Lehrkräfte gewinnen – Lehrkräftemangel überwinden
Unterrichten ist ein toller Beruf
Lehrkraft ist ein toller Beruf. Ich gehe mit einigen Stunden nach den Sommerferien zurück in den Unterricht, weil mir in den vergangenen Jahren das Unterrichten sehr gefehlt hat. Ich werde mit meiner geringen Stundenzahl nicht oder kaum mit den Widrigkeiten konfrontiert sein.
Das Lehrkraftsein ist in Deutschland sehr gut bezahlt. Frauen und Männer werden gleich vergütet. Durch die Verbeamtung winken wirklich auskömmliche Pensionen bei einem rundrum sicheren Job. Rechnet man die Persionsleistungen mit ein, müssen in der freien Wirtschaft erhebliche Jahresgehälter zur Bedienung der privaten Altersversorge erwirtschaftet werden, um dann auf ein ähnliches Lohniveau zu kommen. Beamte mit Kindern unter 18 Jahren können ihre Arbeitszeit sehr flexibel gestalten, für allen anderen wurde über Jahre die flexible Reduktion von Stunden ermöglicht, soweit „dienstliche Gründe“ nicht entgegenstanden.
Es gibt aus unterschiedlichen Gründen auch angestellte Lehrkräfte. Da sieht es deutlich schlechter aus. Vor allem bei der Bezahlung, den Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Schulsystem und der Rente.
Wir haben einen eklatanten Mangel an Lehrkräften in allen Schulformen. An Gymnasien sieht es noch vergleichsweise gut aus. Zukünftig wird sich dieser Mangel immens verschärfen. Irgendwas scheint nicht zu stimmen, obwohl die Arbeitsbedingungen sicher und gut sind.
Zwei Arbeitsverträge
Jeder Mensch hat zwei Arbeitsverträge.
Der eine regelt das Formale. Wie viel Geld gibt es für welche Arbeit? Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf aus? Wie kann ich meine Arbeitszeit an meine momentane Lebenssituation anpassen? Wie viel Urlaub steht mir zu?
Dieser erste Arbeitsvertrag ist von außen sichtbar. Im Lehrer:innenberuf für alle – selbst die Entlohnung auf den Cent genau. Die Ferienzeiten. Daran entzünden sich mit steter Regelmäßigkeit die üblichen Klischeediskussionen von „nachmittags frei“ und „12 Wochen Urlaub“. Da sollen die Lehrkräfte auch etwas für leisten – so die einhellige Meinung.
Der andere Arbeitsvertrag regelt das Ideelle: Kann ich sinnstiftend arbeiten? Erfahre ich Unterstützung und Anerkennung? Welche Hierarchien gibt es und wie lebt Leitung diese? Erreiche ich Ziele? Werde ich den Menschen in meinem beruflichen Umfeld gerecht? Welche Erwartungen stellt die Gesellschaft an mich?
Dieser zweite Arbeitsvertrag ist von außen nicht sichtbar. Defizite in diesem Bereich lassen sich sehr oft durch eine entsprechende Kompensation im ersten Arbeitsvertrag ausgleichen. Aber das hat Grenzen. Grenzen äußern sich darin, dass ein Beruf nicht mehr angewählt oder verlassen wird – im Lehrer:innenberuf gar nicht so selten durch „innere Kündigung“.
In diesem Stadium wirken Anreizsysteme finanzieller Art nicht mehr – eher wird sogar bewusst auf Geld verzichtet, um den ideellen Arbeitsvertrag sinnstiftend ausgestalten zu können.
Das politische Dilemma
Man hat sich aus meiner Sicht politik- und behördenseitig über Jahre darauf verlassen, dass man mit dem formalen Arbeitsvertrag – vor allem mit der Beamtung – schon hinreichend punkten wird, um immer genügend Lehrkräfte auf dem freien Markt zur Verfügung zu haben. Lange Zeit war das auch so. Das kippt aber – übrigens auch ganz ohne die aktuelle Flüchtlingskrise, die katalysiert das Problem „nur“.
Wahlweise mag auch der eine oder die andere Politiker:in darauf gesetzt haben, dass sich die Herausforderung zumindest teilweise durch Digitalisierung löst. Das klappt auch so bedingt. Und jetzt steht man da.
Die politische Lösung sieht dann oft so aus, dass man Geld bereitstellt und in diesem Fall Kultusbeamt:innen den Auftrag erteilt, mit diesem Geld dafür zu sorgen, dass das Problem weggeht oder es nach außen zumindest so aussieht, als würde man etwas dafür tun, dass das Problem weggeht.
Hierarchische Systeme neigen dann dazu, darauf zu schauen, wie man an dem formalen Arbeitsvertrag (z.B. „Bonuszahlungen“) so schrauben kann, dass mehr Menschen kommen bzw. diejenigen bleiben, die schon im System sind. Das Problem liegt aber gar nicht auf der formalen Ebene.
Alternativ kann man die bisher kulanten Teilzeitregelungen beschneiden oder beamtenrechtliche Mittel wie die Abordnung oder Versetzung nutzen, um Personalressourcen besser auszunutzen. Beides dürfte aber zu Lasten des ideellen Arbeitvertrages gehen und das Problem in ziemlich kurzer Zeit ziemlich verschärfen. Aber: Wir werden diese Maßnahmen meiner Meinung nach sehen.
Alles, was man kurzfristig tun kann, verschärft das Problem. Sinnvollere Maßnahmen wirken nicht rechtzeitig vor der nächsten Wahl oder sind wahlweise nicht „öffentlichkeitsgängig“. Mit symbolträchtigen öffentlichkeitsgängigen Maßnahmen werden im besten Fall knappe Ressourcen nicht sinnvoll gebunden.
Was also tun?
Menschen bleiben in einem Beruf, den sie für sich als sinnstiftend erleben – das ist meine Überzeugung. Daher kann der Weg nur über den zweiten Arbeitsvertrag führen.
Warum schauen wir nicht einmal ganz kritisch auf das Referendariat? Ich war erstaunt, was für einen schlechten Ruf diese Ausbildungsphase insgesamt bei meinen Student:innen hatte. Wir sollten diese Wahrnehmung wirklich ernst nehmen, auch unsere eigene … Vielleicht hilft schon das Angebot(!) einer externen(!) freiwilligen(!) Supervision, um Wahrnehmung einzuordnen.
Warum machen wir es gerade Berufsanfänger:innen am Anfang nicht etwas leichter, indem wir das Deputat zeitlich begrenzt senken? Natürlich verschenken wir dadurch Unterrichtsstunden, aber welche Lehrkraft ist besser für das System: Diejenige, die nicht da ist oder diejenige, die zumindest 80% arbeitet? (Ich weiß, dass das rechtlich schwierig ist – aber Recht lässt sich gestalten).
Schulformen ohne die Möglichkeit(!) des Erwerbs eines Abiturs werden gesellschaftliche Probleme akkumulieren. Immer. Wir sollten dringend davon wegkommen und eine echte Zweigliedrigkeit ins Auge fassen. Es hat Gründe, warum insbesondere an Ober- und sonstigen „Mittelschulen“ der Lehrkräftemangel eklatant ist.
Die verschiedenen Hierarchiebenen im Schulsystem müssen ihre Wirklichkeiten abgleichen und erfahren. Behördenmitarbeiter:innen sollten verbindlich im Fünfjahresturnus an Schulen z.B. im Büro eingesetzt werden. Ministeriumsmitarbeiter:innen sollten in Kontakt mit Schule und Unterricht kommen, z.B. in Form von Hospitationen. Lehrkräfte sollten Verfahren in Schulbehörden hautnah durch Hospitationen erleben könnten oder es sollte niederschwellige Fallbespechungen mit unterschiedlichen Hierachieebenen geben. Wir brauchen dringend gegenseitige Einblicke in die Arbeit.
Wir sollten uns als Gesellschaft fragen, in welchem Verhältnis persönliche Bedürfnisse und Lebensentwürfe zu der Erfüllung des Allgemeinwohls stehen. Der Lehrer:innenberuf ist wie kein anderer einer, der im Allgemeinwohl dienen sollte. Das bringt bestimmte Einschränkungen im persönlichen Umfeld mit sich, die aber an anderer Stelle kompensiert werden – z.B. durch den formalen Arbeitsvertrag im Falle der Verbeamtung.
Das löst die momentane Herausforderung nicht
Nein. Nichts davon löst das. Wir müssen Untericht kurzfristig wahrscheinlich tatsächlich streichen und damit das Problem „öffentlichkeitsgängig“ machen. Das ist eine politische Bankrotterklärung. Aber der Glaube, langfristig entstandene Probleme durch kurzfristige Maßnahmen lösen zu können, ist bestenfalls naiv – ebenso die Absicht, konkret „Verantwortliche“ für das Dilemma benennen zu wollen. Dann weiß man zwar, dass es an Herrn Meyer und Frau Schulze liegt, aber das Problem ist ja immer noch da.
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