Auf dem EduCamp in Stuttgart habe ich beiläufig erwähnt, dass ich an meiner Schule zwar die IT manage und deren Weiterentwicklung plane, in pädagogischen und strukturellen Fragen aber keine aktive Rolle einnehme – die Reaktion war mehr oder minder blankes Unverständnis:
„Es ist doch deine Arbeitsumgebung, es ist deine Schule, da bist du doch verantwortlich!“.
Warum das bei mir so ist, erfordert eine kleine Geschichte, die nicht von mir stammt, sondern aus einem Blog einer hochsensiblen Persönlichkeit.
Ihr seid Beifahrer auf der Autobahn, und plötzlich streikt der Wagen! Es wird rechts rangefahren, der Motor wird abgestellt, und man steigt aus um zu gucken was los ist…
Du: „Guck mal, der Reifen ist platt, den müssen wir wechseln!“
Fahrer: „Oh man, was ist denn jetzt los?“
Du: „Der Reifen ist platt, einfach mal wechseln, dann geht’s weiter!“
Fahrer: „Gerade eben fuhr der Wagen doch noch“
Du: „Ja, aber jetzt ist der Reifen platt! Komm, wir wechseln den!“
Fahrer: „Hast DU ’ne Ahnung was los ist? Du bist doch angeblich so gut“
Du: „Ja, der Reifen! Der muss gewechselt werden!“
Fahrer: „Ach Quatsch, was für ein Reifen! Ich glaube der Aschenbecher ist voll, vielleicht liegt’s daran!“
Du: „Nein, es ist der Reifen!“
Fahrer: „Ich hab gar nicht gemerkt was mit dem Aschenbecher los war!“
Du: „Der REIFEN!“
Fahrer: Du musst ja jetzt nicht laut werden, ich such ja schon das Problem!“
Du: „Es ist der gottverdammte R‑E-I-F-E‑N!“
Fahrer: „Ich glaube, ich hätte den Aschenbecher mal vorm losfahren leer machen sollen!“
Du: „…“
Fahrer: „Hättest Du mich aber auch mal dran erinnern können! Du immer mit Deinem blöden Reifen“
Du: „Es ist aber nun mal der Reifen, der Reifen, der gottverdammte Reifen! Sieh auf den Reifen!“
Fahrer: „Mal ehrlich, glaubst Du es könnte auch der Reifen sein?“
Du: „Ja, verdammt nochmal, das sag ich doch die ganze Zeit“
Fahrer: „Oh man, wer kommt schon drauf dass es der Reifen sein könnte? Hättest mich aber auch ruhig mal fragen können ob der Aschenbecher voll ist, oder nicht… Du interessierst Dich irgendwie überhaupt nicht für meine Probleme… Na komm, jetzt steh da nicht so doof rum, dann wechseln wir mal den Reifen!“
Quelle: http://hsp-gedanken.blog.de/2014/10/20/interessierst-gar-19589428/
Die Geschichte rekontextualisiere ich hier einmal als Bild. Den Fahrer gibt es nämlich nicht. Der Fahrer ist bezogen auf Schule immer ein ganzes System. Ein System besteht aus vielen Menschen und Regeln – viele davon heimlich.
Systeme möchten sich und ihre Regeln erhalten, weil das Sicherheit und Bestätigung schafft. Das ist also nichts per se Böses, sondern ein völlig normaler Selbsterhaltungsreflex. Abgeschlossene Systeme sind in besonderer Weise davon überzeugt, dass ihre Regeln und Verfahren gut und richtig sind. Wenn etwas nicht klappt, liegt das aus Sicht des Systems immer schnell am Verhalten einiger weniger Menschen, nie an Strukturen. Läge es tatsächlich an Strukturen, dürfte es aus Sicht des Systems das Essentielle gar nicht mehr funktionieren. Und das tut es ja. Solange sind andere Wahrnehmungen natürlich falsch.
Das Wesen von Beratung ist für mich aber die Arbeit an Strukturen. Dabei gibt es einige wenige Kernfragen:
- Was sind unsere Strukturen?
- Wie erfolgreich sind wir mit unseren Strukturen?
- An welchem Punkt einer Struktur setzen wir an, damit sich etwas substantiell verändert?
Im eigenen System bin ich Teil der Strukturen. Im besten Falle stabilisiere ich die Struktur gerade dadurch, dass ich etwas aufbaue, gegen das das System sich verteidigen muss – und auch wird! Das System wird jahrelang den Aschenbecher reinigen („Die Wahrnehmung des Beifahrers stimmt nicht!“), dann durch einen blöden Zufall auf den Reifen schauen, um schließlich dem Beifahrer vorzuwerfen, er hätte nicht konsequent genug auf den Misstand hingewiesen (Rückspiegelung: „Du hättest ja handeln können / müssen!“).
Das schließt paradoxerweise übrigens nicht aus, dass einzelne Menschen in diesem System ganz anders fühlen und denken und auch Visionen haben, die es für mich mit allem, was ich habe zu stärken gilt. Die Umsetzfähigkeit hängt aber in erheblichen Umfang davon ab, ob eine kritische Masse entsteht, die neue Strukturen und Regeln implementieren kann, die dann faktisch nicht nur auf dem Papier in einem Konzept stehen. Und für mich ist zunehmend die Frage, ob das zum jetzigen Zeitpunkt auf demokratischem Wege in angemessener Zeit gelingen kann.
Ebenfalls auf dem EduCamp in Stuttgart gab es eine Session zu subversiver Arbeit. Natürlich kann ich als Teil des Systems Netzwerke und Ängste nutzen, um Veränderung zu initiieren oder ich kann Organe mit Informationen und meinem Wissen von „Angelpunkten“ versorgen. Das ist dann aber keine Beratung, sondern Manipulation. Auch das zurzeit hochmoderne Nudging ist für mich im Kern manipulativ. Beides klappt umso besser, je eher es dem System später gelingt, die positiven Effekte der entstandenen Veränderung sich selbst zuzurechnen. Das ist bei subversiven Verfahren immer mit zu berücksichtigen, wenn man erfolgreich sein will. Es hat den Preis, dass man natürlich dann nicht die Lorbeeren erhält. Die bekommen immer die Träger institutioneller Macht.
Der logische Schritt wäre auf den ersten Blick also, sich in institutioneller Machtpositionen zu begeben (z.B. durch Aufstieg in der Hierarchie im Schulsystem). Damit meine ich nicht die Übernahme primärer Dienstleistungen im Verwaltungsbereich, sondern Positionen, die strukturelle Gestaltungsräume bieten.
Das hat seinen Preis, z.B. den, dass man immer noch Teil des Systems ist, nun aber in ganz andere Zwänge hineingerät: Das System erwartet schließlich, dass es weiter funktioniert – am besten soll sich nichts ändern. Die Konsequenz muss man tragen können und wollen. Man wird nur kleine Teile in sehr kleinen Schritten bewegen können. Die Arbeit an Haltungen, die dafür notwendig ist, bleibt immens komplex.
Das kann ich im Prinzip alles aushalten. Aber innerhalb meines eigenen Systems fehlt mir dafür die Geduld. Ich nehme Dinge schnell persönlich oder fühle mich angegriffen – und dahin ist es mit meiner Objektivität und meiner Souveränität in Konfliktsituationen – quasi der Tod der Sachebene. Es gibt schließlich eine Geschichte zu meiner Person im eigenen System.
Diese persönlichen Implikationen habe ich als externer Berater für andere Schulen nicht. Der Anspruch einer guten Beratung bleibt. Wenn aber Prozesse scheitern – und das tun sie natürlich gelegentlich – ist mein Name zwar an der betreffenden Schule „verbrannt“, aber ich gehe meist trotzdem gestärkt um Erfahrungen aus der Beratung in die nächste Schule. Ich trage Niederlagen nicht in meinem System mit mir als Geschichte herum. Ich kann in Konflikten anders bestehen: Weil meine Persönlichkeit im Grunde nicht bekannt ist, ist es z.B. deutlich schwerer, Konflikte auf eine persönliche Ebene zu bringen, bzw. für mich deutlich leichter, genau das zu erkennen und „professionell“ zu reagieren. Maximal verliere ich ein System als Kunden.
Meinem System wünsche ich daher immer die Offenheit für externe Beratung, weil allein das neue Perspektiven ermöglicht. Ein System, welches nur in sich selbst ruht, wird es mit der Entwicklung nach meinen Erfahrungen sehr schwer haben. Hier und da lässt sich vielleicht mal eine Schramme kitten, aber eine substantielle Veränderung wird so eher schwer.
Zum Glück kenne ich mittlerweile viele, sehr kompetente und von mir geschätzte Menschen, die ich dafür immer empfehlen kann.