Resistance is futile (Widerstand ist zwecklos) – Teil 2

Im ers­ten Arti­kel die­se Rei­he habe ich den Ste­reo­typ „Leh­rer“ bespro­chen, der dem Sys­tem maxi­mal aus­weicht, um die eige­ne Arbeit im, aber auch die eige­ne Anteil­nah­me am Sys­tem Schu­le im Sin­ne eines Selbst­schut­zes zu mini­mie­ren. Heu­te geht es um einen zwei­ten Ste­reo­typ, dem „inno­va­tiv Engagierten“.

Ste­reo­typ II

Das Sys­tem Schu­le bie­tet unend­li­che Frei­räu­me, wenn die for­ma­len Aspek­te berück­sich­tigt sind. Was hin­ter der Klas­sen­raum­tür geschieht, ist fast egal, wenn sich der nach­fol­gen­de Kol­le­ge in der Klas­se nicht beschwert, was in der Schu­le einem rie­sen­gro­ßen Lob ent­spricht. Hier ist man also „unbe­auf­sich­tigt“ und kann die­sen Frei­raum krea­tiv sei­nen Ansprü­chen ent­spre­chend gestal­ten, was bestimmt eine Men­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auch tun. Natür­lich hält man sich dabei nicht immer an die inhalt­li­chen und metho­di­schen Vor­ga­ben der Cur­ri­cu­la, weil sie eh sel­ten durch Kon­ti­nui­tät gekenn­zeich­net sind. Auch das ist eine Form des inne­ren Wider­stands gegen ein Sys­tem, wel­ches zuneh­mend in die­se Fre­ir­räu­me ein­grei­fen möch­te. Auch die­se Form des Wider­stands mag dadurch vor dem eige­nen Selbst legi­ti­miert sein, dass man den Dienst­herrn in sei­nen Hand­lun­gen als illoy­al emp­fin­det und die SuS qua­si „beschüt­zen“ oder ihnen zumin­dest eine ande­re Welt zei­gen möch­te – recht idea­lis­tisch also. Mit die­ser Hal­tung erlebt man viel Bestä­ti­gung – direkt von SuS, indi­rekt durch Eltern. Ich hal­te die­se Ein­stel­lung zusätz­lich für pro­duk­ti­ver und lang­fris­tig gesund­heits­för­dern­der, wenn man die Balan­ce zwi­schen gesun­dem Idea­lis­mus und Selbst­aus­beu­tung zu fin­den ver­mag. Der­ar­ti­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wün­schen sich bestimmt Kul­tus­po­li­ti­ker, wün­schen sich Eltern, wünscht sich eine Schul­lei­tung – min­des­tens dann, wenn auch etwas Vor­zeig­ba­res für die Öffent­lich­keit dabei her­aus­kommt, wenigs­ten ab und zu. Sol­che Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sind für mich sehr oft Aus­druck, Erschei­nungs­for­men von dem, was man „Schul­geist“ nen­nen könn­te. Die ent­schei­den­de Fra­ge ist, ob die­se Form des „Wider­stands“ gegen bzw. bes­ser „Umgangs“ mit dem Sys­tem Schu­le pro­duk­tiv im Sin­ne einer Trans­for­ma­ti­on ist.

Ich den­ke nicht. Klingt böse, des­we­gen eini­ge Erläuterungen:

  1. Ich hal­te die Ver­mitt­lung von Bil­dung für eine Team­leis­tung. Mein Kollege/meine Kol­le­gin hat nichts davon, dass  Kol­le­ge x für sich einen Weg gefun­den habe, mit dem Sys­tem „Schu­le“ umzu­ge­hen. In einer Fuß­ball­mann­schaft braucht es mehr als einen guten Stür­mer, um zu gewinnen.
  2. Tu‘ Gutes, aber erzäh­le nichts dar­über“ – abge­se­hen davon, dass es die Frei­räu­me für die­se Erzäh­lun­gen im Schul­all­tag nicht mehr gibt, bleibt es nach mei­ner Erfah­rung ein ver­brei­te­tes Mot­to unter Leh­re­rin­nen und Leh­rern über­haupt. Das ist ein Pro­blem, weil das „Gute“ damit per­so­na­li­siert mani­fes­tiert ist und mit der Per­son selbst erst ein­mal ver­schwin­det oder durch die feh­len­de Doku­men­ta­ti­on wie­der müh­sam auf­ge­baut wer­den muss. Mich treibt immer wie­der die Fra­ge um, war­um ich sehr viel blog­ge, der­ar­ti­ge Din­ge aber kaum im Kol­le­gi­um breit trete.
  3. Das Sys­tem nimmt Frei­räu­me, vor­wie­gend durch immer aus­ufern­de Doku­men­ta­ti­ons­zwän­ge, was sach­lo­gisch auch mit dem zwei­ten Punkt zusam­men­hängt – es kommt von der „Basis“ fast nichts zurück. Dadurch ent­steht zuneh­men­der Druck auf die „inno­va­tiv Enga­gier­ten“, der die Balan­ce zwi­schen Selbst­aus­beu­tung und  gesun­dem Idea­lis­mus gefähr­det bzw. gar emp­find­lich bedroht. Ein Weg der „Abschot­tung“ läuft über das Wort „Pro­fes­sio­na­li­sie­rung“, was oft genug meint, den „per­sön­lich­keits­ge­fähr­den­den“ päd­ago­gi­schen Eros zu ratio­na­li­sie­ren. Es bleibt frag­lich, ob eine rein prag­ma­ti­sche Ein­stel­lung zum Beruf den uns anver­trau­ten Men­schen gerecht wer­den kann.
  4. Das Sys­tem muss spa­ren. Hier in Nie­der­sach­sen sind es in den nächs­ten drei Jah­ren nach unbe­stä­tig­ten Zah­len ca. 1,2 Mil­li­ar­den allein an Steu­er­aus­fäl­len. Dass Ein­spa­run­gen zu mehr Qua­li­tät im Bil­dungs­sys­tem füh­ren, hal­te ich für unbe­wie­sen. Dass das Bil­dungs­sys­tem als Res­sour­ce der Zukunft von die­sen Ein­spa­run­gen ver­schont blei­ben wird, hal­te ich für unwahr­schein­lich, da es nach mei­nem Erle­ben in der Poli­tik sel­ten um Nach­hal­tig­keit geht. Das Leben für den „inno­va­tiv Enga­gier­ten“ wird schwe­rer werden.
  5. […]

Fazit:

Egal, wel­chen Weg man als Ein­zel­per­son in die­sem Sys­tem wäh­len, egal wo man sich auf der Ska­la der Ste­reo­ty­pen bewe­gen wird: Ich bezweif­le, dass es etwas am Sys­tem ändern wird oder  zu lang­fris­ti­ger inne­rer Zufrie­den­heit führt.

Alle Schu­len, die ich ken­ne, die etwas Grund­sätz­li­ches geän­dert haben, konn­ten die­ses nur nur ein Wort errei­chen: Soli­da­ri­tät. Soli­da­ri­tät bedeu­tet, dass der Ein­zel­ne auch ein­mal sei­ne per­sön­li­chen Inter­es­sen und Bedürf­nis­se zurück­steckt, Soli­da­ri­tät bedeu­tet, inhalt­li­che Kon­flik­te pro­duk­tiv aus­zu­tra­gen – bei­des Dis­zi­pli­nen, in denen ich uns als Leh­ren­de als aus­ge­spro­chen schwach erlebe.

Die Arbeit im Netz ist wich­tig. Genau­so wich­tig ist aber die Arbeit vor Ort und der Aus­tausch dar­über im Netz, weil wir Schu­le nur vor Ort ver­än­dern kön­nen und dort in den auf uns zukom­men­den Zei­ten mas­siv auf Soli­da­ri­tät ange­wie­sen sind, um nicht hilf­los zu sein. Nur Soli­da­ri­tät ver­mag wahr­schein­lich unse­re Arbeits­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern, nicht der Ein­satz von Blogs, Wikis oder Maha­ra. Soli­da­ri­tät ist sehr unbe­quem, Demo­kra­tie ist unbe­quem, weil sys­tem­be­dingt immer ein­zel­ne ihre per­sön­li­chen Inter­es­sen nicht rea­li­sie­ren können.

Wie lässt sich Soli­da­ri­tät an den Schu­len schaf­fen ohne ein äuße­res Feind­bild? Was sind ganz kon­kre­te Schrit­te auf die­sem Weg? Wie lenkt man die Stell­ver­tre­ter­krie­ge zurück zu den eigent­li­chen Ursachen?

Und der Dienstherr?

Was wird der Dienst­herr mit einer Schu­le wohl tun, die sich öffent­lich­keits­wirk­sam, soli­da­risch und qua­li­ta­tiv ver­än­dert? Was wird der Dienst­herr wohl mit einer Schu­le tun, hin­ter der Eltern und Schü­ler ste­hen, die in ihren fach­li­chen Ergeb­nis­sen nicht gegen­über ande­ren Schu­len abfällt, aber nicht alle Vor­ga­ben des Dienst­herrn zuguns­ten päd­ago­gi­scher Qua­li­tät dabei umsetzt? Leis­tet eine sol­che Schu­le dann Wider­stand, den man als Dienst­herr nicht dul­den kann?

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4 Kommentare

  • Der Ana­ly­se stim­me ich voll zu.
    Lei­der sieht man­cher Kol­le­ge frei­lich vor Ort kei­ne Mög­lich­keit, etwas durch Soli­da­ri­tät zu ver­bes­sern. Nicht sel­ten hat er dabei aller­dings vor­han­de­ne Mög­lich­kei­ten übersehen.
    Die Leis­tung des Inter­net sehe ich dar­in, dass man sich gegen­sei­tig ermu­ti­gen kann und dass man von guten Ideen ande­rer pro­fi­tiert. Man darf sich nur nicht abver­lan­gen, dass bei einem selbst alles so gut läuft, wie es bei ande­ren von außen aussieht.

  • Lei­der sieht man­cher Kol­le­ge frei­lich vor Ort kei­ne Mög­lich­keit, etwas durch Soli­da­ri­tät zu verbessern“

    Wie wahr. Aber ist das Netz dann nicht eine Schein­welt, eine Kom­pen­sa­ti­on von Symptomen?

    Man darf sich nur nicht abver­lan­gen, dass bei einem selbst alles so gut läuft, wie es bei ande­ren von außen aussieht.“

    Ein Satz, der mich recht nach­denk­lich stimmt. Die, bei denen es nicht so gut aus­sieht, blog­gen meist anonym – die Sache mit dem geteil­ten Leid. Viel­leicht schrei­be ich dem­nächst mehr oder über­haupt über mein (täg­li­ches) Scheitern…

    Gruß,

    Maik

  • Beelzebub Bruck

    Mir scheint, dass hier noch Typ III fehlt: Der Ego-Tak­ti­ker, des­sen Enga­ge­ment Merk­ma­le von Typ I und II verbindet.
    Der E.T. bläst sein Enga­ge­ment, oder was er dafür hält, rie­sen­haft auf, wäh­rend sei­ne Bereit­schaft zur Soli­da­ri­tät mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen gegen Null ten­diert. Sei­ne Loya­li­tät hat also nur die Reich­wei­te, die ihm nütz­lich erscheint. Mein Ein­druck ist, dass gera­de Typ II häu­fig in Wirk­lich­keit Typ III ist.

  • @Beelzebub Bruck
    Das Böse schlüpft in so man­che Form. Aber die­se Leu­te kann es nur geben, weil die ideel­le Macht die insti­tu­tio­nel­le scheut wie das Weih­was­ser, weil es an ech­ter Soli­da­ri­tät fehlt.

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