Nach langer Zeit kommt hier endlich wieder etwas Fachliches. Mich nerven seit Jahren Lehrbücher mit einem Satz, der immer wieder in der einen oder anderen Form auftritt. Er lautet:
Wie man leicht sieht…
Entweder ich gehöre nicht zur Spezies „man“, ich bin unbegabt oder einfach zu kritisch. Ich sehe zumindest in den seltensten Fällen die ausgelassenen Zusammenhänge „leicht“. Ein prima Beispiel ist der Kw- bzw. pKw-Wert, also das Ionenprodukt des Wassers. Die meisten Lehrbücher machen das so (oder ähnlich):
In geringem Maße protolysiert Wasser sich selbst. Darauf ist auch die geringe Leitfähigkeit von reinem Wasser zurückzuführen. Die Reaktion verläuft gemäß:
Für diese Reaktion lässt sich die Massenwirkungskonstante K formulieren:
Und jetzt kommt der Satz:
Wie man leicht sieht, kann die Konzentration des Wasser bei verdünnten sauren und basischen Lösungen als weitere Konstante betrachtet und die Konzentration des Wassers mit in die Massenwirkungskonstante K einbezogen werden, indem man beide Seiten mit dem Term c(H2O)2 multipliziert:
also
Da der Term K * c(H2O)2 jetzt gemäß obiger Voraussetzung ein Produkt zweier Konstanten ist, fasst man beides zu einer neuen Konstante Kw zusammen:
Der Wert von 10-14 mol2/L-2 ergibt sich aus der Tatsache, dass reines Wasser einen pH=Wert von 7 aufweist, dort also gilt c(H3O+) = c(OH-) = 10-7 mol/L. So weit so gut. Aber was geschieht eigentlich, wenn man die reale Konzentration des Wassers mit einbezieht? Wie stark weicht dann Kidealisiert (Annahme: Die Konzentration des Wassers ist konstant) dann von Kreal (die Konzentration des Wassers ist nicht konstant) ab?
… sie sollen lernen, sich als mündige Netzbürger zu verhalten und am Netz zu partizipieren, indem sie z.B. auch neues Wissen schaffen und anderen Menschen zugänglich machen. „Harvester“ – d.h. Leute, die hauptsächlich im Netz Know-How abgreifen ohne dafür auch nur eine ideelle Gegenleistung abzuliefern (und wenn es nur eine gewisse Mühe bei der Formulierung von Fragen in z.B. Foren ist), gibt es schon genug. Jeder, der sich aktiv in Foren oder Communities betätigt, sollte das Phänomen kennen, dass zu Zahl der Hilfesuchenden die Zahl der Hilfegebenden oft um Potenzen übersteigt – das ist in Ordnung, wenn die Hilfesuchenden an anderer (inhaltlicher) Stelle ihr eigenes Wissen und ihre eigenen Kompetenzen weitergeben.
Es kann für mich daher nicht darum gehen, SuS allein mit den Kompetenzen auszustatten, das Netz zu „benutzen“. In meinen Augen muss der Weg sein, SuS anzuleiten, das Netz zu gestalten mit ihren Ideen, Visionen und Inhalten. Das geht für mich Hand in Hand: Denn wer erlebt, dass sein Wissen etwas wert ist – etwa weil es oft abgerufen wird – der wird auch eher bereit sein, seine Bemühungen auf diesem Bereich zu intensivieren, was letztlich seine eigene Reputation stärkt: Er ist im Netz vertÅ•eten, nicht allein als Konsument, sondern als Prosument.
Wie beginnen? Harvester sind 1.0 – wer 2.0 erreichen möchte, muss in erster Linie Vorbild sein, weil man – so man authentisch bleiben möchte – SuS nichts abverlangen darf, was man selbst nicht zu leisten bereit ist. Prosumieren wir das Netz. Das kann jeder in jeder Alterstufe: Ob man nun mit Legomännchen Loriotsketche nachstellt, Musikstücke mit eigenen Videos unterlegt oder sonstwas. Alles ist möglich. Erst geschützt und reflektiert (z.B. Moodle), dann öffentlich mit öffentlichem Feedback (z.B. Blog, Twitter…).
… denn unser Wissen selbst veraltet so schnell, dass Inhalte mehr und mehr irrelevant werden. Täglich kommt so viel Wissen hinzu, dass wir einmal mehr dieses Wissen niemals beherrschen können – selbst wenn wir wollten. Deswegen müssen wir in der Schule weg von der Kultur der reinen inhaltlichen Wissensvermittlung. Wir müssen hin zu einer Kultur der Kompetenzvermittlung. Wir müssen den SuS Möglichkeiten und Methoden an die Hand geben, damit diese das Wissen der Welt selbst erschließen.Denn wir bilden heute Menschen für Berufe aus, die es in ihrer Profilierung erst noch geben wird.
Grob zusammengefasst höre ich diese Töne gerade im Kontext von Web2.0 sehr oft. Die Bezeichnung durch das Wort „Töne“ impliziert bereits meine Einstellung zu solchen Sätzen. Ich halte den Anspruch – zumindest in bestimmten Alterstufen für sehr gefährlich. Volker Pispers stellt die in meinen Augen möglichen Konsequenzen sehr überzogen und generalisierend dar, trifft aber den Kern meiner Kritik am verabsolutierten Kompetenzkonzept:
Nehmen wir einmal an, es gibt wirklich Unternehmensberater, Investmentbanker usw., die so klischeehaft handeln, wie von Volker Pispers 2004(!) dargestellt. Sie könnten nach meinem Verständnis nicht existieren ohne gewaltige Kompetenzen im kommunikativen und methodischen Bereich. Was müssten sie aber können, um nachhaltige volkswirtschaftliche Werte zu schaffen? Was müssten sie wissen, um Unternehmen erfolgreich zu beraten?
In meinen Augen müssten sie etwas über z.B. Humanismus wissen. Sie müssten etwas über Soziologie und Politik wissen. Sie müssten etwas über geschichtliche Zusammenhänge wissen. Sie müssten etwas über das Produkt der Firma und die Arbeitsbedingungen in der Firma wissen bzw. erfahren haben, was z.B. körperliche Arbeit bedeutet.
Dazu gehört für mich in Ansätzen auch technisches Know-How, das ich so oft auch im Web2.0‑Kontext vermisse. Der Ausdruck von Unwissen im Web2.0 lauten für mich: „Ich will anwenden, das muss bunt sein und die Technik dahinter interessiert mich nicht – das kann man doch nicht alles wissen!“. Dieses Wissen kann z.B. anhand von Beispielen vermitteln werden, die idealerweise prototypische Konzepte vorbereiten/implizieren. Ohne die Beispiele kann ich den prototypischen Charakter nicht abstrahieren, weil ich dazu ja Parallelen finden muss, bzw. auch parallele Beispiele. Das kann in meinen Augen kein Unterstufenschüler in dieser Absolutheit leisten. Er muss z.B. mit verschiedenen Wertesystemen konfrontiert werden – das geht zunächst nur über den Inhalt, woraus dann Kompetenzen erwachsen, die unbedingt zu reflektieren, auf einer Metaebene aufzubereiten und einzuüben sind, indem man die auf neue Sachverhalte projeziert. Das im Kompetenzumfeld entwickelte Akzeptor-/Donatorkonzept in der Chemie finde ich in dieser Beziehung ganz hervorragend.
Das was wir an Wissen nicht haben, werden wir später durch Kompetenzen nicht aufwiegen. Der reine Kompetenzmensch ist in meinen Augen der abhängige Mensch von Morgen. Wie viele Menschen sind z.B. von einer bestimmten Benutzeroberfläche eines Rechners abhängig, weil sie nicht verstehen wollen, was der Rechner für sie macht? Relevantes Wissen im IT-Bereich bedeutet das Erlernen von Konzepten – etwa der Objektorientierung – die es erlauben, jedes Schreibprogramm, welche objektorientiert arbeitet (das tun fast alle) zu bedienen. Das ermöglich mir Freiheit bei der Wahl meines Softwareanbieters. Dazu benötige ich zunächst aber Wissen um die Objektorientierung und ich brauche jemanden, der erkennt, dass die Objektorientierung relevantes Wissen darstellt. Habe ich dieses Wissen nicht, muss ich andere Leute fragen oder für eine Dienstleistung zahlen.
Kompetenzen fangen für mich immer mit dem Inhalt an – nie mit der Methode, nie mit dem Medium. Wir können nicht alles wissen. Das heißt aber nicht, dass wir kein Wissen mehr vermitteln sollten oder dass wir keines mehr brauchen. Junge Menschen wissen naturgemäß weniger oder andere Dinge über das, was man Leben nennt. Geben wir unser Wissen an die Jüngeren weiter – unser relevantes Wissen bzw. das Wissen, welches wir dafür halten.
Am vergangenen Freitag war die Bildungsexpedition bei uns zu Gast. „Expeditiert“ wurde das Streitschlichterprojekt bei uns an der Schule – mit dem ich absolut nichts zu tun habe, außer dass ich es für so bemerkenswert hielt, um einen Vorschlag meinerseits für die Bildungsexpedition zu rechtfertigen. Natürlich gibt es auch einen Film:
An dem Film gefällt mir, dass auch SuS zu Wort kommen und ihre Eindrücke schildern. Außerdem bin ich überrascht von der Qualität, an der zu sehen ist, dass ein Lutz Berger das nicht zum ersten Mal macht. An dem Gespräch haben mir die lockere und warme Atmosphäre sowie das offenkundige Interesse der Expediteure am Streitschlichterprojekt ungemein zugesagt. Ich bin übrigens der Typ mit dem Hausaufgaben-T-Shirt…
Später am Abend habe ich alle Expediteure noch beim Abendessen getroffen – nein in diesem Hotel gab es kein WLAN (gibt ja im ländlichen Bereich hier in der Gegend nur rudiementär DSL) – und mich interviewen lassen. Wer es sich anhören mag:
Mir hat es Spaß gemacht und ich habe einmal mehr wieder neue Techniken kennen gelernt (1000mikes). Alle Interviews der Bildungsexpedition gibt es hier.
PS:
Ich glaube, dass die Expediteure sich vielleicht nicht genug klarmachen, was für ein Push-Effekt gerade für SuS von Ihrer gelungenen und positiven(!) Aktion ausgeht. Das sind u.a. Referenzen, die jeder potentielle Arbeitgeber später gerne sieht. Von den Auswirkungen auf das eigene Selbst möchte ich hier gar nicht erst sprechen…