Als fertig ausgebildete Lehrkraft selbst Prüfungen ablegen
Einleitung
Ich versuche mich gerade an einem berufbegleitenden Studium zur offiziellen Erlangung der Lehrbefähigung für das Fach Informatik – genauer: Wenn das klappt, kann ich im Fach Informatik das Abitur abnehmen. Ich gehe dazu den sehr steinigen Weg eines regulären Drittfachstudiums. Das kostet an der Universität Oldenburg um die 550,- Euro Gebühren je Semester und es sind 95 Kreditpoints zu erwirtschaften.
Der Dienstherr bietet ein kostenloses Aufbaustudium im Umfang von 60 Kreditpoints an, das aber hinsichtlich der Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze begrenzt ist und sehr, sehr viel inhaltlich und von der Zeitstruktur her vorgibt. Das reguläre Drittfachstudium ist da viel freier – man kann einiges nach seinen Interessen wählen. Für beide Varianten gibt es keine Entlastung in irgendwelcher Form und bisher kam ich nicht in der Verlegenheit, meine Schule um irgendein Entgegenkommen in Form von Freistellungen für Klausuren / Prüfungen usw. bitten zu müssen, obwohl die SL das mit Kusshand ermöglichen würde: Informatik ist ein absolutes Mangelfach in Niedersachsen und wird i.d.R. fachfremd unterrichtet – was ich auch bis Klasse 11 schon mehrfach gemacht habe.
Das Studium in der von mir gewählten Form bietet keinerlei formale Vorteile (im Gegenteil: Man hätte in Ernstfall eine dritte Fachschaft mitzubespielen, deutlich mehr Konferenzbeteiligung usw.), ist Mehraufwand, kostet privates Geld und der Dienstherr profitiert jetzt schon quasi doppelt, da ein Semesterticket für ganz Niedersachsen inkludiert ist und ich damit keinerlei Fahrtkosten für die Medienberatung mit den üblichen „Anträgen des maximalen Misstrauens“ abrechnen muss (bei meinem Schulträger liegen ein Fahrtenbuch sowie ein Tankstellenkarte im Dienstauto, das ich mitbenutzen darf).
Warum dieser Aufwand? Ich mache das primär für mich und meine eigene fachliche Weiterentwicklung (mich interessiert der Scheiß einfach total) und möche selbst entscheiden können, ob und wie ich das beende und ob und wie ich das in mein dienstliches Verhältnis überhaupt einbringe. Ohne vorliegende Bescheinigung gibt es das Studium für den Dienstherrn ja schließlich offiziell nicht – also auch keinerlei Rechte (eigentlich ist das so ein Machtumkehrding – aber das wäre eine andere Geschichte).
Die Schüler:innen profitieren – so denke ich – schon jetzt durch meine deutlich erweiterte fachliche Perspektive auch im offiziell fachfremden Unterricht. Die 1100,- Euro pro Jahr sind durch andere, offiziell als Nebentätigkeit angezeigte Arrangements außerhalb des Dienstes bisher gut gegenfinanziert.
Prüfungen an der Universität
So ein Studium bringt es mit sich, dass man Prüfungen an der Universität ablegen muss. Im Bachelor-/Mastersystem ist das kumulativ, d.h. besucht Veranstaltungen, für die Leistungsnachweise zu erbringen sind – durchlebt habe ich schon Portfolio, mündliche Prüfung und Klausuren. Dafür werden mir Kreditpoints gutgeschrieben. Wenn der Zähler auf 95 steht, dann habe ich meine Lehrbefähigung, bzw. könnte sie mir ausstellen lassen. Absolvieren muss ich nur den fachlichen und didaktischen Teil für das Fach Informatik am Gymnasium – keine Bachelor- oder Masterarbeit. Sehr viele Veranstaltungen besucht man als „Lehramtler“ gemeinsam mit den Vollinformatikern.
Mündlich gelingt mir das bisher sehr gut, schriftlich komme ich bisher nicht über ein „bestanden“ (4.0) hinaus. Damit bin ich als alter Knacker eigentlich solides Mittelfeld: 30% fallen durch, 30% liegen zwischen 4.0 und 3.7 und 40% machen das besser (so Pi mal Daumen).
Klausuren als geschlossene Formate
Ich habe drei Klausuren geschrieben:
- Betriebssysteme (hier ein Einblick) – war ein Mastermodul und größenwahnsinnig – aber: bestanden!
- PDA (Programme, Datenstrukturen und Algorithmen) – z.B. Datentypen, Kontroll- und Datenstrukturen, Sortieralgorithmen, Berechnung von Aufwänden etc. (bestanden!)
- OMP (Objektorientierte Modellierung und Programmierung) – z.B. Klassen, Objekte, Interfaces, Streams, Lambda-Audrücke, Lösungsstrategien, Heuristiken, unterschiedliche Programmieransätze (Logikorientierung, funktionale/regelbasierte Programmierung) etc. (am vergangenen Dienstag geschrieben)
Geschlossene Formate wie Klausuren sind ja gerade in der Twitterbubble sehr verpönt und voll nicht zum Nachweis von Kompetenzen für das 21. Century geeignet. Spoiler: Nunja.
Alle drei Klausuren waren in meinen Augen sehr, sehr gut gestellt und bestanden fast nur aus Transferleistungen. Ohne Vogelperspektive und Konzeptverständnis waren sie definitiv nicht zu bestehen – und gerade in der Informatik will man zunehmend Leute mit dieser Perspektive, damit nicht vollkommen idiotische und überholte informatische Ansätze wie „Masterkeys“ (eigentlich Singleton Pattern, „God“-Class) gefahren werden (wobei man fairerweise sagen muss, dass es gerade bei Security kompliziert ist – Stichwort: Geheimdienste, Gesetzgebung, politische Interessen, Strafverfolgung).
Kontext der geschlossenen Formate
Natürlich kommt es immer auch auf den Kontext an, in dem die Klausuren stehen. Alle Dozent:innen haben Angebote gemacht: Es gab Aufgaben zum Vorlesungsstoff, die in Gruppen bearbeitet werden konnten. Für diese Aufgaben gibt es Punkte, die einem selbst eine Einordnung ermöglichen, wo man steht – sie wurden also korrigiert und kommentiert. Teilweise kann man mit den Aufgaben „Bonuspunkte“ für die Klausur erwirtschaften. In Tutorien konnte man Fragen stellen, eigene Lösungen vorstellen oder sich auch Dinge noch einmal erklären lassen. Bei den Veranstaltungen ohne Bonuspunkte gab es ein Ranking – jede Gruppe hatte einen Fantasienamen, der dann in einer Art Liga erschien, so dass man sich innerhalb der Veranstaltung leistungsmäßig verorten konnte.
Ich hatte bei einer Übungsgruppe Glück: Fast immer hatten wir alle alle Aufgaben bearbeitet, konnten so über unterschiedliche Ansätze diskutieren und entscheiden, was wir abgeben. Allerdings waren wir alle in der Situation, berufsbegleitend zu studieren.
Ich hatte bei einer Übungsgruppe Pech: Ich war er einzige, der überhaupt Aufgaben bearbeitet und dann die Bonuspunkte für die beiden anderen mit erwirtschaftet hatte. Diese Sache musste ich dann auch aufgrund von Überlastung abbrechen – da war mir eine Parallelveranstaltung wichtiger.
Die Tutorien waren für mich größtenteils ernüchternd: Es saßen motivierte Tutor:innen dort, didaktisch zwar unerfahren, aber sehr offen und die Haupterwartung der meisten Kommiliton:innen schien darin zu bestehen, die Vorlesesungsinhalte noch einmal doziert zu bekommen. Kaum „falsche Lösungen“ wurden diskutiert, kaum eigene Lösungen vorgestellt – das Lernangebot wurde meiner Ansicht nach kaum, eher gar nicht genutzt. Unsere Übungsgruppe war quasi die einzige mit aktiven Beiträgen – irgendwann kam ich mir doof und streberhaft vor. Da muss ich noch Wege finden …
Generell finde ich allerdings, dass die zusätzlich offenen Lernangebote aufgrund der Haltung vieler Mitstudierender kaum geeignet sind, einzuschätzen, welches Wissen und welche Kompetenzen tatsächlich erworben wurden. Das geschlossene Format „Klausur“ erscheint mir vor diesem Hintergrund schon sehr notwendig zu sein, um eine generelle Beschäftigung mit den Lerninhalten zu triggern. Bei über 320 Menschen in einer Veranstaltung wird das organisatorisch mit alternativen Prüfungsformaten durchaus fordernd…Die Klausuren kann man inkl. Freiversuch übrigens 4x wiederholen.
Mit einer anderen Haltung wäre die Klausur vielleicht nicht notwendig. Bei einigen Fragen von Mitstudierenden in der großen Vorlesung hinsichtlich der inhaltlichen Progression und des Anspruchs kam bei mir schon auch Fremdscham auf.
Das Verhalten ist von Schule mit verursacht. Ich denke, wir bedienen dort ggf. zu sehr das Konsumbedürfnis und zu wenig die forschende Haltung.
Mein persönliches Klausurerleben
In den Ferien, zwei Tage nach dem Urlaub bin ich um 7 Uhr gen Oldenburg gefahren – bewaffnet mit Lesebrille, drei Kugelschreibern und einem erlaubten Spickzettel (handschriftlich, zweiseitig, DINA4). Man kommt in den Hörsaal und setzt sich an einem Platz, an dem eine Klausur liegt (Gruppe A / B). 10 Minuten Einlese- und Fragezeit. Natürlich hatte ich im Urlaub nur bedingt Bock auf Vorbereitung. Durchgelesen – eigentlich nichts auf Anhieb verstanden. Bei mir geht es ja um fast nichts. Ruhe bewahrt. Eine Aufgabe konnte ich gleich abschreiben – da war nichts zu wollen. Bei allen anderen konnte ich etwas schreiben – Stück für Stück wurde es klarer und besser, viel Lesekompetenz war gefragt, manches, was hochtrabend klang, war dann doch nicht so schwierig wie auf den ersten Blick. Den Spickzettel habe ich nicht einmal gebraucht. Durchgefallen ist aber auf jeden Fall im Bereich des Möglichen :o)…
Bietet Niedersachsen auch eine „Nachqualifikations-Maßnahme“ für Informatiklehrkräfte an? Ich habe die gerade hier in Bayern absolviert & letzten Herbst das entsprechende Staatsexamen bestanden, aber dafür nicht das komplette Uni-Programm durchexerzieren müssen…
Nachtrag: Ich vermute mal, dass „die Maßnahme“ effektiv mit dem erwähnten „Aufbaustudium“ identisch ist – allerdings hierzulande mit Vergünstigungen (beispielsweise Anrechnungsstunden) und leichterem Zugang statt der begrenzten Plätze bei euch…
Gibt es hier auch. Keine Anrechnungsstunden, keine Vergünstigungen. Das sollen die Schulen für die betreffenden Kolleg:innen aus ihren eigenen Töpfen bewerkstelligen, aber auf gar keinen Fall durch Anrechnungsstunden. Es gibt unterschiedliche Darstellungen dazu, wie gut dieses Angebot angenommen wird :o)…
Ich habe mich ja auch für Informatik nachqualifiziert, aber mit dienstlicher Unterstützung. Ohne die hätte ich das nicht nur nicht getan (zumindest damals, wahrscheinlich auch heute), sondern auch nicht geschafft. Ich habe den größten Respekt vor deiner Leistung!
>möche selbst entscheiden können, ob und wie ich das beende und ob und wie ich das in mein dienstliches Verhältnis überhaupt einbringe.
Ah, interessanter und schöner Gedanke. Formal wäre bei uns Oberstufe ohne formalen Nachweis wohl nicht möglich, und an Fachsitzungen müsste man auch fachfremd teilnehmen, denke ich.
>Wenn der Zähler auf 95 steht, dann habe ich meine Lehrbefähigung,
Also keine zentrale Abschlussprüfung mehr? Wir haben hier nur altes Staatsexamen, ich kenne andere Systeme wenig.
>Unsere Übungsgruppe war quasi die einzige mit aktiven Beiträgen – irgendwann kam ich mir doof und streberhaft vor. Da muss ich noch Wege finden …
Zumindest innerhalb der Prüfungsgruppe profitiert ihr hoffentlich bereits davon. Ich mag direkte Instruktion, aber es macht ebenfalls Spaß zu fragen: „Kann man denn auch…“ oder „Warum geht es nicht, wenn…“
>Das Verhalten ist von Schule mit verursacht. Ich denke, wir bedienen dort ggf. zu sehr das Konsumbedürfnis und zu wenig die forschende Haltung.
Ja. Aber gegen Klausuren habe ich auch in der Schule nichts, man kann sie gut stellen oder nicht. Oft stellt man sie nicht gut, aus verschiedenen Gründen. Auf die Informatikdidaktik-Klausuren, die ich an der Uni selber gestellt habe, bin ich nicht stolz: da habe ich geprüft, was sich leicht prüfen und leicht korrigieren ließ.
Die dicksten Dinger kommen leider noch: ein Matheschein, theoretische Informatik, technische Informatik. Das werden ziemliche Bretter … Ich hoffe. und ich habe Unterstützung auch an der Uni :o)…