss geste­hen: Das kann ich kom­plett nachvollziehen.

Riecken: Und, klar kann ich die Welt ein­fach so benut­zen – auch ohne Bio­lo­gie, ohne Che­mie oder Phy­sik und Mathe. Aber irgend­was fehlt dann viel­leicht. Und ein recht neu­er Teil von Welt scheint mir dann doch der digi­ta­le Raum zu sein. Infor­ma­tik ist die Grund­la­gen­wis­sen­schaft die­ses Rau­mes. Kom­men nicht vie­le poli­ti­sche Regu­lie­rungs­lü­cken auch durch Unwis­sen und sehr leich­te Beein­fluss­bar­keit der Verantwortlichen?

Klin­ge: Auch das kann ich nach­voll­zie­hen. Umge­kehrt drängt die Wirt­schaft dar­auf, ein gleich­na­mi­ges Fach ver­pflich­tend über­all ein­zu­bin­den. SoWi, Erd­kun­de.. es gibt einen gewal­ti­gen Fun­dus an Din­gen, die wir unse­re Kin­der ger­ne leh­ren möch­ten. Wo soll man da beschneiden?

Riecken: Wie haben wir als Gesell­schaft eigent­lich „ent­schie­den“, was wir in Deutsch oder Geschich­te „leh­ren“? Auch dar­über lässt sich treff­lich strei­ten. In der Tat ist es ein immenses Pro­blem, wenn die Wirt­schaft Inhal­te infor­ma­ti­scher Bil­dung bestimmt. Im Fal­le von Infor­ma­tik hat die­ses „Drän­gen der Wirt­schaft“ des­we­gen einen Geschmack, weil wir Ein­fluss­nah­me ver­mu­ten und gleich­zei­tig oft­mals kei­ne Ideen haben, was denn da gelehrt wer­den soll – denn das wür­de infor­ma­ti­sche Kom­pe­ten­zen eben­so erfor­dern wie medi­en­ethi­sche Fra­ge­stel­lun­gen – Phy­sik­un­ter­richt über Atom­ener­gie dürf­te in den 70ern anders aus­ge­se­hen haben als heu­te. Der che­mi­schen Indus­trie wer­fen wir das Fach Che­mie auch nicht vor, eben weil es da Stra­te­gien gibt, lob­by­is­ti­sche Ten­den­zen mehr oder weni­ger effek­tiv zu kom­pen­sie­ren. Mit rei­nem Anwen­der­wis­sen wird das im Bereich Infor­ma­tik eher weni­ger gut klap­pen. Ich hal­te es da mit Gün­ter Dueck: „Man muss nicht über­le­gen, was man für Infor­ma­tik denn weg­strei­chen soll­te – das muss man eben auch noch machen!“ Weil die Welt sich eben dahin­ge­hend ändert, dass sie kom­ple­xer und digi­ta­ler wird.

Klin­ge: Ganz kon­kret: Fin­dest du, alle Schü­ler soll­ten grund­sätz­lich Infor­ma­tik­un­ter­richt erhalten?

Riecken: Ja.

Klin­ge: War­um?

Riecken: Weil zukünf­tig Din­ge wie Teil­ha­be, Sou­ve­rä­ni­tät und neu­tra­le Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung immer mehr von infor­ma­ti­schen Kom­pe­ten­zen abhän­gig sein wer­den. Ich hät­te aber auch kein Pro­blem damit, wenn das nicht so kommt. Dann wechs­le ich halt die Sei­ten und ver­die­ne ganz viel Geld mit der infor­ma­ti­schen Unmün­dig­keit gro­ßer Tei­le der Gesell­schaft. Ange­sichts der Ent­wick­lung der Alters­vor­sor­ge auch kei­ne schlech­te Per­spek­ti­ve :o)…

Klin­ge: Nun, zumin­dest mein Bild von Infor­ma­tik­un­ter­richt ist nun nicht mehr so anti­quiert wie vor­her! Mir fällt nichts kri­ti­sches mehr ein, aber viel­leicht mag der ein oder ande­re Leser sich in den Kom­men­ta­ren noch dazu äußern – ich dan­ke dir erst­mal für die­ses Gespräch!

Download: Moodlekurs mit Ideen zur Medienbildung

Wie schon etwas län­ger ange­kün­digt, bie­te ich mei­nen Kurs mit Bau­stei­nen und Ideen zum The­ma Medi­en­bil­dung jetzt zum frei­en Down­load an. Er kann auf jedem aktu­el­len Mood­le­sys­tem ent­packt wer­den und ent­hält aus­bau­fä­hi­ge Bau­stei­ne zu den Themen:

  • Inter­net­nut­zung
  • Chat & ande­re Plaudereien
  • Netz­po­li­tik und Internetzensur

Aus­bau­fä­hig“ bedeu­tet, dass er als Grund­la­ge für Wei­ter­ent­wick­lun­gen die­nen kann, jedoch auch jetzt schon ein­setz­bar ist. Anschau­en kann man sich den Kurs hier und down­loa­den hier: Mood­le­kurs zur Medi­en­bil­dung.

Der Kurs steht unter CC-Lizenz unter Aus­schluss einer kom­mer­zi­el­len Nut­zung. Er wird an unse­rer Schu­le mit als Grund­la­ge im Rah­men unse­res Prä­ven­ti­ons­kon­zep­tes die­nen und noch wei­ter aus­ge­baut ent­spre­chend den Erfah­run­gen im Alltagsbetrieb.

Update von 6. März 2010:

Der Kurs wur­de noch­mals geprüft und der feh­ler­haf­te Bau­stein 3 ent­fernt, da die ver­link­ten Vide­os nicht mehr frei ver­füg­bar sind.

Medienbildung in Vertretungsstunden

… das ist für mich momen­tan der Hort immenser Erkennt­nis­se. Bei uns sind zur Zeit Klas­sen durch Aus­tausch­ak­tio­nen (Frank­reich, Nie­der­lan­de) sehr aus­ge­dünnt und ver­tre­ten muss­te ich die­se Woche auch. Das habe ich genutzt, um ers­te Geh­ver­su­che im Bereich der Ver­mitt­lung von Medi­en­kom­pe­tenz zu machen. Das war bis­her sehr unbe­darft im Sin­ne der Akti­ons­for­schung, aber nun­ja – all­mäh­lich darf ich das. Hier ein paar Ideen:

  1. Mind­map mit Krei­de­sta­fet­te zum The­ma: Was macht ihr im Inter­net. Die ent­ste­hen­de Mind­map lässt sich noch treff­lich nach­ar­bei­ten, z.B. mit der Suche nach geeig­ne­ten Ober­be­grif­fen, leh­rer­haf­ten Recht­schreib­kor­rek­tu­ren und Klä­rung (!) der ein­zel­nen Begrif­fe (also ein biss­chen Deutsch muss sein…).
  2. Dann ein Teaser, den ich dank eines Hin­wei­ses von Andre­as Kalt ken­nen gelernt habe. Das kann man z.B. klas­sisch ange­hen, indem man sich den Inhalt des Spots beschrei­ben lässt, um den an die Mind­map anzubinden.
  3. Klei­nes Gedan­ken­spiel: „Stün­de vor der Schu­le eine rie­si­ge, wei­ße Tafel: Was von dei­nen Äuße­run­gen und Akti­vi­tä­ten im Netz wür­dest du dar­auf schrei­ben?“ Da kann man sogar in Grup­pen­ar­beit der­ar­ti­ge Tafeln  (Pla­ka­te) erstel­len las­sen. Mich wür­de es nicht wun­dern, wenn eini­ge leer­blie­ben…  Anschlie­ßend Diskussion.
  4. Wei­ter­hin z.B. eine Gru­sel­ge­schich­te
  5. Jetzt ein Kon­tra­punkt, z.B. Jas­per oder auch die­ses Bei­spiel von posi­ti­ver Netz­nut­zung im Sin­ne der eige­nen Vermarktung.
  6. Ich habe sogar völ­lig bor­niert davon gespro­chen, war­um ich blog­ge. Das hat für mich näm­lich auch etwas mit posi­ti­ver Netz­iden­ti­tät zu tun.

Wei­ter­le­sen