Ich bin die eine, die die viele ist
„Borg – sounds swedish!“ – so reagierte eine Figur in Star Trek auf die erste Erwähnung dieses Namens. Die Borg ist eine virtuelle Rasse, die auf maximale Redundanz und Vernetzung setzt. Sie verfügen über keine eigene Kreativität, sondern entwickleln sich durch Assimilation von fremden Rassen und deren Technologie. Von ihnen stammt auch der von mir schon verwendete Satz: Resistance is futile (Widerstand ist zwecklos). Einmal in Borgkollektiv aufgenommen kann jeder die Stimmen des anderen hören – es gibt eine große Gemeinschaft. Eine Ausgliederung aus dem Kollektiv ist sehr schwer, da die Figuren dann die Stimmen nicht mehr hören, die sie als große Bereicherung empfinden, weil sie nicht mehr alleine sind. Borg handeln allein nach funktionalen Grundsätzen, Ethik und Moral spielen keine Rolle. Einzige Prämissen sind die Erhaltung des Kollektivs und die technische Perfektion. Die Entwicklung des Individuums unterliegt den Grenzen und Wünschen des Kollektivs, das von der einen, die die viele ist geleitet wird – der Borgkönigin (eine Rasse ohne irgendeine Leitungsstruktur wäre wohl auch den Star Trek-Machern zu viel gewesen).
Ich muss in diesen Tagen oft an die Borg in Zusammenhang mit Facebook denken. Angefangen hat alles mit dem ULD Kiel, das einen Angriff auf die Transwarpkanäle der Borg gestartet hat, indem es Webmaster „bedrohte“, die Facebooks-Addons auf ihren Webseiten einbinden. Facebook gewinnt dadurch Informationen über Bewegungsmuster von Mitgliedern und Nichtmitgliedern im Web – das ist übrigens auch die technische Funktion von „Like- “ oder „1+“-Buttons (Pendant bei Google). Ich habe Einzelgespräche geführt, in denen dieser Schritt des ULD heftig kritisiert und vor allem der Verlust von Transparenz und Bürgernähe von z.B. Kommunen beklagt wurde. Andere Kritikstrategien, die mir weitaus sympathischer sind, setzen auf der Ebene von technischen Fehlern des ULD an. Darüber kann man reden – allerdings betrifft das den Bereich der technischen Medienkompetenz, der aber oft als „zu anstrengend“ nicht gewünscht wird.
Tatsache ist für mich, dass die Assimilierungsstrategie von Facebook eine extrem hohes, absolut geniales Niveau erreicht hat, weil die Assimilation selbst nicht wie bei den Borg auf Gewalt beruht, sondern schleichend und angenehm mit der Verheißung maximaler Bedürfnisbefriedigung erfolgt. Wer sich einmal im Kollektiv befindet, möchte oder kann es nach kurzer Zeit nicht mehr missen. Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die außerhalb dieses Kollektivs existieren, ist – wie bei den Borg – oft mit Gedanken an Rückständigkeit und „Nichtverstehen der neuen Wissensgesellschaft“ assoziiert. Facebook ist ein Borgkubus, den man unbeachtet besuchen darf, solange man nicht primäre Systeme bedroht, ein Kubus, der des ganze Web in sich vereint ohne dabei nach außen mit dem Web zu teilen.
Zwischenbemerkung:
Nein: Ich halte Facebooknutzer nicht für willenlose, vollständig manipulierte und entindividualisierte Drohnen. Auf der Ebene des Individuums passt diese Borg-Analogie nicht.
Gleichwohl verlangt die soziale Organisation innerhalb des Kubus, dass alles geteilt wird, zumindest mit der Königin – den Kontakt zu einzelnen kann man filtern, jedoch nur soweit man die ständigen Neukonfigurationen des Filters versteht und nachvollzieht. Die Filtermodifikationen erfolgen seltsamerweise immer so, dass standardmäßig mehr Informationen mit mehr Menschen geteilt werden. Das Grundprinzip der Borg besteht genau darin: Alles zu teilen, das ganze Leben. Bei den Borg hat das jedoch nichts mit Freiheit, sondern mit Kontrolle zu tun – das ist bei Facebok natürlich ganz anders, auch wenn für die wirtschaftliche Funktion eine hohe Teilrate natürlich so ungünstig auch nicht ist.
Treten neue Netzwerke auf den Plan, ist die erste Frage sofort, wie man selbiges in Facebook integrieren kann (wahrscheinlich damit man nichts verpasst und nicht die doppelte Arbeit beim Posten hat). Das hat nichts mit dem Assimilierungsgrad bei Facebook zu tun.
In Facebook hat der Mensch die Freiheit, die im Rahmen, den Facebook setzt, möglich ist (Gilt m.E. auch für Appleprodukte). Dagegen mehren sich zum Glück Stimmen. Es gibt Alternativen, die eine vollständige Kontrolle der eigenen Daten ermöglichen – nur ist da niemand…
Ich meide Facebook und ich würde mittlerweile jedem raten, das auch zu tun. Browserplugins lösen keine einzige Herausforderung – höchstens für Nichtmitglieder. Selbst für viele Lehrerblogs müsste ich eine seitenbezogene Regel bei NoScript anlegen, die mir zwar eine Kommentierung im Disqus-Plugin, nicht jedoch eine Datenübertragung durch den Facebookbutton ermöglicht. Das dürfte den Bequemlichkeitsanspruch und die technischen Fertigkeiten einer surfenden Mehrheit deutlich übersteigen.
Facebook gibt sehr, sehr viel. Es hat vieles ermöglicht, was vor wenigen Jahren noch undenkbar war. Aber es nimmt auch. Das ist seine Natur als börsennotiertes Unternehmen. Gewinn und Nutzen muss jeder für sich abwägen. Jeder sollte sich darüber im Klaren sein, dass prinzipiell auch der Staat in begründeten Verdachtsfällen Zugriff auf diese Daten hat. Wir brauchen keine Mautbrücken zur Erstellung von Bewegungsprofilen. Nur gegen den Versuch, die Mautbrücken dafür einzusetzen, rebellieren wir. Das bekomme ich manchmal nicht zusammen. Ich bin aber auch Borg-Fan. Das passt auch nicht.