Designed, um süchtig zu machen und Dark Patterns
Immer wieder liest man in der Presse, dass soziale Netzwerke und Spiele eine gezielte Aufmerksamkeitssteuerung und psychologische Tricks anwenden, um die Aufmerksamkeit von Menschen möglichst lange zu binden und im Idealfall dazu zu verleiten, Werbebanner zu klicken oder In-App-Käufe zu tätigen. In schlechten Artikeln wird die Vorstellung transportiert, dass diese Mechanismen unter Zuhilfenahme ausgebildeter Psychologen implementiert werden und dem Zweck dienen, möglichst viel Geld zu machen. Ich wäre eigentlich sehr froh, wenn bei der Gestaltung von digitalen Räumen ausgebildete Psychologen mit dabei wären – glaube aber nicht daran, weil es schlicht gar nicht notwendig ist.
Beispiel 1 – Meine Webseite
Ich betreibe eine eigene Matomoinstallation, um u.a. Abrufstatistiken auf meinem Blog zu erstellen und Nutzerverhalten zu tracken. Das hört sich böse an, jedoch wird jeder Datensatz anonymisiert und die IP-Adresse um die letzten Bytes gekürzt – Nutzer „erkennt“ man heute er eher über andere Parameter. Bei Blogs, die auf WordPress gehostet werden, macht diese Analyse ein Drittanbieter (über Jetpack) meist ohne Anonymisierung – über das viel üblichere GoogleAnalytics wollen wir hier lieber gar nicht reden. Welche Beiträge gehen auf riecken.de sehr gut? Spoiler: Artikel wie diese schonmal nicht.
Mir ist das recht egal – eigentlich bin ich mehr darüber enttäuscht, dass Beiträge, die ich für wichtig halte gar nicht oder ggf. erst in einigen Jahren „gehen“ werden (mimimi). So weit so gut. Ich könnte aber auch mehr Beiträge schreiben, die „besser“ gehen – z.B. mehr Diktattexte :o) … Oder Berichte über neue Tools und Apps … Wenn ich von diesem Blog leben müsste, gäbe es dafür auch eine extrinsische Motivation. Die Basis für die Strategieänderungen sind meine gesammelten Trackingdaten.
Beispiel 2 – CandyCrush
Ja – ich bekenne mich schuldig – ich spiele CandyCrush. Das ist ein rundenbasiertes Wischspiel. Manche Level sind schwierig, die meisten nicht.
Es gibt ein paar witzige Beobachtungen:
- nach schwierigen Leveln folgen vier bis fünf recht leichte
- Level, die man auch beim 20. Durchgang nicht geschafft hat, laufen beim 21. oder nach längerer Pause wie geschmiert
- In-App-Käufe (mehr Leben oder Booster) werden vorzugsweise nach mehrmaligem Scheitern präsentiert.
- durch Anschauen von Werbung konnte(!) man sich einmal zusätzliche Leben erkaufen
- es gibt immer wieder kleine Aktionen, um an Leben oder Booster zu kommen
Für mich sieht es so aus, dass auch hier datenbasiert gearbeitet wird – Werbung im Tausch für Leben scheint nicht so gut gelaufen zu sein. Offenbar geben viele Spieler frustriert nach einer bestimmten Anzahl von Fehlversuchen auf – gleichzeitig darf das Spiel aber nicht zu leicht sein. Diese Dinge, die die Spieldynamik bestimmen, sind datenbasiert ermittelbar. Es braucht schlicht keine psychologische Expertise, um das Spiel so zu optimieren, das Gewinne maximiert werden.
Die kapitalistische Logik
Ob journalistische Webseiten (die von Trackern nur so strotzen), Spiele, aber auch Netflixserien – es wird sich das am Markt durchsetzen, was wirtschaftlich ist, bzw. möglichst viel Gewinn abwirft. Dabei gilt das Prinzip der großen Zahl: Ich muss möglichst viele Nutzer*innen dazu bewegen, Aktionen zu tätigen, die wirtschaftlichen Gewinn versprechen. Datenbasierte Aufmerksamkeitssteuerung ist hierfür ein essentielles Feature, weil es einzelne Nutzer*innen länger in einer digitalen Umgebung hält.
Mir scheint so mancher Medienpädagoge noch romantischen Konzepten aus den Anfängen des Internets verhaftet – es war und ist natürlich z.B. immer noch ein Instrument für Vernetzung und Wissentransfer, aber nicht für die Mehrzahl der Nutzer. Seitdem das Internet ein Massenmedium geworden ist, hat sich natürlich auch die gesellschaftlich dominierende Wirtschaftslogik durchgesetzt.
Ich kann als Spieleentwickler datenbasiert schauen, ob sich eine gelbes oder grünes virtuelles Schwert besser verkauft. Wenn – wie im Falle von CandyCrush – nur 0,1% der Nutzer*innen einen virtuellen Gegenstand kaufen, ist der Gewinn bei einer Nutzerbasis von mehreren Millionen immens. Strukturell folgen z.B. Spiele oder Medienportale dabei einer ähnlichen Logik – sie laufen auf Basis einer „kapitalistischen Ethik“. Dazu kommt, das man datenbasierte Modifikationen unglaublich schnell durchführen bzw. in Ansätzen mit KI sogar automatisieren kann. Die Masse der im Netz stattfindenden Aktionen dürften in digitalen Räumen mit kapitalistischer Logik stattfinden. Das mag psychologisch durchdacht aussehen und auch so wirken. Eigentlich scheinen mir das aber nur soziologische Experimente zu sein, die unter der Prämisse einer kapitalistischen Logik zu diesen „Optimierungen“ führen müssen.
Um das zu ändern, müssen gesellschaftliche Anreize gesetzt werden, die einer anderen Logik unterliegen – im Bereich des Journalismus entkoppeln man ja z.B. öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch eine andere Art der Finanzierung. Aber wie lassen sich z.B. Spielkonzepte „belohnen“, die nach z.B. einer gewissen Zeit unattraktiv werden?
Ein anderer Ansatz besteht darin, das Individuum sensibel für derartige Mechanismen zu machen. Menschen mit ausbaufähiger Impulskontrolle dürften es aber in diesem Bereich besonders schwer haben und das sind nun einmal neben uns Erwachsenen leider in besonderer Weise viele Jugendliche und Kinder.
Ich schreibe einen Artikel darüber, wie ich heute Kahoot eingesetzt habe.
Öffne zufrieden meinen Feed-Reader und lese deinen Text. Jetzt fühle ich mich der Leserverführung schuldig. ;-)
Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, kommentiere ich zumindest diesen Text.
10 Shame! – bimbimbim
20 GOTO 10
Es mag schon sein, dass teuer bezahlte Psychologen daran arbeiten, Spieler an Spielen zu halten . Aber wie sehr die ihr Geld wert sind, da bin ich skeptisch – vieles lässt sich eben auch anders erklären. Und so leicht lässt sich ein Erfolgsspiel auch nicht erzeugen.