Themen in Schule nach den Sommerferien – oder meine Angst vor der Angst

Ich habe letz­tes Wochen­en­de abends drau­ßen an einem lan­gen Tisch vor einer Knei­pe geses­sen. Da war nichts geplant oder reser­viert, ich bin ein­fach in der Stadt gewe­sen und habe spon­tan Bekann­te und Freun­de getrof­fen. Alles inner­halb der Coro­na­re­ge­lun­gen mit Abstand und unter frei­em Him­mel. Aber es ist – nord­deut­scher – Som­mer. Man kann drau­ßen sit­zen, Fens­ter öff­nen und vie­le Din­ge tun, die im Herbst oder Win­ter so nicht mehr funktionieren.

Clop­pen­burg hat nicht vie­le fleisch­ver­ar­bei­ten­de Betrie­be, Clop­pen­burg ist die fleisch­ver­ar­bei­ten­de Gegend über­haupt. Viel hängt wirt­schaft­lich am Funk­tio­nie­ren die­ses Sys­tems. Wenn ein Schlacht­hof auch nur zeit­wei­se geschlos­sen wer­den muss, hat dies immense Aus­wir­kun­gen für die gesam­te durch­ge­tak­te­te Lie­fer­ket­te vom Land­wirt bis zum Ver­brau­cher. Geflü­gel über­schrei­tet genorm­te Gewich­te, die Qua­li­tät des Schwei­ne­fleisches vari­iert – gan­ze Char­gen könn­ten ver­nich­tet wer­den müs­sen – nicht weil das Pro­dukt schlecht wäre – es kann schlicht nicht mehr genormt ver­ar­bei­tet wer­den. Man kann zur Fleisch­in­dus­trie ste­hen wie man will, aber es wird immense sozia­le Aus­wir­kun­gen auf die gesam­te Regi­on haben, wenn Coro­na zu nen­nens­wer­ten Schlie­ßun­gen der Schlacht­hö­fe führt. Befreun­de­te Steu­er­be­ra­ter, die wirk­lich Ein­bli­cke in die Fir­men­bü­cher haben, rech­nen spä­tes­tens im Herbst mit einer Plei­te­wel­le. Mit­tel­ständ­ler gehen mit eige­nem Ver­mö­gen „all in“ die Fir­ma, um Arbeits­plät­ze und Lebens­wer­ke zu ret­ten. Das fällt an sol­chen Aben­den in Neben­sät­zen, Scher­zen, zyni­schen Übertreibungen.

Bei mir war es an die­sem Abend eine Mischung aus immensem Unwohl­sein: Die­ser gelo­cker­te Sta­tus Quo wird das Maxi­mum sein, was es in den nächs­ten Mona­ten geben wird. Und ich als Beam­ter bin die­sen Markt­zy­klen und Dyna­mi­ken zumin­dest finan­zi­ell kom­plett ent­zo­gen. Ich habe am aller­we­nigs­ten das Recht, Angst zu haben. Ich ins­be­son­de­re, der ich nicht ein­mal mehr unter­rich­te. Dar­über schreibt zur­zeit kaum jemand, das wird aber zuneh­mend kommen.

Wäre ich noch Voll­zeit im Unter­richt, wäre es mir bestimmt so ergan­gen: „Bis zu den Som­mer­fe­ri­en schaf­fe ich das schon und danach geht es dann ja rela­tiv nor­mal mit dem Kohor­ten­sys­tem wei­ter. Man kann wie­der Arbei­ten schrei­ben, Noten ver­läss­lich geben (aber vie­le schö­ne Din­ge, die Schu­le aus­ma­chen fal­len auch im aller­bes­ten Fall weg …)“.

Was geschieht aber, wenn es so wei­ter­geht wie vor den Som­mer­fe­ri­en? Schu­le ist dann der ver­meint­li­chen rechts­si­che­ren Mög­lich­keit beraubt, Noten zu geben. Die Orga­ni­sa­ti­on von Prü­fun­gen wird kom­plex. Wie in der Fleisch­in­dus­trie: Man kann zu Noten und Bewer­tun­gen ste­hen, wie man möch­te: Der Weg­fall bzw. die Ein­schrän­kun­gen machen etwas mit Menschen.

Ich glau­be, es wird einen hohen Bedarf an Lösun­gen für die­ses Dilem­ma geben. Und es wird zuneh­mend Kolleg:innen geben, die Angst haben, weil sie gewohn­ter Arbeits­ab­läu­fe und Sicher­hei­ten beraubt sind, sich in ihren Struk­tu­ren(!) umstel­len müssen.

Als digi­ta­ler Kämp­fer habe ich mir lan­ge Zeit immer gedacht: Du musst nie­man­den ändern. Wer sich nicht ändert, wird von den Umstän­den des Kul­tur­wan­dels geän­dert. Aber ich habe dabei nicht an Coro­na gedacht, son­dern eher an zivil­ge­sell­schaft­li­che Impulse.

Im Twit­ter­leh­rer­zim­mer scheint immer alles so ein­fach und manch­mal schwarz und weiß. „Die Kri­se bie­tet Chan­cen der Schul­ent­wick­lung“ ist z.B. ein gän­gi­ger Satz. Objek­tiv ist das auch so. Aber die Welt funk­tio­niert so nicht. Nicht sach­lich, son­dern bald viel­leicht wesent­lich emo­tio­na­ler als uns lieb ist. Frank­furt, Opernplatz.

Schu­le wird auch nicht zurück­fal­len in alte Struk­tu­ren – zumin­dest bis zur Ent­wick­lung eines wirk­sa­men Impf­stoffs. Es wird wie­der und wie­der zumin­dest loka­le Impacts geben. Es ist nicht sicher, ob ich mei­ne Klas­sen­ar­beit schrei­ben kann. Die­ser Unsi­cher­heit kann man mit agi­lem Han­deln und Den­ken natür­lich begeg­nen, aber nicht ohne vor­he­ri­ge per­so­na­le Ent­wick­lungs­pro­zes­se. Schu­le an sich ist dafür nicht gebaut. Zudem ist das für Lehr­kräf­te noch­mal deut­lich leich­ter als für Schul­lei­tun­gen, die deut­lich mehr sys­te­mi­sche „Gegen­über“ haben (Eltern, Schul­be­hör­de, Lokal­po­li­tik, Gesund­heits­amt, Lehr­kräf­te, Schüler:innen, Gremien).

Ich grüb­le daher an Fort­bil­dun­gen mit ande­ren Inhal­ten her­um. FoBis zu alter­na­ti­ve Auf­ga­ben­for­ma­ten lau­fen mir regel­mä­ßig voll. Ich habe nie eine Fort­bil­dung 2x gege­ben – das war mir immer zu lang­wei­lig. Das wer­de ich ver­än­dern müssen.

Es wird m.E. drin­gend Fort­bil­dun­gen zum The­ma Bewer­tung und Beno­tung beim Distanz­ler­nen geben müs­sen. Nicht, weil das inhalt­lich so erstre­bens­wert ist, son­dern um viel­leicht auch läh­men­de Ängs­te bei man­chen Lehr­kräf­ten zu mil­dern. Angst ist das, was wir zur­zeit am wenigs­ten brau­chen können.

Ich mer­ke, dass ich den Fokus von Bera­tung mehr und mehr weg hin zu: „Ihr macht das am bes­ten jetzt so und so aus den und den Grün­den!“ ver­schie­be. Die Zeit des krea­ti­ven Ent­wi­ckelns kann wie­der in der Zeit der stei­gen­den Sicher­heit kom­men. Es gibt Kolleg:innen, die sowas hier weder hören noch lesen wol­len und auch durch­aus öffent­lich sehr sau­er reagieren.

Für Nie­der­sach­sen wird der August ein Schei­de­punkt. Nord­rhein-West­fa­len und Hes­sen „erpro­ben“ für uns, wie das mit dem Kohor­ten­sys­tem funk­tio­niert. Zumin­dest ist klar, dass wir in der letz­ten Feri­en­wo­che deut­lich mehr wis­sen wer­den als zu Beginn der Krise.

Sor­gen machen mir die gesell­schaft­li­chen Lang­zeit­aus­wir­kun­gen der Kri­se. Wirt­schaft­lich und Psy­cho­lo­gisch. In unser aller Umfeld wird es Betrof­fe­ne geben.

 

 

 

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