Liebenswerte Störenfriede
Es gibt Haltungen und Ansätze, die mir meine Arbeit als medienpädagogischer Berater extrem erschweren.
Wir als Beratungssystem sind ständig lobbyistischer Einflussnahme ausgesetzt. Gähn. Kennen wir allmählich. Ich halte persönlich z.B. wenig von Calliope – da gibt es m.E. etabliertere Mikrocontroller (allerdings ohne Lobby dahinter) und mehr von integrierten Ansätzen. Meine Kinder bekommen erst ein Smartphone ab 12 Jahren, ich bin gegen Coding in der Grundschule und ich erziehe meine Kinder so lange wie möglich außerhalb digitaler Sphären.
In den letzten Tagen ging dieser Kommentar durch Twitter. Die Autorin vertritt die Auffassung, dass Codingkenntnisse im Zeitalter der Arbeitsteilung nicht notwendig sind und es wird einmal mehr das gute, alte Autoargument angeführt: „Man muss keinen Motor verstehen, um Auto zu fahren.“ (mit diesem Argument wären eine ganze Reihe von jetzigen schulischen Inhalten übrigens nicht notwendig). Dann wird noch schnell der Digitalpakt mit dem Coden derart verknüpft, dass damit die Voraussetzungen geschaffen werden sollen, das „lobbyistische Coding““ endlich in die Schulen zu bringen. Und Steve Jobs sprach mit seinen Kindern über Literatur (Sagt das irgendwas darüber aus, wie in der Familie Jobs mit informatischer Bildung umgegangen worden ist?). Und am Schluss wird dann gutbürgerlicher Stoffkanon (dort übrigens kein Wort über Medienkompetenz) vor das Coden gestellt, Joseph Krauss ist der Retter des Schulsystems, wenn er fordert, Computer aus Grundschulen zu verbannen und fertig.
Kann man so machen – muss man aber nicht. Von einem „Qualitätsmedium“ wie der F.A.Z. erwarte ich irgendwie mehr. Ich verstehe außerdem nicht, wogegen die Autorin agitiert – selbst der Umgang mit dem momentan sehr hippen Calliope hat zunächst nichts mit Coding zu tun – gar nichts, eher mit informatischen bzw. logischen Grundkonzepten (Ja, man kann mit dem Ding theoretisch logisches Denken lernen, aber eine quelloffene Plattform wie Scratch würde es zugegebenermaßen auch tun.).
Die in dem Kommentar auftretenden „Kausalketten“ höre ich dann wieder und wieder in Beratungsprozessen zu Medienbildungskonzepten. Jahaaa – Lesen, Schreiben, Rechnen, Literatur und kritisch Denken – so unvermeidliches Zeug wie Jugendmedienschutz sourcen wir dann aus an freie Medienpädagogen und ansonsten bleibt Schule halt so, wie sie bleibt.
Wer für das Coden in der Schule ist, der ist dem Lobbyismus verfallen. So einfach funktioniert zur Zeit die Denke in die Feuilletons und Feuilletons sind immer noch das, was der gebildete Lehrer von heute oft liest.
Für Internetgiganten und auch totalitäre Systeme könnte es nicht besser laufen: Je weniger das gemeine Volk von den Grundlagen informatischer Systeme versteht und das „Auto einfach nur möglichst lustbetont fährt“, desto besser und desto leichter lassen sich z.B. Algorithmen implementieren, die – wie Philippe Wampfler unlängst schrieb – „Freiheitsmomente […] in der höchsten Qualität“ anbieten. Ich stimme dem sogar zu, wenn ich von starken Demokratien ausgehe, deren politische Systeme für einen Interessenausgleich zwischen Datensammlern und Nutzern sorgen. Es läuft damit gerade nicht so super in China oder der Türkei.
Dummerweise sind starke Demokratien auf unserem Globus nicht unbedingt die Regel. Und auch in einer starken Demokratie wäre es für die Beurteilung von Algorithmen nicht ganz verkehrt, einiges darüber zu wissen als sich mit Kompetenzgeseier alte Weltbilder zu bestätigen.
Es geht mir als Berater gerade nicht darum, Internetgiganten kampflos das Feld zu überlassen, sondern ich denke, dass man Politik – ganz gleich ob es z.B. Umwelt‑, Netz- oder Sozialpolitik ist – auf Basis von rudimentären Wissensbeständen nachhaltiger betreiben kann. Dazu sind Software und Geräte als Hilfsmittel unerlässlich und die muss irgendwer herstellen und entwickeln. Das sind i.d.R. Firmen und das ist genau so lange kein Problem, wie ebendiese keinen inhaltlichen Einfluss auf Schule nehmen oder so lange kein Problem, wie dieser Einfluss in Schule einen unabhängigen Konterpart hat. Es wäre schön, wenn das auf Dauer nicht allein die Medienberatung der Länder wäre, sondern informatische gebildete Schülerinnen und Schüler sowie natürlich auch Lehrkräfte.
Das halte ich aber noch für eine längeren Weg. Das ist ja genau das Problem: Lobbyismus trifft hier auf weitgehend unbestellte Felder, an denen derartige Kommentare nicht ganz unschuldig sind.
Ich bin mir nicht sicher, ob sich dieses Problem wirklich dadurch lösen lässt, Geräte aus den Schulen herauszuhalten – geht auch gar nicht, weil die in Form von Handys und wahrscheinlich bald auch in Form von Wearables schon da sind.
Die Antwort darauf kann nur Bildung sein und dazu gehört für mich im Zeitalter der Digitalisierung auch informatische Bildung. Möglichst früh. Geht auch ohne Gerät und unterstützt dann sogar Lesen, Schreiben, Rechnen und logisches Denken.
Es geht dabei – richtig angepackt – also schon um ein wenig mehr als darum, der IT-Industrie willfährige Programmierer zuzuführen. Leider bewegt sich die Debatte m.E. oft auf unterkomplexem Niveau.