Digitalpakt, Lobbyismus, Rolle des Staates und Erfahrungen vor Ort
Prolog
Eines vorweg: Ich bin bin weder Wissenschaftler, ich betreibe keine Beratungsagentur, ich habe vor dem Verfassen dieses Artikels nicht recherchiert und bin einer von diesen zu Beamten erzogenen Menschen ohne kreativen Kopf, der den Anschluss an die reale Welt verloren hat.
Wenn ich alle diese in den sozialen Medien hochgelobten und oft verlinkten und geliketen Artikel lese, ist mein erster Impuls, unglaublich wütend und rantig zu werden, obwohl Menschen wie ich natürlich mit den Vorwürfen nicht gemeint sind.
Mein zweiter Impuls ist, arrogant zu werden und all diesen Leuten mal zu sagen, welchen Schwachsinn sie verbreiten, weil ich derjenige bin, der die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, weil er an der „Basis der Digitalisierung“ arbeitet. Das ist ein Impuls. In Wahrheit gibt es sehr viele Schnittmengen zwischen mir und den Aussagen der Texte. Nur haben sie es nicht so dargestellt, wie ich es darstellen würde.
Ich bin Lehrer. Ich muss alles nochmal mit eigenen Worten sagen. Sonst geht mir keiner ab. Diese Eigenschaft wird vielen Lehrkräften zugeschrieben, aber nur auf wenige trifft es zu, z.B. auf mich.
Deswegen arbeite ich im Folgenden mit Glaubenssätzen und nicht mit wissenschaftlich fundierten Aussagen.
Glaubenssatz 1: Geld ist nicht das Problem
Wir leben in einem reichen Land und können spontan Auslandseinsätze und Rettungsschirme finanzieren, aber auch Hunderttausende von Menschen bei uns aufnehmen. Für die Schulen tun wir alles allenfalls ganz vorsichtig, weil diese keine Lobby haben und weil man sich Bildungspolitik in diesem Land die Finger verbrennt. Wahlen verliert.
Und die Finanzierung der Schulen ist komplex geregelt. Personal bezahlt das Land (aber nur das lehrende), Sachmittel die Kommune. Sage ich als Politker „Digitalisierung“, habe ich die kommunalen Spitzenverbände am Sack, weil die die Ausstattung dafür finanzieren müssen.
In dieser Struktur wird das nichts bzw. es wird nicht schnell genug irgendwas, aber an diese Struktur will auch keiner ran. Daran verbrennt man sich die Flossen. Daher stehen bestimmte Schulen (z.B. die in meinem Landkreis) viel, viel besser da als andere. Geld ist da, aber ungleich verteilt. Gleiche Verteilung bedeutet, dass Kommunen Autonomie aufgeben müssen. Wer kann das in einer Kommune wollen? Bei Bildung weiß doch jeder Bescheid.
Selbst wenn man das auf die Reihe bekommt: Dann hängt da halt erstmal Hardware. Warum sollte es dieser anders ergehen als den Sprachlaboren der 80er-Jahre?
Glaubensatz 2: Der Staat ist nicht konkurrenzfähig
Nehmen wir den Faden von Glaubenssatz 1 wieder auf und da hängt jetzt Hardware. Irgendwer muss das Zeugs ausschreiben, beschaffen, warten, inventarisieren, versichern usw.. Dafür braucht es Personal, Fachpersonal. Das fehlt aber schon in der Wirtschaft. Nur ist die nicht an Tarifverträge gebunden und zahlt mehr. Zudem muss man sich als explorativer, kreativer Geist dort nicht mit Verwaltungsverfahen, Rechnungsprüfungsämtern, europäischen Ausschreibungsgrenzen und ständig wechselndem Personal im Schulamt aus Angst vor Korruption auseinandersetzen.
Klar wähle ich dann als Systemadministrator mit Master die Exy-Stelle in der öffentlichen Verwaltung. Die Schulen prügeln mich, weil sich Prozesse ewig langziehen und das Rechnungsprüfungsamt prügelt mich, weil Formalia in der Ausschreibung nicht passen. Und außerdem weiß sowieso niemand so recht, wie man europaweit ausschreibt und man will eigentlich viel lieber stückeln, damit man beschränkt ausschreiben kann. Dann ist z.B. im Rahmen einer Medienentwicklungsplanung zwar Geld da, aber nützen tut es trotzdem nichts.
Glaubenssatz 3: Die Fachbetriebe wissen nicht, wo sie hingreifen sollen
Nehmen wir den Faden von Glaubenssatz 2 wieder auf und wir haben jetzt superduper Personal und die Ausschreibung ist rechtskonform gelaufen. Huch! Es gibt keine Angebote. Oder es dauert ewig und kostet Engelszungen. Wer als Fachbetrieb oder Systemhaus etwas kann, hat den Arsch voll mit Arbeit und Aufträgen. Warum soll ich als Elektroinstallationsbetrieb in einem Putzbau Schlitze kloppen, wenn ich in einem Rohbau in der gleichen Zeit meterweise Kabel an die Wand nageln kann? Warum soll ich mich als Systemhaus mit den Eigenheiten von Schulen auseinandersetzen, wenn mir in einer Firma ein it-versierter Mitarbeiter als Ansprechpartner während der Umsetzungsphase zur Verfügung steht?
Glaubenssatz 4: Haltungen sind das dickste Brett
Nehmen wir den Faden von Glaubenssatz 3 wieder auf, wir haben jetzt superduper Personal, die Ausschreibung ist rechtskonform gelaufen, die Hardware hängt und wird fachkundig gewartet.
Wenn es in dieser Reihenfolge läuft, ist es schon ganz falsch. Wer Schulen abgesehen von Internetanschluss, Schulserverlösung, Netzverkabelung, WLAN und Präsentationssystemen nicht von vornherein an Ausstattungsprozessen beteiligt, macht eh nichts richtig.
Und: Wer führt mit Kollegien Gespräche? Wer bildet fort? Wer zeigt Möglichkeiten auf, die realisierbar sind? Wer bringt Menschen auf Ideen und in den Flow? Wer arbeitet an Haltungen? Wer steuert in laufenden Prozessen ständig nach? Wer vernetzt Menschen? Wer behält den Überblick?
Fazit
Bei uns in der Gegend arbeiten wir ganz genau in diesen Spannungsfeldern. Mal verliert man dabei und mal gewinnen die anderen. Ich würde aus der Erfahrung der letzten Jahre genau eines nie tun: Behaupten zu wissen, wie man das alles auf die Reihe bekommt. Einiges klappt sehr gut, für einiges verhandeln wir Lösungen, anderes klappt noch überhaupt nicht. Jede Woche gibt es echte Tiefschläge, jede Woche gehen Dinge voran und lösen sich Knoten. Eine externe Beratungsagentur ist dabei ein relativ kleines Mosaiksteinchen, obwohl der Anspruch in bunten Werbeprospekte da oft ein anderer ist. Hier vor Ort gibt es Menschen und Betriebe mit viel Idealismus und sozialer Ader, aber auch einem Bewusstsein um die Wichtigkeit der Digitalisierung für den Standort.
Bundesweite Initiativen zum Coding oder die Forderungen nach Transparenz sind in diesem Kontext unglaublich lieb gemeint. Ebenso lieb gemeint ist die Idee, jede HIlfe von außen anzunehmen. In meinen Augen aber naiv-lieb.
Leider wird dadurch meist lediglich eines erreicht: Mehr Komplexität und einem ja ohnehin schon sehr einfachen Feld (s.o.). Die Arbeit fängt nach dem Politikerpressebild mit gestifteter Hardware an. Da sind dann aber regelmäßig alle von außen weg. Auch und gerade die Presse. Seltsam.