Nein, Moodle ist kein System für Schüler, es ist eines für Lehrkräfte
Ich arbeite seit fast einem Jahr in meinem eigenen Unterricht kaum bis gar nicht mehr mit Moodle. Ich betreue noch immer eine Anzahl von Installationen, die aber allesamt primär keinen schülerzentrierten Ansatz verfolgen, sondern in der Hauptsache von den Bedürfnissen der „Macher“ und nicht denen der Teilnehmenden getragen sind. Das einzige mir in meinem direkten Umfeld bekannte halbwegs schülerzentrierte Moodlevorhaben im Schulkontext ist das europäische Comeniusprojekt meiner Schule. Lisa Rosa hat Moodle in einem Kommentar einmal als „Bevormundungsplattform“ bezeichnet, was ich zum damaligen Zeitpunkt nicht in dieser Radikalität empfunden habe, nun aber etwas differenzierter sehe durch die Erfahrungen in der Arbeit mit Blogs.
Ist es nicht frappierend, dass auf ich auf moodle.org (ich dort schon lange unterwegs) so gut wie nie einen Bericht oder Erfahrungen aus Teilnehmendensicht gelesen habe? Wer bestimmt die Weiterentwicklung von Moodle? Der Teilnehmer oder die Lehrenden? Wessen Produkt und Wunsch sind z.B. die neuen Conditional Activities, die für ebenso viel Supportbedarf wie das Rollensystem sorgen werden?
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt Anwendungsbereiche, in denen der Moodleeinsatz sinnvoll sein kann und zwar immer dann, wenn Lernprozesse eine Abschottung benötigen oder Wissen zu schützen ist – etwa in kommerziellen Kontexten, im Rahmen einer Evaluation, beim Einstieg ins Internet usw.. Das volle Potential kollaborativer Lernprozesse ist jedoch in meinen Augen mit Moodle schon „by design“ nicht oder nur sehr aufwändig abzudecken. Meine Schülerinnen und Schüler haben es z.B. nie freiwillig genutzt, sondern immer nur, weil sie „mussten“, weil es z.B. eine Aufgabe gab oder ein Verweis auf einen zu lesenden Text – das ist bei z.B. WordPress vollständig anders…
Das lag auch an mir und meinem Umgang mit Moodle: Ich hatte verglichen mit anderen „Webpublishingsystemen“ immer das Gefühl, mich totklicken und ‑suchen zu müssen, um gewisse Freiheiten für SuS zu ermöglichen, ihnen z.B. zu erlauben Inhalte selbst zu erstellen. Gelang mir das, so wurden diese Inhalte maximal von mir selbst und einigen wenigen engagierten SuS rezipiert – aber genau darin sehe ich zur Zeit das eigentliche Potential, welches ich in meinem Unterricht nur erreiche, wenn ich den SuS Freiheiten gebe, z.B. die Freiheit selbst zu bestimmen, wie und wann sie in welchem Umfang ihre Texte, Ideen usw. gestalten und veröffentlichen. Dafür ist Moodle in meinen Augen denkbar ungeeignet, da nach wie vor der Lehrende und niemand sonst Strukturen vorgibt und so die gewachsenen Hierarchien auch virtuell erhalten bleiben.
Ich habe im vergangenen Jahr gesehen, wie meine SuS Mahara und WordPress nutzen, wie intuitiv und schnell sie eigene Produkte erstellen ohne dass ich viel zu Strukturen und Abläufen erklären muss – sie finden ihre eigenen Strukturen und Abläufe, weil beide Systeme das von ihrer Ausrichtung her ermöglichen. Moodle muss erst mühsam durch Rollenzuweisungen dafür hingebogen werden, was ohne LDAP-Enrolement und vergleichbare administrative Erleichterungen mir überhaupt keinen Spaß macht und zudem bei einer Schule unserer Größe auch kaum mehr zu leisten ist.
Moodle ist für mich persönlich eine notwendige Brückentechnologie, um von alten, eher dem Kontrollbedürfnis entsprungenen Unterrichtsformen hin zu Peer2Peer-Reviews zu kommen, die mich als Lehrer spürbar bei Routineaufgaben entlasten.
Moodle ist für mich nicht tot und ich denke, dass Moodle durchaus auch an meiner Schule seinen Platz weiterhin haben wird, jedoch nicht im direkten Unterrichtseinsatz, sondern vielmehr im Bereich der Kollaboration zwischen den Kollegen. Ich werde Moodle einsetzen für weitere Comeniusprojekte, wo es dank seiner vielfältigen Lokalisierungen natürlich seine Stärken ausspielen kann. Nach wie vor sehe ich Potential im Bereich von Testfragen, etwa Vokabeltests, Multiple-Choice-Lernkontrollen usw. und kann mir das auch für meinen Unterricht vorstellen.
Für das, was ich mittlerweile unter „eigenverantwortlich“, „selbstständig“, „frei“ verstehe, passt Moodle für meinen Unterricht nicht als Werkzeug – da halte ich andere Systeme für besser geeignet.
Interessant, auch skeptische Meinungen zu Moodle zu lesen. Ich habe bereits sowohl mit Studenten als auch mit Schülern gute Erfahrungen mit Commsy gemacht: http://de.wikipedia.org/wiki/Commsy. Ich glaube, dass einige von Dir im Blog geschilderte Beiträge dort nicht auftretten. Die Hemmschwelle, selbst erstellte Inhalte einzustellen ist dort beispielsweise in meinen Augen kaum vorhanden.
Hallo Maik,
Moodle und Mahara ergeben zusammen ein interessantes Gespann. Da gebe ich dir recht.
Auch ich bin bin bzgl. der ‚Conditional Activities‘ skeptisch und habe das auch schon öffentlich formuliert. Ich sehe aber an vielen Ecken und Enden genau den Wunsch nach derartigen Funktionen.
Ein kleiner Tipp verwandelt einen Kursraum in eine Arbeitsstruktur für SuS. Setze unter Einstellungen des Kurses die Standardrolle für den Kurs auf Trainer/in. Damit haben Sie volle Bearbeitungsrechte. Ggfs. mache ich das mit einem Zweitkurs.
Genau aus den gleichen Überlegungen heraus nutze ich seit dem letzten Schuljahr kein moodle mehr, sondern wikis und blogs. Danke für die treffende Zusammenfassung! :)
Felix
Hallo Maik,
Du schreibst:
„Moodle ist für mich persönlich eine notwendige Brückentechnologie, um von alten, eher dem Kontrollbedürfnis entsprungenen Unterrichtsformen hin zu Peer2Peer-Reviews zu kommen“ Das sehe ich ganz genauso. Im vergangenen Jahr hatte ich das Vergnügen auf einer Konferenz des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin Brandenburg (LISUM) einen Vortrag zum Einsatz von Learning Management Systemen in der Schule zu halten. In den zugehörigen Slides habe ich noch weitere Argumente für und gegen solche eher hierarchichen Systeme zusammengestellt:
http://www.mediendidaktik.org/2009/06/18/wohin-mit-den-learning-management-systemen/
@ralf
„Setze unter Einstellungen des Kurses die Standardrolle für den Kurs auf Trainer/in.“
Damit habe schon sehr, sehr früh begonnen. Das löst nach meiner Erfahrung leider überhaupt nichts, da nach wie vor der „Interfacebruch“ zwischen eher assoziativ-intuitiv ausgelegten Backends wie z.B. bei Mahara oder WordPress für meine SuS wesentlich attraktiver zu sein scheint. Das sind Selbstläufer. Bei Moodle musste ich immer „treiben“…
Mittlerweile kann ich zudem z.B. ein Blog genau so gut schützen und nach außen abschotten wie Moodle und so auch den Datenschutzaspekten voll gerecht werden – trotzdem ist z.B. die Feedfunktion nutzbar, da jeder Nutzer seinen eigenen Schlüssel für das Abonnement erhält. Ich kann das Blog aber auch selbstbestimmt öffnen, d.h. SuS darüber entscheiden lassen, ob sie das – wie auch bei Mahara möglich – Produkt „der Welt“ zugänglich machen. „Die Welt“ findet übrigens Bloginhalte auch wesentlich besser als Moodleinhalte, weil Blogs auf Suchmaschinen optimiert sind, bzw. viel leichter optimierbar sind als etwa Moodle. Deswegen schreibe ich selbst ja u.a. auch ein Blog.
Ich glaube, dass Moodle von der grundsätzliche „Denke“ her noch nicht an den Transparenz und Selbstbestimmungsgrad anderer Plattformen herankommt.
Für Leute, die noch nicht einmal erfahren haben, was ein Forum ist und wie man es nutzt, die skeptisch auf das Netz schauen (also auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen), ist Moodle hingegen gerade durch die kleine abgeschlossene Welt mit Strukturen wie man sie auch aus klassischen Unterricht kennt oder zumindest nachbauen kann, genau das Richtige – eben eine mögliche, nützliche und sehr notwendige Brücke.
Hallo Maik,
als Moodlerin der ersten Stunde regt sich in mir der Widerspruch. Prinzipiell hast du recht, die „Macht“ über einen Moodlekurs liegt in der Regel in Lehrerhand. Ein Moodlekurs gehört aber auch den Teilnehmern, die sich im Kurs austauschen können/sollen und viele Möglichkeiten zur Kollaboration haben. Wohlgemerkt, es geht um die ganze Klasse. Wir sind noch Lichtjahre von dem Punkt entfernt, wo Schüler keine Strukturen mehr brauchen. Moodle ebnet und öffnet aber den Weg zu selbständigem Lernen und in Kombination mit Mahara – das tatsächlich dem einzelnen Schüler gehört, stellt es eine perfekte Lernumgebung dar. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Kurs mit dem Unterricht wächst und auf die jeweiligen Lernsituationen auch reagiert. Ein vorgefertigter Kurs mit Dokumenten kann keinen Lernenden begeistern. Das Problem liegt bei Moodle eher an der Art und Weise, wie die Plattform von vielen Kurserstellern an das „alte Lernen“ angepasst und dadurch das kreative Potential von Moodle nicht ausgeschöpft wird. Die Entwicklung zu conditional activities halte ich persönlich für nicht besonders motivationsfördernd, wird aber von vielen Lehrenden gewünscht genauso wie die Perfektionierung des Gradebook. Aber das muss man ja nicht unbedingt verwenden, überhaupt sollte man sich überlegen, wieweit Moodle als Instrument für Leistungsbewertung und Reglementierung überhaupt genutzt werden soll. Wenn die Lernenden nämlich den Eindruck haben, dass ihr virtueller Kursraum zu verstärkter Kontrolle durch den Lehrenden benutzt wird, wird eine fruchtbare Zusammenarbeit im Kurs sehr schwer werden. Wenn die Schüler aber durch Mitsprache und Mitgestaltung sich mit ihrem Kurs identifizieren können, wird das Lernen kreativer und abwechslungsreicher. Der konsequente Schritt ist dann aber auch, die individuellen Aktivitäten und Leistungen der Lernenden im eigenen Blog oder im geschützten bis öffentlichen Mahara Blog darstellen und gestalten zu lassen. Und wir sollten auch nicht vergessen,dass die meisten Lernenden nicht unbedingt „für die Welt“ produzieren wollen – mit MAHARA haben sie aber dann auch diese Möglichkeit für ausgewählte Blogeinträge.
@sigi
Hallo Sigi!
Ich fühle mich eigentlich durch deine Argumentation bestärkt. Identifikation bekomme ich persönlich mit einem Blog viel, viel besser hin, als mit Moodle. Meine zarten Blogversuche gehören tatsächlich den SuS, weil ich das Blog ebenso wie Moodle oder besser Mahara nach außen sichern kann – etwa durch Plugins. Gerade gestern ist ein Kollege auf den Blogzug aufgesprungen – ich habe nur kurz davon erzählt. Da steht dann schonmal das „Maulvideo“ von letzten Wandertag neben der Inhaltsangabe zum jeweiligen Tag und bietet eine „gewisse“ Attraktivität – im geschlossenen(!) Raum für die Lerngruppe trotz Blog – niemand muss für die „Welt“ produzieren – das entscheidet auch bei mir jeder selbst – dank Plugins.
Ich als Techniker sehe natürlich auch Dinge wie Wartbarkeit und Komplexität. WordPress ist per Klick aktualisiert, ebenso lassen sich Plugins und Themes genauso installieren.
Moodle geht eindeutig in die Richtung „mehr Ressourcen“ – gerade mit 2.0 – und läuft nicht überall, während WordPress es bei jedem Feld- Wald- und Wiesenprovider mit 2‑Euro-Paket tut (wir sind noch lange nicht so weit, dass sich jede Schule Moodle anlacht). Ich beherrsche das. Viele meiner Kolleginnen und Kollege nicht – das schreckt ab. Der Weg zur Einführung eines Systems in der Schule läuft ja mitnichten so, dass Schule ein Konzept entwickelt und dann anschafft, sondern immer über Spinner wie z.B. mich, die ihre Ideen ins Kollegium tragen.
Ich vermisse übrigens Menschen wie dich mit ihrem umfangreichen pädagogischen Erfahrungen in öffentlichen Foren, weil du wahrscheinlich direkt in deinem Umfeld wirkst. Aber das halte ich für mit eine Grund dafür, dass Moodle sich eben auch in anderen Richtungen entwickelt, die z.B. uns beiden nicht so zusagen.
Moinsen.
Ich habe in meiner Schule auch moodle einsetzen wollen, habe es aber dann gelassen, weil ich das System zu störrisch empfand. So differenzierte Aussagen, wie in diesem Artikel kann ich nicht treffen, da es einfach ein Bauchgefühl ist.
Ich kann von mir behaupten, dass ich mich mit Webanwendungen gut auskenne. Durch eigenes Programmieren von Webseiten für Kleinanzeigenverlage, über das Einrichten und Administrieren von Typo3, WordPress und anderen CMS‘ bis hin zur bloßen Anwendung der ganzen web2.0‑Dienste, glaube ich ein gewisses Repertoire an Handlungskompetenzen aufgebaut zu haben.
Moodle hat sich aber weder intuitiv noch logisch erschlossen – auch nach Lektüre der Doku. Ganz abgesehen davon, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler etwas zu publizieren gering ist, wenn es sich nur um eine Publikation innerhalb der Klasse oder maximal der Schule handelt… laaangweilig! Ebenso verhält es sich mit der Pflege eines wikis oder eines Forums.
Moodle habe ich für meine Person zunächst ad acta gelegt. Vielleicht probiere ich es noch einmal in einigen Jahren, aber im Moment hat das System für mich KEINEN Mehrwert für Unterricht. Dieser Artikel unterstützt mein Bauchgefühl!
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