Handyverbote an Schulen – ein Trend im Aufwind

In Bay­ern und Hes­sen ist die Nut­zung von Han­dys an Schu­len auf Ebe­ne des Bun­des­lan­des unter­sagt. Schu­len kön­nen in ihrer jewei­li­gen Haus­ord­nung die Art der mög­li­chen Nut­zung genau­er regeln. In mei­nem Umfeld füh­ren Schu­len Han­dy­nut­zungs­ver­bo­te ein. Dar­an besteht selt­sa­mer­wei­se ein erhöh­tes media­les Inter­es­se. Es lässt sich also mit einer ent­spre­chen­den Nut­zungs­ord­nung Auf­merk­sam­keit gene­rie­ren. Auf­wind bekommt die­se Stra­te­gie aus Skan­di­na­vi­en, wo in meh­re­ren Län­dern der bis­he­ri­ge Digi­tal­kurs mehr und mehr kri­tisch gese­hen, aber medi­al undif­fe­ren­ziert dar­ge­stellt wird, da z.B. Schwe­den bereits in der Grund­schu­le einen rein(!) digi­ta­len Weg beschrit­ten hat, der mit dem bis­he­ri­gen Weg in Deutsch­land nicht ver­gleich­bar ist.

Han­dy­nut­zung­ver­bo­te an Schu­len sto­ßen natür­lich auch auf Wider­spruch. Die­ser ist im Gegen­satz zur Argu­men­ta­ti­on der Befür­wor­ter eines Ver­bots meist wesent­lich reflek­tier­ter und adres­siert nicht sel­ten struk­tu­rel­le Her­aus­for­de­run­gen im Schul­sys­tem. Dazu gehört die Tat­sa­che, dass Erwach­se­ne und vor allem Lehr­kräf­te an Schu­len wesent­lich mehr zu sagen haben als Schüler:innen. Das ist im Kon­text der För­de­rung einer demo­kra­ti­schen Hal­tung nicht immer hilf­reich und nicht sel­ten tre­ten per­for­ma­ti­ve Wider­sprü­che auf: Einer­seits ist Demo­kra­tie­för­de­rung das höchs­te Ziel von Schu­le und ran­giert in nahe­zu jedem Schul­ge­setz ganz oben. Ander­seits wer­den die Mehr­heits­ver­hält­nis­se in schu­li­schen Gre­mi­en die­sem Anspruch nicht im Ent­fern­tes­ten gerecht. Die­ses Macht­un­gleich­ge­wicht zwi­schen Erwach­se­nen und Jugend­li­chen ran­giert unter dem Begriff Adultismus.

Ich erle­be bei­de Sei­ten – Befür­wor­ter und Kri­ti­ker – mitt­ler­wei­le als pro­ble­ma­tisch: Ver­bo­te sind immer Not­be­hel­fe und set­zen sel­ten an den eigent­li­chen Ursa­chen an, erschaf­fen aber die Illu­si­on, dass eine erfolg­rei­che Hand­lung voll­zo­gen wor­den ist. Die Argu­men­ta­ti­on der Geg­ner von Han­dy­nut­zungs­ver­bo­ten ver­harrt seit mehr als einem Jahr­zehnt auf weit­ge­hend glei­chen Posi­tio­nen ohne die zwi­schen­zeit­li­chen gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen ange­mes­sen aufzunehmen.

Die Gesellschaft ist zum Großteil digital nicht kompetent

Natür­lich sind Beob­ach­tun­gen aus dem eige­nen Umfeld allen­falls immer von anek­do­ti­scher Evi­denz. Es ist im Jahr 2025 aber immer noch nicht selbst­ver­ständ­lich, dass Lehr­kräf­te z.B. den Unter­schied zwi­schen einer Bild­schirm­er­wei­te­rung und einer Bild­schirm­spie­ge­lung ken­nen oder das Kon­zept der For­mat­vor­la­ge inner­halb einer Text­ver­ar­bei­tung nut­zen. Vie­le Fra­gen aus dem Bekann­ten­kreis zu IT-The­men sind von so basa­ler Natur – etwa zu unter­schied­li­chen Datei­for­ma­ten oder der Akti­vie­rung von Peri­phe­rie wie Mikro­fon oder Kame­ra in Video­kon­fe­ren­zen, dass die die For­de­rung nach mehr gesell­schaft­li­cher Medi­en­kom­pe­tenz in vie­len Fäl­len gar nicht erst greift, weil grund­le­gen­de Bedien­fä­hig­kei­ten feh­len oder das blo­ße rudi­men­tä­re Ver­ständ­nis von Daten­flüs­sen wie etwa die Unter­schei­dung zwi­schen WLAN- und Inter­net­zu­gang. Und For­de­run­gen oder Erwäh­nun­gen die­ser Art wer­den nicht sel­ten als „arro­gant“ geframed, weil sie natür­lich das Selbst­bild von Men­schen angreifen.

Die Ober­flä­chen der gro­ßen Digi­tal­kon­zer­ne sind aber so ein­fach gestal­tet, dass z.B. die kon­sump­ti­ve Teil­nah­me an Social­me­dia das alles gar nicht mehr vor­aus­setzt. Damit ent­steht die Illu­si­on von Kom­pe­tenz, die vie­le Erwach­se­ne ihrer­seits den Jugend­li­chen vor­wer­fen. Die­ses Defi­zit kann damit kaum reflek­tiert, aber die Illu­si­on der eige­nen Kom­pe­tenz durch das „Ausper­ren“ von Gerä­ten durch ein Ver­bot sehr wohl auf­recht erhal­ten wer­den. Wenn etwas „nicht mehr da ist“ ent­fällt u.a. der Druck, sich mit die­ser Stö­rung aktiv und den eige­nen Defi­zi­ten aus­ein­an­der­set­zen zu müssen.

Kinder sind sehr viel früher mit dem Handy alleingelassen

Smart­phones in Besitz von Kin­dern waren noch vor 10 Jah­ren an Grund­schu­len die Aus­nah­me, sind heu­te­zu­ta­ge aber eher die Regel. Eine Beglei­tung bei deren Nut­zung fin­det nur in Aus­nah­me­fäl­len statt. Kin­der sind also wesent­lich frü­her mit einem Gerät aus­ge­stat­tet, wel­ches Zugriff auf das gesam­te digi­ta­le Ange­bot bie­tet, wobei sehr vie­le davon nicht kind­ge­recht gestal­tet sind. Die übli­chen Mecha­nis­men des Jugend­me­di­en­schut­zes grei­fen nicht. Wäh­rend Por­no­hef­te und selbst Rum­trau­ben-Nuss­scho­ko­la­de(!) beim phy­si­schen Ver­kauf immer noch mit Alters­be­schrän­kun­gen ver­se­hen sind, gelingt der Zugang zu har­ter Por­no­gra­fie im Netz mühe­los. Gleich­zei­tig ent­wi­ckelt sich das Netz zuneh­mend algo­rith­mus­ge­trie­ben mit kapi­ta­lis­ti­schem Betriebs­sys­tem. Wer Auf­merk­sam­keit gene­riert, erhält Mehr­ein­nah­men durch u.a. Wer­bung. Die­sem Sog sind jun­ge Men­schen natur­ge­mäß viel mehr aus­ge­setzt als älte­re mit mehr Lebens­er­fah­rung. Die digi­ta­len Kom­pe­ten­zen haben sich gesell­schaft­lich nicht im glei­chen Maß ent­wi­ckelt wie die Mög­lich­kei­ten der Digi­tal­in­dus­trie, die Auf­merk­sam­keit von uns Nut­ze­rin­nen und Nut­zern zu bin­den. Daher ist für mich die Idee, dass es z.B. Medi­en­kom­pe­tenz allei­ne rich­ten wird, mitt­ler­wei­le aus der Zeit gefal­len. Ein Ver­bot kann im Ide­al­fall Räu­me schaf­fen, in dem die­ses stän­di­ge Wer­ben um Auf­merk­sam­keit zumin­dest für einen kur­zen Zeit­raum nicht greift. Sehr ent­schei­dend wird aber sein, was in die­sem Zeit­raum geschieht. Und da habe ich Fragen.

Schule allein kann das Problem nicht lösen

Geg­ner der Han­dy­nut­zungs­ver­bo­te füh­ren oft ins Feld, dass das Ver­bot der Nut­zung in der Schu­le eine unzu­rei­chen­de Reak­ti­on auf eine kom­ple­xes Pro­blem ist. Dum­mer­wei­se ist pro­ble­ma­ti­sche Han­dy­nut­zung ein gesell­schaft­li­ches Pro­blem und damit sei­ner­seits kom­plex. Kin­der und Jugend­li­che ler­nen am Modell. Fol­gen­de Beob­ach­tun­gen mache ich in mei­nem Umfeld und teil­wei­se bei mir selbst: Das „erwach­se­ne Modell“ nutzt digi­ta­le Gerä­te durch­aus beim Fami­li­en­es­sen, wäh­rend der Auto­fahrt oder gar hin­ter dem Lehr­kräf­te­pult im Unter­richt – dann natür­lich nur zu wich­ti­gen Zwe­cken, z.B. der Fami­li­en­or­ga­ni­sa­ti­on. Das erwach­se­ne Modell „ortet“ die eige­nen Kin­der mit den Funk­tio­nen von Steue­rungs-Apps oder einer Smart­watch und fin­det das zuneh­mend legi­tim, reagiert jedoch befrem­det auf die Ortungs­funk­ti­on auf Snap­chat für Freun­de oder auf Vor­schlä­ge, das Smart­phone auf der Klas­sen­fahrt zu Hau­se zu las­sen. Das erwach­se­ne Modell orga­ni­siert das Ver­eins­le­ben aus­schließ­lich über Mes­sen­ger­grup­pen eines Anbie­ters. Schu­le kann natür­lich ihren Teil leis­ten, um pro­ble­ma­ti­sche Nut­zungs­for­men zu reflek­tie­ren und Alter­na­ti­ven anzu­bie­ten – zumin­dest theo­re­tisch, da das Pro­blem der defi­zi­tä­ren Medi­en­kom­pe­tenz vie­ler Akteu­re ja bleibt (s.o.).
Die­ser Ansatz wird der Kom­ple­xi­tät der Anfor­de­rung jedoch kaum gerecht: Das Pro­blem wird zuneh­mend zivil­ge­sell­schaft­lich gelöst wer­den müs­sen, indem sich Erwach­se­ne stär­ker ver­net­zen und bei der Medi­en­er­zie­hung ihrer Kin­der unter­stüt­zen. Dar­in lie­gen Chan­cen eines gemein­sa­men Lern­pro­zes­ses, aber auch das Risi­ko von gerin­gem Pro­blem­be­wusst­sein in Hin­blick auf das eige­ne Ver­hal­ten als Erwachsener.
Ich fin­de hier die Ana­lo­gie mit den viel geschol­te­nen Eltern­ta­xis recht tref­fend: Jeder bestrei­tet, sei­ne Kin­der mit dem Auto zur Schu­le zu fah­ren, aber den­noch herrscht mor­gens das Ver­kehrs­chaos rund um Schu­len. Genau­so beglei­tet viel­leicht der ein oder ande­re sein Kind bei der Medi­en­nut­zung, wenn man sie oder ihn direkt anspricht.

Nicht bei Jugendlichen ansetzen

Das Pro­blem einer pro­ble­ma­ti­sche Nut­zung digi­ta­ler Medi­en ent­steht für mich nicht bei Kin­dern und Jugend­li­chen. Ich erle­be Kin­der und Jugend­li­che momen­tan sogar in Tei­len reflek­tier­ter als so man­chen Erwach­se­nen, wenn es z.B. um Fil­ter­kom­pe­tenz geht. Sie bau­en sich not­ge­drun­gen eigen­stän­dig Schutz­räu­me und ent­wi­ckeln Stra­te­gien zur Bewäl­ti­gung des Infor­ma­ti­ons­über­flus­ses. Den Ein­tritt in die digi­ta­le Welt ermög­li­chen aber letzt­lich Erwachsene.
Der Zugang zu Dau­er­schuld­ver­trä­gen wie Han­dy­ver­trä­gen ist in Deutsch­land sehr streng regu­liert. Kin­der und Jugend­li­che kom­men an kei­nen Han­dy­ver­trag ohne die Unter­schrift eines Erwach­se­nen. Erwach­se­ne zei­gen nach mei­ner Erfah­rung oft das glei­che pro­ble­ma­ti­sche Medi­en­ver­hal­ten wie ihre Kin­der (s.o.). Erwach­se­ne sind weit­ge­hend ahnungs­los in Bezug auf die sozia­len Dyna­mi­ken unter Jugend­li­chen auf Social­me­dia, obwohl auch in ihrem Umfeld pro­ble­ma­ti­sches Medi­en­ver­hal­ten durch­aus vor­kommt, wenn­gleich oft nicht in der­art star­ker Prä­senz. Trotz­dem erle­be ich, dass die Ein­rich­tung zusätz­li­cher Mes­sen­ger­grup­pen von Erwach­se­nen zuneh­mend skep­tisch gese­hen wird. Es ran­giert die Sor­ge, noch mehr durch digi­ta­le Kon­takt­ver­su­che gebun­den zu wer­den. Die Mög­lich­keit, Noti­fi­ca­ti­ons – also Piep­tö­ne und Vibra­ti­on – beim Ein­tref­fen von Nach­rich­ten zu deak­ti­vie­ren kann oft schon auf der Bedien­ebe­ne nicht umge­setzt wer­den und wird dar­über­hin­aus ger­ne mit der Begrün­dung abge­lehnt, dass man dadurch wich­ti­ge Nach­rich­ten ja nicht mehr wahr­neh­men wür­de. Die glei­chen Erwach­se­nen echauf­fie­ren sich nicht sel­ten über das gefähr­li­che Sucht­po­ten­ti­al von Social­me­dia bei Kin­dern und Jugend­li­chen. Es sind nicht sie: Wir Erwach­se­ne müs­sen unser eige­nes Medi­en­ver­hal­ten reflek­tie­ren, bevor wir mit unse­ren Kin­dern in die Dis­kus­si­on gehen. Wir müs­sen zunächst das Modell sein, von dem wir uns wün­schen, dass Kin­der und Jugend­li­che dar­an lernen.

Die Chance von Nutzungsverboten

Nut­zungs­ver­bo­te ver­schaf­fen Schu­len und Kin­dern bzw. Jugend­li­chen im Ide­al­fall etwas Raum zum Atmen, damit das, was in den letz­ten Jah­ren an infor­ma­ti­scher Grund­bil­dung und Medi­en­kom­pe­tenz­för­de­rung ver­säumt wor­den ist, etwas hin­ter­her­kom­men kann.
Es bleibt ein Not­be­helf, um z.B. den lern­för­der­li­chen Umgang mit digi­ta­len Arbeits­ge­rä­ten gezielt zu för­dern – bei Lehr­kräf­ten eben­so wie bei Schü­le­rin­nen und Schü­lern. Auch für eine Refle­xi­on des Medi­en­ver­hal­tens soll­te die­ser tem­po­rä­re Schutz­raum genutzt wer­den. Das Ziel soll­te aber schluss­end­lich sein, dass man irgend­wann auf die­se Ver­bo­te ver­zich­ten kann.

Was nicht gesche­hen darf ist, dass die­ser neue Schutz­raum genutzt wird, um Schu­le so wie sie ist wei­ter zu erhal­ten. Das Rad wird sich in Schu­le nicht auf vor­di­gi­ta­le Zei­ten zurück­dre­hen las­sen, wie es sich die ein oder ande­re Lehr­kraft viel­leicht wün­schen mag.

Von Relativierern, Beschwichtigern und Verneinern der Gefahren im Netz

Kin­der­schutz­ver­bän­de wer­den nicht müde, vor den Mög­lich­kei­ten zu war­nen, die sich z.B. pädo­phi­len Men­schen im Netz bie­ten, an unschul­di­ge Opfer her­an­zu­kom­men. Für Spiel­süch­ti­ge bie­tet das Netz eine Welt, in der sie ihre Sucht zügel­los aus­le­ben kön­nen. Ent­haup­tungs­vi­de­os und ande­re für Kin­der ver­stö­ren­de Inhal­te geis­tern durch Whats­App-Grup­pen. Mob­bing erhält durch Mes­sen­ger ganz neue Dimen­sio­nen. Vie­le Men­schen wer­den wie paw­low­sche Hun­de durch den Blick auf das Smart­phone bestimmt. Man macht sich im Netz über Men­schen mehr oder weni­ger lus­tig, die sich bewusst eine digi­ta­le Aus­zeit neh­men. Es ent­wi­ckelt sich eine gan­ze Bewe­gung, die den soge­nann­ten „Detox“ pflegt, auch aus Angst vor Abhän­gig­keit. Die Betrugs­sze­na­ri­en im Netz wer­den immer aus­ge­feil­ter, im Dark­web wer­den Waf­fen und durch­aus auch Men­schen gehan­delt. All die­se Din­ge sind real und erschreckend.

Der Netz­ge­mein­de, die sich für schu­li­sche digi­ta­le Bil­dung ein­setzt, wird oft vor­ge­wor­fen, die­se Aspek­te aus­zu­blen­den und zu rela­ti­vie­ren. Auf die Spit­ze getrie­ben, ist jeder, der sich für Bil­dung im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung ein­setzt, ger­ne mal dem Vor­wurf aus­ge­setzt, im Prin­zip nur ein wil­li­ges Werk­zeug der gro­ßen Digi­tal­kon­zer­ne zu sein, die neue Absatz­märk­te für ihre Gerä­te und Ideo­lo­gien in Schu­len suchen. Und in der Tat sehe ich die­sen Vor­wurf sehr oft bestä­tigt, wenn Lehr­kräf­te ein tech­ni­sches Gerät oder eine Platt­form in den Mit­tel­punkt ihres Unter­richts stel­len und nicht päd­ago­gi­sche Ziele.

Das sind rea­le Pro­ble­me, die ger­ne mal mit Begrif­fen wie „ver­än­der­te Wer­te­sys­te­me“ und „Auf­lö­sung der Gren­zen zwi­schen vir­tu­ell ver­mit­tel­ter und sinn­lich erfahr­ba­rer Welt“ von den Befür­wor­tern ver­sei­ert werden.

Die Kon­se­quenz der „War­ner und Geg­ner“ sind dann For­de­run­gen, in Schu­le einen bewuss­ten Gegen­pol zur digi­ta­li­sier­ten Welt zu schaf­fen und sich dort aus­schließ­lich auf Kul­tur­tech­ni­ken wie z.B. Lesen, Schrei­ben, Rech­nen zurück­zu­be­sin­nen. Dann wer­den „Stu­di­en­schlach­ten“ aus­ge­tra­gen, die je nach Ein­stel­lung aus­ge­wählt oder kri­ti­siert wer­den. Vie­le die­ser Stu­di­en schei­nen mir auf­grund der oft sehr gerin­gen Stich­pro­ben­grö­ße wenig reprä­sen­ta­tiv zu sein.

Man hat sowohl in dem Stra­te­gie­pa­pier der KMK als auch z.B. im Ori­en­tie­rungs­rah­men Medi­en­bil­dung hier in Nie­der­sach­sen die­sen bei­den Polen – auch auf­grund der wich­ti­gen Inter­ven­ti­on der Kri­ti­ker und Mah­ner – Rech­nung getra­gen. Auf Grund­la­ge bei­der Papie­re scheint mir eine Medi­en­bil­dung mög­lich zu sein, die sowohl Chan­cen als auch Gefah­ren in den Blick nimmt.

Ich glau­be, dass das eigent­li­che Pro­blem noch viel schlim­mer und bedroh­li­cher ist und ich glau­be, dass sowohl Befür­wor­ter als auch Bewah­rer dabei oft ähn­li­chen Irr­tü­mern unterliegen.

Aus­gangs­punkt ist für mich zwei Tweets im Rah­men eines Streit­ge­sprä­ches auf Twitter:

Der Ein­fluss der IT wird fälsch­li­cher­wei­se als «Revo­lu­ti­on» dargestellt. […]

Es gibt eine Tech­nik (Inter­net) und mensch­li­che Ver­hal­tens­wei­sen im Umgang damit, die man prä­zis beschrei­ben kann. Das Inter­net kann nicht «gesell­schaft­li­che Sys­te­me neu kon­sti­tu­ie­ren».  (Andre­as Goss­wei­ler, @a_gossweiler)

Dahin­ter steckt für mich eine gewal­ti­ge Reduk­ti­on. IT und Inter­net wird als „Tech­nik“ auf­ge­fasst. Die­se Ein­stel­lung trägt in mei­nen Augen mas­siv dazu bei, dass sich im Inter­net bestimm­te Din­ge ent­wi­ckelt haben, die wir nicht ger­ne sehen.

Der Buch­druck ist eine Tech­nik. Durch den Buch­druck – genau­er – durch die Befrei­ung des Buch­drucks vom Ein­fluss der Kir­che – ist z.B. wis­sen­schaft­li­cher Aus­tausch mög­lich gewor­den, der die Ent­wick­lung der Gesell­schaft immens beschleu­nigt hat. Laut McLuhan spielt dabei wohl zusätz­lich eine Rol­le, dass zumin­dest in Euro­pa Schrift nicht iko­nisch ange­legt, son­dern der Lau­tung der gespro­che­nen Spra­che ange­lehnt war. Die­se „Ent­wick­lung der Gesell­schaft“ hat nicht nur Biblio­the­ken und das Schul­we­sen her­vor­ge­bracht, son­dern auch Din­ge wie effek­ti­ve­re Waf­fen, die Kolo­nia­li­sie­rung oder die Indus­tria­li­sie­rung mit allen ihren nega­ti­ven Fol­gen, wie z.B. den Kli­ma­wan­del und die immens unglei­che Res­sour­cen­ver­tei­lung auf der Welt. Ohne Buch­druck wäre es wohl auch gegan­gen, aber wohl bei Wei­tem nicht so schnell. Ich hal­te den Buch­druck wie vie­le ande­re Autoren auch für durch­aus gesell­schafts­kon­sti­tu­ie­rend, obwohl es zunächst eine schlich­te Tech­nik ist.

Die Eisen­bahn ist eine Tech­nik. Man stel­le sich die Gesell­schaft der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka ohne die Rol­le der Eisen­bahn vor. Für die Urbe­völ­ke­rung war die Eisen­bahn hin­ge­gen eine rea­le Bedro­hung. Das Pro­blem für die India­ner war nicht die Tech­nik, son­dern der Umstand, was durch die neue Tech­nik mög­lich wur­de. Mit Pferd und Kut­sche wäre die Erschlie­ßung des Wes­tens wohl auch real gewor­den, jedoch wahr­schein­lich nicht so schnell. Auch die Eisen­bahn hal­te ich für eine gesell­schafts­kon­sti­tu­ie­ren­de Technik.

Beim Buch­druck und bei der Eisen­bahn ist das aber auch sehr leicht ein­zu­se­hen, weil wir qua­si aus unse­rer Gegen­wart auf die Ver­gan­gen­heit schau­en. Weder die Kir­che des Mit­tel­al­ters noch die India­ner wären in der Ent­ste­hungs­zeit des Buch­drucks bzw. der Eisen­bahn wahr­schein­lich in der Lage gewe­sen, ihre gesell­schafts­kon­sti­tu­ie­ren­de Dimen­si­on zu erkennen.

Die Fol­gen der Tech­nik „IT“ und „Inter­net“ sind doch aber jetzt schon sicht­bar, sowohl im Guten als auch im Schlech­ten. Das Ver­ständ­nis dafür, wie es die Nut­zung die­ser „Tech­nik“ aber zustan­de­bringt, z.B. pre­kä­re Arbeits­ver­hält­nis­se im Ver­sand­han­del oder eben Sucht­pro­ble­ma­ti­ken zu schaf­fen, steht aber erst am Anfang. Ich emp­fin­de die­se und ande­re Phä­no­me­ne im übri­gen nicht als „klein“ oder in der Sum­me „ver­nach­läs­sig­bar“. Für mich beschleu­nigt „IT-Tech­nik“ genau wie der Buch­druck oder die Eisen­bahn „ledig­lich“ bestimm­te gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen und macht Din­ge, die vor­mals eher im Ver­bor­ge­nen lagen, bru­tal sicht­bar, aber eben auch Din­ge mög­lich, die vor­her undenk­bar waren – dum­mer­wei­se auf einer glo­ba­len Ebe­nen – und das soll nicht gesell­schafts­kon­sti­tu­ie­rend sein?

Die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen bestimm­ter gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen sind nach mei­ner Ansicht dadurch kom­pen­siert wor­den, dass es unter­schied­li­che mora­li­sche (sic!) Stand­punk­te dazu gab. Eine mora­lisch-ethi­sche Wer­tung von Ent­wick­lun­gen auf IT-Sek­tor erfor­dert nach mei­ner Ansicht aller­dings auch tech­ni­sches Grund­wis­sen, was sich oft nicht lust­be­tont erwer­ben lässt. Um eine Wer­tung drü­cken sich daher vie­le Beschwich­ti­ger zuguns­ten einer Rela­ti­vie­rung und oft­mals ein­sei­ti­gen Dar­stel­lung. Klar fin­det z.B. Miss­brauch immer oft im häus­li­chen Rah­men statt, aber die „Opfer­aus­wahl“ kann durch bestimm­te Nut­zungs­for­men von Tech­no­lo­gie per­vers effek­ti­viert wer­den. Und als Leh­rer und Vater bin ich mir – natür­lich nur auf Basis von unwis­sen­schaft­li­chem „Erfah­rungs­wis­sen“ – gar nicht so sicher, ob es nicht auch durch­aus sehr nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Medi­en­nut­zung von uns anver­trau­ten Men­schen gibt.

Die ggf. auch vor­läu­fi­ge mora­li­sche Wer­tung ist vor allem auch des­we­gen not­wen­dig, weil Regu­lie­run­gen in einem glo­ba­li­sier­ten Sys­tem nicht ganz tri­vi­al sind. Mir erschei­nen eini­ge wohl­mei­nen­de Erklä­rungs­an­sät­ze zum Web­ver­hal­ten von Jugend­li­chen hart an der Gren­ze zur Anbie­de­rungs- und Ver­ständ­nis­päd­ago­gik, die Din­ge wie einen Erzie­hungs­auf­trag zu negie­ren ver­mag (ja, das ist wohl der bis­her böses­te Satz).

Ich fän­de es daher wün­schens­wert, wenn wir „Befür­wor­ter“ unser eige­nes Medi­en­ver­hal­ten und unse­re Kauf­ge­wohn­hei­ten, aber auch unse­re ver­meint­li­chen tech­ni­schen Kom­pe­ten­zen gemein­sam mit Schü­le­rin­nen und Schü­lern hin­ter­fra­gen. Und ich fän­de es sehr wich­tig, dass Kri­ti­ker nicht nur Gerä­te, son­dern das gesell­schaft­kon­sti­tu­ie­ren­de Poten­zi­al der Digi­ta­li­sie­rung mit in den Blick nähmen.

Grund­la­ge ist für mich dabei Grund­wis­sen über Grund­zü­ge der digi­ta­len Welt. Ein iPad mit Apps bestü­cken und die­se bedie­nen zu kön­nen, wäre mir nicht genug.