Was bedeutet für mich Bildung?
Ich komme selten dazu, schlaue geisteswissenschaftliche Abhandlung zum Bildungsbegriff zu lesen. Ich kann mich nicht mit großem, fundiertem Wissen zu Bildungstheorien anderer schlauer Leute schmücken. Aber neulich kam mir ein Gedanke für eine Analogie, die meinen persönlichen, völlig unwissenschaftlichen Bildungsbegriff recht gut beschreibt, der sich aus privaten und beruflichen Quellen speist. Ich schaue dabei immer wieder auf meine Bildungshistorie und vor allem auf die Rolle von Schule und Universität.
Bildung hat für mich zwei wesentliche Komponenten. Struktur und Inhalte. Ich sehe diese beiden Komponenten einzeln als völlig wertlos an. Sieht man das Verhältnis zwischen beiden als dichotomisch an, so wird ein Schuh daraus.
Das ist ähnlich wie ein Lager (Struktur) mit Paketen (Inhalte). In einem Lager befinden sich Regale. Vielleicht fahren da auch Roboter hin und her, die von einem komplizierten Steuerungssystem betrieben werden. Vielleicht machen das Menschen – wir haben hier vor Ort einen Laden, bei dem man beim ersten Hinsehen nicht vermuten könnte, dass es eine Struktur gibt – aber sie ist vorhanden (und ermöglicht sogar das Auffinden eines Känguruh-Halfters nach Jahrzehnten). Unnötig zu erwähnen, dass dieser Laden ohne einen Internetauftritt auskommt.
In jedem Lager befinden sich Pakete, die innerhalb der Struktur einen Platz besitzen und meist auch irgendwann eine Funktion erfüllen. Wenn es keine Pakete gibt, ist der Betrieb des Lagers als Selbstzweck irgendwie doof. Wenn es keine Lagerstrukturen gibt, wird es mit der Verwertbarkeit der Pakete schnell schwierig. Lager und Pakete gehören also zusammen wie die zwei Seiten eines Blatts Papier – ein dichotomisches Verhältnis.
Ein modernes Lager organisiert sich heutzutage übrigens immer neu, besitzt also im Prinzip wenig feststehende Strukturen. Einzelne Pakete oder „Wissensartefakte“ sind da weniger dynamisch – wobei es natürlich immer auf das Wissensgebiet ankommt.
Beispiele für Strukturerwerb
Ich habe früher mal Jugendarbeit gemacht, unter anderem auch Freizeitarbeit. Ich war in einem Jahr der Älteste und Erfahrenste in einem Team. Wenn es Regeln durchzusetzen galt, musste ich das machen. Ich hatte nach einer Woche das Gefühl, bei den Teilnehmenden völlig unten durch zu sein. In der abendlichen Reflexion mit anderen Teamern gab es dann eine interessante Hypothese: Die Teilnehmer hassten nicht mich, sondern das was ich tat. Ob es so war, weiß ich nicht. Ich habe in der Situation jedoch den Unterschied zwischen Rolle und Person begriffen und konnte diese Struktur dann später in mein „Lager“ als gundlegende Organisationsform integrieren. Sie hilft mir heute in meiner Tätigkeit als Lehrkraft wie auch in Beratungsprozessen – man kann vor dieser Folie Verhalten anders einordnen.
Weiterhin gibt es in der Chemie ein didaktisches Konzept namens „Donator-/Akzeptorprinzip“. Die grundsätzliche Struktur dabei ist, dass Teilchen von A nach B übertragen werden. Man kann mit diesem Konzept schon sehr früh beginnen. Im Laufe des Chemieunterrichts ändert sich eigentlich „nur“, dass der Aufbau von A, B und dem Teilchen immer komplizierter wird. Das Prinzip bzw. die Struktur „Donator/Akzeptor“ bleibt jedoch. Ohne diese Struktur müsste man jedes Paket einzeln in ein Regal tragen und würde gar nicht sehen, dass man sie ggf. platzsparend ineinanderstapeln kann und damit Mengen an intellektueller Kapazität blockieren.
Beispiele für den Paketerwerb
Es gibt manchmal die Situation, dass man bestimmte Pakete braucht bzw. besitzen muss, um die Notwendigkeit zu sehen, dass diese gelagert werden müssen oder um überhaupt einer Lagerungsstruktur entwickeln zu können.
Vokabeln einer Fremdsprache sind für mich so ein Beispiel. Wenn ich sie nicht kenne (erwerben kann ich sie freilich recht unterschiedlich), wird es mir schwerfallen, die Struktur einer Sprache zu erfassen. Der Spracherwerb von Kindern erfolgt ja oft über Worte, die dann in eine zu begreifende Struktur (Grammatik einer Sprache) zu integrieren sind, damit Kommunikation gelingt. Ob man eine Fremdsprache durch andere Unterrichtsformen erlernen kann, wird gerade hier in Niedersachsen durch ein neues Kerncurriculum Englisch ausprobiert. Im Prinzip versucht dieses so zu tun, als würde der Spracherwerb wie bei einem native Speaker erfolgen können – allerdings in Deutschland. Mal sehen, ob es klappt.
Ich mochte Geschichte als Schüler nie, bemerke aber, dass ich einzelne Wissenspakete jetzt in eine Verbindung bringen, d.h. Strukturen mit Hilfe vorhandener Inhalte aufbauen kann, von denen ich lange Zeit nicht wusste, wo ich sie im Lager hinstellen sollte. Die Pakete waren zur Schulzeit also vollkommen sinnfrei und haben irgendwo in einer Ecke des Lagers gestanden, wo sie verstaubt sind. Dass sie einmal wichtig werden würden, wusste ich damals nicht. Leider ist es schwer vorauszusehen, für welche Pakete das im Leben eines Menschen gelten wird. Daher beruht soetwas wie „Bildungskanon“ im Grunde auf einer breit gestreuten Spekulation.
Auseinandersetzungen um die „richtige“ Art von Bildung
Grob gesprochen gibt es für mich in der Bildungsdiskussion zwei Pole: Den der Inhalte und den der Strukturen. Streit gibt es oft darüber, wie man sich „richtig“ zwischen den Polen positioniert.
Extremposition 1:
Pakete, die man vorgesetzt bekommt, entspringen dem industriellen Zeitalter. Pakete sucht man sich selbst und baut damit seinen eigenen Strukturen. Eigentlich sind primär die Strukturen wichtig, da es eh viel zu viele Pakete in der Wissensgesellschaft gibt und zum anderen am Anfang der Schulzeit noch gar nicht klar sei kann, welche Pakete man später mal finden und ausliefern muss. Pakete liegen heute eh alle fertig in Digitalien herum. Finden und auspacken reicht eigentlich auch schon.
Extremposition 2:
Wenn man nie ein vorstrukturiertes Lager gesehen hat, bei dem man genötigt wurde, Pakete an vorgegebene Plätze zu stellen, d.h. wenn man nie ein Beispiel für ein Lager gesehen und erlebt hat, wird man kein eigenes Lager bauen können. Lehrjahre sind kein Herrenjahre. Und es gibt Menschen, die eben wissen, was gut und recht ist und was ein Staatsbürger eben so können muss. Das vorgebene Lager kann ja dann als Referenz- und Bezugspunkt für das eigene Lager dienen. Und wenn ich alle Pakete in Digitalien erst suchen muss, werde ich nicht effizient arbeiten können oder Strukturen entwickeln, die nicht effizient sind und intellektuelle Kapazitäten blockieren.
Zwischenfragen
- Es gibt Lageranordnungen, die sinnvoll und effzient sind, um möglichst viele Pakete in kurzer Zeit strukturiert abzulegen und abrufen zu können. Es gibt dazu bestimmt auch Alternativen, z.B. kann man klassisch schriftlich Multiplizieren oder eben auch ganz anders. Wann ist die eigene Suche nach Strukturen weniger effizient als die Adaption vorhandener?
- Das verfügbare Wissen der Welt wächst exponentiell. Der Anspruch, möglichst das für das eigene Leben relevante Wissen im Rahmen eines vorgegebenen Bildungskanons zu erwerben ist ein härer, kaum zu bewältigender. Wann ist die Aussage „Man kann nicht alles wissen!“ korrekt und wann negiert sie, dass es Strukturen gibt, auf denen sich Wissen besser oder schlechter aufbauen lässt?
Aktuell
Aktuell wird diskutiert, inwieweit Informatik ein Bestandteil von Unterricht sein sollte wie etwa Chemie, Physik oder Biologie, Die Gegner sagen: „Es will ja nicht jeder Computernerd werden!“ – Ich sage: „Soso. Aber jeder will Chemiker, Physiker oder Biologe werden!“ Nebenbei nehme ich wahr – wahrscheinlich als einziger – das die Informationstechnologie zunehmend unseren Alltag bestimmt, wir aber immer weniger von den zugrundeliegenden Strukturen wissen.
Wenn ein Kind keine Eiche mehr erkennt, ist das schade. Wenn ganze Gesellschaften unreflektiert informationstechnische Systeme bedienen, von deren Funktion oft das Leben abhängt, ist das völlig selbstverständlich. Das Wissen über diese Strukturen braucht keiner, weil es mühsam und belastend ist – über Chemie höre ich übrigens in der Rückschau ehemaliger Schüler mit entsprechender Chemielehrerbiographie gleiches.
Man könnte ja auch anders argumentieren: Weil informationstechnische Systeme unseren Alltag ebenso wie biologische, physikalische oder chemische Prozesse bestimmen, wäre eine Einführung in grundlegende Strukturen so doof nicht. Informatik – obwohl nicht „mein“ Fach – ist eine Wissenschaft rund um die Strukturen informationstechnischer Systeme. Programme und Hardware braucht man, um darüber etwas zu lernen. Sie sind aber austauschbare Pakete.
Weiterhin ist das „Projektlernen“ zurzeit ein neuer pädagogischer Modebegriff: Schülerinnen und Schüler suchen sich hier ihre Pakete und Strukturen selbst. Ich habe mit dem Projektlernen in der Regel nur dann sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn bestimmte Strukturen bereits vorhanden waren. Dazu gehören fachliche, methodische Strukturen aber auch Persönlichkeitsmerkmale, die für das gewählte Projekt oder Thema dann konstituierend sind.
Fazit
Inhalt und Struktur gehen immer Hand in Hand. In der Diskussion um „gute Bildung“ wird mir momentan zu sehr polarisiert.
Zum Weiterdenken und ‑lesen
Zufällig arbeitet Jean-Pol Martin zurzeit an einem recht ähnlichen Gedanken mit jedoch etwas verschobenem Fokus, indem er – um in meinem Bild zu bleiben – die erfolgreiche Integration von Paketen in eine Lagerstruktur sogar mit glücksbringenden Erfahrungen assoziiert – der Prozess der Einordnung („Konzeptualisierung“) als sinnstiftendes Moment unseres Lebens.
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Schöne, möglicherweise nützliche Analogie. Ich vermisse allerdings Aussagen zu den Inhalten der Pakete. Für Extremposition 1 scheinst du mir zu sagen, dass der Inhalt selbstgewählt sein muss und auch das Ablagesyste, in Extremposition 2 scheint es mir vor allem um das Verwenden vorgegebener Strukturen zu gehen – die Sortierung steht im Vordergrund und nicht der Paketinhalt. Meinst du das so? Ich würde da nicht nur von vorgegebenen Plätzen, sondern eher von vorgegebenen Paketen sprechen, oder missverstehe ich das?
>Wann ist die eigene Suche nach Strukturen weniger effizient als die Adaption vorhandener?
Wenn die Adaption nicht gelingt. Sonst sehe ich keinen Vorteil in alternativen Multiplikationsverfahren – abgesehen davon, dass es immer besser ist, mehrere Verfahren zu kennen, aber darum geht es ja nicht.
>Das verfügbare Wissen der Welt wächst exponentiell.
Und das tut es übrigens schon seit sehr langer Zeit.
>Wann ist die Aussage “Man kann nicht alles wissen!†korrekt
Immer. (Ich neige dazu, bildhafte Sprache in Sachtexten wörtlich zu nehmen.)
>und wann negiert sie, dass es Strukturen gibt, auf denen sich Wissen besser oder schlechter aufbauen lässt?
Immer. („Besser oder schlechter“ für ausnahmslos 100% aller Lernenden oder für einen davon abweichenden hohen Prozentsatz? Ersteres nicht, das stimmt, aber das sollte uns nicht ernsthaft kümmern. Zweiteres: Sehr wahrscheinlich, aber da kann man diskutieren.)
@Herr Rau
„in Extremposition 2 scheint es mir vor allem um das Verwenden vorgegebener Strukturen zu gehen – die Sortierung steht im Vordergrund und nicht der Paketinhalt. Meinst du das so? Ich würde da nicht nur von vorgegebenen Plätzen, sondern eher von vorgegebenen Paketen sprechen, oder missverstehe ich das?“
Modelle haben ja immer ihre Grenzen und bilden Komplexität nicht vollständig ab :o)… Ja, im Extremfall werden die Regale tatsächlich mit vorgebenen Paketen bestückt, was aber auch mit der „aufgezwungenen“ Struktur wechselwirkt. Ein „Adjektiv im prädikativen Gebrauch“ (= Paket) könnte in einer anderen Grammatik (= Struktur) eben anders heißen und funktional anders betrachtet werden. Weiterhin fallen mir noch strukturale oder hermeneutische Interpretationsansätze ein. Die Naturwissenschaften haben es da etwas leichter – klar können sich in Informatik oder Physik auch fundamentale Annahmen mal als falsch erweisen, aber die Halbwertszeit selbiger scheint mir weitaus größer zu sein als bei Begriffen in den Geisteswissenschaften.
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Für mich ist Bildung etwas anderes (dazu unten ein paar wenige Worte), aber zur Erklärung, welche Rolle Struktur und Inhalt für das Lernen haben, ist der Text sehr anschaulich. […]
Herzlichen Dank Maik, dass du mir so anschaulich Lernen erläutert hast!
http://fontanefan.blogspot.de/2013/06/worauf-kommt-es-beim-lernen-an.html
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Modelle haben ihre Grenzen, aber der Inhalt ist für mich bei Extremposition 1 doch zentral: Hauptsache, du hast die selbstgewählten Paketen nach einem eigenen (schönen, komplexen, selbstständigen, effektiven) System verteilt, auch wenn nur heiße Luft in den Paketen ist. Denn wer kann schon sagen, welches Wissen in Zukunft relevant sein wird; vielleicht ist gerade heiße Luft dann der Renner.
Und ja, da da nehme ich die exakten Wissenschaften ernster.
Fußnote: Cartoon dazuu http://abstrusegoose.com/511
In Mathe und Informatik gibt es in der Didaktik tatsächlich das Konzept der Fundamentalen Ideen. Selbst die cutting edge Physikdidaktik treibt es da umstritten bunt, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Karlsruher_Physikkurs
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Das ist eine lustige Idee! Kann ich mir gut Ls Trickfilm oder Comic vorstellen, mit all den Missverstândnissen, zur fals hen Zeit am falschen Ort ausgepackten Pâckchen, den fehlplazierten, den durcheinander geratenen – und den eher windigen Regalen neben den festgemauerten Grundgesetz-Ecken und den rasenden Wissenspaketgabelstaplern und Beinahe-Unfällen und Versuchen von brüllenden Kontrollinstanzen, die Meta-Regeln einführen wollen – das ganze schöne Chaos :-)))
Das Interessante an der Frage, was Bildung bedeutet, ist eine die Doppeldeutigkeit der hier diskutierten Interpretation.
Wenn wir uns auf eine Diskussion darüber einlassen wollen, dann benötigen so etwas wie eine Zielvorgabe, die wir vermutlich, dem Lagermodell zufolge, von Zeit zu Zeit überdenken sollten.
Für mich ist eines der Ziele, das für mich oberste Priorität hat, mündige Bürger zu erziehen. Diese sollten fähig sein, selbständig zu denken, zu argumentieren und zu handeln, sprich sich zu entscheiden.
Sie sollten einen Überblick über unsere Kultur und Geschichte bekommen und gemäss ihren Interessen vertieft gefördert werden.
Latein wäre in diesem Konzept für mich keine Notwendigkeit, zumindest nicht in der aktuell gepflegten Wahnhaftigkeit an manchen bayerischen Gymnasien, jedoch ein klarer Teil unserer europäischen Kulturgeschichte.
Informatik halte ich tatsächlich für mindestens ebenso wichtig wie Latein.
Deshalb würde ich die Päckchengrösse der beiden Fächer verändern. An vielen Schulen ist dieses lateinische Päckchen sowieso in einem der hinteren Plätze verstaut.
Das Abendland ist deshalb noch nicht untergegangen.
Anderes sollte realitätsnaher vermittelt werden. Chemie im Alltag und die Physik der aktuellen Lebenswelt würden diese Ziele bestimmt nachhaltiger vermitteln, als viele aktuelle und blutleere Lehrplanerfüllungsversuche der Schulen.
Auch Politik und Wirtschaft sollten präsenter im Schulalltag wahrgenommen und diskutiert werden.
Dass im Angesicht einer globalen Finanzkrise, zumindest an bayerischen Schulen, eine absolut lebensfremde und merkwürdig sektiererische Selektion von Schülern stattfindet, statt einen möglichst hohen Anteil an mündigen Bürgern heranzubilden, das erstaunt mich täglich.
Und dass dies dann noch mit dem Begriff Bildung verknüpft wird, das macht mich weinend. °schnüff°.
Und gleichzeitig jammern unsere Kollegen, dass sie sich nicht von der “Wirtschaftâ€, im Ausverkauf der Bildung, vereinnahmen wollen lassen. °schnüff, schnüff°.
@Jo
Ich bin ganz bewusst bei diesem Modell nicht in Richtung „Werte“ gegangen, weil die Diskussion in diesem Bereich nach meinem Erleben selten zu etwas führt. Noch ketzerischer: Wenn der Prozess des Wissenserwerbs für den Einzelnen mehr mit Sinn gefüllt ist, besteht vielleicht die Chance auf etwas zufriedenere und wachere Menschen, was ggf. das eine oder andere nach sich zieht.
Seitenhieb:
Chemie und Alltag kenne ich als Konzept nicht. ChiK (Chemie im Kontext) geht in diese Altagsrichtung und ist für mich ein Beispiel, wie man kurzfristig SuS motivieren kann, weil eine simple Lagerstruktur vorgegaukelt wird, die bei kritischen Nachfragen aber sofort zusammenfällt – langfristig ist das Ergebnis dann das Gleiche wie bei klassischen Ansatz :o)…
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@Maik: Ich bin froh, dass ich diesen Artikel mal verlinkt habe, und Maik sehr dankbar für sein Modell.
Bei ihm ist das Lager ja so sinnhaft geordnet wie bei einem Standortkatalog einer Seminarbibliothek und nicht wie dem eine Uni-Bibliothek, wo die Inhalte nach Eingangsdatum eingeordnet werden und das Finden über den zentralen Katalog geschieht, wie es bei computergesteuerter Suche bei großen Lagern wie etwa bei Amazon geschieht.
Dass bei künstlicher Intelligenz mit Hilfe von Big Data sinnhafte Ordnung über Statistik hergestellt werden kann, dass dabei aber das Kriterium der „Wahrheit“ oder „Echtheit“ der Inhalte eine untergeordnete Rolle spielt und warum das geschieht, war 2013 nicht interessant, dürfte aber für Informatiker eine interessante Frage sein, die beim Sammeln und Abrufen der Informationen einmal eine zentrale Rolle spielen wird.
Dazu jetzt der Kommentar eines Informatikers:
Die Unterscheidung zwischen Struktur und Inhalt beim Lernen finde ich auch eine nützliche Idee.
So erinnere ich mich an Statistik-Vorlesungen. Da stellte der Professor eine stochastische Verteilung nach der anderen vor, und ich hatte keine Ahnung, welchen Zweck das eigentlich haben sollte. Später, nachdem ich in mehr Kontexten mit praktischen Anwendungen für Statistik in Kontakt gekommen war, konnte ich endlich einordnen, warum mich die frühere Vorlesung hätte interessieren sollen – da wäre ich dann gerne zurückgegangen und hätte sie mir dann noch mal angehört. Aber da war es zu spät – wir hatten die Inhalte vor der Struktur behandelt, und deswegen hatte ich die Inhalte nirgends ablegen können.
Interessanterweise kann man bei der KI vordergründig nicht wirklich benennen, wo sie Inhalte lernt und wo sie Struktur lernt (jedenfalls soweit ich das beurteilen kann). Alles wird irgendwo in den Gewichten des neuronalen Modells abgelegt. Ob und wie das Modell zwischen Struktur und Inhalt unterscheidet, ist dann eine emergente Eigenschaft des Systems; und diese emergenten Eigenschaften von KI-Systemen zu verstehen, damit tut sich die Forschung noch sehr schwer, soweit ich weiß. Ähnlich ist es übrigens auch, soweit ich weiß, beim Gehirn und dem natürlichen Lernen.
Das Ganze erinnert mich an die Figur „Tante Kolonia“ (englisch „Aunt Hilary“) aus Gödel, Escher, Bach, eine Ameisenkolonie, die Intelligenz und Bewusstsein hat und sich mit den anderen Figuren aus dem Buch „unterhält“, indem sie bestimmte Muster im Ameisengewirr erscheinen lässt. Die Tatsache, dass Tante Kolonia ein Bewusstsein hat, ist wiederum eine emergente Eigenschaft, die sich nicht auf der Ebene einer einzelnen Ameise erklären lässt. Tante Kolonia selbst interessiert sich wenig für Ameisen, und die anderen Figuren im Buch sind etwas schockiert darüber, dass sie mit einem Ameisenbären befreundet ist und es ihm sogar immer wieder gestattet, von den Ameisen ihrer Kolonie zu naschen.
Sprachmodelle sind statistische Modelle, die Wahrscheinlichkeiten halten, in welcher Reihenfolge Worte oder Satzteile aufeinander folgen. Diese Wahrscheinlichkeiten bilden sich durch Feedbackschleifen – z.B. auf Basis vorhandener Texte oder durch Bewertung von Menschen. Die bestehenden Wahrscheinlichkeiten können durch Eingabemuster (aka „Prompts“) modifiziert und überschrieben werden. Die Verbindung zum Gehirn liegt nahe, könnte aber letztlich verfehlt sein, weil die Eingabemuster (z.B. durch Sinnesorgane) hier deutlich komplexer und vor allem situativer sind. Bei der Wiedergabe eines Vortrags kann dieser z.B. durch Publikumsreaktionen live modifiziert werden, das kann ein Sprachmodell nicht – da muss das Eingabemuster allein herhalten. Es gibt in Sprachmodellen eine vermutete Struktur, jedoch keine Beziehung zu den darin gespeicherten Inhalten.