Es kristallisiert sich bei mir in Beratungsprozessen zunehmend ein Ungleichgewicht bei der KI-Nutzung (KI hier als Synonym für Sprachmodelle) von
Sollte ich als Lehrkraft den KI-Einsatz z.B. bei Feedback oder Unterrichtsplanung transparent machen?
Es kristallisiert sich bei mir in Beratungsprozessen zunehmend ein Ungleichgewicht bei der KI-Nutzung (KI hier als Synonym für Sprachmodelle) von Lehrkräften und Schüler:innen heraus.
Weil Schüler:innen KI nutzen, gibt es ein großes Bedürfnis nach technischen Lösungen, wie man das herausfinden kann, denn das wäre ja Betrug, weil man die Leistung eines technischen Systems als die eigene ausgibt.
Wenn Lehrkräfte hingegen KI-Systeme zum Erstellen von Feedback oder Unterrichtsvorbereitungen nutzen, dann ist das eine selbstverständliche Nutzung eines Werkzeugs zur Entlastung im zunehmend belastenderen Beruf. Weil es eben nur ein Werkzeug wie z.B. die automatische Rechtschreibkorrektur oder ein Wörterbuch ist, muss das nicht transparent gemacht werden.
Das riecht oberflächlich betrachtet natürlich ziemlich streng nach Adultismus: Erwachsene Lehrkräfte „dürfen“ etwas, was Schüler:innen nicht dürfen. Zusätzliche Legitimation erhält das dadurch, dass KI-Werkzeuge explizit mit diesen Möglichkeiten für Lehrkräfte beworben und durch manche Kultusministerien selbst promotet werden. Wenn selbst der Dienstherr mir diese Tür öffnet, dann ist diese Art der Werkzeugnutzung in der Wahrnehmung von Lehrkräften natürlich auch legitim.
Die häufige Kritik an mich dabei ist der Vorwurf, letztlich innovationsfeindlich zu sein. Ich versuche im Verlauf dieses Textes zu erklären, warum es wichtig ist, die Frage zuzulassen, ob man als Lehrkraft den Einsatz von KI Schüler:innen gegenüber transparent machen sollte. Die Entscheidung muss jeder selbst treffen.
Transparenz entwertet die Leistung der Lehrkraft gegenüber Schüler:innen
Gedankenexperiment: Ich habe mich verliebt und möchte das zum Ausdruck bringen. Ich nutze ein Sprachmodell, um ein Treffen mit dem angebeteten Menschen über einen Messenger anzubahnen. Welche Aussichten auf ein Treffen habe ich, wenn ich das im Chatverlauf bereits transparent mache?
Ich denke: Keine.
Intutitiv wird mein Gegenüber wahrnehmen, dass er/sie mir es nicht einmal wert war, dass ich mich als Mensch in den ersten Kontakt einbringe.
Das spüre ich als Nutzer der Sprachmodelle natürlich ebenfalls intuitiv. Ich legitimiere den Einsatz aber vielleicht dadurch vor mir selbst, dass ich zwar schlecht schreiben, mich aber real gut präsentieren kann.
Ohne den Einsatz der KI würde ich nicht einmal die Chance auf ein Treffen bekommen!
Wenn ich diese Transparenz als Lehrkraft gegenüber Schüler:innen in Feedbackprozessen herstelle, könnten die Wahrnehmungen ähnlich sein: Vielleicht werde ich in meiner beruflichen Kompetenz anders wahrgenommen, vielleicht empfinden Schüler:innen sich durch automatisierte Feedbackprozesse weniger wertgeschätzt. Ich glaube, dass das der Grund für die Verweigerung von Transparenz in diesem Bereich ist.
Aber ohne den Einsatz von KI würden die Schüler:innen angesichts meiner eigenen Belastung nicht einmal die Chance auf ein individualisiertes Feedback bekommen!
Durch KI-Feedback stabilisieren wir ein reformbedürftiges System
Der Ausweg besteht dann darin, von vornherein ein System zu nutzen, bei dem die Präsenz der KI komplett transparent ist – da gibt es ja das ein oder andere am Markt.
Wir stellen aber fest, dass wir im bestehenden System nicht in der Lage sind, Schüler:innen angemessen und individualisiert Feedback zu geben. Um das zu können, lagern wir das Feedback an technische Systeme aus, lassen uns davon unterstützen oder geben uns den Versprechen hin, dass das irgendwann möglich sein wird.
Aber die eigentliche Ursache liegt doch im System – vor allem darin, dass „Kompetenznachweise“ grundsätzlich an Produkten geführt werden, deren Erstellung für KI-Systeme mittlerweile ein Leichtes ist.
Ich glaube, dass Kompetenzen innerhalb von Prozessen entstehen (und ich glaube daran, dass der Prozessbegriff den Kompetenzbegriff bald ablösen wird). Indem (operationalisiert) ich einen Text schreibe, lerne ich einen Text zu schreiben. Indem ich eine Programmieraufgabe löse, lerne ich zu programmieren. Indem ich Fingerläufe auf der Gitarre übe, lerne ich ein Musikstück zu spielen.
Aber das ist Stress. Für mich ist es heute totaler Stress, mir einfache Tabulaturen von Eva Cassidy draufzuschaffen und ich schaue dann lieber YT-Videos, die mir das zeigen. Aber ich kann bis heute keinen Song von ihr spielen. Wenn aber mein Kollege, der Gitarre studiert hat, meine Technik anschaut müde lächelnd sagt: „Mh, das Problem dabei ist oft … Versuche doch mal …“ und vielleicht noch an meiner Haltung herumbiegt – dann geht es voran.
Jetzt stellen wir uns ein Bildungssystem vor, das Schüler:innen in vergleichbaren Prozessen unterstützt, sie an Klippen vorbeiführt, an denen schon viele Menschen vorher vorbei mussten. Dann entstehen andere Produkte. Welche Rolle hätte KI in einem solchen System? Welche Rolle hätten Produkte?
Indem Menschen KI nutzen, überspringen sie Prozesse. Menschen – also Schüler:innen und Lehrkräfte.
KI-Feedback ist pseudo-individuell
KIs sind statistische Modelle. Sie bilden statistische Wahrscheinlichkeiten ab. Eine KI „weiß“ nicht, dass Martha seit drei Jahren in Deutschland lebt und daran scheitert, dass ihr ihr Anspruch im Weg steht, möglichst hochtrabendes Deutsch zu schreiben. Eine KI „weiß“ nicht einmal, dass sie gerade einen Nonsense-Text erhalten hat und gibt brav und promptkonform statistisches Feedback zu einem Text, den ich maximal angelesen hätte.
Ich habe in meinem Feedback zu Martha eine Passage aus ihrem Text genommen und diese in eine Form übertragen, von der ich denke, dass Martha sie sprachlich beherrschen könnte.
Ich habe Peter geschrieben, dass sich die fehlende Struktur und assoziative Anlage seines Textes sprachlich u.a. in der häufigen Verwendung der Konjunktion „und“ widerspiegelt und(!) ihm ins „Aufgabenbuch“ drei seiner Sätze zum Umformulieren geschrieben.
Ich habe Luca meine Hochachtung für seinen Mut mitgeteilt, dass er sich in der Klausur etwas mit eigenem Stil getraut hat, obwohl das nicht immer der Aufgabe gerecht wurde.
Ich weiß im Gegensatz zur KI nämlich etwas über Martha, Peter und Luca. Und ich habe eine Vorstellung davon, was ich für eigenen Stil halte. Diese Vorstellung habe ich entwickelt, weil ich über jahrelange Korrekturerfahrung verfüge, die mir u.a. sagt, dass es Sinn macht, gezielt Entwicklungspotentiale in einem Feedback zu fokussieren, Schwerpunkte für Feedback zu setzen und nicht wahllos einen Text rot zu malen.
KI ist für mich in diesem Kontext maximal für Worthülsen und „Sprachfüllmaterial“ nutzbar – wie es der Dienstherr zunehmend verlangt (s.u.). Aber Martha, Peter und Luca würden das wahrscheinlich gar nicht bemerken, wenn ich für Feedback einfach nur KI-Ausgaben nutze und modifiziere, so wie ich nicht bemerken würde, wenn sie ihrerseits damit ihre Texte schrieben.
Aber hätte ich das mein Leben lang gemacht, sähe mein Lernprozess bezüglich des Feedbacks an Schüler:innen deutlich anders aus. Ich wäre vielleicht vergleichbar (in)effizient wie heute durch die technische Unterstützung, aber bei Weitem nicht so individualisiert.
Indem ich mich der Frage stelle, ob ich nicht den Einsatz von KI für Schüler:innenfeedback transparent machen sollte …
KI für entseelte Texte
In manchen Kultusministerien sollen Juristen sitzen, die den Rahmen für Reformen vorgeben und Recht nicht entwickeln (wollen). Aus solchen Kreisen sind m.E. in den letzten Jahren Vorgaben gekommen für alle Art von Konzepten, Berichten, Gutachten und dezidierten Korrekturvorschriften (z.B. nicht die notenäquivalenten Wörter wie „sehr gut“ usw. in Randbemerkungen zu nutzen). Der Hintergrund ist die Justitiabilität, das sich „Sich-nicht-angreifbar-machen“ im Falle von Auseinandersetzungen. Man möchte im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Lehrkräfte vor unangenehmen Situationen bewahren. Und ich glaube, dass dahinter letztlich tatsächlich eine gute Absicht mit etwas blöden Konsequenzen in der Fläche steht.
Diese ganzen Texte, die dabei entstehen, sind durch diese Vorgaben entseelt. Sie haben eine begrenzte Legitimation in Edge-Cases, werden aber zu 99% nie wieder gelesen oder kontrolliert. Sie müssen halt nur da sein. Solche Texte kann KI gut. Sehr gut sogar. Weil sie so oft wischiwaschi und sehr schematisch sind.
Mich juckt es in den Fingern, im nächsten Jahr, alle meine Abiturgutachten mit einem Transparenzhinweis zu versehen, dass zur Erstellung KI genutzt worden ist. Ich bin
- gespannt, was dann und ob etwas los ist
- wie nach Wegnahme des Hinweises überprüft werden soll, dass das Gutachten jetzt ohne KI erstellt worden ist (Wahrscheinlich müsste ich das schriftlich erklären und dann wäre das gut …)
Dass einige Dienstherrn die Unterstützung durch KI bei Korrekturen und Feedback aktiv bewerben, sich aber der Frage nach der Transparenz oft gar nicht, bzw. für mich nicht sichtbar stellen, ist doch ziemlich bezeichnend, oder?
Logisch wäre eine Dienstanweisung, das Zeug zu nutzen, aber das um Himmelswillen nicht transparent zu machen. Dann würde es nämlich wahrscheinlich spannend hinsichtlich der Justitiabilität.
Handyverbote an Schulen – ein Trend im Aufwind
In Bayern und Hessen ist die Nutzung von Handys an Schulen auf Ebene des Bundeslandes untersagt. Schulen können in ihrer jeweiligen Hausordnung die Art der möglichen Nutzung genauer regeln. In meinem Umfeld führen Schulen Handynutzungsverbote ein. Daran besteht seltsamerweise ein erhöhtes mediales Interesse. Es lässt sich also mit einer entsprechenden Nutzungsordnung Aufmerksamkeit generieren. Aufwind bekommt diese Strategie aus Skandinavien, wo in mehreren Ländern der bisherige Digitalkurs mehr und mehr kritisch gesehen, aber medial undifferenziert dargestellt wird, da z.B. Schweden bereits in der Grundschule einen rein(!) digitalen Weg beschritten hat, der mit dem bisherigen Weg in Deutschland nicht vergleichbar ist.
Handynutzungverbote an Schulen stoßen natürlich auch auf Widerspruch. Dieser ist im Gegensatz zur Argumentation der Befürworter eines Verbots meist wesentlich reflektierter und adressiert nicht selten strukturelle Herausforderungen im Schulsystem. Dazu gehört die Tatsache, dass Erwachsene und vor allem Lehrkräfte an Schulen wesentlich mehr zu sagen haben als Schüler:innen. Das ist im Kontext der Förderung einer demokratischen Haltung nicht immer hilfreich und nicht selten treten performative Widersprüche auf: Einerseits ist Demokratieförderung das höchste Ziel von Schule und rangiert in nahezu jedem Schulgesetz ganz oben. Anderseits werden die Mehrheitsverhältnisse in schulischen Gremien diesem Anspruch nicht im Entferntesten gerecht. Dieses Machtungleichgewicht zwischen Erwachsenen und Jugendlichen rangiert unter dem Begriff Adultismus.
Ich erlebe beide Seiten – Befürworter und Kritiker – mittlerweile als problematisch: Verbote sind immer Notbehelfe und setzen selten an den eigentlichen Ursachen an, erschaffen aber die Illusion, dass eine erfolgreiche Handlung vollzogen worden ist. Die Argumentation der Gegner von Handynutzungsverboten verharrt seit mehr als einem Jahrzehnt auf weitgehend gleichen Positionen ohne die zwischenzeitlichen gesellschaftlichen Entwicklungen angemessen aufzunehmen.
Die Gesellschaft ist zum Großteil digital nicht kompetent
Natürlich sind Beobachtungen aus dem eigenen Umfeld allenfalls immer von anekdotischer Evidenz. Es ist im Jahr 2025 aber immer noch nicht selbstverständlich, dass Lehrkräfte z.B. den Unterschied zwischen einer Bildschirmerweiterung und einer Bildschirmspiegelung kennen oder das Konzept der Formatvorlage innerhalb einer Textverarbeitung nutzen. Viele Fragen aus dem Bekanntenkreis zu IT-Themen sind von so basaler Natur – etwa zu unterschiedlichen Dateiformaten oder der Aktivierung von Peripherie wie Mikrofon oder Kamera in Videokonferenzen, dass die die Forderung nach mehr gesellschaftlicher Medienkompetenz in vielen Fällen gar nicht erst greift, weil grundlegende Bedienfähigkeiten fehlen oder das bloße rudimentäre Verständnis von Datenflüssen wie etwa die Unterscheidung zwischen WLAN- und Internetzugang. Und Forderungen oder Erwähnungen dieser Art werden nicht selten als „arrogant“ geframed, weil sie natürlich das Selbstbild von Menschen angreifen.
Die Oberflächen der großen Digitalkonzerne sind aber so einfach gestaltet, dass z.B. die konsumptive Teilnahme an Socialmedia das alles gar nicht mehr voraussetzt. Damit entsteht die Illusion von Kompetenz, die viele Erwachsene ihrerseits den Jugendlichen vorwerfen. Dieses Defizit kann damit kaum reflektiert, aber die Illusion der eigenen Kompetenz durch das „Ausperren“ von Geräten durch ein Verbot sehr wohl aufrecht erhalten werden. Wenn etwas „nicht mehr da ist“ entfällt u.a. der Druck, sich mit dieser Störung aktiv und den eigenen Defiziten auseinandersetzen zu müssen.
Kinder sind sehr viel früher mit dem Handy alleingelassen
Smartphones in Besitz von Kindern waren noch vor 10 Jahren an Grundschulen die Ausnahme, sind heutezutage aber eher die Regel. Eine Begleitung bei deren Nutzung findet nur in Ausnahmefällen statt. Kinder sind also wesentlich früher mit einem Gerät ausgestattet, welches Zugriff auf das gesamte digitale Angebot bietet, wobei sehr viele davon nicht kindgerecht gestaltet sind. Die üblichen Mechanismen des Jugendmedienschutzes greifen nicht. Während Pornohefte und selbst Rumtrauben-Nussschokolade(!) beim physischen Verkauf immer noch mit Altersbeschränkungen versehen sind, gelingt der Zugang zu harter Pornografie im Netz mühelos. Gleichzeitig entwickelt sich das Netz zunehmend algorithmusgetrieben mit kapitalistischem Betriebssystem. Wer Aufmerksamkeit generiert, erhält Mehreinnahmen durch u.a. Werbung. Diesem Sog sind junge Menschen naturgemäß viel mehr ausgesetzt als ältere mit mehr Lebenserfahrung. Die digitalen Kompetenzen haben sich gesellschaftlich nicht im gleichen Maß entwickelt wie die Möglichkeiten der Digitalindustrie, die Aufmerksamkeit von uns Nutzerinnen und Nutzern zu binden. Daher ist für mich die Idee, dass es z.B. Medienkompetenz alleine richten wird, mittlerweile aus der Zeit gefallen. Ein Verbot kann im Idealfall Räume schaffen, in dem dieses ständige Werben um Aufmerksamkeit zumindest für einen kurzen Zeitraum nicht greift. Sehr entscheidend wird aber sein, was in diesem Zeitraum geschieht. Und da habe ich Fragen.
Schule allein kann das Problem nicht lösen
Gegner der Handynutzungsverbote führen oft ins Feld, dass das Verbot der Nutzung in der Schule eine unzureichende Reaktion auf eine komplexes Problem ist. Dummerweise ist problematische Handynutzung ein gesellschaftliches Problem und damit seinerseits komplex. Kinder und Jugendliche lernen am Modell. Folgende Beobachtungen mache ich in meinem Umfeld und teilweise bei mir selbst: Das „erwachsene Modell“ nutzt digitale Geräte durchaus beim Familienessen, während der Autofahrt oder gar hinter dem Lehrkräftepult im Unterricht – dann natürlich nur zu wichtigen Zwecken, z.B. der Familienorganisation. Das erwachsene Modell „ortet“ die eigenen Kinder mit den Funktionen von Steuerungs-Apps oder einer Smartwatch und findet das zunehmend legitim, reagiert jedoch befremdet auf die Ortungsfunktion auf Snapchat für Freunde oder auf Vorschläge, das Smartphone auf der Klassenfahrt zu Hause zu lassen. Das erwachsene Modell organisiert das Vereinsleben ausschließlich über Messengergruppen eines Anbieters. Schule kann natürlich ihren Teil leisten, um problematische Nutzungsformen zu reflektieren und Alternativen anzubieten – zumindest theoretisch, da das Problem der defizitären Medienkompetenz vieler Akteure ja bleibt (s.o.).
Dieser Ansatz wird der Komplexität der Anforderung jedoch kaum gerecht: Das Problem wird zunehmend zivilgesellschaftlich gelöst werden müssen, indem sich Erwachsene stärker vernetzen und bei der Medienerziehung ihrer Kinder unterstützen. Darin liegen Chancen eines gemeinsamen Lernprozesses, aber auch das Risiko von geringem Problembewusstsein in Hinblick auf das eigene Verhalten als Erwachsener.
Ich finde hier die Analogie mit den viel gescholtenen Elterntaxis recht treffend: Jeder bestreitet, seine Kinder mit dem Auto zur Schule zu fahren, aber dennoch herrscht morgens das Verkehrschaos rund um Schulen. Genauso begleitet vielleicht der ein oder andere sein Kind bei der Mediennutzung, wenn man sie oder ihn direkt anspricht.
Nicht bei Jugendlichen ansetzen
Das Problem einer problematische Nutzung digitaler Medien entsteht für mich nicht bei Kindern und Jugendlichen. Ich erlebe Kinder und Jugendliche momentan sogar in Teilen reflektierter als so manchen Erwachsenen, wenn es z.B. um Filterkompetenz geht. Sie bauen sich notgedrungen eigenständig Schutzräume und entwickeln Strategien zur Bewältigung des Informationsüberflusses. Den Eintritt in die digitale Welt ermöglichen aber letztlich Erwachsene.
Der Zugang zu Dauerschuldverträgen wie Handyverträgen ist in Deutschland sehr streng reguliert. Kinder und Jugendliche kommen an keinen Handyvertrag ohne die Unterschrift eines Erwachsenen. Erwachsene zeigen nach meiner Erfahrung oft das gleiche problematische Medienverhalten wie ihre Kinder (s.o.). Erwachsene sind weitgehend ahnungslos in Bezug auf die sozialen Dynamiken unter Jugendlichen auf Socialmedia, obwohl auch in ihrem Umfeld problematisches Medienverhalten durchaus vorkommt, wenngleich oft nicht in derart starker Präsenz. Trotzdem erlebe ich, dass die Einrichtung zusätzlicher Messengergruppen von Erwachsenen zunehmend skeptisch gesehen wird. Es rangiert die Sorge, noch mehr durch digitale Kontaktversuche gebunden zu werden. Die Möglichkeit, Notifications – also Pieptöne und Vibration – beim Eintreffen von Nachrichten zu deaktivieren kann oft schon auf der Bedienebene nicht umgesetzt werden und wird darüberhinaus gerne mit der Begründung abgelehnt, dass man dadurch wichtige Nachrichten ja nicht mehr wahrnehmen würde. Die gleichen Erwachsenen echauffieren sich nicht selten über das gefährliche Suchtpotential von Socialmedia bei Kindern und Jugendlichen. Es sind nicht sie: Wir Erwachsene müssen unser eigenes Medienverhalten reflektieren, bevor wir mit unseren Kindern in die Diskussion gehen. Wir müssen zunächst das Modell sein, von dem wir uns wünschen, dass Kinder und Jugendliche daran lernen.
Die Chance von Nutzungsverboten
Nutzungsverbote verschaffen Schulen und Kindern bzw. Jugendlichen im Idealfall etwas Raum zum Atmen, damit das, was in den letzten Jahren an informatischer Grundbildung und Medienkompetenzförderung versäumt worden ist, etwas hinterherkommen kann.
Es bleibt ein Notbehelf, um z.B. den lernförderlichen Umgang mit digitalen Arbeitsgeräten gezielt zu fördern – bei Lehrkräften ebenso wie bei Schülerinnen und Schülern. Auch für eine Reflexion des Medienverhaltens sollte dieser temporäre Schutzraum genutzt werden. Das Ziel sollte aber schlussendlich sein, dass man irgendwann auf diese Verbote verzichten kann.
Was nicht geschehen darf ist, dass dieser neue Schutzraum genutzt wird, um Schule so wie sie ist weiter zu erhalten. Das Rad wird sich in Schule nicht auf vordigitale Zeiten zurückdrehen lassen, wie es sich die ein oder andere Lehrkraft vielleicht wünschen mag.
Digitale Mappenführung – Sackgasse für die digitale Schulentwicklung?
Tabletklassen werden an immer mehr Schulen zur Regel. Ein sehr häufiger Anwendungsfall ist die Einführung digitaler Mappen über Apps wie Notability, Goodnotes, Onenote oder vergleichbare Notizapps. Die Vorteile liegen auf der Hand: Digitale Notizen lassen sich leicht bearbeiten, immer wieder neu sortieren und sind auch mit chaotischem Ablagesystem über Volltextsuchen leicht zu erschließen. Alle „Hefte“ sind immer dabei, solange das Gerät geladen in der Schultasche mitgeführt wird. Digitale Notizen lassen sich zudem leicht teilen, sodass die Lehrkraft Arbeitsergebnisse digital einsammeln oder Arbeitsblätter austeilen kann. In unzähligen, mittlerweile stark nachgefragten Fortbildungsangeboten stehen daher Notizapps und deren Benutzung im Fokus. Schulen entwickeln methodische Konzepte zur Einführung von Notizapps – von der „Notizapp-Rallye“ bis zur strukturierten Führung Kursnotizbüchern ist alles dabei. Digitale Mappen scheinen daher einen wichtigen Baustein digitaler Schulentwicklung zu bilden. Wie können sie bei diesen Vorteilen zu einer Sackgasse bei der digitalen Schulentwicklung werden?
Omnipräsenz der Geräte
Durch das Führen einer digitalen Mappe sind die Geräte im Unterricht omnipräsent. Es gibt in nahezu jeder Phase des Unterrichts eine Rechtfertigung, das Gerät auf dem Tisch zu liegen zu haben. Da die Geräte neben den Möglichkeiten für den schulischen Einsatz das gesamte Internet erschließen, bieten sie für viele Schülerinnen und Schüler ein enormes Ablenkungspotential. Viele digitale Angebote nutzen psychologische Mechanismen, um Nutzende möglichst lange online zu halten. Davon sind ebenso Lehrkräfte betroffen: Nicht wenige von uns regeln mittlerweile private Angelegenheiten während des Unterrichts oder gar der Autofahrt. Diejenigen, auf die das zutrifft, sind ein Beleg für das enorme Ablenkungspotential, die die digitale Welt bietet. Selbst für Erwachsene als Modell für die Schülerinnen und Schüler wird es oft schwer, die nötige Impulskontrolle aufzubringen, wenn es z.B. in der KiTA-Messengergruppe Aktivität gibt.
Die meisten Schulen begegnen dieser Herausforderung bezogen auf die Schülerinnen und Schüler durch technische Einschränkungen, sodass zur Schulzeit etwa nur eine durch die Lehrkraft getroffene Auswahl an Apps nutzbar ist. Dieses löst die Herausforderung mit der Ablenkung teilweise, nicht jedoch das grundsätzliche Problem mit der Omnipräsenz der Geräte. Der Blick und die Hand der Schülerinnen und Schüler werden nach wie vor gebunden.
Digitale Mappe = Digitalisierung abgeschlossen
Weiterhin ist das Führen einer digitalen Mappe ein typisches Beispiel dafür, wie sich bestehende Unterrichtsstrukturen bewahren lassen. Natürlich bietet die digitale Mappenführung einige organisatorische Vorteile. Gleichwohl transformiert sie lediglich in der kleinstmöglichen Ausbaustufe eine bestehende analoge Struktur. Auf sie Spitze getrieben: Wegen der digitalen Mappenführung muss keine Lehrkraft die Art ihres Unterrichts ändern. Der Unterricht ist ja jetzt in ihrer Wahrnehmung bereits „digitalisiert“ und muss sich nicht weiter entwickeln. Das eigentliche Potential digitaler Werkzeuge bleibt vor diesem Hintergrund ungenutzt. Mappen lassen sich mit geeigneten Werkzeuge kollaborativ führen, indem z.B. eine Gruppe innerhalb eines Wikis eine gemeinsame Unterrichtsdokumentation erstellt. Geräte lassen sich dazu einsetzen, Unterrichtsszenarien zu erschließen, die analog nicht oder nur mit hohem Zeitaufwand erreichbar sind, wie z.B. in gemeinsames Brainstorming in einem kollaborativem Dokument. Unterricht sollte keine Entweder-Oder, sondern eine Sowohl-Als-Auch sein, also u.a. Phasen ohne die Präsenz eines digitalen Gerätes ermöglichen. Das wird durch jede Form der Omnipräsenz eines digitalen Gerätes extrem erschwert – und letztlich ein Hemmnis für die Unterrichtsentwicklung an einer Schule.
Lock-In in proprietäre Systeme
Sofern kommerzielle Systeme mit eigenen Dateiformaten genutzt werden, ergibt sich in Hinblick auf die digitale Souveränität eine weitere Herausforderung: Während außerhalb von Bildungseinrichtungen die Marktführer im Bereich der Notizapps mittlerweile fast ausschließlich teure Abo-Bezahlsysteme anbieten, erhalten Schulen meist eine kostenlose Vollversion. Wenn man also nach Austritt aus der Bildungseinrichtung weiterhin seine Notizen nutzen möchte, muss man dafür zahlen. Da die Dateiformate der Notizapps meist nicht standardisiert sind, ist ein Wechsel in andere Systeme erschwert. Der meist angebotene PDF-Export ermöglicht zwar eine Sicherung der Inhalte, nicht aber deren weitere Bearbeitung. Die Erstellung und Wiederherstellung eines Backups ist meist nur über den vom jeweiligen Hersteller vorgesehenem Weg auf bequeme Art und Weise möglich. Man spricht langläufig von einem „Lock-In-Effekt“, dem Schulen ihre Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler mehr oder minder bewusst aussetzen. Souveränes Handeln auch in der digitalen Welt ist ein nicht unwesentliches Bildungsziel und in den meisten Bundesländern fest in den Digitalcurricula verankert. Es gibt Alternativen zu den kommerziellen Angeboten mit offenen Formaten, die jedoch wesentlich mehr digitale Kompetenzen bei Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern erfordern. Der Griff zu den bequemen, schnell verfügbaren Lösungen ist angesichts der Belastungen im Schulsystem nachvollziehbar. Leider werden dadurch Chancen im kritischen Umgang mit digitalen Werkzeugen vertan – auch das sollte im Fokus einer modernen Schulentwicklung stehen, vor allem weil sich diese Haltung auf andere digitale Sphären übertragen lässt: Instagram, TikTok oder Snapchat sind oft pauschal kritisierte Systeme. Auch zu diesem gibt es freie Alternativen ohne algorithmische Eingriffe. Natürlich ist auch das anfangs gewöhnungsbedürftig, weil Inhalte aktiv „geholt“ werden müssen – es stärkt letztlich die digitale Souveränität.
Vorläufiges Fazit
Die digitale Mappe dient somit oft genug als eine digitales Feigenblatt. Die bloße Übertragung analoger Arbeitstechniken auf ein digitales Werkzeug macht noch keinen digitalen Unterricht. Sie kann aber dazu führen, dass bei der einen oder anderen Lehrkraft eine „Haken-dran“-Mentalität entsteht und ansonsten Unterricht wie immer gemacht wird, nun allerdings mit einem onminpräsenten digitalen Gerät, was innerhalb der Schulgemeinschaft für Konflikte sorgt und in der Folge Rufe nach „Sperren“ und „Bildschirmeinsicht durch die Lehrkraft“ hervorbringt.
Gastartikel: Politik (Freya Riecken)
Etwas läuft falsch, in meinem Land (Deutschland) und in der Welt. Die Meinungen spalten sich. Wenn ich mich politisch ausdrücken müsste, dann würde ich sagen, sie gehen nach links und rechts. Vielleicht sogar in die rechts- und linksextreme Richtung. Sie gehen in so verschiedene Richtungen, die Menschen haben so unterschiedliche Meinungen und eine so unterschiedliche Sicht auf die Welt.
„Als 16 Jährige Teenagerin weißt du noch nicht viel über die Welt und verstehst nicht genug, um so etwas zu sagen.““ – Keiner hat das wirklich jemals zu mir gesagt, aber ich bekomme immer und immer wieder das Gefühl, dass Menschen mich so betrachten. Das unsere Gesellschaft junge Menschen immer noch nicht ernst nimmt. Ich bin davon überzeugt, dass wir anfangen sollten es zu tun. Ja, ich bin 16, ich bin jung, aber ich bin alt genug, um zu verstehen, was in der Welt passiert, alt genug um die Probleme zu sehen, alt genug, damit das Thema mich beschäftigt und beeinflusst. Und es sind wir junge Menschen, die in späteren Welt leben müssen, die älter jetzt für uns entscheiden und deshalb ist es falsch, uns nicht ernst zu nehmen oder gar ganz zu ignorieren.
Man macht sich Sorgen über die Situation in der Welt. Der Krieg in der Ukraine und Israel, Trumps Politik und was für eine große Rolle Elon Musk auf einmal darin hat und natürlich die Politik in Deutschland.
Was bei all dem die größte Rolle spielt, ist das stetige Gefühl, dass Menschen vergessen, was Humanität, Menschenrechte und Gleichberechtigung sind. Das Menschen anfangen, unsere Geschichte zu vergessen, sie nicht ernst nehmen oder anscheinend nicht daraus gelernt haben. Musk, der einen Hitlergruß auf einer öffentlichen, großen und wichtigen Politischen Veranstaltung macht, Alice Weidel die weiterhin beharrt, Hitler wäre eigentlich ein Linker gewesen und andere Politiker in Deutschland, die nicht zu verstehen scheinen, wie wichtig es ist, unsere Geschichte nicht zu wiederholen, wenn sie Aussagen treffen, die etwas positives im Nationalsozialismus finden. Das Problem sind die Menschen, die diese Taten begehen und/oder diese Aussagen treffen, aber nicht nur sie: Jeder, der so ein Verhalten toleriert, es hinnimmt oder sogar immer noch diesen Menschen zustimmt, ist ein noch größeres Problem. Ein Problem für eine freie und demokratische Welt. Wenn Menschen anfangen, so etwas zu tolerieren, anstatt dem direkt entgegenzuwirken, dann wird es immer solche Menschen geben und sie werden gehört werden und weitere Menschen in ihre Richtung beeinflussen.
Und während schon so viel falsch läuft in unserer Welt, haben wir eine Neuwahl, deren Ergebnis einen Haufen neuer Unsicherheiten mit sich bringt.
Wie lange brauchen wir, um eine neue Koalition zu gründen? Wird sie uns endlich die Veränderung bringen, die wir alle wollen und brauchen? Wird sie mit den schweren politischen Entscheidungen umgehen können? Können sie überhaupt Lösungen zusammen finden? Und auch hier, wenn sie Lösungen finden, sind sie immer noch mit unseren Werten vereinbar? Wird uns diese neue Koalition eine Stabilität und das Gefühl von Sicherheit bringen? Und ja, das sind alles Fragen, die Menschen in meinem Alter beschäftigen. Wie wird es weitergehen mit den Problemen in der Welt und werden wir (Deutschland) sie lösen können.
Ich mache gerade ein Auslandsjahr in Finnland und kann dadurch selbstverständlich schlecht sagen, wie die Stimmung in Deutschland ist, was ich jedoch ganz genau sagen kann, was für eine Wichtigkeit die Wahl in Deutschland für ein Land wie Finnland hat. Sie verfolgen hier die Wahl in Deutschland genau, ihr Ausgang ist wichtig für sie und so viele andere Länder in der EU. Ich habe das Gefühl, dass die Wichtigkeit, die Deutschland hat für Europa und auch für die Politik in der Welt, oft untergeht. Wir sind schnell zu sehr mit uns selbst beschäftigt, als dass wir daran denken, was für eine Rolle wir wirklich spielen. Länder wie Finnland sind auf unsere Hilfe angewiesen, gerade im Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Es wird nicht wirklich ausgesprochen, aber ich habe das Gefühl, dass in Finnland wirklich die Angst da ist, dass Russland auf die Idee kommt einzumarschieren. Das ist vielleicht für uns Deutsche etwas abwegig, zwischen uns und Russland ist noch etwas dazwischen, wir brauchen diese Sorge nicht haben, aber Länder wie Finnland haben sie und sie brauchen uns. Sie brauchen Europa und die Nato und wenn wir von Europa reden, dürfen wir nie vergessen, dass wir eine wichtige Rolle darin spielen und dass viele Länder darauf warten, dass wir wieder ein stabiles und entscheidungsstarkes Land werden.
Ich frage mich manchmal, wie Leute diese Situation nicht ernst nehmen können, wie sie sich nicht darum Sorgen oder es sie nicht einmal interessiert. Ich kann es jedoch auch verstehen, es ist einfacher, sich nicht zu interessieren und sein Leben weiter zu leben, als wäre nichts, es ist einfacher nichts zu tun. Andere belastet es vielleicht zu sehr, sie können nicht mit all diesen Dingen leben und es ist für sie besser, sich wenig bis gar nicht zu informieren, um nicht in ein Loch von Hilflosigkeit zu fallen. Beide Arten und Weisen funktionieren nicht, zumindest wenn man möchte, dass sich etwas ändert, dass wir nicht mit der Situation festsitzen. Wir alle sollten versuchen etwas zu tun und wenn man nicht akzeptiert, dass es richtig ist, was in unserer Welt gerade passiert, hat man schonmal etwas getan.
Wer Lust bekommen hat, mehr von Freya und ihren Erfahrungen im Ausland zu lesen, kann einiges in ihrem Blog finden: https://freya.riecken.de.
KI in der Schule? Ist sie nun einmal da und muss man sich deswegen damit beschäftigen?
Es vergeht kein Tag auf Social Media mit neuen, coolen Tipps zur Nutzung von KI im Unterricht. Ich ziehe seit drei Jahren mit einem Vortrag zu KI durch alle möglichen Gruppen und Gremien, der sich mehr und mehr zu einer sehr kritischen Sicht auf das Thema gewandelt hat.
1. KI-Anwendungen, die Sprache generieren, verhindern Lernprozesse
Verschiedene Forscher und Experten weisen auf gravierende Mängel in Sprachmodellen hin, die das Rückgrat vieler Angebote für den Bildungsbereich bilden. Auch die Auswirkungen auf Lernprozesse werden zunehmen kritisch beschrieben. Bezeichnenderweise kommt die differenzierteste Kritik dabei nahezu immer von Menschen mit informatischem Hintergrund. Verfechter der Nutzung von Sprachmodellen im Unterrichtskontext halten stets dagegen, dass es dabei immer auf die Art der jeweiligen Nutzung ankommt. Davon bin ich nicht überzeugt.
Exemplarisch verweise ich auf eine aktuelle Studie von Rainer Mühlhoff und Marte Henningsen, die sich ein Fobizz-Tool zur automatischen Bewertung von Hausaufgaben genauer angeschaut haben. Von diesen Werkzeugen bzw. Angeboten gibt es mehrere auf dem deutschen Markt, sogar solche, die Gründerpreise erhalten haben. Ihnen gemein ist, dass sie sich auf die gleiche informatische Technologie stützen und sich explizit an Lehrkräfte richten. Die Datenbasis der Studie ist verhältnismäßig gering – das ist leider im Bildungsbereich bei vielen Studien so. Hier einige Auszüge aus den Ergebnissen:
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Sowohl die vorgeschlagene Gesamtnote als auch das qualitative Feedback variierten erheblich zwischen verschiedenen Bewertungsdurchläufen derselben Abgabe. Diese Volatilität stellt ein ernstes Problem dar, da Lehrkräfte, die sich auf das Tool verlassen, unbemerkt quasi “ausgewürfelte” und potenziell ungerechte Noten und Rückmeldungen vergeben könnten.
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Selbst mit vollständiger Umsetzung der Verbesserungsvorschläge war es nicht möglich, eine “perfekte” – d.h. nicht mehr beanstandete – Einreichung vorzulegen. Eine nahezu perfekte Bewertung gelang nur durch Überarbeitung der Lösung mit ChatGPT, was Schüler:innen signalisiert, dass sie für eine Bestnote auf KI-Unterstützung zurückgreifen müssen.
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Das Tool weist grundlegende Defizite auf, von denen die Studie mehrere als “fatale Gebrauchshindernisse” klassifiziert. Es wird darauf hingewiesen, dass die meisten der beobachteten Mängel auf die inhärenten technischen Eigenschaften und Limitationen großer Sprachmodelle (LLMs) zurückzuführen sind. Aus diesen Gründen ist eine schnelle technische Lösung der Mängel nicht zu erwarten.
Die Studie bezieht sich auf die Nutzung von Sprachmodellen durch Lehrkräfte. Dies ist eine Nutzung durch Expert:innen mit entsprechender Erfahrung und Expertise bei der Umsetzung von Bewertungen.
Die weitgehend fachlich unreflektierte Forderung nach flächendeckender Bereitstellung von sogenannten KI-Tools zieht sich sowohl durch die Presselandschaft als auch durch Verbände. Unser Medienzentrum stellt Lehrkräften an Schulen in Trägerschaft des Landkreises tatsächlich einen solchen Zugang bereit. Ich würde mittlerweile darüber nachdenken, diese Bereitstellung an eine vorherige verbindliche Schulung und Sensibilisierung zu koppeln.
In Bezug auf die Nutzung durch Schüler:innen hat Jeppe Klitgaard Stricker für mich bemerkenswerte Thesen bzw. Beobachtungen auf- bzw. angestellt:
- Intellektuelle Spiegelung: Schüler:innen übernehmen unbewusst von LLMs generierte Sprachmuster.
- Digitale Abhängigkeitsstörung: Schüler:innen geraten in Panik, wenn KI-Tools nicht verfügbar sind.
- Die Illusion der Beherrschung: Schüler:innen denken, sie hätten es verstanden, weil AI es erklärt hat.
- Verfall der kollaborativen Intelligenz: Schüler:innen verzichten auf menschliches Brainstorming, wenn KI schneller ist
- Verwirrung zwischen Realität und Prompt: Schüler:innen betrachten Herausforderungen aus dem wirklichen Leben als Prompt zur Optimierung
- Krise des Wissensvertrauens: Schüler:innen zweifeln an der menschlichen Weisheit im Vergleich zur KI-Gewissheit
- KI-induzierter Perfektionismus: Der Druck, die fehlerfreien Ergebnisse der KI zu erreichen
Ich möchte das Wort „Schüler:innen“ hier gerne allgemeiner durch das Wort „Lernende“ ersetzen, denn viele der Punkte dürften ebenso auf Erwachsene zutreffen. Für mich ist diese Perspektive recht neu, weil ich bisher bei meiner Kritik an der Nutzung von Sprachmodellen im Unterricht eher kognitionstheoretisch unterwegs war:
In aller Kürze: Unser Arbeitsgedächtnis enthält das, was wir aktuell denken. Es speist sich u.a. aus dem, was wir im Laufe des Lebens in unser Langzeitgedächtnis übernommen haben. Der Vernetzungsgrad dieses Wissens im Langzeitgedächtnis ist bei erfahrenen Personen (Experten) größer als bei eher unerfahrenen (Novizen). Der Output von Sprachmodellen überlastet die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses bei Noviz:innen viel schneller als bei Expert:innen, weil weniger Kompensation durch vorvernetztes Wissen aus dem Langzeitgedächtnis erfolgt.
Natürlich ist KI z.B. bei der Erstellung von Seminararbeiten in jeder Phase nutzbar. Zu prüfen ist aber sehr genau, in welchem Umfang das für Noviz:innen mit sehr heterogenem Vernetzungsgrad – so sind Lerngruppen zusammengesetzt – im Langzeitgedächtnis sinnvoll ist.
Unter Berücksichtigung der bisherigen Prämissen sind Sprachmodelle erst dann lernförderlich nutzbar, wenn bei den Noviz:innen bereits ein gewisses Maß an vernetztem Vorwissen vorhanden ist. Unverantwortlich wird für mich eine unterrichtliche Thematisierung allein auf der Benutzungs- und Bedienungsebene.
Expert:innen hingegen können wahrscheinlich zwar die Ausgaben von Sprachmodellen deutlich besser bewerten, sie aber ohne ein Grundverständnis für deren Funktion nicht reflektiert nutzen. Wer lässt denn z.B. den gleichen Text mehrfach durch ein KI-Werkzeug bewerten und vergleicht die Ausgaben dann zusätzlich miteinander, wie es in der zitierten Studie geschehen ist? Zudem ist das Marketingversprechen der Zeitersparnis damit ziemlich schnell hinfällig. Auch Expert:innen sind tendenziell „anfällig“ für die von Stricker formulierten Mechanismen.
2. Produkte von KI-Anwendungen sind das neue Plastik und kontaminieren den Kommunikationsraum des Internets
Unter anderem von Linux Lee kommt die Idee, Produkte generativer KI analog mit aus Erdöl hergestelltem Plastik zu sehen. Genau wie das Erdölprodukt unserer fassbare Welt füllt, füllen die Produkte generativer KI (Musik, Bilder, Videos, Texte etc.) den kommunikativen Raum des Internets.
Im Zuge von Nachhaltigkeitsdenken gerät Plastik schnell in eine negative Ecke, ist aber als Werkstoff aus einer modernen Gesellschaft an vielfältigen Stellen nicht wegzudenken. Ein gravierender Unterschied besteht darin, was man mit vorhandenem Plastik machen kann. Prinzipiell ist Plastik aus Erdöl recyclebar, nur ist das weder wirtschaftlich noch gibt es entsprechende Steuerungsmechanismen in der Produktions- und Verwertungskette, die das überhaupt ermöglichen würden. Bei einem gut strukturierten Plastikkreislauf ist eine Mehrfachnutzung des Werkstoffs ohne sehr große Qualitätseinbußen prinzipiell denkbar.
Je mehr Produkte generativer KI in den Kommunikationsraum des Internets gelangen, desto wahrscheinlicher ist die Gefahr, dass sie wiederum selbst die eigentlich Trainingsbasis für KI werden. Man spricht dabei von einem sogenannten „Rebound-Effekt“. Mehr oder weniger humorvoll wurde bezogen auf das Bildungswesen die These formuliert, dass irgendwann eine „Lehrkräfte-KI“ die „KI-Hausaufgaben“ der Schüler:innen bewertet. Ironischerweise liefert die Studie von Mühlhoff und Henningsen ja genau dafür eine „Anfangsevidenz“. Im Gegensatz zum Plastik aus Erdöl ist die Ressource „Produkt einer generativen KI“ nicht wirklich begrenzt, wenn z.B. regenerative Energie zu deren Produktion genutzt wird. Damit gibt es kein wirkliches Interesse oder gar eine Notwendigkeit, diese Produkte zu regulieren. Allein die kritische Betrachtung von KI im Bildungskontext wird durchaus mit Innovationsfeindlichkeit in Verbindung gebraucht.
Das wiederum hat damit zu tun, dass KI oft nicht differenziert betrachtet wird: Mit ähnlichen informatischen Mechanismen kann eine KI Sprache erzeugen oder aber sehr effizient Proteinstrukturen in der Entwicklung von Medikamenten berechnen. Das können nachhaltige Produkte werden, wie sie auch beim Plastik aus Erdöl möglich sind. Beides „ist“ KI.
Letzteren Einsatz von KI würde ich deutlich anders bewerten, da das entstehende Produkt auf eine völlig anderen Ebene Wirksamkeit entfaltet. Diese Unterschiede in der Betrachtung vermisse ich in der gesellschaftlichen Diskussion. Gerade im Bildungsbereich ist das Thema meist marketing- und buzzwordgeschwängert und trifft auf eine informatisch meist nicht ausreichend vorgebildete Zielgruppe.
Ja, was soll man denn machen? KI ist ja nunmal da!
… und geht nicht wieder weg. In einer Rede zum Abitur meines Sohnes habe ich beschrieben, dass die Möglichkeit, sich entscheiden zu können, eine Luxussituation ist. Tatsächlich kann man sich dafür entscheiden, Sprachmodelle im Unterricht nicht zu nutzen. Ich persönlich tue mich schwer damit, längere Textproduktionen ist die Hausaufgabe zu geben – das mache ich lieber im Unterricht, z.B. in Kombination mit kollaborativen Schreibwerkzeugen. Die entstehenden Produkte stellen schon eine eigenständige Leistung dar. Sehr gut funktioniert eine orthografische und grammatische „Nachkontrolle“ durch ki-basierte Werkzeuge. Gerade in der Mittelstufe sollten die Kompetenzen zur Bewertung der „KI-Eingriffe“ in diesem Bereich im Prinzip schonmal im Schulleben vorgekommen und „vorvernetzt“ im Langzeitgedächtnis vorliegen – eigentlich.
Eine der wesentlichen Hauptaufgaben von Bildung wird sein, wie man vermitteln kann, dass bestimmte Dinge gekonnt werden sollten, bevor KI zum Einsatz kommt – gerade weil die Maschine es doch so viel besser kann. Und das nicht nur bei Schüler:innen sondern vor allem auch bei uns Lehrkräften.
Wenn wir darüber nachdenken, landen wir sehr schnell bei strukturellen Überlegungen zum Bildungssystem an sich.
„Ach, Luise, lass … das ist ein zu weites Feld.“ (Theodor Fontane)