Wasmanie
Ausgangssituation:
Vor dem Haus liegt ein Stapel mit Trockenestrichplatten. Es handelt sich um 60 Stück mit je einem Gewicht von ca. 28kg mit einem Maß von 50x150cm. Die Aufgabe besteht darin, mit diesen Platten auf dem Dachboden den Grundaufbau für einen Fußboden zu schaffen.
Gruppe 1 – Lehrer und Bildungsforscher
Die Gruppe trifft sich zunächst zu einer ausführlichen Besprechung beim Stapel. Nach Konsultation der vollständigen Verlegeanleitung wird ein einzelnes Element zunächst genau inspiziert. Dabei stellen sich folgende Sachverhalte heraus, die in einem Etherpad kollaborativ deskribiert werden.
- Die Styropordämmung neigt dazu abzubrechen und muss mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Keinesfall darf die Platte auf dieser schwachen Kante abgesetzt oder belastet werden.
- Die überstehende Fermacellkante auf der anderen Seite neigt insbesondere an der Ecke dazu, leicht abzubrechen. Folgerichtig zeigen sich auch bereits an einigen Platten erste Schäden bei Anlieferung. Diese snd zunächst einmal beim Lieferanten zu reklamieren.
- Das Gewicht einer Platte ist so groß, dass ein bei falscher Tragetechnik potentiell zu Rückenschäden kommen kann. Demnach müssen Richtlinien und Leitsätze für den Transport der Platten ins Dachgeschoss erarbeitet werden.
- Der Gips ist nur durch Fasern gebunden. Daher muss eine entsprechende Kleidung bei der Verarbeitung getragen werden, bei der Verschmutzungen zu vernachlässigbar sind.
- Bei der Berufgenossenschaft Bau muss ein Gutachten eingeholt werden, der Transport über die enge Bodentreppe überhaupt rechtlich möglich ist.
- Es wird festgehalten, dass der Transport von Bodenestrichelementen völlig neue Kompetenzen und einen völlig neues Selbstverständnis aller beteiligten Berufsgruppen erfordert.
Die Gruppe beschließt angesicht des noch offenen Fragen weitere Diskussionrunden und Treffen. Aufgaben werden in der Gruppe paritätisch verteilt. Weiterhin gilt es, eine Perspektive für die Zukunft zu formulieren: Auch beim Verlegen der Platten bleiben trotz der Anleitung immer noch Fragen offen.
Gruppe 2 – Handwerker
Die Handwerker tragen zunächst einmal kollaborativ alle Platten auf den Dachboden. Dabei geht teilweise die Stypordämmung flöten und einige Kanten brechen ab. Durch den beim Verlegen notwendigen Versatz können solche Platten trotzdem verwendet werden. Außerdem hat der Lieferant sowieso einige Platten mehr angeliefert als ursprünglich bestellt waren – das geübte Auge der Handwerker hat das bereits unten vor dem Haus erfasst. Beim Verlegen geht einiges schief, aber nach zwei, drei Bahnen ist das Team eingespielt. Die Verlegeanleitung wurde nur kurz konsultiert, um die Dosierung des Klebers nachzuschlagen – die muss aber ohnehin je nach Verlegeort etwas variiert werden.
Ergebnis nach einem Tag Arbeit:
Die Platten von Gruppe 1 liege immer noch vor dem Haus und werden immer Nacht durch einen kräftigen Schlagregen für die weitere Verwendung unbrauchbar, sodass aus der Gruppe auch niemand mehr Lust hat, die Sache zu einem Ende zu bringen. Die Gruppe hat das Gefühl, wertvolle Arbeit geleistet zu haben, aber letztlich an widrigen Umständen gescheitert zu sein. Der Hausherr tobt derweil.
Die Platten von Gruppe 2 sind noch am selben Abend verlegt – es gibt natürlich einige blaue Flecken und etwas Dreck im Haus. Dem einen oder anderen tut auch der Rücken etwas weh. Die Gruppe hat das Gefühl, wertvolle Arbeit geleistet zu haben und erfreut sich bei der Begehung des Dachbodens an einem Feierabendbier. Hausflur und Treppe liegen voll von Styroporkugeln und zertretenen Plattenresten. Der Hausherr fährt zur Tanke, um Nachschub zu holen und putzt am nächsten Morgen froh die Wohnung.
Wasmanie
Wie viel Aktionen im Netz beschäftigen sich mit der Frage, was man denn tun soll. Über dieses „Was“ gibt es vernetzten Austausch an allen Orten und Kanten. Das ist schön und das ist wertvoll. Aber dadurch allein kommt keine Platte auf den Dachboden. Seit Jahren höre ich die immer gleichen Positionen, nehme das verhohlene Warten darauf wahr, dass endlich jemand einmal die Platten hochträgt.
- Darf man das?
- Gibt es nicht auch Alternativen?
- Ist das schon zu Ende gedacht?
- Ist das jetzt so auch richtig?
- …
Alles ohne Zweifel wichtige Fragen. Mein „spezieller Freund“ Günther Dueck hat sinngemäß etwas Wahres gesagt:
Die, die medientechnisch vorweglaufen, haben nicht die Aufgabe, immer weiter davonzueilen, sondern sich umzuschauen zu den anderen, sie mitzunehmen.
Sascha Lobo hält der Web2.0‑Gemeinde auf der re:publica11 sinngemäß vor, in ihrem selbstreflexiven Metageseier zu ersticken, sich wohl zu fühlen in einem Meer gegenseitiger Selbstbestätigung und er wird dafür beklatscht.
Für mich kommen mehr und mehr Zweifel daran auf, wie lange mich persönlich mein wasmatisches Metageseier noch tragen wird. Ich bekomme mit den Jahren mehr und mehr Feierabendbierdurst. Dementsprechend wird sich bei mir in nächster Zeit mein Instrumentarium neu justieren.