Molekülbau und Siedepunkt

Eine typi­sche Auf­ga­be im Anfangs­un­ter­richt in orga­ni­scher Che­mie (für die mich jeder Mole­ku­lar­che­mi­ker auf­grund der immensen didak­ti­schen Reduk­ti­on kil­len wür­de) könn­te fol­gen­der­ma­ßen aussehen:

Ihnen lie­gen fünf orga­ni­sche Ver­bin­dun­gen vor, deren Sie­de­punkt jeweils über dem Mole­kül ange­ge­ben ist. Begrün­den Sie nach­voll­zieh­bar anhand der Mole­kül­ei­gen­schaf­ten, war­um die Sie­de­punk­te vom Methan bis zum Was­ser in die­ser Rei­he ansteigen! 

Methan
Sie­de­punkt: ‑162°C


Tetraf­lu­or­ethan
Sie­de­punkt: ‑128°C


2‑Methylbutan
Sie­de­punkt: 28°C


n‑Pentan
Sie­de­punkt: 36°C


Was­ser
Sie­de­punkt: 100°C


Mus­ter­ant­wort:

Ent­schei­dend für den Sie­de­punkt sind im Wesent­li­chen zwei Fak­to­ren: Die Mole­kül­mas­se und inter­mo­le­ku­la­re Wech­sel­wir­kun­gen. Bei den Wech­sel­wir­kun­gen ist fer­ner zu unter­schei­den zwi­schen Van-der-Waals-Kräf­ten, elek­tro­sta­ti­schen Wech­sel­wir­kun­gen auf­grund von pola­ren Atom­bin­dun­gen im Mole­kül und Was­ser­stoff­brü­cken­bin­dun­gen. Dabei gel­ten fol­gen­den Gesetzmäßigkeiten:

  1. Je grö­ßer die Mole­kül­mas­se, des­to mehr kine­ti­sche Ener­gie ist erfor­der­lich, um ein Mole­kül aus dem Flüs­sig­keits­ver­band in die Gas­pha­se zu über­füh­ren und des­to höher wird der Sie­de­punkt der Ver­bin­dung liegen.
  2. Je grö­ßer die inter­mo­le­ku­la­ren Wech­sel­wir­kun­gen, des­to schwie­ri­ger ist es, die Mole­kü­le von­ein­an­der zu tren­nen. Die­se Tren­nung ist jedoch erfor­der­lich für den Über­gang in die Gas­pha­se. Daher sind bei gro­ßen inter­mo­le­ku­la­ren Wech­sel­wir­kun­gen höhe­re Tem­pe­ra­tu­ren zur deren Über­win­dung erforderlich.
  3. Die Van-der-Waals-Kraft ist die schwächs­te inter­mo­le­ku­la­re Kraft. Sie ist direkt abhän­gig von der Kon­takt­flä­che, mit der sich zwei Mole­kü­le berüh­ren kön­nen. Die Van-der-Waals-Kraft steigt mit der Län­ge der Ket­te und sinkt mit einem wach­sen­den Ver­zwei­gungs­grad des Moleküls.
  4. Elek­tro­sta­ti­sche Wech­sel­wir­kun­gen (pola­re Anzie­hungs­kräf­te) kön­nen nur bei Mole­kü­len wir­ken, die über eine oder meh­re­re pola­re Atom­bin­dun­gen ver­fü­gen. Dabei bil­den sich Par­ti­al­la­dun­gen aus. Ent­ge­gen­ge­rich­te­te Par­ti­al­la­dun­gen bedin­gen eine elek­tro­sta­ti­sche Anzie­hungs­kraft. Die Kraft der elek­tro­sta­ti­schen Anzie­hungs­kräf­te über­wiegt gera­de bei klei­nen Mole­kü­len mit wenig Kon­takt­flä­che in ihrer Stär­ke oft die Van-der-Waals-Kraft, weil sie eben dau­er­haft (= sta­tisch) auf­tre­ten und nicht wie die Van-der-Waals-Kräf­te tem­po­rär indu­ziert und damit von sta­tis­ti­schen Gege­ben­hei­ten abhän­gig sind. Bei gro­ßen Mole­kü­le kann der Betrag der Van-Der-Waals-Kraft jedoch beträcht­li­che Grö­ßen­ord­nun­gen aufweisen.
  5. Was­ser­stoff­brü­cken­bin­dun­gen sind sehr star­ke inter­mo­le­ku­la­re Wech­sel­wir­kun­gen und in ihrer Stär­ke den Van-der-Waals- und elek­tro­sta­ti­schen Kräf­ten über­ge­ord­net Für ihre Aus­bil­dung muss Was­ser­stoff polar gebun­den und min­des­tens ein frei­es Elek­tro­nen­paar vor­han­den sein.

Die zu bespre­chen­den Mole­kü­le besit­zen fol­gen­de Molekülmassen:

Methan: 16u

Tetraf­lu­or­me­than: 88u

2‑Methylbutan: 72u

n‑Pentan: 72u

Was­ser: 18u

1.) Methan:

Methan besitzt die kleins­te Mole­kül­mas­se bei einer sehr gerin­gen Ket­ten­län­ge, sodass inter­mo­le­ku­la­re Bin­dungs­kräf­te nur äußerst schwach wir­ken. Daher hat Methan den gerings­ten Siedepunkt.

2.) Tetraf­lu­or­me­than

Tetraf­lu­or­me­than hat eine höhe­re Mole­kül­mas­se als Methan oder n‑Pentan und 2‑Methylbutan und müss­te daher den zweit­höchs­ten Sie­de­punkt besit­zen. Offen­bar über­wie­gen bei den bei­den letzt­ge­nann­ten Ver­bin­dun­gen offen­bar die Van-der-Waals-Kräf­te die bei Tetraf­lu­or­me­than auf­tre­ten­den elek­tro­sta­ti­schen Anzie­hungs­kräf­te auf­grund der pola­ren Atom­bin­dung zwi­schen dem Koh­len­stoff- und dem Flu­or­atom. Dies ist durch die grö­ße­re Ket­ten­län­ge begründ­bar. Daher sie­det Tetraf­lu­or­me­than vor 2‑Methylbutan und n‑Pentan.

3.) 2‑Methylbutan & n‑Pentan

Bei­de Mole­kü­le besit­zen zwar die glei­che Mole­kül­mas­se, jedoch kann die Van-der-Waals-Kraft beim n‑Pentan durch die weni­ger ver­zweig­te Ket­te stär­ke­ren Ein­fluss gewin­nen. Daher sie­det n‑Pentan etwas spä­ter als 2‑Methylbutan.

4.) Was­ser

Was­ser besitzt mit 18u die zweit­nied­rigs­te Mole­kül­mas­se, kann aber pro Mole­kül vier sehr star­ke Was­ser­stoff­brü­cken­bin­dun­gen aus­bil­den. Daher über­wiegt hier der Ein­fluss der inter­mo­le­ku­la­ren Bin­dungs­kräf­te den Ein­fluss der Mole­kül­mas­se erheb­lich, sodass Was­ser den höchs­ten Sie­de­punkt aufweist.

Hin­weis:

Noch schwie­ri­ger wird es, wenn man kei­ne Sie­de­punk­te angibt. Dann müs­sen die SuS auf Basis ihres Wis­sens näm­lich eine in sich geschlos­se­ne Argu­men­ta­ti­on ent­wi­ckeln, die sprach­lich um eini­ges schwie­ri­ger umzu­set­zen ist…

Konstitutionsisomerie am Beispiel der Hexane

Etwas aus der Kate­go­rie: Das woll­te ich schon lan­ge ein­mal ver­öf­fent­li­chen, aber die Zeit fehl­te. Dar­ge­stellt sind alle  3d-Model­le Kon­sti­tu­ti­ons­iso­me­ren des Hexan mit ihren Sie­de­punk­ten. Man sieht sehr hübsch, dass eine ganz ein­fa­che Regel gilt: Je kug­li­ger das Mole­kül trotz iden­ti­scher Mole­kül­mas­se, des­to gerin­ger ist sein Sie­de­punkt. Daher muss es bei den Alka­nen neben der Mole­kül­mas­se noch eine wei­te­re inter­mo­le­ku­la­re Wech­sel­wir­kung geben, die umso grö­ßer ist, je mehr Kon­takt­flä­che zwi­schen den Mole­kü­len besteht – die Van-der-Waals-Kraft.

n‑Hexan
Sie­de­punkt: 69°C

3‑Methylpentan
Sie­de­punkt: 63,3°C

2‑Methylpentan
Sie­de­punkt: 60,3°C

2,3‑Dimethylbutan
Sie­de­punkt: 58°C

2,2‑Dimethylbutan
Sie­de­punkt: 49,7°C

2,2‑Dimethylbutan
Kalottenmodell

Ich konn­te die­ses Vor­ha­ben u.a. des­we­gen ver­wirk­li­chen, weil ich end­lich die SMI­LES-Nota­ti­on für Mole­kü­le ver­stan­den und mit Avo­ga­dro einen SMI­LES-fähi­gen Mole­kü­ledi­tor für Ubun­tu gefun­den habe. Die SMI­LES-Nota­ti­on eig­net sich in Ver­bin­dung mit Avo­ga­dro auch ganz her­vor­ra­gend für „Live­shows“ im Unterricht…

Klei­nes Rate­spiel für euch: Wel­che SMI­LES-Nota­ti­on gehört zu wel­chem Isomer?

  1. CC©C©C
  2. CCCCCC
  3. CC©CCC
  4. CCC©CC
  5. CC©©CC

Kann man nach­le­sen, mit Avo­ga­dro aus­pro­bie­ren oder sogar allein aus den Nota­tio­nen ablei­ten. Wäre bestimmt auch eine schön abs­trak­te Zuord­nungs­auf­ga­be für Mood­les Test­mo­dul. Die Abs­trak­ti­on ist hin­sicht­lich der enor­men Arbeits­er­leich­te­rung jedoch sinn­voll. Müss­te man den Kram mit der Maus zeich­nen… Nunja.

Wer die Van-der-Waals-Kraft ein­mal modell­haft live erle­ben möch­te, der ver­su­che ein­mal, eine Wand­ta­fel mit auf­ge­leg­ter Hand bzw. danach nur mit den auf­ge­setz­ten Fin­ger­spit­zen zu bewe­gen oder die­se bei­den Tele­fon­bü­cher aus­ein­an­der­zu­zie­hen (man schafft es nicht, oder muss durch Ver­kan­ten „hebeln“):

Man beach­te vor allem die didak­tisch wert­vol­le unter­schied­li­che Far­be der Tele­fon­buch­sei­ten. Das habe ich natür­lich vor­her genau so geplant…