Der böse Datenschutz

Teil 1: „Moral ist, wenn man mora­lisch ist.“

Nein, man darf Schü­le­rin­nen und Schü­ler als Leh­rer nicht dazu brin­gen, im Netz Pro­duk­te unter dem jewei­li­gen Klar­na­men zu ver­öf­fent­li­chen. Man darf auch nicht Pro­duk­te von Schü­le­rin­nen und Schü­ler der Netz­öf­fent­lich­keit zugäng­lich machen. Bil­der ver­öf­fent­li­chen? Fehl­an­zei­ge, wenn Per­so­nen den Motiv­schwer­punkt bil­den – das gilt auch für z.B. Klas­sen­fo­tos. Man darf so erst­mal im Unter­richt kei­ne Web2.0‑Tools mit ihnen nut­zen und man darf auch Face­book oder Twit­ter nicht zu unter­richt­li­chen Zwe­cken einsetzen.

Dass man das alles nicht darf, liegt an denen im Ver­gleich zur übri­gen Welt recht eng gefass­ten Daten­schutz­ge­set­zen, an die wir als ver­be­am­te­te Lehr­kräf­te in ganz beson­de­rer Wei­se gebun­den sind. Das ist schlimm, oder? Es behin­dert uns gemein­sam mit dem Urhe­ber­recht in unse­rer täg­li­chen Arbeit, es behin­dert uns dabei, zeit­ge­mäß mit digi­ta­len Medi­en im schu­li­schen Kon­text umzu­ge­hen. Das könn­te doch alles viel leich­ter sein!

Ein Auf­schrei ertönt in der Gesell­schaft, wenn Bür­ger­rech­te beschnit­ten wer­den, wenn pri­va­te Unter­neh­men z.B. ohne Rich­ter­vor­be­halt per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten abfra­gen kön­nen – dann ist es ganz schnell aus mit der Anony­mi­tät – als anonym blog­gen­der Kol­le­ge jeman­dem zivil­recht­lich auf die Füße tre­ten? Der Klar­na­me ist dann nur einen Klick ent­fernt – übri­gens wahr­schein­lich sogar auf Jah­re noch nach­weis­bar. Des­we­gen so rich­tig nach Daten­schutz schrei­en? Aber der Staat hat gefäl­ligst dafür zu sor­gen, dass mei­ne Daten und mei­ne Rech­te geschützt wer­den! Und das bit­te­schön auch prak­ti­ka­bel! Und umsetzbar.

Was waren Beam­te noch ein­mal? Ach ja – Bediens­te­te und damit Ver­tre­ter des Staa­tes. Wenn per­sön­li­che Frei­hei­ten bedroht sind, ruft man laut. Wenn Geset­ze, die dafür da sind, per­sön­li­che Frei­hei­ten Drit­ter zu schüt­zen, von uns Lehr­kräf­ten umge­setzt wer­den sol­len, ruft man auch laut.

The­se 1: Ist man selbst als Per­son betrof­fen, fin­det man Daten­schutz super. Soll man Daten­schutz in der Rol­le des Staa­tes umset­zen, fin­det man das doof.

Teil 2: „Die Daten von Schü­lern sind für nie­man­den rele­vant. Die Sor­gen der Daten­schüt­zer sind übertrieben.“

Elek­tro­ni­sche Klas­sen­bü­cher sind eine fei­ne Sache. Unter­richts­pro­to­kol­le, Krank­mel­dun­gen, Beur­lau­bun­gen, Tadel, ver­ges­se­ne Haus­auf­ga­ben – alles kom­for­ta­bel über die Web­schnitt­stel­le oder per Syn­chro­ni­sa­ti­on auf dem Mobil­ge­rät abruf­bar. Lern­platt­for­men mit Leis­tungs­da­ten und Schü­ler­pro­duk­ten – end­lich eine Über­sicht zu den ein­zel­nen Leis­tungs­stän­den, end­lich die Mög­lich­keit, indi­vi­du­ell zu för­dern. Port­fo­lio­sys­te­me? Sehr bequem und trans­pa­rent. Und vor allem: Jeder sieht nur die Daten, die er auch sehen darf! Die­se Daten wer­den meist bei exter­nen Anbie­tern gehos­tet und sind dort zen­tral zugäng­lich. Das ist auch kein Pro­blem. Schließ­lich sind die­se Daten dort sicher und für nie­man­den inter­es­sant – zumin­dest wird das ger­ne kommuniziert.

Nur: Abso­lu­te Daten­si­cher­heit gibt es nicht, obwohl jeder Anbie­ter alles dar­an set­zen wird, den maxi­ma­len Stan­dards gerecht zu wer­den. Lei­der sind zen­tral vor­lie­gen­de Daten immer recht attrak­tiv, da sie in der Regel struk­tu­riert und in ein­heit­li­chen For­ma­ten vor­lie­gen­den, die sich sehr leicht aus­wer­ten las­sen. Die Attrak­ti­vi­tät beschränkt sich dabei nicht auf „die bösen Hacker“. Vor­stell­bar sind auch Aus­wer­tun­gen für künf­ti­ge Arbeit­ge­ber und Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten. Die Rele­vanz von Daten für zukünf­tig denk­ba­re Kon­tex­te ist heu­te nicht vor­her­seh­bar. Daher ist die Aus­sa­ge „Die Daten von Schü­lern sind für nie­man­den rele­vant“ m.E. sehr mutig, weil eine gehö­ri­ge Por­ti­on „Glas­ku­gel“ ein­ge­dacht wird.

Und ich weiß nicht, ob sowas nie gesche­hen wird. Ich sehe, dass es Men­schen gibt, die bei EC-Kar­ten­za­hun­gen vor mir an der Kas­se bei jedem noch so klei­nen Betrag ihre PIN ein­ge­ben müs­sen, wäh­rend ande­re bei wesent­lich höh­re­ren Sum­men einen Wisch unter­schrei­ben. Das liegt natür­lich nicht dar­an, dass die Zah­lung per PIN dem Händ­ler garan­tiert wird, wäh­rend die Ein­tei­lung der Ein­zugs­er­mäch­ti­gung per Unter­schrift weni­ger Kos­ten ver­ur­sacht, aber das Risi­ko eines unge­deck­ten Kon­tos birgt. Es kom­men auch nie Zugangs­da­ten gro­ßer Web­diens­te in Umlauf. Auch Kre­dit­kar­ten­da­ten wer­den nicht in ent­spre­chen­den Foren gehan­delt. Unse­re Daten sind sicher. Alle. Immer.

The­se 2: Die Attrak­ti­vi­tät bzw. Rele­vanz von Daten für die Zukunft ist heu­te nicht vor­her­sag­bar. Aus­sa­gen wie „Damit wird schon nichts pas­sie­ren!“ erschei­nen gera­de im Kon­text der heu­te schon beob­acht­ba­ren Ent­wick­lun­gen mutig. 

Teil 3: „Die Klas­sen­bü­cher lie­gen in den Pau­sen frei aus. Im Leh­rer­zim­mer trei­ben sich auch SuS her­um. Da ist es doch gera­de­zu hirn­ris­sig zu sagen, dass Daten in einer geschütz­ten IT-Umge­bung bei einem Anbie­ter nicht viel siche­rer auf­ge­ho­ben sind!“

Rechen­zeit ist nicht teu­er. Auch das Algo­rith­men­schrei­ben nicht son­der­lich. Daten auf Papier sind einem Algo­rith­mus nur mit erheb­li­chem Auf­wand zugäng­lich. Ein Klas­sen­buch muss Sei­te für Sei­te gescannt wer­den, um einer Daten­ver­ar­bei­tung zugäng­lich zu wer­den – auf­grund der indi­vi­du­el­len Klas­sen­buch­füh­rung dürf­ten auch OCR-Ver­su­che einer erheb­li­chen Nach­be­ar­bei­tung bedür­fen. Und dann habe ich immer noch nur die Daten einer Klas­se. Der Auf­wand rech­net sich in der Regel nicht – Leh­rer­ka­len­der und Klas­sen­bü­cher sind Daten­schutz­ka­ta­stro­phen – ohne Fra­ge. Aber nur in einem eng begrenz­tem Kon­text. Eine Daten­bank liegt immer in einem For­mat vor, was einem Algo­rith­mus direkt zugäng­lich ist. Daten auf Papier nicht. Dass die­se bei­den Medi­en so unter­schied­lich behan­delt wer­den, hat also tech­ni­sche Gründe.

The­se 3: „Das Vor­han­den­sein von Daten­schutz­lü­cken auf Papier­me­di­en ist kein Argu­ment für die Daten­ver­ab­ei­tung in Rechenzentren.“

Was macht der Datenschutz?

  1. Er for­dert eine gesetz­li­che Grund­la­ge zur Ver­ar­bei­tung von per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten, da dies ein Ein­griff in die Grund­rech­te des Ein­zel­nen darstellt.
  2. Er for­dert Daten­spar­sam­keit: Nur für den jewei­li­gen Zweck erford­li­che Daten dür­fen erho­ben wer­den. Im Fal­le einer tech­ni­schen Pan­ne sind so die offen­ge­leg­ten Daten in ihrer Men­ge von vorn­her­ein begrenzt.
  3. Er schreibt Rech­te fest: Man hat z.B. das Recht, Aus­kunft über die durch eine Fir­ma oder Behör­de ver­ar­bei­te­ten Daten zu verlangen.
  4. Er schützt in beson­de­rer Wei­se die Rech­te von Per­so­nen, die nicht in aus­rei­chen­dem Maße über tech­ni­sche Kom­pe­ten­zen ver­fü­gen, um mög­li­chen Stol­per­stei­ne auszuweichen.
  5. Er nervt, wenn man selbst mit Daten Drit­ter umge­hen möchte.
  6. Er ist viel­leicht jetzt schon voll­kom­men über­flüs­sig, weil eh schon alle Daten über uns frei ver­füg­bar sind. Die Fra­ge ist, ob wir das in eini­gen Jah­ren immer noch den­ken wer­den. Naja. Der Mensch ist von Natur aus gut.

Wer mehr über die Grund­la­gen des Daten­schut­zes im Kon­text von Schu­len hier in Nie­der­sach­sen wis­sen möch­te, sei auf eine Pre­zi ver­wie­sen, die ich nach einer Schu­lung durch Mit­ar­bei­ter des Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten erstellt habe.

Wie gehe ich als explo­ra­ti­ve Lehr­kraft damit um?

  1. Ich erzeu­ge öffent­lich kei­ne per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten (mehr). Ent­spre­chen­de Ein­trä­ge lösche ich zur Zeit aus die­sem Blog. Ich kann im Netz Schü­ler­na­men pseud­ony­mi­sie­ren. Es ist wich­tig, dass ICH das tue. SuS nei­gen oft dazu, gän­gi­ge Nicks aus sozia­len Netz­wer­ken weiterzuverwenden.
  2. Ich kann mir die Ein­wil­li­gung des Erzie­hungs­be­rech­tig­ten für die Ver­ar­bei­tung von Daten holen, die nicht durch Geset­ze oder Erlas­se abge­seg­net ist. Am bes­ten ent­wi­ckelt dabei die Schu­le selbst Richt­li­ni­en und Ein­wil­li­gungs­er­klä­run­gen, die dann ein­fach im Rah­men der Schul­an­mel­dung mit unter­zeich­net wer­den – das macht ja eh jede Schu­le schon für die Ver­wen­dung von Schü­ler­fo­tos, oder? An so eine Ein­wil­li­gungs­er­klä­rung sind aber bestimm­te for­ma­le Regu­la­ri­en geknüpft. Viel­leicht gibt es ja einen Juris­ten in der Elternschaft.
  3. Mit exter­nen Anbie­tern müs­sen zwin­gend Ver­ein­ba­run­gen zur Auf­trags­da­ten­ver­ar­bei­tung geschlos­sen wer­den (Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz).  Es gibt die Unsit­te, z.B. Lern­platt­for­men oder Web­diens­te für die Schul­or­ga­ni­sa­ti­on ein­fach als Erwei­te­rung des „Ver­wal­tungs­net­zes“ zu dekla­rie­ren, des­sen Daten­ver­ar­bei­tung meist durch z.B. hier in Nie­der­sach­sen das Schul­ge­setz gere­gelt ist. Aber auch da gilt der Grund­satz der Erfor­der­lich­keit – hier für Verwaltungsaufgaben.
  4. Die Daten dezen­tral spei­chern, z.B. indem ich eige­ne Schul­clouds auf­baue. Die Daten lie­gen dort meist nicht struk­tu­riert und in einem Umfang vor, der es son­der­lich loh­nend machen wür­de, die­sen Daten­be­stand von außen anzu­grei­fen. Für Angrif­fe von innen hat man ggf. ganz ande­re foren­si­sche Mög­lich­kei­ten.  Neben­ef­fekt: Für einen „staat­li­chen Ser­ver“ gel­ten vie­le Rege­lun­gen nicht, die ein pri­va­ter Anbie­ter umzu­set­zen hat – z.B. die Schaf­fung von „Abhör­schnitt­stel­len“ ab einer gewis­sen Nutzerzahl.

Alles Quatsch und realitätsfern …

… es sind doch eh alle in sozia­len Netz­wer­ken. Post-Pri­va­cy! Es gibt schon jetzt kein Zurück. Mei­ne kur­ze Ant­wort: Was Men­schen selbst durch die Gegend pus­ten, pus­ten sie selbst durch die Gegend. Ich fin­de es nicht immer schlecht, Beruf­li­ches und Pri­va­tes zu tren­nen. Immer­hin erwar­te ich auch von mei­nem Arbeit­ge­ber, dass er sich in bestimm­te Ange­le­gen­hei­ten nicht ein­mischt. Und natür­lich sorgt die Vor­la­ge von Ein­wil­li­gungs­er­klä­run­gen für sozia­len Stress, wenn z.B. eini­ge Eltern oder SuS nicht unter­schrei­ben wol­len. Die­ser Stress erzeugt nach mei­ner Erfah­rung aber auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma Daten­schutz. In der Schul­cloud kann man durch­aus die Ertei­lung eines Accounts von die­ser Erklä­rung abhän­gig machen. Ist es gar nicht zu lösen, arbei­te ich eben mit der gan­zen Grup­pe pseud­ony­mi­siert und bin dann durch nichts ein­ge­schränkt, weil ich – etwas Umsicht vor­aus­ge­setzt – kei­ne per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten erzeuge.

 

 

Fußangeln bei schulischen (Medien-)konzepten

Ich habe „Fuß­an­geln“ geschrie­ben, um nicht „Pro­ble­me“ schrei­ben zu müs­sen – die zie­hen ja immer nach unten :o).

(Medien-)konzepte – ers­te klei­ne Übung

Man schaue sich die­se klei­ne Video mit Klaus Dopp­ler an und erset­ze das Wort „Unternehmen/Firma“ durch „Schu­le“ und das Wort „Leit­li­nie“ durch „(Medien-)Konzept“.

Nun gibt es zwei Antworten:

  1. Öhm – äh ja, irgend­wie ist das bei uns genau so/ähnlich.
  2. Nö. Das haben wir schon erkannt und gehen damit um.

 
 Mei­ne Erfahrung

… sagt, dass Kon­zep­te, also auch Medi­en­kon­zep­te, ger­ne geschrie­ben (5%) wer­den, beson­ders ger­ne im Kon­text von Schul­in­spek­tio­nen – sel­ten sind die­se Kon­zep­te aber kon­kret mit Leben gefüllt (95%). Natür­lich ist das in mei­nem direk­ten Umfeld nicht anders, was bei mir zu bestimm­ten Reak­tio­nen führt, bzw. geführt hat:

  1. Manch­mal den­ke ich: „Es liegt bestimmt, dar­an, dass die Gerä­te noch nicht so weit sind. Wir brau­chen also bes­se­re, d.h. zuver­läs­si­ge­re Gerä­te nebst pas­sen­der Netz­werk­tech­nik. Dann kommt vie­les von selbst.“
  2. Wenn ich etwas Neu­es ein­ge­führt habe, war ich schon ent­täuscht, wenn die begeis­ter­te Auf­nah­me und die anschlie­ßen­de Benut­zung aus­blie­ben. Mei­ne Stan­dard­aus­re­de ging dann in die Rich­tung: „Jaja, wir leben eben in einer Zeit der Über­gan­ges, da sind Rück­schlä­ge völ­lig nor­mal“ – dar­auf­hin habe ich dann wei­ter­ge­macht mit ande­ren Neu­ig­kei­ten und mir Trost in der „Netz­wohl­fühl­b­la­se“ gesucht.

Es geht ja nicht um Gerä­te. Es geht ja nicht um Inno­va­ti­ons­im­ple­men­tie­rung. Es geht ja eigent­lich bei jedem Kon­zept nur dar­um, eine Ver­än­de­rung zu initi­ie­ren. Dazu gibt es sys­te­mi­sche Ansät­ze – also eine Theo­rie, die bei vie­len Din­gen hilft – nicht nur bei der Betrach­tung von schu­li­schen Pro­zes­sen. Sie hilft mir als Theo­rie­an­satz des­we­gen, weil sie im bestehen­den Sys­tem umsetz­bar ist und nicht eine Uto­pie zur Vor­aus­set­zung macht.

All­ge­mei­nes zu Veränderungsprozessen

Eine bedeut­sa­me Ver­än­de­rung im Leben von Men­schen ist meist eine Tren­nung. Sie soll hier als Bei­spiel für einen gra­vie­ren­den Ver­än­de­rungs­pro­zess die­nen. Um die­se Ver­än­de­rung nicht durch­le­ben zu müs­sen, gibt es ja auch schon eine Rei­he inno­va­ti­ver Lebens­an­sät­ze, die sich eben nicht auf einen „unsi­che­ren“ Part­ner fokus­sie­ren. Was geschieht dabei eigent­lich nach einem sys­te­mi­schen Ansatz, vor­aus­ge­setzt die­se Tren­nung ist irreversibel?

Phasen von Veränderungsprozessen

Pha­se 1 – Der Schock:

Die Tren­nung kün­digt sich an. Das ist oft ein schlei­chen­der Pro­zess, mach­mal aber auch eine „muti­ge“ SMS – so hört man zumin­dest. Auf jeden Fall löst die­se Nach­richt bzw. das Bewusst­sein dar­um zunächst einen Schock mit hoher emo­tio­na­ler Betei­li­gung aus. Es kommt oft zu irra­tio­na­len Verhaltensmustern.

Pha­se 2 – Die Leugnung:

Oft genug will der Ver­las­se­ne die End­gül­tig­keit der Tren­nung nicht wahr­ha­ben. Daher wird er Stra­te­gien anwen­den, die ihm die Auf­recht­erhal­tung sei­nes bis­he­ri­gen Ver­hal­tens – zumin­dest vor­der­grün­dig – ermög­licht. Dabei geht es auch um ein Sicher­heits­ge­fühl und das „In-den-Griff-Bekom­men“ der Scho­ck­emo­tio­na­li­tät – also letzt­lich um das Bedürf­nis, die Kon­trol­le (über sich) wie­der­zu­er­lan­gen. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung nimmt ab.

Pha­se 3 – Der Kampf

Man besinnt sich in die­ser Pha­se wie­der auf die eige­nen Kom­pe­ten­zen und den eige­nen Wert. Das kann sich in erneu­ten Bemü­hen um den Part­ner äußern, indem man z.B. Ritua­le aus den Zeit der ers­ten Begeg­nun­gen wie­der reak­tua­li­siert.  Es kann sich aber auch in offe­ner Aggres­si­on gegen­über dem Part­ner äußern – z.B. durch Denun­zia­tio­nen, Mob­bing, im Extrem­fall Stal­king usw.. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung steigt in die­ser Pha­se. Ein Kampf kann jedoch nie erfolg­reich sein, wenn die Tren­nung tat­säch­lich irrever­si­bel ist.

Pha­se 4 – Resignation

Resi­gna­ti­on bedeu­tet hier erst ein­mal nur, dass die „Kampf­hand­lun­gen“ ein­ge­stellt sind. Von Außen­ste­hen­den wird die­se Pha­se ger­ne ein­mal mit „Akzep­tanz der Ände­rung“ ver­wech­selt. Tat­säch­lich hat die­se aber noch gar nicht statt­ge­fun­den, son­dern ledig­lich die Ein­sicht, dass das eige­ne Bemü­hen sinn­los ist, bestimmt den Ver­las­se­nen. Oft zieht er sich in sich selbst zurück und „nor­ma­li­siert“ sei­nen All­tag. Die emo­tio­na­le Bete­li­gung sinkt.

Pha­se 5 – Akzeptanz

Hier rücken erst­mals die Chan­cen der Ände­rung in den Vor­der­grund. Der defi­zit­ori­en­tier­te Blick wei­tet sich auf neue Mög­lich­kei­ten. Gleich­zei­tig wird das Ver­gan­ge­ne ers­mals kri­tisch-distan­ziert betrach­tet. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung steigt wieder.

Pha­se 6 – Umsetzung

Die Ände­rung ist im All­tag ange­kom­men und hat sich ver­ste­tigt. Im Vor­der­grund ste­hen die Mög­lich­kei­ten, die nun als posi­tiv im Kon­trast zum Zustand vor den Ände­run­gen erlebt wer­den. Unser exem­pla­ri­scher Ver­las­se­ner fragt sich nun z.B., war­um er die Tren­nung nicht selbst viel frü­her ein­ge­lei­tet hat.

Jedes Kon­zept ist für das Sys­tem ein Schock

… und zwar in der Defi­ni­ti­on der sys­te­mi­schen Theo­rie. Wenn ein Kon­zept kei­ne Emo­tio­nen, teil­wei­se auch Über­grif­fe aus­löst, ist kei­ne Ver­än­de­rung initi­iert. Das Schlimms­te ist Lethar­gie. Wider­stand, also Kampf ist bereits eine Form der Auseinandersetzung.

Wel­che Feh­ler kann man machen, wenn man den Ver­än­de­rungs­pro­zess gestal­ten möchte?

  1. Die Emo­tio­nen per­sön­lich neh­men. Das pas­siert sehr ger­ne, wenn es sich um das eige­ne Sys­tem han­delt, was man ver­än­dern möch­te. Es führt oft zu „Gegen­emo­tio­na­li­tät“ in Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den­je­ni­gen, die vor­geb­lich die „eige­ne“ Sache vor­sätz­lich torpedieren.
  2. Resi­gna­ti­on mit Annah­me ver­wech­seln. Die­se Pha­se ist eine sehr labi­le, in der das Sys­tem auch schnell in die Aus­gangs­la­ge zurück­kip­pen kann. Ein paar auf­mun­tern­de Emo­tio­nen oder Anru­fe von Bera­ter­sei­te tun da manch­mal Wunder.
  3. Den eige­nen Stand­punkt pro­je­zie­ren. Wenn ich an der Erstel­lung eines Kon­zep­tes betei­ligt war, bin ich in der Pha­sen­stu­fung u.U. schon viel wei­ter vor­ne als das Sys­tem, d.h. ich neh­me schon an, wäh­rend das Sys­tem aber noch kämpft und ich kann dann die­sen Kampf so gar nicht mehr ver­ste­hen. Wenn wei­te­re Instan­zen betei­ligt sind, z.B. eine Schul­lei­tung, wird es noch span­nen­der, weil die­se viel­leicht simul­tan noch in der Resi­gna­ti­ons­pha­se ver­harrt („Hach, wie sol­len wir das jetzt auch noch schaffen?“).

Was bedeu­tet das für mei­ne Erfah­run­gen (s.o.)?

  1. Wenn ich den­ke, dass es an den Gerä­ten liegt, habe ich schon ver­in­ner­licht, dass eine Ver­än­de­rung geschieht und die­se ange­nom­men – das Sys­tem viel­leicht aber noch lan­ge nicht. Es gibt dafür schon das Fach­wort des „digi­tal gap“. Stän­dig neue Gerä­te lösen die­ses struk­tu­rel­le Pro­blem nicht, son­dern über­for­dern viel­leicht mehr als sie nüt­zen. Es besteht eine gro­ße Gefahr, ein­fach das Gewohn­te auf digi­ta­le Gerä­te zu über­tra­gen, anstatt  etwas Neu­es mit gewohn­ten Gerä­ten zu machen. Ein halb­wegs moder­ner Brow­ser reicht heu­te in der Regel.
  2. Die „Über­gangs­aus­re­de“ ist für mich im Prin­zip etwas Resi­gna­ti­ves, also ein ver­kopf­ter Umgang zur Kon­trol­le mei­ner Emo­tio­nen. Dabei wäre viel­leicht kon­ti­nu­ier­li­che „Wei­ter­be­geis­te­rung“ hier wich­ti­ger.  Und zwar nicht mit Gerä­te­fo­kus, son­dern im Hin­blick auf Vor­le­ben ande­rer Struk­tu­ren, Unter­richts­an­sät­ze usw. – also kon­kre­ter Handlungen.

 

Arbeit an Strukturen

Schon vor den Som­mer­fe­ri­en ergab sich auf Twit­ter eine für mich sehr inter­es­san­te Fra­ge­stel­lung. Kern war die Dis­kus­si­on, inwie­weit Arbeit an Struk­tu­ren außer­halb der eige­nen Per­son sinn­voll und mög­lich ist. Ich habe die­se Fra­ge auch noch ein­mal auf einer SchiLF auf­ge­wor­fen. Ich gebe eine paar State­ments aus bei­den Quel­len wie­der, die ich nur sinn­ge­mäß zusammenfasse:

Ver­än­dern kannst du dich nur selbst. An den Struk­tu­ren, die dich umge­ben, arbei­test du dich kaputt.“

Wenn du für dich sorgst, dann haben du und dei­ne SuS viel gewonnen.“

Wenn immer mehr Men­schen so den­ken und han­deln, dann wird sich auf lan­ge Sicht auch die Struk­tur verändern.“

[…]

Dahin­ter steckt ja eine Hal­tung, aber eben auch eine Erfah­rung mit dem bestehen­den Sys­tem. Es geht nicht mehr um „Bil­dung hacken“, son­dern offen­kun­dig – sehr über­spitzt for­mu­liert – um die Schaf­fung indi­vi­du­el­ler Wohl­fühl­b­la­sen – Stress und Anfein­dun­gen gibt es im Sys­tem ja wahr­lich schon genug.

Ich hal­te das für eine Kapi­tu­la­ti­on. Und ich hal­te das für eine Auf­ga­be eines soli­da­ri­schen Prin­zips. Mei­ne Wohl­fühl­b­la­se nützt näm­lich einem Gegen­über ggf. gar nichts, weil es u.U. nicht ein­mal mehr in der Lage ist, von mir die Struk­tur „Auf­bau einer Wohl­fühl­b­la­se“ zu über­neh­men. Selbst wenn, wür­de dann irgend­wann die Anfor­de­rung von Links zwi­schen den Bla­sen ent­ste­hen, wodurch der Stress wie­der beginnt. Klar – ich könn­te mich selbst jetzt vie­ler posi­ti­ver Aspek­te mei­ner exis­tie­ren­den Bla­se rüh­men, aber ich bekom­me damit zuneh­mend Schwierigkeiten.

Man wird mir ent­ge­gen­hal­ten, dass der Auf­bau von Wohl­fühl­b­la­sen sowohl ein Recht als auch eine Not­wen­dig­keit ist, um selbst gegen destruk­ti­ve Ein­flüs­se zu bestehen. Schließ­lich ist ja nichts damit gewon­nen, in selbst­zer­stö­re­ri­schen Aktio­nen im Meer der Selbst­aus­beu­tung oder men­schen­ver­ach­ten­den Zynis­mus zu versinken.

Wenn ich mit mei­nem begrenz­ten his­to­ri­schen Hori­zont in die Geschich­te schaue, fällt mir aber kei­ne nach­hal­ti­ge Struk­tur­ver­än­de­rung ein, die sich in der Wohl­fühl­zo­ne abge­spielt hat, son­dern sehr oft waren die­se Umwäl­zun­gen mit per­sön­li­chem Risi­ko aller Akti­ven verbunden.

Daher glau­be ich nicht in Aus­schließ­lich­keit an das Konzept

Wenn vie­le Men­schen an vie­len klei­nen Orten klei­ne Din­ge tun, wird sich das Gesicht der Welt verändern.“

Aber wie ändert man Struk­tu­ren ohne dar­an zu scheitern?

Zunächst ein­mal glau­be ich, dass das Schei­tern selbst eine unaus­weich­li­che Neben­wir­kung eines sol­chen Vor­ha­bens ist. Jede Struk­tur hat aber Schwä­chen, die sie nur bedingt zu kom­pen­sie­ren ver­mag. Effi­zi­ent sind Men­schen, die die­se Schwä­chen gezielt fin­den und aus­nut­zen kön­nen. Was geschieht z.B., wenn sich an Schu­len mit Han­dy­be­nut­zung­ver­bot alle SuS ganz offen nicht dar­an halten?

Ein maka­bres Mus­ter­bei­spiel ist in mei­nen Augen dabei der Ter­ro­ris­mus. Er schafft es mit extrem wenig Res­sour­cen und geziel­ten, exem­pla­ri­schen Schlä­gen, Gesell­schaf­ten zu ver­än­dern. Ver­gli­chen mit ande­ren Bedro­hun­gen sind die Todes­zah­len bei ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen sehr gering. Den­noch wird kei­ne ande­re Struk­tur so oft dazu her­an­ge­zo­gen, Sys­tem­ver­än­de­run­gen im Hin­blick auf ver­rin­ger­te Frei­heit des Ein­zel­nen zu recht­fer­ti­gen und zuneh­mend auch durch­zu­set­zen. Das schafft in mei­nen Augen der Ter­ro­ris­mus dadurch, dass er Struk­tu­ren der öffent­li­chen Ord­nung bedroht: Mit wenig Auf­wand stellt er die Funk­ti­ons­fä­hig­keit staat­li­cher Exe­ku­ti­ve in Fra­ge und ver­rin­gert so das indi­vi­du­el­le Sicher­heits­emp­fin­den. Damit zer­stört er eine funk­ti­ons­fä­hi­ge Struk­tur kei­nes­wegs – er greift sie nur par­ti­ell in einer sehr destruk­ti­ven Art und Wei­se an – jedoch unglaub­lich effi­zi­ent und zwingt sie so zu gra­vie­ren­den struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen. Wer mehr dar­über wis­sen möch­te und auch im die dahi­ner­ste­hen­den Gedan­ken­gän­ge, möge sich die ent­spre­chen­de TNG-Fol­ge anschau­en, die genau die­ses Phä­no­men schon weit vor 9/11 the­ma­ti­siert hat.

Kei­ne Sor­ge – jetzt kommt nicht der Auf­ruf, Pflas­ter­stei­ne und Molo­tow­cock­tails gegen Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der Kul­tus­bü­ro­kra­tie zu wer­fen. Jetzt kommt – wie immer – ein fik­ti­ves Bei­spiel, das im Schul­all­tag so  – natür­lich – nie, nie vor­kommt und an den ich zei­gen will, was Arbeit an Struk­tu­ren für mich bedeu­ten kann. Es geht um eine Fach­schaft, die etwas für den Unter­richt beschaf­fen möch­te. Die Struk­tur könn­te so aussehen:

Mit dem dem „Wohl­fühl­b­la­sen­an­satz“ wird sich die­se Struk­tur wie­der und wie­der wie­der­ho­len. Ich per­sön­lich kann mir eine ande­re Struk­tur vorstellen:

Arbeit an Struk­tur bedeu­tet für mich dann „nichts“ wei­ter als mir dar­über Gedan­ken zu machen, wie ich Impul­se set­zen kann, um die ein­ge­fah­re­ne, ers­te Struk­tur zu ver­än­dern, die u.U. natür­lich gewach­sen ist und auch ihre Berech­ti­gung hat. Das Ändern die­ser Bei­spiel­struk­tur, die kei­nes­wegs nur typisch für das Sys­tem „Schu­le“ ist, birgt Risiken:

  1. Es wur­de u.U. immer schon so gemacht und ist „demo­kra­tisch“ akzeptiert
  2. Eine Meta­ebe­ne, d.h. Nach­den­ken über die eige­nen Struk­tu­ren tut immer weh, weil sie weni­ger als Chan­ce, son­dern als Kri­tik inter­na­li­siert ist.
  3. Es wird u.U. als alter­na­tiv­los im Kon­text von Schu­le gese­hen, weil es z.B. kaum „Fach­leu­te“ in aus­rei­chen­der Zahl gibt
  4. Fort­bil­dung bedeu­tet immer Res­sour­cen­auf­wand in Form von Auf­merk­sam­keit und Zeit. Bei­de Güter sind rar. Der tem­po­rä­re Mehr­auf­wand wiegt u.U. schwe­rer als die Per­spek­ti­ve kon­ti­nu­ier­li­cher Ent­las­tun­gen bzw. Erleichterungen
  5. […]

Es gibt also genug Punk­te, an denen man bei sei­nem Vor­ha­ben, die­se Struk­tur zu ändern, schei­tern kann, was schon bei die­sem klei­nen Bei­spiel zu star­ken Stö­run­gen in der eige­nen Wohl­fühl­b­la­se führt.

Aber ist es effek­tiv, das in die­ser Fom wei­ter­lau­fen zu las­sen und ein­fach dar­auf zu war­ten, dass mehr Men­schen das ähn­lich sehen (aber dann auch nicht ihre Wohl­fühl­b­la­se ver­las­sen)? – wie­der sehr über­spitzt, klar.

Ich den­ke, dass jedem in sei­nem Umfeld Struk­tu­ren ein­fal­len, die opti­mier­bar sind. Mini­mal­kon­sens: Ande­re gewäh­ren las­sen, die Struk­tu­ren ver­än­dern wol­len und ihnen offen bzw. min­des­tens neu­tral ent­ge­gen­tre­ten. Sie wer­den ja schon sehen, was sie davon haben, oder?

PS – Workshopidee:

  1. Struk­tu­ren visua­li­sie­ren, die mich ner­ven (z.B. mit Flussdiagrammen)
  2. Gemein­sam mit ande­ren über­le­gen, war­um die­se Struk­tur genau so ist, wie sie ist – aber allein auf Basis der Visualisierung!
  3. Gemein­sam mit ande­ren Schwach­punk­te und Anker­punk­te für Ver­än­de­rungs­an­sät­ze in die­ser Struk­tur erarbeiten
  4. Zurück in der Struk­tur das Erar­bei­te­te ausprobieren
  5. Gemein­sam auf einem wei­te­ren Tref­fen die Ergeb­nis­se vor­stel­len und nachbereiten.

Wie motiviert man Unmotivierte?

Wal­ter Böh­me fragt: „Wie moti­viert man Unmo­ti­vier­te?“ und lädt zu einer Blog­pa­ra­de ein. Zu Blog­pa­ra­den bin ich selbst meis­tens gar nicht moti­viert, weil das ja qua­si eine „exter­ne Auf­trags­ar­beit“ dar­stellt, was im völ­li­gen Wider­spruch zu mei­nem Trei­ben auf die­ser Web­site steht.

Die­ses Blog dient haupt­säch­lich dem Fest­hal­ten von Erfah­run­gen und Inhal­ten für mich selbst – mitt­ler­wei­le bestrei­te ich einen Groß­teil mei­ner Unter­richts­stun­den mit den Arti­keln aus mei­nem Blog: „Maik, da war doch schon­mal was!“ – Suche ange­wor­fen und los geht es. Die Arti­kel sind natür­lich so auf­ge­macht, dass sie ein brei­te­res Publi­kum errei­chen – viel Mühe kos­tet das vom Schreib­auf­wand her für mich eigent­lich nicht, weil ich wahr­schein­lich auf­grund mei­nes Lebens­we­ges Fähig­kei­ten mit­brin­ge, die zuge­be­ner­ma­ßen auch mit viel Mühe, Arbeit und Übung erwor­ben wor­den sind. Dass mir dar­aus ein Nut­zen ent­steht, wuss­te ich in eini­gen Pha­sen noch nicht – ich habe sogar zeit­wei­se das Schrei­ben gehasst.

Der Gewinn ist für mich heu­te aber rie­sig, weil es so stets zu inter­es­san­ten Kon­tak­ten und Dis­kus­sio­nen gekom­men ist, teil­wei­se auch zur Auf­de­ckung von gro­ben Schnit­zern, die sich unkor­ri­giert und unkom­men­tiert viel­leicht über Jah­re in mei­nem Unter­richt ver­fes­tigt hät­ten – mit ent­spre­chen­den Aus­wir­kun­gen für die Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Die Moti­va­ti­on, mei­ne Gedan­ken öffent­lich zu machen, ist also die erhöh­te Effi­zi­enz, die mit Pap­p­ord­nern und DINA4-Zet­teln, mei­net­we­gen auch Ever­no­te­samm­lun­gen für mich nicht erzie­len lässt – also ein im Grun­de ego­is­ti­sches Motiv.

Die­ses Blog stif­tet also für mich einen per­sön­li­chen Sinn, der mich auch Hand­lun­gen aus­füh­ren lässt, zu denen ich bei einer ober­fläch­li­chen Abwä­gung nicht bereit wäre, z.B. die Teil­nah­me an die­ser Blogparade.

Was oder wer hat mich nun dazu gebracht in die­sem Sin­ne „moti­viert zu sein“?

  1. Sinn für mich selbst
  2. Die Rezep­ti­on mei­ner Gedan­ken durch ande­re Menschen
  3. Die Reak­ti­on ande­ren Men­schen auf mei­ne Gedanken
  4. Eine inne­re Hal­tung, die Ent­wick­lungs­wil­lig­keit mit ein­schließt (das wird aber all­mäh­lich erkenn­bar weniger…)
  5. Fähig­kei­ten, die nicht nur lust­be­tont erwor­ben wur­den und sich jetzt als nütz­lich herausstellen
  6. Bil­dungs­na­he Kon­tex­te, die von Wert­schät­zung aber auch Wer­tun­gen geprägt waren und so Ori­en­tie­rung gaben

Das funk­tio­niert für mich so ganz gut. Für ein Gegen­über muss das so nicht gel­ten. Ohne ent­spre­chen­des sozia­les Umfeld wer­den z.B. Hal­tun­gen, Fähig­kei­ten und per­sön­li­cher Sinn ande­re Aus­prä­gun­gen erhal­ten. Das ist eine der Her­aus­for­de­run­gen unse­res Bil­dungs­sys­tems: Die Her­kunft bestimmt meist den Lebens­er­folg, nicht das Bildungssystem.

Schu­le stört da auf den ers­ten Blick, weil sie Inhal­te vor­gibt, bei denen vie­le Men­schen wenig Sinn sehen. Ein Aus­weg ist viel­leicht die stär­ke­re Fokus­sie­rung auf die Inter­es­sen der Ler­nen­den, also das selbst­ge­steu­er­te Ler­nen. Ich sage „viel­leicht“, weil ich vie­le Men­schen im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes als „ver­rückt“ wahr­neh­me: Ver-rückt, also weg­ge­rückt von den eige­nen Inter­es­sen und über­frem­det von teil­wei­se auch medi­al ein­ge­re­de­ten Interessen.

Ein Schlüs­sel zu Gene­rie­rung von Moti­va­ti­on ist für mich daher die Klä­rung der Fra­ge: „Was inter­es­siert dich eigent­lich? Wor­in siehst du für dich Sinn?“ – Die Beant­wor­tung erle­be ich oft oft als ein ganz schö­nes Stück Arbeit. Die Ant­wort für mich habe ich übri­gens nicht in der Schu­le gefun­den. Die Ant­wort ist aber  für mich die Basis, auch Mühe, Arbeit und Biss aufzuwenden.

Gera­de in der Schu­le geht genau das momen­tan noch nicht so gut. Genau­ge­nom­men geht es eigent­lich grund­sätz­lich nicht, wenn ande­re Men­schen in dem, was sie ler­nen „sol­len“ kei­nen Sinn sehen. Wo es immer mög­lich ist, ver­su­che ich daher Trans­pa­renz dar­über zu schaf­fen, war­um genau die­ser Stoff jetzt wich­tig und sinn­voll ist oder war­um ich metho­disch jetzt so oder so vor­ge­he – es gibt ganz schon sel­ten Lern­grup­pen, bei denen das teil­wei­se gelingt, bei denen mitt­ler­wei­le fra­gen kann: „Wie könn­te es jetzt sinn­voll im Unter­richt weitergehen?“

Etwas kon­kre­ter: Es gibt z.B. sehr vie­le Par­al­le­len zwi­schen mei­nen bei­den Fächern Deutsch und Che­mie. Wenn ich SuS eine Vor­gangs­be­schrei­bung für ein Expe­ri­ment vor­le­ge, geht immer eine Men­ge schief. Das was man man dar­an auf die Vor­gangs­be­schrei­bung schie­ben kann, lässt sich im Rah­men von Deutsch bear­bei­ten. Jemand, der ger­ne expe­ri­men­tiert, sieht so viel­leicht einen Sinn in einer Vor­gangs­be­schrei­bung, spä­tes­tens dann wenn er im Rah­men eines Pro­jek­tes Expe­ri­men­te für Drit­te vor­be­rei­tet. Das im Ide­al­fall inter­es­sen­ge­lei­te­te Pro­jekt hängt dann u.U. auch von einer blö­den Text­form ab.

Die Fra­ge lau­tet ja völ­lig rich­tig: Wie moti­viert man Unmo­ti­vier­te? Die eigent­li­che Bedeu­tung von „man“ (= jeder belie­bi­ge Mensch) ist im Deut­schen durch Femi­nis­mus­de­bat­ten etwas über­la­gert, im Eng­li­schen z.B. in „man­kind“ noch voll erhal­ten. Ich kann im Rah­men mei­ner Mög­lich­kei­ten nur einen Bei­trag dazu leis­ten „Unmo­ti­vier­te zu moti­vie­ren“. Die Auf­ga­be liegt aber m.E. bei „man“ in der ursprüng­li­chen Bedeu­tung, was auch den „Unmo­ti­vier­ten“ selbst einschließt. 

Per­sön­lich­keits­bil­dung ist dabei ein wich­ti­ger Schlüs­sel, aber gera­de unter Lehr­kräf­ten bei sich selbst oft gera­de­zu ver­pönt, oder?

 

Konflikte in schulischen Kontexten

Im Rah­men mei­ner klei­nen Ein­füh­rung in die Metho­dik des sys­te­mi­schen Arbei­tens ist mir zum ers­ten Mal das Modell der Kon­flikt­eska­la­ti­on von Fried­rich Glasl vor die Nase gekommen:

Kon­flikt­eska­la­ti­on nach Glasl, Quel­le: Wikipedia

Vie­le ande­re Model­le zur Beschrei­bung von Kon­flik­ten haben eine eher anstei­gen­de Ten­denz, um aus­zu­drü­cken, dass sich bei unkon­trol­lier­tem Fort­schrei­ten des Kon­flikts des­sen Inten­si­tät stei­gert. Glasl beschreibt eska­lie­ren­de Kon­flik­te defi­zi­tär: Men­schen ver­lie­ren mit jeder Eska­la­ti­ons­stu­fe mehr und mehr von ihrer Mensch­lich­keit. Die not­wen­di­gen Inter­ven­tio­nen wer­den mit jeder Stu­fe nach unten immer dras­ti­scher bis hin zum Macht­ein­griff in Stu­fe 7–9. Im Prin­zip fin­den sich auch vie­le Stu­fen von Mob­bing­pro­zes­sen in Glasls Modell wieder.

Stu­fe 1: Verhärtung

Kon­flik­te begin­nen mit Span­nun­gen, z. B. gele­gent­li­ches Auf­ein­an­der­pral­len von Mei­nun­gen. Es ist all­täg­lich und wird nicht als Beginn eines Kon­flikts wahr­ge­nom­men. Wenn dar­aus doch ein Kon­flikt ent­steht, wer­den die Mei­nun­gen fun­da­men­ta­ler. Der Kon­flikt könn­te tie­fe­re Ursa­chen haben.

Stu­fe 2: Debatte

Ab hier über­le­gen sich die Kon­flikt­part­ner Stra­te­gien, um den ande­ren von ihren Argu­men­ten zu über­zeu­gen. Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten füh­ren zu einem Streit. Man will den ande­ren unter Druck set­zen. Schwarz-Weiß-Den­ken entsteht.

Stu­fe 3: Taten statt Worte

Die Kon­flikt­part­ner erhö­hen den Druck auf den jeweils ande­ren, um sich oder die eige­ne Mei­nung durch­zu­set­zen. Gesprä­che wer­den z. B. abge­bro­chen. Es fin­det kei­ne ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­on mehr statt und der Kon­flikt ver­schärft sich schnel­ler. Das Mit­ge­fühl für den „ande­ren“ geht verloren.

Stu­fe 4: Koalitionen

Der Kon­flikt ver­schärft sich dadurch, dass man Sym­pa­thi­san­ten für sei­ne Sache sucht. Da man sich im Recht glaubt, kann man den Geg­ner denun­zie­ren. Es geht nicht mehr um die Sache, son­dern dar­um, den Kon­flikt zu gewin­nen, damit der Geg­ner verliert.

Stu­fe 5: Gesichtsverlust

Der Geg­ner soll in sei­ner Iden­ti­tät ver­nich­tet wer­den durch alle mög­li­chen Unter­stel­lun­gen oder ähn­li­ches. Hier ist der Ver­trau­ens­ver­lust voll­stän­dig. Gesichts­ver­lust bedeu­tet in die­sem Sin­ne Ver­lust der mora­li­schen Glaubwürdigkeit.

Stu­fe 6: Drohstrategien

Mit Dro­hun­gen ver­su­chen die Kon­flikt­par­tei­en, die Situa­ti­on abso­lut zu kon­trol­lie­ren. Sie soll die eige­ne Macht ver­an­schau­li­chen. Man droht z. B. mit einer For­de­rung (10 Mio. Euro), die durch eine Sank­ti­on („Sonst spren­ge ich Ihr Haupt­ge­bäu­de in die Luft!“) ver­schärft und durch das Sank­ti­ons­po­ten­zi­al (Spreng­stoff zei­gen) unter­mau­ert wird. Hier ent­schei­den die Pro­por­tio­nen über die Glaub­wür­dig­keit der Drohung.

Stu­fe 7: Begrenz­te Vernichtung

Hier soll dem Geg­ner mit allen Tricks emp­find­lich gescha­det wer­den. Der Geg­ner wird nicht mehr als Mensch wahr­ge­nom­men. Ab hier wird ein begrenz­ter eige­ner Scha­den schon als Gewinn ange­se­hen, soll­te der des Geg­ners grö­ßer sein.

Stu­fe 8: Zersplitterung

Der Geg­ner soll mit Ver­nich­tungs­ak­tio­nen zer­stört werden.

Stu­fe 9: Gemein­sam in den Abgrund

Ab hier kal­ku­liert man die eige­ne Ver­nich­tung mit ein, um den Geg­ner zu besiegen.

Quel­le: http://de.wikipedia.org/wiki/Konflikteskalation_nach_Friedrich_Glasl

Einer mei­ner Aus­bil­der hat sich Gedan­ken zur WIN-LOSE (Stu­fe 4–6) in Glasls Modell gemacht und wei­ter ausformuliert:

Stu­fe 4: Ste­reo­ty­pen, Kli­schees, Image­kam­pa­gnen, ein­an­der in nega­ti­ve Rol­len manö­vrie­ren, Wer­ben um Anhän­ger, Selbst­er­fül­len­de Prophezeihungen

Stu­fe 5: Öffent­lich und direkt: Gesichtsangriff […]

Ein Bild hat mir dabei beson­ders zu den­ken gege­ben: die WIN-LOSE-Stu­fen­grup­pe ist die Grup­pe des (Macht-)spiels. Er hat uns auch Bei­spie­le aus der Wirt­schaft für „typi­sche“ Hand­lun­gen in die­ser Stu­fen­pha­se  genannt, z.B.:

  • Maß­re­ge­lung von Kol­le­gen in der Öffentlichkeit
  • geziel­te Wei­ter­ga­be selek­ti­ver Infor­ma­tio­nen, um Bünd­nis­part­ner für das eige­ne Anlie­gen zu gewin­nen – ich habe das ein­mal „Vor­de­mo­kra­ti­sie­rung“ genannt
  • geziel­tes Aus­schlie­ßen von Menschen
  • […]

Wie mensch­lich gehen wir eigent­lich an der Schu­le mit Kon­flik­ten um? Auf wel­cher Stu­fe ste­hen wir bei einem Kon­flikt z.B. in einer Kon­fe­renz? Was bedeu­tet „Vor­de­mo­kra­ti­sie­rung“ pas­siv erlebt und aktiv gestal­tet – auch wenn sie einem ver­meint­lich „guten Zweck“ dient?

Was ich – vor allem in anony­men Blogs – mit­un­ter an (natür­lich wahr­ge­nom­me­ner) Kon­flikt­kul­tur mit­be­kom­me, macht mir gele­gent­lich Angst.

PS: Fried­rich Glasl kommt aus dem Bereich der Wirtschaftwissenschaften.

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