Und was ist mit Chromebooks?
Die Geschichte hinter der Geschichte
Ich habe vergangene Woche einen Artikel bei Heise-Online zu der Frage veröffentlicht, warum iPads in deutschen Schulen so weit verbreitet sind. Das Publikum bei Heise-Online ist i.d.R. eher technikaffin und wesentlich bunter gemischt als z.B. im Twitterlehrer:innenzimmer. Dementsprechend kann man es niemandem Recht machen, weil immer irgendwas nicht erwähnt oder zu verkürzt dargestellt ist – oder man wahlweise eh keine Ahnung hat. Das ist der Fluch der Zeichenbegrenzung. Besondere Wellen im Nachgang schlug die Frage, inwiefern Chromebooks nicht eine gute Alternative darstellen würden. Diese räumten schließlich auch gerade die US-amerikanischen Markt auf.
Tatsächlich halte ich selbst Chromebooks technisch dem iPad mittlerweile für überlegen, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Verankerung des Faches Informatik (ja, es geht voran) an den Schulen. Ich wäre technisch sehr glücklich mit Chromebooks in der Schule. Aber es geht nicht um mich. Das müssen gerade wir Männer in Beratungsprozessen immer wieder neu lernen.
Die Perspektive des medienpädagogischen Beraters
In meiner Rolle als medienpädagogischer Berater bin ich prinzipiell zu Neutralität verpflichtet. Ich muss unterschiedliche Systeme gleichwertig nebeneinander stellen. Produktvorstellungen lasse ich i.d.R. die betreffenden Firmen oder deren Distributor:innen machen. Schulen definieren dann ihre Anforderungen und man schaut ins Umfeld der Schule, welche Resourcen z.B. für Administration und Garantieabwicklung vorhanden sind. Wie sehen die Beschaffungsstrukturen beim Träger aus? Und man schaut in das pädagogische Umfeld: Womit arbeiten eigentlich im Falle der Grundschulen die weiterführenden Schulen? Welche Systeme sind in der beruflichen Bildung etabliert? Welche überschulischen Kooperationsmöglichkeiten tun sich auf? Schulen sind zudem zunehmend sensibilisiert für Fragen des Datenschutzes und des Urheberrechts. Alle Anforderungen und Wünsche erfüllt heute kein System. Wer bei der Beschaffung von Endgeräten für Schüler:innen nur auf die jeweilige Schule schaut, denkt m.E. deutlich zu kurz. Für den Erfolg oder Misserfolg einer Einführung von Endgeräten gibt es deutlich mehr Gelingensbedingungen als rein technische.
Die Voraussetzungen vor Ort
Mein eigener Landkreis ist relativ fest in der Hand von IServ. Dessen MDM kommt bisher nur mit iPads zurecht. Daher gibt es hier vor Ort schon rein pragmatisch bestimmte Vorgaben, die sich aber auch flexibel ändern. Unser Medienzentrum betreibt z.B. einen BigBlueButton-Cluster als Videokonferenzlösung, die nachmittags auch gemeinnützigen Vereinen und anderen Bildungseinrichtungen offenstehen würde – allein unser Marketing dafür ist noch zu schlecht. Es gibt ein eigenes Etherpad, Dinge wie einen Onlineaudioeditor, eine Videodistributionsplattform oder ein System zur Vorbereitung von Tafelbildern. Viele andere Medienzentren sind da noch nicht soweit mit ihrem Angebot an freien Softwarelösungen.
Bei Thema bleiben: Chromebooks?
Tatsächlich gibt es Schulen in kommunalen Trägerschaften des Landkreises, die eher Richtung ChromeOS oder auch Android gehen möchten. Daher habe ich mir in Kooperation mit einem Distributor drei Geräte angeschaut, die über die Google Admin-Konsole steuerbar waren. Durch den Distributor wurde die „Managed Guest Session“ als datenschutzkonforme Konfigurationsmöglichkeit vorgestellt. Dabei werden nach jeder Abmeldung sämtliche Einstellungen vom Gerät gelöscht, sodass z.B. ein Nutzer, der das Gerät am gleichen Schultag verwendet, keinen Zugriff auf fremde Inhalte und Dokumente hat. Ein Googlekonto ist zur Nutzung der Geräte dabei nicht notwendig. Die Nutzung erfolgt komplett anonym – allerdings ist der Einsatzzweck damit begrenzt: Dieser Modus eignet sich eigentlich nur für „Koffergeräte“, die man für einzelnen Schulstunden entleiht. Technisch entspricht das dem Gastmodus von Shared-iPads.
Bei persönlichen Geräten möchte man etwas anderes
ChromeBooks zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl Einstellungen, Dateien und sonstige Inhalte mit den Cloudsystemen von Google abgebildet werden. Eine lokale Nutzung ist technisch begrenzt möglich, beschneidet aber die Einsatzmöglichkeiten enorm. Bei einem Gerät, was kein Koffergerät ist, möchte man diesen Komfort nutzen können.
Dazu wird technisch ein Googlekonto benötigt. Dieses kann man zwar über alternative Authentifizierungssysteme wie z.B. auch IServ nutzen – gleichwohl muss eine wie immer geartete Kopplung zwischen Authentifizierungsmethode und einem Benutzeraccount in Google Classroom stattfinden. Der Vorschlag zum datenschutzkonformen Einsatz lautet in dem Fall: Pseudonymisierung, d.h. man erstellt Konten mit Fantasienamen. In Bildungskontexten sind Fantasienamen wiederum sehr unpraktisch – vor allem bei Kooperation und Kollaboration. Google garantiert für Bildungsinstitutionen, dass Daten von Schüler:innen nicht für Werbezwecke genutzt werden – mit Schrems II ist klar, dass US-Anbieter datenschutztechnisch bisher alle das gleiche Problem haben. Das Beharren von z.B. Microsoft auf „Telemetriedaten zur Verbesserung der Nutzungserfahrung“ gibt deutlich Hinweise darauf, worum es Anbietern letztlich geht. Das ist bei Erwachsenen, die die technischen Abläufe dahinter nicht verstehen, schon fragwürdig, bei Schutzbefohlenen, die der Schulpflicht unterliegen, aus meiner Sicht ein klares Ausschlusskriterium.
Google muss diese Daten auch gar nicht nutzen. Es reicht, diese Daten zu haben, um sie später nutzen zu können. Die Pseudonymisierung schützt davor gerade nicht – zunehmend weichen Anbieter auf biometrisches Tracking aus, was innerhalb einer konzerneigenen Plattform noch einmal wesentlich besser funktioniert.
Bei Appleprodukten ist es für eine Schule schon schwierig, im Falle von externen Anfragen eine datenschutzkonforme Nutzung nachzuweisen – die offene Flanke sind hier tatsächlich „nur“ die MDM-Systeme so man nicht Apples Classroom App nutzt. Bei der personalisierten Nutzung von Google-Classroom oder der Online-Officesuite von Google dürfte das unmöglich werden.
Und ja: In ihrer Freizeit machen Schüler:innen ja solche Dinge auch und gehen viel sorgloser mit diesen Daten um. Aus Eltern- oder Anbieterperspektive ist diese Argumentation nachvollziehbar – als Berater kann ich mir das so nicht erlauben.
Bei iPads brauche ich keinen personalisierten Nutzer (obwohl dadurch vieles deutlich praktischer wird). Ich kann als Institution das Gerät trotzdem weitgehend auf die Anforderungen der Schule zuschneiden (das geht über die Adminkonsole von Google auch) und Eingaben wie z.B. Anmeldedaten auf dem Gerät selbst erhalten. Das geht bei der „Managed Guest Session“ bei Chromebooks nicht und braucht – zumindest nach meinen Erfahrungen mit den Leihgeräten – eine personalisierte Anmeldung. Da viele Menschen kein praxistaugliches Management von Zugangsdaten haben – Schüler:innen bis auf Ausnahmen schon gar nicht – wird man im Unterricht viel Zeit genau damit verlieren, Zugangsdaten wiederherzustellen oder zu besorgen.
Schließlich kann lokal nicht gespeichert werden: Jedes Unterrichtsprodukt, jeder Text muss irgendwie im Web erstellt oder dort abgelegt werden. Die Googlewelt lebt von einem personalisiertem Zuschnitt. Ohne sind die Komforteinbußen und der Verlust an pädagogischen Möglichkeiten immens. Als reines Zugangsgerät für webbasiertes Arbeiten sind Chromebooks hingegen m.E. unschlagbar und eine echte Alternative zu iPads. Doch welche Schule verfügt dazu bisher über eine entsprechende Infrastruktur ohne vom Regen in die Traufe zu kommen wie etwa bei Office 365 – was eine personalisierte Anmeldung erfordert?
Wie würde ich Chromebooks nutzen?
Ich arbeite seit Jahren webbasiert. Mit der Managed Guest Session ist eine technische Grundlage geschaffen, zumindest in der Schule datenschutzkonform zu arbeiten. Zu Hause können natürlich alle Familienmitglieder auf eigene Verantwortung wild ihre Google-Accounts nutzen – ggf. leistet man dem Vorschub, wenn man Chromebooks in der Schule nutzt – aber das ist bei Apple umgekehrt ja auch so. Ich kann mir das „leisten“, weil ich seit Jahren keine Schulbücher nutze und dazu auch die entsprechenden Fächer habe, die das ermöglichen. Für eine ganze Schule ist das erstmal noch nichts in meinen Augen.
Sobald über die Schule beschaffte Inhalte verteilt werden sollen, wird es wieder haarig, wenn Totholz (= Papier) dabei keine Rolle spielen soll. Da hat Apple mit dem ASM wieder die Nase vorn. Wer heute schon keine lokalen Apps braucht (man kommt auch ohne aus) und über eine DS-GVO-konformes, webbasiertes Cloudsystem verfügt – dem würde ich auf gar keinen Fall zu iPads raten, das geht dann mit Chrome- oder Linuxnotebooks deutlich besser – selbst rechtskonforme Prüfungen wären möglich, wenngleich je nach System technisch noch etwas tricky zu organisieren.