Luxusprobleme
Ich habe das vielleicht auf Dauer zweifelhafte Glück, schon seit eineinhalb Jahren keinen eigenen Unterricht mehr geben zu müssen – aber jederzeit zu können (ich war immerhin schon einmal an einer Grundschule und einer berufsbildenden Schule). Ich arbeite an einem fantastisch aufgestellten Medienzentrum. Mein Landkreis schafft gerade nahezu paradiesisch anmutende Ausstattungsszenarien:
- jede Schule hat die Möglichkeit, über Glasfaser mit einer Internetanbindung versorgt zu werden – bei manchen wird es aber schlicht an den Betriebskosten scheitern – die müssen dann hier meist mit einem „lumpigen DOCSIS3.1‑Vodafone-Anschluss“ vorlieb nehmen – immerhin auch 500–1000Mbit/s zumindest im Downstream. Vorerst ist es noch oft der alte T@School-Anschluss – zumindest bei kleinen Trägern.
- ich bin sehr guter Hoffnung, dass durch den Digitalpakt hier massiv in die digitale Infrastruktur von Schulen investiert wird. Allem Anschein nach werden alle Träger die Fördermittel maximal ausschöpfen. Gerade eben trudeln hier die ersten Bewilligungsbescheide aus den Kommunen ein, die auch wir dazu beraten haben.
- ich bin fest in der Beratung der meisten Träger eingebunden. Der Digitalpakt ist ein Türöffner in Gemeinden und Schulen, die für mich bisher unerreichbar waren.
- ich kann in Beratungen verschiedene Schulen – meist in einer Trägerschaft – bündeln und ganz nebenbei durch Aufgabenteilung die Vorteile des vernetzten Arbeitens (nicht primär mit Geräten, sondern mehr im Denken) zeigen oder zumindest ein zartes Saatkorn setzen.
- die Ausstattungen in den verschiedenen Trägerschaften sind durchaus unterschiedlich – manche sind viel weiter als andere. Aber allen ist sehr klar, dass Kompetenzen in einer digitalisierten Welt andere als vorher sind und ihr Vorhandensein ein immenser Standortfaktor ist: Nach langem Warten auch in der Grundschule.
- ich kann ganz unterschiedliche Fortbildungsformate erproben. Manches ist der schlichten Pragmatik geschuldet (Maik am iPad?), in manchem steckt viel Herzblut – z.B. durch den anstehenden vorsichtigen Aufbau der ersten Blended-Formate (Softwarebasis: DokuWiki + BigBlueButton). Was ich in diesem Bereich gemeinsam mit meinem Team mache, ist offen zugänglich. Die Nachfrage ist hoch. Ich kann mit Kolleg*innen arbeiten, die an ihren Schule heute Dinge bewegen und das ausschließlich.
- auf Landesebene kommt ganz viel zusammen, was zusammen gehört, z.B. Medienberatung, Schulentwicklungsberatung und Beratung für Unterrichtsqualität. Aus Namen werden Gesichter, in gemeinsamen Treffen entsteht Vertrauen über einstige Systemgrenzen hinweg, u.a. weil fulminante Vernetzer am Werk sind, z.B. dieser hier.
- ich habe Einblicke in nahezu jede in Niedersachsen denkbare Schulform
- ich kann mich im Prinzip zu beliebigen Themen in kurzer Zeit „aufladen“, weil ich Arbeitszeit recht frei gestalten kann.
Es läuft natürlich nicht alles glatt. Jeden Tag gibt es auch Enttäuschungen, Unsicherheiten, Fragen und hin und wieder sehr ernste Konflikte, die um Monate zurückwerfen. Ob z.B. in dem sehr integralem Teil der Organisation von Schulsupport Stabilität einkehrt, ist für mich immer wieder zweifelhaft. Aber es gibt einen unbedingten Willen auf Seiten der Träger und auch ein wenig „Kampfeslust“, über Spitzenverbände mit dem Land noch einmal ernst in Klausur über z.B. die künftige Kostenteilung zu gehen.
Ich bin auf sehr vielen unterschiedlichen Ebenen unterwegs. Meine Position ist sehr einzigartig. Ohne Unterricht fehlt aber auch etwas. Andererseits macht mich der zunehmend verlorengehende Kontakt zum Alltagsgeschäft auch produktiv abhängig: Wenn ich etwas erreichen will, muss ich viel zuhören, mich auf Meinungen derjenigen stützen, die nicht dermaßen privilegiert sind.
Ich glaube, dass ich mittlerweile gar nicht mehr ans Gymnasium gehöre. Herausfordernde Vielfalt gäbe es an einer berufsbildenden Schule – da sitzt schließlich die gesamte Gesellschaft. Oder auf eine Abordnung zu einer pädagogischen Hochschule hinarbeiten? Vielleicht in ein Ausbildungsseminar gehen? Wenn man einen Querschläger wie mich da haben will und überhaupt aushalten kann – die Medienberatung erträgt mich leidlich :o)… (und solange bleibe ich dort auch mit einem Großteil meiner Stunden). Alles Möglichkeiten, die andere Menschen vielleicht gar nicht haben oder für sich nicht sehen.
Über Weihnachten habe ich mir von unserer Medienethikerin (schaut unbedingt mal das Material ihres Arbeitskreises dazu an, z.B. hier und hier) eine Oculus Quest geliehen. Zwischen den Feiertagen wird es hier viel Spaß mit VR geben. Man muss ja schließlich über künftige potentielle Beratungsgegenstände informiert sein… Man sollte sich noch klar machen, dass die Sensorenphalanx dieses Gerätes wirklich fast alles an Bewegungs- und sonstigen Telemetriedaten mit hoher Präzision nach Hause zu Tante Google funkt.
Das nächste Medienzentrum-Bastelprojekt steht auch an: Alle Inhalte unseres Informatikprojektes neu didaktisieren und als fertigen Verleihkoffer anbieten: Allerdings – Calliope raus (super Gerät, aber nicht für Grundschule) und BlueBots rein – dann fällt viel zeitfressendes Gebastel für den gleichen Zweck weg.