Althusmann und die Plagiatsjäger
Jetzt hat es doch tatsächlich unseren Kultusminister Bernd Althusmann erwischt: Plagiatsjäger haben seine Doktorarbeit ins Visier genommen und u.a. Zitiertechniken entdeckt. die ich als Deutschlehrer in einer Facharbeit nie dulden würde. Herausgekommen ist z.B. diese 15seitige Analyse. Der Fall unterscheidet sich natürlich von der Causa Guttenberg oder Koch-Mehrin in vielerlei Hinsicht. Trotzdem ist scheint Althusmann in der Öffentlichkeit schwer beschädigt, die Twittergemeinde hat ihren Konsens zur Bewertung seines Verhaltens gefunden. Einigermaßen differenziert stellt es in meine Augen Thomas Kerstan dar, bei dem ich aber nicht sicher bin, wie nahe er der niedersächsischen Kultuspolitik steht.
Es juckt mich, in die Twitterkonsensharmonie zur moralischen Bewertung von Althusmanns Vorgehen einzustimmen. Ehrlich. Mir macht die Affäre meine Arbeit nicht leichter und schon bei Guttenberg fingen SuS bei der Facharbeit an zu feilschen – mit dem Hinweis auf die prominenten „Vorbilder“. Das ist suboptimal. Doofe Situation.
Der ebenfalls unter Beschuss geratene Jorgo Chatzimarkakis hat letzten Sonntag bei Anne Will für mich zwei interessante Fragen gestellt:
- Warum arbeiten die Plagiatsjäger anonym?
- Welche rechtsstaatliche Legitimation besitzen sie für ihre Arbeit?
Gerade heute hat Markus bei Twitter auf Abgeordnetenwatch Schleswig-Holstein verlinkt. Dahinter stehen Namen. Abgeordnetenwatch beschäftigt sich mit der aktuellen politischen Arbeit von Menschen und setzt sich kritisch sowie offen damit auseinander. Damit muss man als Politiker rechnen und die Verantwortlichen werden von der Meinungsfreiheit gedeckt. So soll es sein.
Mir sind die Motive nicht klar (Hat wer von euch einen Link?), warum man im Netz als Plagiatsjäger anonym agiert: Es werden doch Fakten und Ergebisse von harten Textanalysen und ‑vergleichen publiziert. Das ist eine immense Arbeit. Ohne Namen fehlt mir eine gewisse Transparenz. Nicht abstreiten lässt sich, dass durch die Beschäftigung mit Doktorarbeiten eine Form der Macht entsteht. Diese Macht liegt für mich sehr diffus vor, sie ist prinzipiell ideeller Natur. Politik ist auch von ideellen Machtstrukturen durchzogen (Seilschaften, Lobbyismus) – ist das so eine Art „Payback“ der sich machtlos Fühlenden? Wollen sie gerade durch die Anonymität nicht den Versuchungen der Macht erliegen? Geht es ihnen um die Stärkung des Wissenschaftsstandort Deutschlands, um die Stärkung der Wissenschaft an sich? Wollen sie auf die chronische Unterfinanzierung des universitären Systems hinweisen, das offenbar grundlegenden Prüfungspflichten in diesen Fällen nicht nachkommen konnte/wollte/…?
In unserem Staat haben wir im Grundgesetz eine Gewaltenteilung zwischen Judikative, Legislative und Exekutive verankert. Das funktioniert wahrscheinlich mal mehr und mal weniger gut. Die Plagiatsjäger übernehmen natürlich nicht irgendeine dieser Funktionen, aber sie gleichen eine Lücke aus: Der Analyseprozess würde ohne sie wahrscheinlich in den eigentlich zuständigen Gremien Gefahr laufen, intransparent zu werden. Gleichwohl scheint das Urteil in der Öffentlichkeit durch ihr Wirken schnell festzustehen: schuldig.
Rechtsstaatlich finde ich das deswegen schwierig, weil das grundsätzliche Prinzip auch im Kleinen anwendbar ist: Mir passt z.B. Kollegin x nicht – gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen zeige ich öffentlich und anonym Schwächen ihrer Staatsexamensarbeit auf. Da wird unter uns hoffentlich Einigkeit herrschen, dass das irgendwie doof wäre. Außerdem ist dieser Fall natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit den aktuellen Diskussionen. Strukturell geschieht aber gleiches: Ein Fehler in der Vergangenheit wischt alles bisher Geleistete (wie auch immer das zu bewerten ist) hinfort – anonym. Kein Gegenüber.
Ich habe kein Problem mit der anonymen Aufdeckung von Plagiaten. Ich weiß nicht so recht, wo und bei wem wir eine Grenze ziehen sollten, wann genau aus ernsthafter, transparenzschaffender Arbeit gezielte Ausgrenzung und Mobbing mit allen erdenklichen Folgen wird. Von welchen Faktoren hängt das ab? Wahrscheinlich stark vom Machtgefälle… Und ich weiß nicht so recht, ob das nur mein Problem ist. Auf jeden Fall bin ich mit dieser Frage wohl nicht konsensschaffend.