ChatGPT und Co. – der Versuch eines Blickes unter die Haube

Wenn man in sozia­len Netz­wer­ken über Sprach­mo­del­le wie GPT‑3 liest, blei­ben genau wie in den Feuil­le­tons die meis­ten Ana­ly­sen und Bewer­tun­gen auf der phä­no­me­no­lo­gi­schen Ebe­ne stehen:

  • Was kann ich im Unter­richt damit machen?
  • Was muss ich tun, damit ein Feh­ler in der Aus­ga­be auftritt?
  • Wel­chen Ein­fluss wer­den Sprach­mo­del­le auf die Schu­le der Zukunft haben?
  • War­um soll­ten Sprach­mo­del­le in der Schu­le nicht ver­bo­ten werden?
  • […]

Eine Analogie

Wenn ich mit Schul­klas­sen das ers­te Mal mit Indi­ka­to­ren im Che­mie­un­ter­richt expe­ri­men­tie­re, kommt es für vie­le zunächst nicht dar­auf an, war­um ein Indi­ka­tor eine bestimm­te Far­be hat, son­dern eher dar­auf, wie sich mög­lichst vie­le unter­schied­li­che Far­ben durch wahl­lo­ses Zusam­men­kip­pen erzeu­gen las­sen. Ich könn­te dabei in Aner­ken­nung der indi­vi­du­el­len Neu­gier Fra­gen stel­len, die auf einem ähn­li­chen phä­no­me­no­lo­gi­schen Level wie die sozia­len Medi­en zur Sprach­mo­del­len dis­ku­tier­ten Fra­gen operieren.

  • Durch wel­chen Men­gen­ver­hält­nis­se bekom­me ich wel­che Far­be hin?
  • Wie kann ich die­se Far­ben außer­halb des Labors nutzen?
  • Wel­chen Ein­fluss hat das neue Farb­spek­trum auf die Ent­wick­lung neu­er Wandfarben?
  • Stellt die­se Neu­ent­wick­lung nicht grund­le­gen­de Ver­fah­ren der Farb­her­stel­lung und des ästhe­ti­schen Emp­fin­dens in Frage?

Die­se Fra­gen sind berech­tigt. Aber eigent­lich sind die Indi­ka­to­ren z.B. ein Mit­tel, um sich gene­rel­len Stoff­ei­gen­schaf­ten (sau­er / alka­lisch) auf einer phä­no­me­no­lo­gi­schen Ebe­ne anzu­nä­hern, Gesetz­mä­ßig­kei­ten zu ent­de­cken und dar­aus wei­te­re all­ge­mei­ne Aus­sa­gen abzu­lei­ten. Nie­mand käme hier auf die (didak­ti­sche) Idee, hier auf der Ebe­ne der Phä­no­me­ne ste­hen­zu­blei­ben oder Men­schen auf Basis der blo­ßen Beob­ach­tung die­ser Phä­no­me­ne etwas „ver­mit­teln“ zu wollen.

Was ich selbst über Sprachmodelle weiß

Sprach­mo­del­le erle­be ich zur­zeit selbst auf einer phä­no­me­no­lo­gi­schen Ebe­ne. Ich expe­ri­men­tie­re mit Ein­ga­ben und unter­schied­li­chen Para­me­tern her­um. Ich weiß den­noch eini­ges über IT-Sys­te­me, was mir ein wenig hilft, die Leis­tun­gen von Sprach­mo­del­len ein­zu­ord­nen. Ich möch­te für mich durch die­sen Text eher ein­gren­zen, was ich eigent­lich noch nicht weiß, um dar­aus dann Fra­gen zu ent­wi­ckeln, die etwas weg von den Phä­no­me­nen füh­ren. Ich nut­ze dazu Kennt­nis­se, die ich im Rah­men mei­nes Infor­ma­tik­stu­di­ums auf Lehr­amt anders hineinvernetzte.

Ein Sprachmodell braucht eine Grammatik

Eine sehr simp­le Metho­de zur Beschrei­bung einer Gram­ma­tik ist die Erwei­ter­te Backus-Naur-Form (ENBF). Selbst die genaue gram­ma­ti­sche Defi­ni­ti­on einer Zahl ist schon gar nicht so einfach.

Ken­nen“ muss ein Mensch oder IT-Sys­tem dazu zunächst die in einer Spra­che ver­wen­de­ten Sym­bo­le (Ter­mi­na­le), wir ver­wen­den in Deutsch­land die Zei­chen 0–9 zur Dar­stel­lung von Zah­len, das sind also unse­re Terminale.

ZifferAusserNull = "1" | "2" | "3" | "4" | "5" | "6" | "7" | "8" | "9";
Ziffer           = "0" | ZifferAusserNull

Damit haben wir defi­niert, wel­che Sym­bo­le unse­re Spra­che zur Dar­stel­lung von Zah­len ver­wen­det. Das „|“-Zei­chen ist als „oder“ zu lesen. Die­se Defi­ni­tio­nen kön­nen wir für alle wei­te­ren als Platz­hal­ter ver­wen­den. Damit kön­nen wir jetzt eine natür­li­che Zahl definieren:

NatuerlicheZahl   = ZifferAusserNull, { Ziffer };
NegativeGanzeZahl = "-", NatuerlicheZahl;

Der Aus­druck in geschweif­ten Klam­mern kann belie­big oft oder gar nicht vor­kom­men. Jetzt kann unse­re „KI“ auf Basis die­ser Gram­ma­tik gan­ze Zah­len mit Vor­zei­chen, aber kei­ne Null erkennen.

Das geht aber mit die­ser Definition:

Zahl = ([ "-" ], ZifferAusserNull, { Ziffer }) | "0" ;

Eine Zahl besteht aus einem optio­na­len Minus­zei­chen, gefolgt von einer Zif­fer außer Null, gefolgt von belie­big vie­len wei­te­ren Zif­fern (auch kei­ner wei­te­ren Zif­fer). Oder: Eine Zahl besteht aus dem Zei­chen Null.

Bei Wor­ten wird es schon schwieriger.

Wort = [A-Z], {a-z}

Ein Wort besteht aus min­des­tens zwei Sym­bo­len aus dem Zei­chen­vor­rat a‑z, wobei am Anfang auch der Sym­bol­vor­rat {A‑Z} ste­hen kann.

Dum­mer­wei­se erfüllt jedes Fan­ta­sie­wort belie­bi­ger Län­ge genau die­se Bedin­gung. An eine Defi­ni­ti­on von „Satz“ mag ich da gar nicht erst den­ken. Aber jedes Sprach­mo­dell muss in einem ers­ten Schritt die Ein­ga­be auf Basis von vor­ge­be­nen Regeln ana­ly­sie­ren, bevor es intern wei­ter­ar­bei­ten kann.

Es wird aber auch schon jetzt klar, dass nicht gram­ma­tik­kon­for­me Eingaben

  1. erkannt
  2. auf Feh­ler ana­ly­siert sind

Damit kön­nen ins­be­son­de­re Recht­schreib­feh­ler recht ein­fach kor­ri­giert wer­den, indem auf Basis von z.B. Wahr­schein­lich­kei­ten ein gram­ma­ti­kon­for­mer Ersatz gesucht wird.

Ein Sprachmodell braucht eine Semantik

Bei uns im Hand­ball wird eine Soft­ware für Spiel­pro­to­kol­le ein­ge­setzt. Die Ein­ga­ben macht ein spe­zi­ell geschul­ter Mensch (z.B. ich), der „Sekre­tär“ genannt wird. Ein sol­ches Spiel­pro­to­koll sieht tech­nisch etwa so aus:

00:59   TOR     HEIM   01   1:0
01:02   GELB    GAST   89
08:36   ZEIT    GAST   89
08:45   TOR 7M  HEIM   04   2:0

Das ers­te Tor fiel für die Heim­mann­schaft nach 59s nach einem Foul des geg­ne­ri­schen Spie­lers mit der Num­mer 89. Es dau­er­te lan­ge 7:34 Minu­ten, bis der nächs­te Tref­fer per 7m nach einem mit Zeit­stra­fe geahn­de­tem Foul dem Spie­ler mit der Num­mer 4 gelang.“

Mit dem Kon­text „Hand­ball­spiel“ kann eigent­lich auch jeder, der in der Hal­le nicht anwe­send war, auf die­ser Basis einen kor­rek­ten Spiel­be­richt ver­fas­sen. Aus Meta­da­ten wie der Zeit las­sen sich auf Basis von Wahr­schein­lich­kei­ten wei­te­re Aus­sa­gen ergän­zen, z.B. sind tor­lo­se sie­ben Minu­ten im Hand­ball schon recht unge­wöhn­lich und es kom­men dafür nur weni­ge Ursa­chen in Betracht. Die Text­sor­te „Bericht“ gibt gram­ma­tisch die zu ver­wen­den­de Zeit­form vor, die mög­li­chen Ver­ben in einem Sport­be­richt sind zudem begrenzt.

Ich glau­be, dass man sich gut vor­stel­len kann, wie sich das Ver­fas­sen von Spiel­be­rich­ten ver­gleichs­wei­se ein­fach mit einem IT-Sys­tem umset­zen lässt, wenn es Regeln zur Umset­zung der Daten in eine Gram­ma­tik gibt. Der resul­tie­ren­de Text wirkt erst ein­mal authen­tisch, wenn er unse­re Erwar­tun­gen an einen Sport­be­richt erfüllt. Das tut er wie­der­um, wenn bestimm­te For­mu­lie­run­gen und Wort­grup­pen ent­hal­ten sind.

Ein Sprachmodell braucht Varianz

Mit einer Gram­ma­tik, ein per Daten und Kon­text las­sen sich schon Tex­te schrei­ben, aber nach ein paar Wochen im Sport­teil wür­de uns dann doch die Lust beim Lesen ver­ge­hen. Ähn­li­che Ein­ga­ben wür­den immer wie­der glei­che For­mu­lie­run­gen her­vor­brin­gen. Als „krea­tiv“ emp­fän­den wir Tex­te, die immer wie­der neue For­mu­lie­rungs­ideen ent­hal­ten wür­den. Die­se könn­te man auch hän­disch in unser bis­he­ri­ges Sprach­mo­dell kip­pen, aber schö­ner wäre es ja schon, wenn das auch auto­ma­ti­siert gin­ge. Und da kom­men neu­ro­na­le Net­ze ins Spiel. Die Funk­ti­ons­wei­se lässt sich am bes­ten mit einer star­ken Ver­ein­fa­chung erklären.

Dazu eine Geschich­te: Es gab eine Zeit, in der in Super­märk­ten Waa­gen zum Selbst­wie­gen stan­den. Da muss­te man eine Tas­te mit z.B. einem Sym­bol  oder einer Num­mer für die auf­ge­leg­te Ware drü­cken und es kam ein Bon zum Auf­kle­ben für die Kas­se her­aus. Es gab auch schon ers­te Waa­gen, die das auf­ge­leg­te Obst oder Gemü­se bereits optisch erken­nen konn­ten, aber trotz­dem noch Tas­ten hat­ten, die auch gedrückt wer­den mussten.

Das IT-Sys­tem hät­te dabei z.B. aus die­sen Kom­po­nen­ten bestehen können:

Eine Ein­ga­be­schicht:

  • Eine Kame­ra, die ein hoch­auf­lö­sen­des Bild von der auf­ge­leg­ten Ware macht.
  • Ein Gewichts­sen­sor, der das Gewicht digi­tal ermittelt.
  • Eine Tas­te, die die Kun­den­ein­ga­be weiterleitet.

Eine Ver­ar­bei­tungs­schicht:

  • Ein Algo­rith­mus, der aus dem Bild die Län­ge der auf­ge­leg­ten Ware ermit­telt („Neu­ron 1“).
  • Ein Algo­rith­mus, der aus dem Bild die Brei­te der auf­ge­leg­ten Ware ermit­telt („Neu­ron 2“).
  • Ein Algo­rith­mus, der die Bild­punk­te der domi­nie­ren­den Far­be der Ware zählt („Neu­ron 3“).
  • Ein Algo­rith­mus, der das Gewicht ins Ver­hält­nis zur Grö­ße setzt („Neu­ron 4“).
  • Ein Algo­rith­mus, der schaut, was der Kun­de gedrückt hat („Neu­ron 5“)

Eine Aus­ga­be­schicht:

  • Ein Algo­rith­mus, der auf Basis eines Schwell­wer­tes und einer Daten­bank einen Preis berech­net und einen Eti­ket­ten­dru­cker ansteuert.

 

Bei­spiel 1:

Neu­ron 1: 15cm

Neu­ron 2: 4cm

Neu­ron 3: Domi­nie­ren­de Far­be ist gelb.

Neu­ron 4: Das Gewicht ent­spricht etwa 70% des äqui­va­len­ten Volu­mens an Wasser

Neu­ron 5: Apfel

Der Kun­de hat mich ver­arscht, das ist eine Banane!“

Das Sys­tem gewich­tet sei­ne Mes­sun­gen hier höher als die Kundeneingabe.

 

Bei­spiel 2:

Neu­ron 1: 12cm

Neu­ron 2: 6cm

Neu­ron 3: grün

Neu­ron 4: Das Gewicht ent­spricht etwa 80% des äqui­va­len­ten Volu­mens an Wasser

Neu­ron 5: Avocado

Eigent­lich blöd, könn­te eine Limet­te oder eine Avo­ca­do sein. Ach, der Kun­de wird ja nicht das bil­li­ge­re Zeug gedrückt haben, also eher eine Avocado.“

 

Das Sys­tem gewich­tet die Kun­den­ein­ga­be in Ver­bin­dung mit einem Preis­ge­fü­ge hier hoch, um zu ent­schei­den, wel­chen Bon es druckt. Es „ent­schei­det“ auf Basis von Daten, wel­che Para­me­ter und Daten es wie gewich­tet und „merkt“ sich belie­big vie­le z.B. unein­deu­ti­ge Situa­tio­nen und wie sel­bi­ge auf­ge­löst wur­den. Danach „kann“ es auf Basis von Daten „ent­schei­den“, wel­chen Bon es z.B. bei einer „nicht stan­dard­kon­for­men Avo­ca­do“ druckt.

Man kann die­sen Pro­zess durch kor­rek­te mensch­li­che Ein­ga­ben beschleu­ni­gen und opti­mie­ren („Trai­ning“). Man kann – falls es einen ande­ren Rück­kopp­lungs­ka­nal gibt – die­se Sys­te­me sich auch selbst opti­mie­ren las­sen – bezo­gen auf Sprach­mo­del­le könn­te man als „Rück­mel­de­ka­nal“ schau­en, wel­che der gene­rier­ten Tex­te per Copy&Paste ver­wen­det wur­den oder wel­che Tex­te wie­der im Netz auftauchen.

Vari­anz „ent­steht“ bei unse­rer Geschich­te mit den Waa­gen durch unkla­re Situa­tio­nen. Im Fal­le von Sprach­mo­del­len kann Vari­anz durch spe­zi­el­le „Neu­ro­nen“ künst­lich erzeugt wer­den, die z.B. betrach­ten, wel­che Tex­te in einem Zeit­raum schon gene­riert wor­den sind und dann „Schwell­wer­te“ ande­rer Neu­ro­nen „ändert“.

Was ein Sprachmodell von einem Menschen unterscheidet

Ein Sprach­mo­dell erfüllt nur eine begrenz­te Auf­ga­ben­stel­lung ganz beson­ders gut: Aus Ein­ga­ben Tex­te erzeu­gen, die für einen mög­lichst gro­ßen Teil von Men­schen authen­tisch wirkt. Men­schen sind in ihren Mög­lich­kei­ten, krea­ti­ve Pro­duk­te zu erschaf­fen da nicht so arg begrenzt. Je mehr „Neu­ro­nen“ durch die Ein­ga­be „getrig­gert“ wer­den, des­to authen­ti­scher wird der Text sein. Daher ist es zumin­dest aus infor­ma­ti­scher Sicht eine Bin­se, wenn Rat­schlä­ge kom­men, ein Sprach­mo­dell mit mög­lichst umfas­sen­den Ein­ga­ben zu speisen.

Begrenzt sind Men­schen jedoch bei der Auf­nah­me von Daten. ChatGPT bricht momen­tan öfter ein­mal zusam­men, weil sehr vie­le Men­schen das Sys­tem gleich­zei­tig nut­zen. Es gibt zwar kei­ne bestä­tig­ten Zah­len, aber die Ein­heit „Mil­lio­nen Anfra­gen pro Sekun­de“ dürf­te als Basis zunächst nicht falsch sein. Mil­lio­nen Anfra­gen bedeu­ten aber auch Mil­lio­nen „Feed­back­ka­nä­le“ zum „Trai­ning“ des neu­ro­na­len Net­zes. Sprach­mo­del­le kön­nen viel mehr Infor­ma­ti­on bewäl­ti­gen als ein ein­zi­ger Mensch. Eigent­lich ist ein Sprach­mo­dell Borg. Wir neh­men die ent­ste­hen­den Tex­te als Pro­duk­te _eines_ Sys­tems wahr. Tech­nisch gese­hen sind es aber die Aus­ga­ben eines Kol­lek­tivs. Der ein­zel­ne Borg agiert ja nicht indi­vi­du­ell, son­dern ver­mit­telt der Figur, die mit ihm kom­mu­ni­ziert, ledig­lich den Anschein einer indi­vi­du­el­len Kom­mu­ni­ka­ti­on.  Wenn die­se Simu­la­ti­on hin­rei­chend gut ist, lässt sie sich für einen rele­van­ten Teil von Men­schen nicht mehr von „ech­ter“ Text­pro­duk­ti­on durch Men­schen unter­schei­den. Mehr braucht es eigent­lich nicht, um (wirt­schaft­lich) als Tech­no­lo­gie erfolg­reich zu sein.

Warum Sprachmodelle emotional wahrgenommen und diskutiert werden

Sprach­mo­del­le sind nüch­tern betrach­tet nicht­ma­te­ri­el­ler Code auf irgend­wel­chen elek­tro­ni­schen Schalt­krei­sen. Ihre Aus­ga­ben drin­gen aber erst­ma­lig leicht benutz­bar in einen Bereich vor, der für Gesell­schaf­ten prä­gend ist: Kom­mu­ni­ka­ti­on. Gesell­schaf­ten kon­sti­tu­ie­ren sich im Wesent­li­chen durch die Art, wie sie intern kom­mu­ni­zie­ren und über wel­che Leit­me­di­en sie das tun. Sprach­mo­del­le decken recht bru­tal auf, wel­che Tex­te einer Gesell­schaft so ein­fach gestrickt sind, dass sie sich mühe­los durch Aus­ga­ben eines IT-Sys­tems erset­zen las­sen. Und das sind zum ganz wesent­li­chen Teil Gebrauchs­tex­te, aber auch Tex­te von Men­schen, die das Schrei­ben (in einer Fremd­spra­che) gera­de ler­nen – also ein Groß­teil von Übun­gen, wie sie in Schul­bü­chern vor­kom­men. Das bedroht zen­tra­le Vor­stel­lun­gen, wie Bil­dung funk­tio­niert und es bedroht Arbeits­rou­ti­nen in Bil­dungs­sys­te­men. In unse­rer Vor­stel­lung waren die­se Tex­te bis­her näm­lich durch­aus nicht unter­kom­plex, son­dern wich­ti­ge Zwi­schen­stu­fen bei der Ent­wick­lung von z.B. Schreibfertigkeiten.

Unterkomplexe Reaktionsmuster auf phänomenologischer Basis

Und es gibt aus mei­ner Sicht unter­kom­ple­xe Reak­tio­nen dar­auf. Ein häu­fi­ger Reflex ist Freu­de dar­über, dass nun end­lich klar wird, wie „stu­pi­de“ Bil­dungs­pro­zes­se eigent­lich sind und wir viel kom­ple­xe­re Auf­ga­ben­for­ma­te brau­chen, z.B. die Bewer­tung der Aus­ga­ben eines Sprach­mo­dells und die Über­ar­bei­tung der­sel­ben. Ohne ein Wis­sen und ohne eige­ne ent­wi­ckel­te Schreib­fer­tig­keit ist das gar nicht so unge­fähr­lich. Im schlimms­ten Fall gibt es eine Aus­ga­be, die dann vom Nut­zen­den an ver­mu­te­te Erwar­tun­gen ange­passt wird.

So wie der Schü­ler, der die Far­be eines Indi­ka­tors so hin­mischt, dass es auf eine Säu­re hin­deu­tet, weil genau das ja auch auf der Fla­sche stand (und das Zeug sau­er schmeckt) – es könn­te aber auch eine ganz ande­re Säu­re oder eine falsch beschrif­te­te Fla­sche gewe­sen sein. MIt Wis­sen dar­über, wie ein Indi­ka­tor funk­tio­niert, wer­den in die­sem Fall ande­re Fra­ge­stel­lun­gen mög­lich. Durch blin­den Glau­ben an den Indi­ka­tor eher nicht.

Rechtfertigungsdruck für tradierte Bildungsprozesse

Was auf jeden Fall geschieht und was für mich der eigent­lich Gewinn dabei ist: Sprach­mo­del­le zwin­gen mich dazu:

  1. Kri­tisch auf für selbst­ver­ständ­lich gehal­te­ne Ver­mitt­lungs­for­men zu schauen
  2. Ver­mitt­lungs­for­men, die der Prü­fung stand­hal­ten, vor der Lern­grup­pe expli­zit recht­fer­ti­gen zu müssen.

Wenn ChatGPT uns alles für eine Erör­te­rung lie­fert, Herr Riecken, war­um müs­sen wir dann noch selbst eine schreiben?

Weil ich es so will und bes­ser weiß, was gut für euch ist!“ könn­te – auch als impli­zi­te Hal­tung – zukünf­tig etwas schwie­ri­ger wer­den – erst­mal gar nicht so komfortabel.

Was ich nicht über Sprachmodelle weiß

Es hat bis­her den Anschein, als sei­en Sprach­mo­del­le wie GPT‑3 bis­her aus­schließ­lich mit Tex­ten trai­niert worde, die Men­schen aus­ge­wählt haben. Da kom­men natür­lich Fra­gen dazu auf, nach wel­chen Kri­te­ri­en die­se Trai­nings­da­ten von wem aus­ge­wählt wor­den sind.

Sprach­mo­del­le sind in einem ers­ten Schritt zunächst nicht in die Lage ver­setzt wor­den, ihre Trai­nings­da­ten „selbst­stän­dig“ aus dem Inter­net her­aus­zu­ho­len. Wel­che Grün­de gibt es eigent­lich dafür?

Sprach­mo­del­le wer­den vie­le Gebrauchs­tex­te erset­zen, die bis­her Domä­nen von Men­schen waren – etwa Sport­be­rich­te. Logisch zuen­de gedacht, wer­den bald wesent­li­che Tei­le einer (west­li­chen) Gesell­schaft nicht mehr ihr Geld mit Schrei­ben ver­die­nen kön­nen. Auch mein Blog kann mühe­los von Aus­ga­ben von Sprach­mo­dell quan­ti­ta­tiv an die Wand gena­gelt und z.B. in Such­ma­schi­nen nicht mehr wahr­nehm­bar sein – mein Blog ist jetzt ein däm­li­ches Bei­spiel, aber was bedeu­tet das insgesamt?

Wird es uns gelin­gen, nen­nens­wer­te Tei­le von Schüler:innen (und uns Lehrer:innen) dazu zu befä­hi­gen, das künf­ti­ge Niveau von Sprach­mo­del­len zu errei­chen? Machen wir uns nicht ganz schön was vor mit der Annah­me, dass gro­ße Tei­le der Schüler:innenschaft in der Lage sein wer­den, Aus­ga­ben von Sprach­mo­del­len „kri­tisch“ zu hin­ter­fra­gen und zu über­ar­bei­ten, WENN uns gleich­zei­tig bewusst ist, dass das Niveau die­ser Aus­ga­ben eher qua­li­ta­tiv stei­gen wird?

 

Themen in Schule nach den Sommerferien – oder meine Angst vor der Angst

Ich habe letz­tes Wochen­en­de abends drau­ßen an einem lan­gen Tisch vor einer Knei­pe geses­sen. Da war nichts geplant oder reser­viert, ich bin ein­fach in der Stadt gewe­sen und habe spon­tan Bekann­te und Freun­de getrof­fen. Alles inner­halb der Coro­na­re­ge­lun­gen mit Abstand und unter frei­em Him­mel. Aber es ist – nord­deut­scher – Som­mer. Man kann drau­ßen sit­zen, Fens­ter öff­nen und vie­le Din­ge tun, die im Herbst oder Win­ter so nicht mehr funktionieren.

Clop­pen­burg hat nicht vie­le fleisch­ver­ar­bei­ten­de Betrie­be, Clop­pen­burg ist die fleisch­ver­ar­bei­ten­de Gegend über­haupt. Viel hängt wirt­schaft­lich am Funk­tio­nie­ren die­ses Sys­tems. Wenn ein Schlacht­hof auch nur zeit­wei­se geschlos­sen wer­den muss, hat dies immense Aus­wir­kun­gen für die gesam­te durch­ge­tak­te­te Lie­fer­ket­te vom Land­wirt bis zum Ver­brau­cher. Geflü­gel über­schrei­tet genorm­te Gewich­te, die Qua­li­tät des Schwei­ne­fleisches vari­iert – gan­ze Char­gen könn­ten ver­nich­tet wer­den müs­sen – nicht weil das Pro­dukt schlecht wäre – es kann schlicht nicht mehr genormt ver­ar­bei­tet wer­den. Man kann zur Fleisch­in­dus­trie ste­hen wie man will, aber es wird immense sozia­le Aus­wir­kun­gen auf die gesam­te Regi­on haben, wenn Coro­na zu nen­nens­wer­ten Schlie­ßun­gen der Schlacht­hö­fe führt. Befreun­de­te Steu­er­be­ra­ter, die wirk­lich Ein­bli­cke in die Fir­men­bü­cher haben, rech­nen spä­tes­tens im Herbst mit einer Plei­te­wel­le. Mit­tel­ständ­ler gehen mit eige­nem Ver­mö­gen „all in“ die Fir­ma, um Arbeits­plät­ze und Lebens­wer­ke zu ret­ten. Das fällt an sol­chen Aben­den in Neben­sät­zen, Scher­zen, zyni­schen Übertreibungen.

Bei mir war es an die­sem Abend eine Mischung aus immensem Unwohl­sein: Die­ser gelo­cker­te Sta­tus Quo wird das Maxi­mum sein, was es in den nächs­ten Mona­ten geben wird. Und ich als Beam­ter bin die­sen Markt­zy­klen und Dyna­mi­ken zumin­dest finan­zi­ell kom­plett ent­zo­gen. Ich habe am aller­we­nigs­ten das Recht, Angst zu haben. Ich ins­be­son­de­re, der ich nicht ein­mal mehr unter­rich­te. Dar­über schreibt zur­zeit kaum jemand, das wird aber zuneh­mend kommen.

Wäre ich noch Voll­zeit im Unter­richt, wäre es mir bestimmt so ergan­gen: „Bis zu den Som­mer­fe­ri­en schaf­fe ich das schon und danach geht es dann ja rela­tiv nor­mal mit dem Kohor­ten­sys­tem wei­ter. Man kann wie­der Arbei­ten schrei­ben, Noten ver­läss­lich geben (aber vie­le schö­ne Din­ge, die Schu­le aus­ma­chen fal­len auch im aller­bes­ten Fall weg …)“.

Was geschieht aber, wenn es so wei­ter­geht wie vor den Som­mer­fe­ri­en? Schu­le ist dann der ver­meint­li­chen rechts­si­che­ren Mög­lich­keit beraubt, Noten zu geben. Die Orga­ni­sa­ti­on von Prü­fun­gen wird kom­plex. Wie in der Fleisch­in­dus­trie: Man kann zu Noten und Bewer­tun­gen ste­hen, wie man möch­te: Der Weg­fall bzw. die Ein­schrän­kun­gen machen etwas mit Menschen.

Ich glau­be, es wird einen hohen Bedarf an Lösun­gen für die­ses Dilem­ma geben. Und es wird zuneh­mend Kolleg:innen geben, die Angst haben, weil sie gewohn­ter Arbeits­ab­läu­fe und Sicher­hei­ten beraubt sind, sich in ihren Struk­tu­ren(!) umstel­len müssen.

Als digi­ta­ler Kämp­fer habe ich mir lan­ge Zeit immer gedacht: Du musst nie­man­den ändern. Wer sich nicht ändert, wird von den Umstän­den des Kul­tur­wan­dels geän­dert. Aber ich habe dabei nicht an Coro­na gedacht, son­dern eher an zivil­ge­sell­schaft­li­che Impulse.

Im Twit­ter­leh­rer­zim­mer scheint immer alles so ein­fach und manch­mal schwarz und weiß. „Die Kri­se bie­tet Chan­cen der Schul­ent­wick­lung“ ist z.B. ein gän­gi­ger Satz. Objek­tiv ist das auch so. Aber die Welt funk­tio­niert so nicht. Nicht sach­lich, son­dern bald viel­leicht wesent­lich emo­tio­na­ler als uns lieb ist. Frank­furt, Opernplatz.

Schu­le wird auch nicht zurück­fal­len in alte Struk­tu­ren – zumin­dest bis zur Ent­wick­lung eines wirk­sa­men Impf­stoffs. Es wird wie­der und wie­der zumin­dest loka­le Impacts geben. Es ist nicht sicher, ob ich mei­ne Klas­sen­ar­beit schrei­ben kann. Die­ser Unsi­cher­heit kann man mit agi­lem Han­deln und Den­ken natür­lich begeg­nen, aber nicht ohne vor­he­ri­ge per­so­na­le Ent­wick­lungs­pro­zes­se. Schu­le an sich ist dafür nicht gebaut. Zudem ist das für Lehr­kräf­te noch­mal deut­lich leich­ter als für Schul­lei­tun­gen, die deut­lich mehr sys­te­mi­sche „Gegen­über“ haben (Eltern, Schul­be­hör­de, Lokal­po­li­tik, Gesund­heits­amt, Lehr­kräf­te, Schüler:innen, Gremien).

Ich grüb­le daher an Fort­bil­dun­gen mit ande­ren Inhal­ten her­um. FoBis zu alter­na­ti­ve Auf­ga­ben­for­ma­ten lau­fen mir regel­mä­ßig voll. Ich habe nie eine Fort­bil­dung 2x gege­ben – das war mir immer zu lang­wei­lig. Das wer­de ich ver­än­dern müssen.

Es wird m.E. drin­gend Fort­bil­dun­gen zum The­ma Bewer­tung und Beno­tung beim Distanz­ler­nen geben müs­sen. Nicht, weil das inhalt­lich so erstre­bens­wert ist, son­dern um viel­leicht auch läh­men­de Ängs­te bei man­chen Lehr­kräf­ten zu mil­dern. Angst ist das, was wir zur­zeit am wenigs­ten brau­chen können.

Ich mer­ke, dass ich den Fokus von Bera­tung mehr und mehr weg hin zu: „Ihr macht das am bes­ten jetzt so und so aus den und den Grün­den!“ ver­schie­be. Die Zeit des krea­ti­ven Ent­wi­ckelns kann wie­der in der Zeit der stei­gen­den Sicher­heit kom­men. Es gibt Kolleg:innen, die sowas hier weder hören noch lesen wol­len und auch durch­aus öffent­lich sehr sau­er reagieren.

Für Nie­der­sach­sen wird der August ein Schei­de­punkt. Nord­rhein-West­fa­len und Hes­sen „erpro­ben“ für uns, wie das mit dem Kohor­ten­sys­tem funk­tio­niert. Zumin­dest ist klar, dass wir in der letz­ten Feri­en­wo­che deut­lich mehr wis­sen wer­den als zu Beginn der Krise.

Sor­gen machen mir die gesell­schaft­li­chen Lang­zeit­aus­wir­kun­gen der Kri­se. Wirt­schaft­lich und Psy­cho­lo­gisch. In unser aller Umfeld wird es Betrof­fe­ne geben.

 

 

 

Fortbildung für Lehrkräfte im Zeitalter der Digitalisierung

In mei­nen „Meta-Prä­sen­ta­tio­nen“, mit deren Hil­fe ich mich mit ande­ren medi­en­päd­ago­gi­schen Bera­te­rin­nen und Bera­ter in Nie­der­sach­sen aus­tau­sche, blieb ein Kol­le­ge an die­ser Folie hängen:

Nach sei­ner Mei­nung sei das eine ganz bedeu­ten­de Gra­fik für die zukünf­ti­ge Arbeit von medi­en­päd­ago­gi­schen Bera­te­rin­nen und Bera­tern. Ich war erst ein wenig irri­tiert und bin dar­über dann hinweggehuscht.

Der Bedarf hier bei uns in der Gegend ist gera­de im Bereich „Umgang mit Gerä­ten“ sehr groß. Das ist für mich eigent­lich der zwei­te Schritt vor dem ers­ten, aber ich habe da schon eini­ge Ideen. Einer mei­ner Aus­schrei­bungs­tex­te in der Ver­an­stal­tungs­da­ten­bank des Lan­des lau­tet wie folgt:

Die inter­ak­ti­ve Tafel im Schulalltag

Vie­le Schu­len im Land­kreis Clop­pen­burg sind in den letz­ten Jah­ren mit inter­ak­ti­ven Tafel­lö­sun­gen aus­ge­stat­tet worden.

 Im Rah­men die­ser Fort­bil­dung ler­nen Sie Bei­spie­le zum didak­ti­schen Ein­satz die­ser Gerä­te ken­nen. Der Fokus liegt dabei nicht auf der Vor­stel­lung von Spe­zi­al­an­wen­dungs­fäl­len, son­dern schwer­punkt­mä­ßig wer­den Sie mit den Grund­funk­tio­nen der Gerä­te ver­traut gemacht.

Ihr eige­nes Han­deln steht dabei im Vor­der­grund. Sie arbei­ten selbst oder in klei­nen Teams pro­dukt­ori­en­tiert anhand von Auf­ga­ben mit unter­schied­li­chem Schwie­rig­keits­grad. Fron­ta­le Antei­le beschrän­ken sich auf kur­ze Impul­se. Wäh­rend der Ver­an­stal­tung wer­den Sie selbst­ver­ständ­lich beglei­tet und beraten.

 Für die Dau­er der Ver­an­stal­tung ste­hen fünf inter­ak­ti­ve Tafel­lö­sun­gen in vier Räu­men zur Ver­fü­gung, an denen in 3er-Teams gear­bei­tet wer­den kann.

 Falls vor­han­den brin­gen Sie bit­te Ihr eige­nes digi­ta­les Arbeits­ge­rät mit, wel­ches Sie im Schul­all­tag nut­zen (Tablet, Note­book, Handy …).

Es wird kei­ne Mate­ria­li­en in gedruck­ter Form geben, son­dern die­se ste­hen in Form eines Wikis aus­schließ­lich digi­tal bereit. Die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer müs­sen also streng genom­men gar nicht selbst kom­men. Wenn Schwie­rig­kei­ten bei der Umset­zung auf­tre­ten, kön­nen sie sich aber ent­we­der gegen­sei­tig unter­stüt­zen oder von mir Hil­fe holen. Auch das gin­ge prin­zi­pi­ell auch digi­tal ver­mit­telt. Ich möch­te in einer Feed­back­run­de das Mate­ri­al bespre­chen. Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge arbei­te ich gleich live ins Wiki ein. Das könn­ten die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer prin­zi­pi­ell auch selbst tun. All das möch­te ich ganz am Ende in einer Meta­me­ta­dis­kus­si­on noch ein­mal offen­le­gen und reflektieren.

Mir ist auf die­ser Fort­bil­dung wich­tig, die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer mit­ein­an­der in Inter­ak­ti­on zu brin­gen und ihnen bewusst zu machen, dass alle ange­wand­ten Prin­zi­pi­en auf auch ande­re The­men­be­rei­che über­trag­bar sind – z.B. auf die Fort­bil­dungs­an­ge­bo­te, die bereits schnell aus­ge­bucht waren – weil es das Netz prin­zi­pi­ell mög­lich macht. Ich nut­ze dafür bewusst sehr nie­der­schwel­li­ge Inhal­te. Die Inhal­te sind hier wich­tig – aber auch die Metho­dik. Die­se Metho­dik brau­che ich für sinn­vol­le Fort­bil­dun­gen zu allen ande­ren Berei­chen – z.B. bei ver­netz­ter und geleb­ter Curriculumsarbeit.

Ich hof­fe, dass der Aus­schrei­bungs­text schon ent­spre­chend vor­fil­tert und nur Lehr­per­so­nen anspricht, die kei­ne fron­ta­len Set­tings erwarten.

Just zum glei­chen Zeit­punkt hat Phil­ip­pe Wampf­ler einen Bei­trag mit den Titel „Lehr­per­so­nen über­for­dern – ein Vor­schlag für Work­shops“ ver­öf­fent­licht. Ich ver­ste­he den Arti­kel so, dass es eine „Hid­den Agen­da“ gibt: Ein­mal wer­den Lehr­per­so­nen mit Inhal­ten kon­fron­tiert, die nicht zu ihren erlern­ten und als sicher emp­fun­de­nen Vor­stel­lun­gen von Schu­le und Ler­nen pas­sen (z.B. in BYOD-Set­tings ver­liert Instruk­ti­on an Bedeu­tung). Zum ande­ren wer­den Lehr­kräf­te mit unge­wohn­ten Tools kon­fron­tiert (z.B. dem kol­la­bo­ra­ti­ven HackMD), die wahr­schein­lich impli­zit die Hid­den Agen­da auf der metho­di­schen Ebe­ne ver­stär­ken (sol­len). Dazu kommt ein tech­no­lo­gi­scher Ter­mi­nus „Block­chain“, der im Zen­trum der eigent­li­chen Auf­ga­ben­stel­lung steht (in Deutsch­land mutiert die­ser Begriff mitt­ler­wei­le zu einem der tra­gen­den beim Bull­shit-Bin­go in Reden von Poli­ti­kern über Bil­dung). Ja, das ist geziel­te Überforderung.

Aus mei­ner Pra­xis her­aus sage ich: Der Ansatz *muss* auf sehr vie­len Ebe­nen schei­tern und wird nur einen Bruch­teil von Work­shop­teil­neh­mern errei­chen kön­nen – wahr­schein­lich sogar nur die­je­ni­gen, die die­sen Work­shop gar nicht für ihren Lern­pro­zess gebraucht hät­ten. Hoch­pro­ble­ma­tisch fin­de ich vor allem die Hid­den Agen­da. Sie ist eigent­lich ein typi­scher Beglei­ter des klas­si­schen gym­na­sia­len Unter­richts (oder von Expe­ri­men­ten in der psy­cho­lo­gi­schen For­schung): Lern­zie­le ste­hen vor der Stun­de fest und die Schü­le­rin­nen und Schü­ler wer­den durch aus­ge­klü­gel­te didak­tisch-metho­di­sche Set­tings zu die­sen Zie­len „geführt“. Hid­den Agen­das sind für mich abso­lut in Ord­nung, wenn sie am Schluss einer Lern­si­tua­ti­on mit den Teil­neh­men­den auf­ge­deckt und reflek­tiert wer­den. Das scheint bei die­ser Work­shop­an­la­ge aber nicht zu gesche­hen oder wird in der Beschrei­bung nur nicht sichtbar.

 

Mauern ist eine Form von Gewalt

Anfang der Woche hat das zwei­te Modul mei­nes Trai­ner-Trai­nings statt­ge­fun­den – ich hat­te schon an ande­rer Stel­le dar­über berich­tet. Dies­mal ging es unter ande­rem um das The­ma Kon­flik­te und ein wenig Change-Management.

Wenn man Schu­len berät, ist es gar ein­mal so sel­ten, dass man mit­ten in einen Kon­flikt hin­ein­ge­rät. Vor­der­grün­dig mag es um Medi­en­kon­zep­te und Tech­nik gehen – hin­ter­grün­dig toben Gra­ben­kämp­fe: Han­dys erlau­ben oder nicht? WLAN öff­nen oder nicht? Web2.0 – und was ist mit dem Daten­schutz? Sor­gen die­se Din­ger nicht für eine unglaub­li­che Entfremdung?

Natür­lich dringt man als Bera­ter ver­meint­lich auch in Refu­gi­en ein: Der Sys­tem­be­treu­er macht es seit Jah­ren so und es hat sich bis­her noch nie­mand beschwert. Die Video­kas­set­te passt ein­fach nicht in den USB-Slot. Sind Film, Over­head­pro­jek­tor und Tafel etwa kei­ne Medi­en? Und eigent­lich geht das alles doch viel zu langsam.

Die Men­schen, die an der Schu­le im Bereich der neu­en Medi­en und Unter­richts­for­men etwas bewe­gen wol­len, sehen viel­leicht in mir den Ver­bün­de­ten. Die Bewah­rer sehen viel­leicht die Bedro­hung ihrer alten Struk­tu­ren in mir personifiziert.

Ver­bün­de­te sind gut, Bewah­rer schlecht – soll­te man mei­nen. Die Ver­ein­nah­mung mei­ner Per­son durch einer die­ser bei­den Grup­pen macht mich in der Logik sys­te­mi­schen Den­kens zu eine Teil des Sys­tems. Ein erfolg­rei­cher Bera­tungs­pro­zess erfor­dert aber in die­sem Kontrukt vor allem eins: Neu­tra­li­tät. Das war die­ses Mal in Etel­sen in unse­rer klei­nen Grup­pe ein zen­tra­les Thema.

  • Was mache ich als Bera­ter mit über­grif­fi­gen Ber­mer­kun­gen? (Was soll das schon brin­gen! Sie haben ja kei­ne Ahnung, was hier los ist!)
  • Wie sind Kon­flik­te struk­tu­riert und wie erken­ne ich die ein­zel­nen Pha­sen? Wann hat es z.B. auch schlicht kei­nen Sinn?
  • Wie wer­de ich den Was­ser­fall­red­nern Herr?
  • Was mache ich mit Schweigern?
  • Wie wah­re ich die Distanz zum System?
  • Wie las­se ich mei­ne eige­nen Vor­stel­lun­gen (zunächst) außen vor?
  • Was bedeu­tet Ver­än­de­rung für das Sys­tem einer Schule?

Auch die­ses Mal war die Kame­ra dabei. Die Set­tings der Rol­len­spie­le und Übun­gen wur­den anspruchs­vol­ler und her­aus­for­dern­der. Die Tagung bau­te auf den Kom­pe­ten­zen auf, die wir in dem vor­an­ge­hen­den Modul erwor­ben haben.  Dabei geschieht so eini­ges inner­halb einer Grup­pe. Gren­zen wer­den erreicht und über­schrit­ten. Und der Lap­top war drei Tage nicht ein­ge­schal­tet, das WLAN-Netz zwar gut aus­ge­baut, aber den­noch unwichtig.

Für uns geht es im Som­mer auf Schloss Puch bei Linz auf der Stu­di­en­wo­che der IAKM wei­ter – in den Feri­en. Der Zug ist schon gebucht. Ich bin sicher, dass auch die­se Zeit inten­siv wird.  Eigent­lich soll­ten Bera­tungs­kom­pe­ten­zen ein ganz fes­ter Teil der Lehr­amts­aus­bil­dung wer­den… Sie hel­fen auch im Unter­richt und auf Konferenzen.

Mein Anspruch ist Verengung

Anfang der Woche war ich auf einer Fort­bil­dung auf Schloss Ete­le­sen:

Als medi­en­päd­ago­gi­sche Bera­ter erhal­ten wir eine Ein­füh­rung in die Grund­prin­zi­pi­en der sys­te­mi­schen Bera­tung. Die­se Fort­bil­dung erfolgt in vier Modu­len, wovon zwei in die Feri­en­zeit fal­len. Am Tagungs­ge­bäu­de lässt sich in etwa erken­nen, auf wel­chem Niveau sich das Gan­ze bewegt: Zwei Coa­ches waren für eine Grup­pe aus zehn medi­en­päd­ago­gi­schen Bera­ter zustän­dig. Die Video­ka­me­ra lief auch gele­gent­lich mit, so dass man sich mit dem Blick von außen selbst beob­ach­ten konn­te. Mich beein­druckt eigent­lich wenig – aber die­se Fort­bil­dung gehört zwei­fels­oh­ne zu den Erleb­nis­sen, die mich tief beeindrucken.

Was ist sys­te­mi­sche Beratung?

Für mich ist es die Kunst zu bera­ten ohne dabei selbst Teil eines Sys­tems zu wer­den. Als medi­en­päd­ago­gi­scher Bera­ter „fühlt“ man oft mit z.B. Schu­len, die vom Schul­trä­ger hin­sicht­lich der Medi­en­aus­stat­tung ver­nach­läs­sigt wer­den. Als Tech­ni­ker „fühlt“ man oft mit Sup­port­mit­ar­bei­tern des Schul­trä­gers, die oft genug mit anse­hen müs­sen, wie teu­er beschaff­te Hard­ware nicht oder unsach­ge­mäß genutzt wird. Als Leh­rer „fühlt“ man gele­gent­lich mit Schü­lern, die ihre digi­ta­len Gerä­te auch in der Schu­le nut­zen wol­len usw.. Men­schen, die ich in tech­ni­schen Ange­le­gen­hei­ten bera­te, erwar­ten von mir oft Lösun­gen: „Kauft iPads, macht WLAN usw.“. All das ist von einem sys­te­mi­schen Ansatz her betrach­tet abso­lut unproduktiv.

Bera­ten wer­den in der sys­te­mi­schen Bera­tung – der Name sagt es schon – immer Sys­te­me, also meh­re­re Per­so­nen, Gre­mi­en oder Grup­pie­run­gen. Sys­te­me befin­den sich immer in einer Art Gleich­ge­wicht und ent­wi­ckeln Struk­tu­ren, um die­ses Gleich­ge­wicht zu sta­bi­li­sie­ren. In der sys­te­mi­schen Bera­tung geht es in einem ers­ten Schritt dar­um, die­se oft unbe­wuss­ten Struk­tu­ren bewusst zu machen, ja sie sogar durch bestimm­te Tech­ni­ken zu visua­li­sie­ren. In einem wei­te­ren Schritt wer­den durch geziel­tes Pro­jekt­ma­nage­ment Ideen ent­wi­ckelt, um opti­ma­le Struk­tu­ren zu erhal­ten und nicht-opti­ma­le zu ver­än­dern. Dabei geht es nicht dar­um, das Sys­tem „allei­ne“ zu las­sen, son­dern immer wie­der dar­um, alle Betei­lig­ten dazu zu brin­gen, neue Stand­punk­te und Sicht­wei­sen ein­zu­neh­men, die eine Offen­heit oder eine ande­ren Blick auf z.B. tech­ni­sche Lösun­gen ermög­li­chen – oder in Web2.0‑Sprech: Schwarm­in­tel­li­genz zu katalysieren.

Dazu haben wir eine Rei­he von prak­ti­schen Übun­gen absol­viert, bei denen wir qua­si an uns selbst erlebt haben, wel­che Effek­te durch sys­te­mi­sche Tech­ni­ken in einem Kli­en­ten­sys­tem zu errei­chen sind. Für den Lern­pro­zess war genau die­ses Erle­ben das Essen­ti­el­le. Man kann eine Rei­he schlaue Bücher über sys­te­mi­sche Bera­tung lesen – sie wer­den jedoch kei­nen Ein­druck von ihrem Wesen ver­mit­teln. Alles Gelern­te lässt sich direkt bei Bera­tun­gen anwen­den – mei­ne am Frei­tag ver­fass­ten Mails waren schon von den Refle­xi­ons­pro­zes­sen beeinflusst.

Ein abso­lu­ter Glücks­fall war dabei die Grup­pe der medi­en­päd­ago­gi­schen Bera­ter, die ein­fach pass­te und auf die ich mich bei den nächs­ten Modu­len sehr freue. Nur so war Arbeit an dem mög­lich, an was wir uns in Schu­le oft nicht her­an­trau­en: Haltung.