„Als geil noch astrein war“ – Eine Aufführung der CAG-Rockkids
Wo bin ich denn hier gelandet? Mit einer Mischung aus verblüffter Bewunderung und völliger Ratlosigkeit sitze ich anlässlich der Performance „Als geil noch astrein war“ der CAG-Rockkids unter der Leitung von Jens Scholz in der Aula des Clemens-August-Gymnasiums, sehe mich dort mit durchaus intimen Details aus meiner Vergangenheit konfrontiert und fühle mich oftmals ertappt in den Texten von Frank Goosen, gelesen von Jonas Strickling.
In diesen legt der Kabarettist seine Erinnerungen aus den 70er und 80er Jahren dar und schafft damit einen roten Faden, der die oftmals fetzigen und nahezu perfekt arrangierten Stücke der Rockkids inhaltlich verbindet. Für mich bleibt es den ganzen Abend lang merkwürdig, wie engagiert und mit wie viel Begeisterung Schüler und Schülerinnen von heute „meine Musik“ spielen. Ihre stilistische Bandbreite reicht dabei von Soul – „Ain’t no sunshine“ (Bill Withers) – über Schlager – „Liebeskummer lohnt sich nicht“ (Siw Malmquist) – bis hin zu härteren Gangarten – „Paranoid“ (Black Sabbath). Gesungen werden alle Stücke erstaunlichweise von Sängerinnen (Doris Lamping, Claudia Lamping, Helene Gerhards, Carina Rockel) während schwerpunktmäßig die Herren der Schöpfung den instrumentalen Rahmen bilden (Schlagzeug: Niklas Stade, Bass/Saxophon: Fabian Langer, E‑Gitarre: Christopher Magh/Robert Koddebusch, Klavinova: Mareike Zelmer, Akkustikgitarre: Doris Lamping, Percussion: Carina Rockel). Umrahmt wird das in sich stimmige Spektakel von einer Licht- und Multimediashow mit Plattencovern, Bildern und Zeitungsauschnitten passend zum jeweils gespielten Stück bzw. gelesenen Text. Verantwortlich für diesen technischen Bereich sind dabei Björn Osterkamp (Ton/Diashow), Joachim Willeham (Ton/Technik) sowie Jan Schulte und Frederik Völz (Licht). Die coolen Outfits und vor allem die Sonnenbrillen auf der Bühne lassen nur wenig von der mühevollen und umfangreichen Vorbereitung dieses Abends erahnen, die sich sogar zeitweise in einem Kloster vollzogen hat (Probenwochenende in Endel) – die Schwestern sollen begeistert gewesen sein von den „beseelenden“ Klängen.
Musik verbindet. Die Musik dieses Abends tut dies für mich in einer ganz besonderen Weise. Viele einprägsame Ereignisse im Leben eines Menschen – und Lehrer gehören auch zu dieser Spezies – sind mit einem besonderen Musikstück verbunden, der erste Kuss, der erste ungewollte Absturz, ein übermäßiger Erfolg, eine erinnerungsreiche Feier oder auch die Geburt eines Kindes. Die Ereignisse ändern sich nicht, die Musik jedoch schon.
Das Ansprechende an diesem Abend lag bestimmt auch darin, dass den Kindern der 70er und 80er Jahre im Publikum teilweise längst verdrängte Erlebnisse zurück ins Gedächtnis und damit zurück in die Gegenwart geholt wurden. Die bloße Erwähnung des Songs „Sunday, bloody Sunday“ (U2) in einem Text von Frank Goosen veranlasste mich doch eher kognitiv orientierten Menschen zu einem lauten und fast schon euphorischem „Nein!“ eingedenk einiger wirklich revolutionärer Tanzeinlagen nach der damals erfolgreich beendeten DJ-Schicht. Das steht doch in einem deutlichen Gegensatz zu den heutigen Kinderlieder-CDs mit denen sich das Ausleben musikalischer Bedürfnisse heutzutage weitgehend erschöpft. Dumm nur, dass U2 mittlerweile halb Irland aufkauft und sich nur wenig von dem damaligen revolutionären Charme erhalten hat.
Für mich als Lehrer ist es auch immer wieder spannend mit anzusehen, wie sich Schülerinnen und Schüler in der Bühnensituation verändern und bereit sind, Seiten an sich preiszugeben, die im Unterricht nur sehr selten zutage treten. An diesem Mut möchte ich mir eigentlich manchmal gerne ein Beispiel nehmen – kann aber leider bei weitem nicht so gut singen, geschweige denn tanzen.
Bleibt nur noch eine Frage: Was werden die Stücke sein, die den heutigen Rockkids in zwanzig Jahren eine Schülerband vorspielt? Und an was werden sie sich dann erinnern? Darf ich das eigentlich wissen wollen?