Die Hybris der Nerds
(Die Überschrift ist gemeinerweise völlig sinnentstellend aus einem aktuellen Zusammenhang gerissen, aber die Formulierung trifft es für mich so gut …)
Im Jahre 2014 genehmigte die EU-Kommission den Zusammenschluss von WhatsApp und Facebook. 2017 stellte sich heraus, dass Facebook in wichtigen, genehmigungsrelevanten Bereich Angaben mit einem eigenen Verständnis von Wirklichkeit gemacht hatte. Konkret ging es um die Frage, ob es möglich sein würde, die Datenbestände beider Unternehmen zusammenzuführen, um z.B. mehr Informationen für personalisierte Dienstleistungen zu gewinnen. Facebook stritt diese Möglichkeit 2014 ab und musste 2017 eine Strafe im unteren dreistelligen Millionenbereich zahlen.
Was muss man meiner Meinung nach „Nerdiges“ wissen, damit man hätte abschätzen können, wie viel Wahrheitsgehalt die Behauptung von Facebook hatte, dass die Datenbestände beider Unternehmen nicht zusammenführbar seien?
Man muss wissen, dass Datenbanken prinzipiell irgendwie analog zu Tabellen organisiert sind. Facebook hatte eine Tabelle mit u.a. Nutzernamen und E‑Mailadresse, WhatsApp eine mit Handynummer und Nutzernamen, z.B. sowas:
Facebook:
Nutzername | E‑Mailadresse |
finchen74 | harari@gmail.com |
lisa56 | l.fellner@freenet.de |
peter.mueler89 | peter.mueller@yahoo.com |
[…] | […] |
WhatsApp:
Nutzername | Handynummer |
finchen74 | 0856–90785656 |
lisa56 | 0789–45772598 |
peter.mueler89 | 0321–56432776 |
[…] | […] |
Wenn man beide Tabellen hat – wie wahrscheinlich ist es dann, dass man Daten zusammenführen könnte? Wie würde man das auf Papier lösen? Was hätte ein Computer für Vorteile bei dieser Arbeit?
Ich bemühe dieses Beispiel oft in Vorträgen, weil man die Sache mit den Tabellen schon in der Grundschule machen kann. Das ist im Rahmen eines Grundschulprojektes sogar beforscht worden – den Abschlussbericht erwarte ich gerade sehnsüchtig.
Ein häufiges Argument der Anhänger des „digitalen Pragmatismus“ („Einfach mal nutzen!“) besteht darin, dass bestimmte Regelungen sich nicht auf Schulebene lösen lassen, sondern dass dafür politische Lösungen her müssen. Das ist auch meine Meinung. Ich teile bloß nicht den Optimismus, dass dabei in der Hauptsache sinnvolle Lösungen unter Wahrung der Nutzerrechte herauskommen werden oder emanzipatorische Bewegungen auf der Ebene der Nutzung von z.B. Office365 entstehen. Wenn ich mir z.B. die journalistische Berichterstattung zum Thema Digitalpakt anschaue, wird für mich die Hoffnung nicht realer, dass hier eine sachlich fundierte, kontrollierend-kritische Position entstehen wird.
Es sind für mich „Nerds“ wie ein David Kriesel, die diese Probleme angehen können. Tatsächlich werden heute schon Daten- und sonstige IT-Skandale nur durch die Vorarbeit von „Nerds“ überhaupt erst möglich. Politik ist es nicht, Presse ist es in der Hauptsache in diesem Themengebiet nicht (Sagt David auch ab 46:20 im Predigtteil des Vortrags). Presse kann m.E. sehr viel aus diesem Vortrag darüber lernen, wie Berichterstattung in seinen Grundstrukturen funktionieren könnte – sich aber wahrscheinlich so nicht verkaufen lässt.
https://www.youtube.com/watch?v=0rb9CfOvojk
Mehr von dieser nerdigen Hybris!
Und Niedersachsen qualifiziert gerade im Bereich informatischen Bildung Lehrkräfte extrinsisch motiviert (Vorgabe aus dem Digitalpakt!) – ein Anfang, keine Lösung.
Ein Vorteil der Nerds: Sie haben eine viel größere Chance, die Seiten zu wechseln.
Ich habe auch einige Kriesel-Videos „gebingt“, wie man heute so schön sagt. Ich fand sein „Spiegel-Mining“ auch ganz fantastisch, gerade auch bezüglich der Rolle der Journalisten.
Wie man mit der Frage „Office365“ vs. „Open-Source“ umgehen soll, ist für mich ein ungelöstes Dilemma, solange keine umfassende und qualitativ hochwertige Lösung seitens der Länder / des Bundes bereitgestellt werden. Leider sind deren Ansätze bislang ja eher Rohrkrepierer. Sehe mich darum aktuell auch eher als Pragmatiker.
Pingback: Rundumlinks. | Kreide fressen