Offener Brief zum Arbeitszeitdebatte in Niedersachen
Haben wir einen sicheren Arbeitsplatz? Ja. Verdienen wir im europäischen Durchschnitt als Lehrpersonen gut: Ja. Gibt es unter uns Menschen, die ihre Arbeit schlecht machen: Ja. Haben wir viel Urlaub. Ja (wenn wir unsere Arbeit schlecht machen). Ist das Stundendeputat von Gymnasiallehrerinnen und ‑lehrern auch nach der Erhöhung eines der niedrigsten bundesweit? Ja. […]
Erste für mich spannende Frage: Wie viele unserer Privilegien müssen abgebaut sein, damit Protestformen von Lehrkräften öffentlich als legitim wahrgenommen werden?
Vor mehr als zehn Jahren haben meine Verbände eine Vereinbarung mit meinem Dienstherren getroffen:
„Alle unsere Mitglieder arbeiten zwei Stunden mehr und bekommen sie zu einem Stichtag dann wieder vergütet. In der Vergütungsphase gibt es keine Arbeitszeiterhöhungen.“
Wir sind jetzt in der Vergütungsphase, die sich durch die Einführung des heute schon wieder obsoleten G8-Einführung bereits nach hinten verschoben hat.
Ich bin ein „junger“ Lehrer mit meinen 40 Lenzen und bekomme durch die Arbeitszeiterhöhung netto noch eine Stunde zurück. Mir gegenüber sitzt ein „alter“ Lehrer, der durch die Streichung der Altersermäßigung in der Vergütungsphase jetzt bis zu drei Stunden mehr arbeiten muss, also im Extremfall eine Stunde drauflegt. Ich denke, dass wir beide unsere Arbeit gut machen.
Möglich wird das rechtlich dadurch, dass die damalige Vereinbarung auf Basis einer Verordnung und nicht eines Vertrages umgesetzt worden ist – dazu gehörte m.E. viel Vertrauen seitens der Verbände.
Ich rede nicht von einer Unterrichtsstunde. Die „Unsitte“ der unbezahlten Überstunden gibt es in anderen Arbeitsbereichen schließlich auch. Ich finde es wichtig, dass eine Vereinbarung eine Vereinbarung ist.
Das gibt mir die Sicherheit, mit meinem Dienstherren auf lange Sicht vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können. Dieses Vertrauen trägt zu meiner Zufriedenheit mit meinem Beruf bei.
Ich habe jetzt Angst: Was ist, wenn mein Dienstherr weitere Reformen, etwa die in meinen Augen überfällige und wichtige Inklusion ähnlich restriktiv und rasch umsetzt, weil er ja aus der Lehrerschaft keinen nennenswerten Widerstand zu erwarten hat?
Immerhin gibt es ja bei uns Beamten keine zulässigen Arbeitskampfmittel wie z.B. ein Streikrecht. Deswegen bin ich in einer besonderen Abhängigkeit zu meinem Dienstherrn und deswegen hat dieser das Gebot der sogenannten Fürsorgepflicht.
Machen wir also jetzt genau das, was Dienstherr, Eltern, Schülerinnen und Schüler sich wünschen: Nichts. Streichen wir keine Klassenfahrten, Exkursionen, AGs, belassen wir es bei Appellen, Leserbriefen, Menschenketten außerhalb der Dienstzeit und des Schulgeländes. Oder: Arbeiten wir einfach mehr.
Davon profitieren wir alle: Wir Lehrkräfte machen uns nicht unbeliebt, der Arbeitskampf tut niemandem weh, wir handeln als Pädagogen.
Wie wird sich diese Haltung auf Dauer auf Schulqualität, Zufriedenheit mit dem Beruf, die personelle Ausstattung von Schulen und die Attraktivität meines heißgeliebten Berufs für engagierte junge Menschen auswirken?
Diese Frage finde ich deswegen spannend, weil mir die mir künftig anvertrauten Menschen heute schon am Herzen liegen. Übrigens aus purem Eigennutz. Ich habe Kinder.