Die Post-Privacy-Falle im Kontext kollektiver Naivität

Micha­el See­mann und ande­re arbei­ten sich am Begriff „Post-Pri­va­cy“ geis­tes­wis­sen­schaft­lich ab. Was bedeu­tet „Post-Pri­va­cy“?

Post-Pri­va­cy (aus­ge­spro­chen bri­tisch [pəʊst ˈpɹɪv.É™.si], ame­ri­ka­nisch [poÊ­Šst ˈpɹaɪ.vÉ™.si], über­setzt „Was nach der Pri­vat­heit kommt“) ist ein Begriff, der einen Zustand beschreibt, in dem es kei­ne Pri­vat­sphä­re mehr gibt und Daten­schutz nicht mehr greift.[1]

Quel­le: http://de.wikipedia.org/wiki/Post-Privacy

Sehr grob gespro­chen meint Post-Privacy:

Jedes weiß alles über jeden oder kann sich mit geeig­ne­ten Instru­men­ten die­ses Wis­sen ver­schaf­fen – unab­hän­gig vom jewei­li­gen Sta­tus der Per­son in der Gesellschaft.

Eine reiz­vol­le Vorstellung:

  • … das Par­tei­spen­den­kon­strukt eines Hel­mut Kohl entzaubern
  • … die Ver­trä­ge von Toll-Coll­ect einsehen
  • … Licht in die Cau­sa Wulff bringen
  • … usw.

Eine für mich nicht so reiz­vol­le Vor­stel­lung habe ich im letz­ten Arti­kel beschrie­ben. Mit der Debat­te um Post-Pri­va­cy sind immer auch Hoff­nun­gen verbunden:

  • … der klei­ne Mann wird zum Wel­ten­ret­ter (Snow­den-Para­dox)
  • … die Welt wird gerech­ter, weil qua­si durch die Hin­ter­tür die direk­te Demo­kra­tie gelebt wer­den kann
  • … allein die Ver­füg­bar­keit bestimm­ter Infor­ma­tio­nen wird dafür sor­gen, dass Ver­hal­ten sich ändert
  • … usw.

Nennt mich pes­si­mis­tisch – ich hal­te die­sen Ansatz für naiv. Die­se Schlacht wird nicht geis­tes­wis­sen­schaft­lich (fast allein auf die­ser Ebe­ne wird in Feuil­le­tons öffent­lich wahr­nehm­bar dis­ku­tiert), son­dern tech­no­lo­gisch geschlagen.

Dazu ein Beispiel:

Was mache ich als Geheim­dienst, wenn ich eine Ziel­per­son aus­spio­nie­ren möch­te? Ich muss mich um meh­re­re Din­ge küm­mern, wenn ich das mit Hil­fe von digi­ta­len End­ge­rä­ten des Benut­zers (Han­dy, PC, Smart­TV) bewerk­stel­li­gen möchte:

  • idea­ler­wei­se hin­ter­las­se ich kei­ne Spu­ren dabei
  • idea­ler­wei­se wird die Funk­ti­on des Gerä­tes dabei nicht beeinträchtigt
  • idea­ler­wei­se ent­zie­he ich die Über­wa­chungs­maß­nah­me der Kon­trol­le des Benutzers

Des­we­gen ist so etwas wie ein Bun­destro­ja­ner („Ich instal­lie­re als Staat eine Über­wa­chungs­soft­ware auf dei­nem PC“) eine sel­ten däm­li­che Idee, da ich dazu mei­ne Know-How in Form eines Pro­gram­mes aus der Hand geben muss. Ich weiß nicht, an was für einen Besit­zer des PCs ich gera­te: Wenn ich Pech habe, fin­det ein gewief­ter Nerd mein Pro­gramm, ana­ly­siert es und legt es in omi­nö­sen Tausch­bör­sen offen. Wenn es ihm zusätz­lich gelingt, den Daten­ver­kehr von die­sem Pro­gramm zu mir als Geheim­dienst zu ent­schlüs­seln, bzw. zu einer fes­ten IP zurück­zu­ver­fol­gen, bin ich gelie­fert, da Grund­vor­aus­set­zun­gen für eine Über­wa­chungs­maß­nah­me eben die Unsicht­bar­keit (= Intrans­pa­renz) eben­die­ser Maß­nah­me ist. Ein Bun­destro­ja­ner ist damit nie etwas zur Über­wa­chung vie­ler, son­dern allen­falls bei geziel­ten Obser­va­ti­ons­maß­nah­men mit arg begrenz­tem Ziel­rah­men ein­setz­bar. Was wir bis­her gese­hen haben, hal­te ich nur für eine Machbarkeitsstudie.

Bei mei­nem Hos­ter gab es in die­sem Jahr einen inter­es­san­ten Vor­fall mit einer mir bis­her unbe­kann­ten Spe­zi­es von Schad­pro­gramm: Es schrieb sich nicht auf die Fest­plat­te, son­dern drang durch eine Sicher­heits­lü­cke in einem Dienst in den Haupt­spei­cher ein und trieb dann von dort sein Unwe­sen. Da Ser­ver u.U. lan­ge lau­fen, kann so ein Pro­gramm sehr lan­ge unbe­merkt blei­ben und ist zudem äußerst schwie­rig zu ana­ly­sie­ren – Viren­scan­ner durch­kä­men zunächst ein­mal die Festplatte.

Auf Han­dys ist eine per­ma­nen­te Über­wa­chung des Sys­tems durch den Anwen­der oft gar nicht erst mög­lich – bei Apple­ge­rä­ten z.B. „by design“ nicht gewünscht. Bei so einem fremd­ge­steu­er­ten Sys­tem brau­che ich also als Geheim­dienst im Ide­al­fall nur Zugriff auf den Anbie­ter selbst, um gren­zen­los über­wa­chen zu kön­nen. Wenn ich mir eine Lücke auf dem Schwarz­markt kau­fe, kann das im Ein­zel­fall nütz­lich sein, ska­liert aber nicht gut, weil ich immer damit rech­nen muss, dass ich nicht der Ein­zi­ge bin, der Zugriff auf den ent­spre­chen­den Code hat.

Bestimmt sind bei die­sem „Tech­nik­ge­la­ber“ schon eine Men­ge Men­schen ausgestiegen.

Quint­essenz:

Tech­no­lo­gisch sind staat­li­che Orga­ne oder pri­va­te Fir­men wie Goog­le dem nor­ma­len Anwen­der, der in einer „Post-Privacy“-Welt lebt, haus­hoch über­le­gen. Mit Daten, die anfal­len, wird das gemacht wer­den, was tech­no­lo­gisch mög­lich ist.

Eine Kon­trol­le jed­we­der Art ist uto­pisch und zwar nicht des­we­gen, weil sie prin­zi­pi­ell unmög­lich ist, son­dern viel­mehr des­we­gen, weil sie immenses tech­no­lo­gi­sches Wis­sen erfor­dert – vie­le im Web2.0 erklä­ren immer noch Leu­te für ver­rückt, die ver­bind­li­chen Infor­ma­tik­un­ter­richt von Kin­des­bei­nen an for­dern. Medi­en­kom­pe­tenz in einem päd­ago­gi­schen Sin­ne ver­stan­den hilft ggf. etwas dabei, das Übels­te zu ver­hin­dern oder zu ver­zö­gern – auf der oft kol­por­tier­ten „Anwen­dungs­ebe­ne“ wird sie allein nicht dazu füh­ren, dass wir in der Lage sein wer­den, das Macht­ge­fäl­le zwi­schen uns und den Tech­no­lo­gie­rie­sen (Staat & Pri­vat­wirt­schaft) zu verändern.

Die­je­ni­gen, die es im Prin­zip könn­ten, sind oft genug Ziel­schei­be von Hohn und Spott gewe­sen. Damit mei­ne ich z.B. Daten­schüt­zer, die das Leben in der Wahr­neh­mung vie­ler ja ein­fach nur unbe­qe­mer und unzeit­ge­mä­ßer machen wol­len. Bequem­lich­keit unter Ver­lust von Grund­rech­ten („Das Netz ist ein grund­rechts­frei­er Raum“) sehe ich unter sehr vie­len Aspek­ten als problematisch.

Gebets­müh­le:

Ja, natür­lich darf man Gerä­te ein­fach nur „benut­zen“. Ich kann auch die Welt ein­fach so benut­zen. Trotz­dem hat man mich mit Che­mie, Mathe, Phy­sik oder Bio­lo­gie gequält und die wenigs­ten strei­ten ab, dass es sich dabei um nütz­li­che Dis­zi­pli­nen han­delt. Bei Infor­ma­tik und „Tech­nik­ge­döns“ ist das immer ganz anders.

Appleprodukte und ich

Hali­na Zar­em­ba / pixelio.de

 

Unter Eltern ist fol­gen­de Anek­do­te bekannt:

Mein Kind ist sei­ne Man­da­ri­ne nur, wenn ich sie ihm geschält und zer­legt in die Tup­per­do­se lege. Tue ich das nicht, kommt sie unge­ges­sen wie­der zurück. Das ist jeden Mor­gen echt ein ziem­li­cher Auf­wand und eigent­lich kann es doch nicht so schwer sein, die Man­da­ri­ne selbst zu schä­len! Aber ich will doch, dass mein Kind Obst isst. Was soll ich nur tun? Mich nervt das!“

Kin­der sind heu­te sowohl im Kin­der­gar­ten als auch in der Schu­le nicht uner­heb­li­chen Belas­tun­gen aus­ge­setzt. Nicht sel­ten gin­ge die Schäl­zeit von wert­vol­ler Spiel­zeit ab. Gleich­wohl wird die­se durch Lebens­zeit der Erwach­se­nen bezahlt – je nach­dem wie man sei­ne Eltern­rol­le auf­fasst, wird man in sol­chen oder ähn­li­chen Situa­tio­nen reagie­ren, in denen man eine Ent­schei­dung zwi­schen „Selbst­stän­dig­keit för­dern“ und „Bewah­ren vor nicht kind­ge­rech­ten Belas­tun­gen“ zu tref­fen hat. Das Man­da­ri­nen­bei­spiel dürf­te eines der harm­lo­se­ren sein. Natür­lich hät­te ich per­sön­lich auch lie­ber eine geschäl­te Man­da­ri­ne in mei­ner Früh­stücks­do­se! Mein All­tag ist auch vol­ler Belas­tun­gen und alles, was mir das Leben leich­ter macht, ist zunächst ein­mal posi­tiv für mich – das soll­te ich mir ein­fach wert sein.

Ich hal­te App­le­pro­duk­te für eine geschäl­te und zer­leg­te Man­da­ri­ne. Apple hat mein Bedürf­nis nach Erleich­te­rung begrif­fen und gibt mir durch ein funk­tio­na­les und her­vor­ra­gen­des Design eine ech­te Ent­las­tung in mei­nem Lehreralltag.

Trotz­dem will ich, ich ganz per­sön­lich, App­les geschäl­te Man­da­ri­ne nicht. Das hat mit den ideel­len Kos­ten zu tun, die für mich zu hoch sind, dass ich nach wie vor lie­ber selbst schä­le oder eben dafür ande­re Werk­zeu­ge ein­set­ze. Wäre ich nicht zusätz­lich der Über­zeu­gung, dass der tech­ni­sche Ansatz von Apple auch Aus­wir­kun­gen auf die Gesell­schaft hat, zöger­te ich kei­ne Minu­te, selbst eine iPad-Klas­se ins Leben zu rufen. An Mög­lich­kei­ten dazu fehlt es hier vor Ort im Gegen­satz zu ande­ren Land­krei­sen defi­ni­tiv nicht. Finan­zi­ell ste­hen wir glän­zend aus­ge­stat­tet da. Um zu erklä­ren, war­um ich nicht auf den gera­de anrol­len­den Zug auf­sprin­ge, muss ich etwas ausholen.

Apple ver­kauft pro­prie­tä­re Appli­ances, d.h. eine Ver­bin­dung aus Hard- und Soft­ware. Apple tut sehr viel dafür, dass sich bei­de Kom­po­nen­ten nicht ohne Wei­te­res tren­nen las­sen. Das gelingt der Fir­ma im Bereich der Mobil­ge­rä­te z.Zt. natür­lich weit­aus bes­ser als im Desktopumfeld.

Eine Appli­ance hat Vorteile:

  1. Sie funk­tio­niert
  2. Sie besitzt eine kon­sis­ten­te Oberfläche
  3. Sie hat eine intui­ti­ve Ober­flä­che, die sich mühe­los bedie­nen lässt
  4. Sie ist durch das geschlos­se­ne Kon­zept war­tungs­arm und zuverlässig
  5. Im Fal­le vom App­le­pro­duk­ten sind die Gerä­te lang­le­big und hoch­wer­tig verarbeitet

Eine Appli­ance hat Nachteile:

  1. Jede Funk­ti­on der Appli­ance ist abhän­gig vom Her­stel­ler der Appliance
  2. Eine Appli­ance ermög­licht genau das, was der der Her­stel­ler der Appli­ance ermög­li­chen will
  3. Eine Appli­ance ist nicht transparent
  4. Die Sicher­heit der Appli­ance bewegt sich im Rah­men der Sicher­heits­vor­stel­lun­gen des Herstellers
  5. Was die Appli­ance tut, ent­zieht sich gän­gi­gen Kon­troll­me­cha­nis­men. Ver­trau­en ist angesagt.

Und – für mich sehr wich­tig: Mit einer Appli­ance lernt man, die Man­da­ri­ne zu essen und zu genie­ßen, nicht sie zu schä­len. Zudem wird man bald erwar­ten, dass alle Man­da­ri­nen geschält sind und sie nur noch so akzep­tie­ren. Ob das ok ist oder nicht, muss jeder für sich ent­schei­den und der Kon­text spielt zusätz­lich eine Rol­le: Wenn eine Appli­ance in einem eng begrenz­ten Umfeld etwas macht, was Exper­ten (huch – die sol­len doch bald über­flüs­sig sein?) bes­ser kön­nen als ich, dann ist das abso­lut sinn­voll – Fire­walls für Rechen­zen­tren sind oft als Appli­ance rea­li­siert. Wenn eine Appli­ance jedoch wesent­li­che kom­mu­ni­ka­ti­ve Abläu­fe in mei­nem Leben struk­tu­riert und bestimmt, dann tue ich mich schwer damit. Mein „Nicht­ex­per­ten­tum“ ist die­sem Bereich für einen Anbie­ter Kapi­tal – und zwar nicht bezo­gen auf eine hoch­spe­zia­li­sier­te Nische.

IT beherrscht unser Leben. Infor­ma­tik ist für mich ein Fach, wel­ches z.B. zeigt, wie man Man­da­ri­nen schält, wel­che unter­schied­li­chen Ansät­ze dafür exis­tie­ren und wie sich der Pro­zess des Schä­lens opti­mie­ren lässt. Wer kei­ne Man­da­ri­nen schä­len kann, ist auch anfäl­lig dafür, mit einem Kol­ben­fres­ser auf der Auto­bahn lie­gen­zu­blei­ben, weil der Bord­com­pu­ter den defek­ten Öldruck­sen­sor nicht gemel­det hat. Der Blick unter die Motor­hau­be auf den Peil­stab ist heu­te eben nicht mehr zeitgemäß.

Ich habe Freu­de am Ver­ste­hen. Ich habe Freu­de dar­an, hin­ter die Fas­sa­den zu schau­en. Ich freue mich über ein­fa­che und genia­le Lösungs­stra­te­gien, die ganz ande­re Wege gehen. Ich möch­te das Men­schen ver­mit­teln. Dafür muss ich Man­da­ri­nen haben, die noch eine Scha­le besit­zen. Ein App­le­pro­dukt hat für mich kei­ne Scha­le mehr. Allein das saf­ti­ge, per­fekt frei­ge­leg­te Frucht­fleisch bleibt. Ich möch­te eine Man­da­ri­ne sehen, wie sie ist und nicht wie sie mir jemand mund­ge­recht in die Obst­do­se gelegt hat. Des­we­gen benut­ze ich Open­So­ur­ce, des­we­gen bekom­me ich von den „Tech­nik­af­fi­nen“ oft genug den Stem­pel „Nerd“ – nicht weil die Man­da­ri­nen da nicht geschält wären, son­dern weil ich das Gan­ze sehe könn­te, wenn ich woll­te und Zeit hät­te. Das ist mei­ne Vor­stel­lung von Unab­hän­gig­keit. Ja – und ich genie­ße auch das Stau­nen ande­rer Men­schen, wenn sie fra­gen: „Wie machst du das nur?“ – Mei­ne Anwort: „Ich schä­le Man­da­ri­nen selbst. Schon ganz schön lange.“

PS: Kei­ne Sor­ge. Ich baue auch Net­ze für geschäl­te Man­da­ri­nen inkl. Genie­ßer­kur­se. So rea­lis­tisch bin ich dann schon.

Riecken und die Verlage – Teil 3

Auf netzpolitik.org gab es ges­tern inter­es­san­tes Mate­ri­al über einen geplan­ten „Schul­tro­ja­ner“ zu lesen. Hier noch ein­mal in aller Kür­ze der bis­her bekann­te Sachverhalt:

  1. Es gibt einen Ver­trag zwi­schen den Kul­tus­mi­nis­tern der Län­der und dem Dach­ver­band der Schulbuchverlage.
  2. 1% der Schu­len sol­len mit einer Soft­ware aus­ge­stat­tet wer­den, die inner­halb des Schul­netz­werks auto­ma­tisch urhe­ber­recht­lich geschütz­tes Mate­ri­al aus­fin­dig macht
  3. UPDATE: Die dabei gefun­de­nen Daten wer­den an den Schul­trä­ger(!) über­mit­telt (der ist nicht der dis­zi­pli­na­risch Vorgesetzte) -
  4. Der Dienst­herr soll durch dis­zi­pli­na­ri­sche Maß­nah­men dafür Sor­ge tra­gen, dass dem Urhe­ber­recht an Schu­len genü­ge getan wird

Dar­über war auf den übli­chen Platt­for­men und auch in der Blogos­sphä­re viel Empö­rung zu lesen und auch sinn­ge­mäß Sät­ze wie:

  1. Schul­buch­ver­la­ge sind in der neu­en Wis­sens­ge­sell­schaft überflüssig.
  2. Schul­buch­ver­la­ge ver­die­nen kei­nen Dialog.
  3. Schul­buch­ver­la­ge pro­du­zie­ren min­der­wer­ti­ges Material
  4. Schul­buch­ver­la­ge ver­die­nen sich auf Kos­ten der All­ge­mein­heit dumm und dämlich

Das Feind­bild steht also fest – oft­mals gene­ra­li­siert, pau­schal, extrem. Ich hof­fe instän­dig, dass die­ses Ver­hal­ten nicht die oft pro­kla­mier­te „neue Wis­sens­ge­sell­schaft“ reprä­sen­tiert. Auch ich habe Pro­ble­me mit Ver­la­gen. Ich möch­te bloß ger­ne zwi­schen „Ver­lag“ und „Ver­hal­ten von Ver­la­gen“ differenzieren.

Der 1. Skandal

Das mit dem Schul­tro­ja­ner ver­bun­de­ne Ver­hal­ten ver­dient extre­me Reak­tio­nen. Hier nimmt Pri­vat­wirt­schaft öffent­li­che Insti­tu­tio­nen in die Pflicht, für Kon­se­quen­zen in zivil­recht­li­chen Fra­gen zu sor­gen. Das ist der ers­te Skandal.

Ich bin Admi­nis­tra­tor eines Schul­netz­werks. Wür­de ich ange­wie­sen, die­se Soft­ware auf Schul­sys­te­men zu instal­lie­ren, wäre die­se Anwei­sung wahr­schein­lich rechts­wid­rig. Dem Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gegen mich auf­grund mei­ner Wei­ge­rung sähe ich gelas­sen ent­ge­gen. Alter­na­tiv wür­de mich das zur Ein­lei­tung einer Dienst­auf­sichts­be­schwer­de zwingen.

Es wird schon allein des­we­gen rechts­wid­rig sein, weil natür­lich Ver­ein­ba­run­gen bezüg­lich die­ser Über­wa­chung mit den Per­so­nal­ver­tre­tun­gen der Lehr­kräf­te getrof­fen wer­den müss­ten, damit „Ver­stö­ße“ über­haupt dis­zi­pli­nar­recht­licht geahn­det wer­den könn­ten. Die Per­so­nal­ver­tre­tung ver­dien­te ihren Namen nicht, wenn sie sich dar­auf ein­lie­ße, staat­li­che Insti­tu­tio­nen zur Durch­set­zung zivil­recht­recht­li­cher Inter­es­sen der Pri­vat­wirt­schaft zu funktionalisieren.

Die Ver­la­ge müss­ten eigent­lich direkt gegen ihre „Kun­den“ vor­ge­hen – das ist natür­lich pro­ble­ma­tisch für den Umsatz. Der Schul­tro­ja­ner, der tech­nisch kei­ner ist und den es noch nicht ein­mal geben dürf­te, scheint da der „bes­se­re“ Weg zu sein – der nun toben­de Shit­s­torm dürf­te die Mar­ke­ting­ab­tei­lun­gen wahr­schein­lich etwas beschäftigen.

Der 2. Skandal

Der zwei­te Skan­dal wür­de dar­in bestehen, dass  mein Dienst­herr sei­nen Sorg­falts- und Für­sor­ge­pflich­ten mir gegen­über nicht nach­kä­me, wenn er tat­säch­lich einen Ver­trag unter­zeich­net, der poten­ti­ell rechts­wid­ri­ge For­mu­lie­run­gen und Bedin­gun­gen ent­hält. Von mir als Beam­ter wer­den stets akku­ra­te Befol­gung der gesetz­li­chen Vor­ga­ben erwar­tet und eben Loya­li­tät – die funk­tio­niert aber nur, wenn sie zwei­sei­tig ange­legt ist. Mir lie­gen kei­ne gesi­cher­ten Infor­ma­tio­nen dar­über vor, wie sich mein Dienst­herr tat­säch­lich ver­hal­ten hat und wie die dis­ku­tier­ten Pas­sa­gen des Ver­tra­ges tat­säch­lich recht­lich zu bewer­ten sind.

Tech­ni­sche Betrachtungen

Da es für die Kopie in Papier­form mitt­ler­wei­le recht libe­ra­le und prag­ma­ti­sche Rege­lun­gen gibt – und auch pau­scha­le Ver­gü­tungs­sät­ze für die Ver­la­ge, muss ein Schul­tro­ja­ner es vor allen Din­gen auf digi­ta­li­sier­te Buch­sei­ten und Arbeits­blät­ter sowie nicht lizen­sier­te Ver­lags­soft­ware „abge­se­hen“ haben. Wäh­rend letz­te­re durch recht ein­fa­che Heu­ris­ti­ken zu erken­nen sein dürf­te, sieht das bei digi­ta­li­sier­ten „Papier­ori­gi­na­len“ schon ganz anders aus, denn:

  1. Wie soll ein sol­ches Pro­gramm Ver­lags­in­hal­te „sicher“ erken­nen, ohne wahl­los alle Datei­en einem „Deep“-Scan zu unter­zie­hen, der zusätz­lich auch noch auf OCR-Mecha­nis­men zurück­grei­fen müsste?
  2. Wie soll ein sol­ches Pro­gramm „unli­zen­sier­tes Mate­ri­al“ melden?
  3. Wie soll ein sol­ches Pro­gramm in heu­ti­gen Schul­net­zen zwi­schen Pri­vat­ge­rä­ten mit Ord­ner­frei­ga­ben und Schul­rech­nern unterscheiden?
  4. Ist die Datei auf des Fest­plat­te des Schul­ko­pie­rers eine unli­zen­sier­te „digi­ta­le Kopie“? (Das Ding müsst ihr euch echt mal ansehen…)
  5. usw.

Schluss­end­lich: Wie kann ein sol­ches Pro­gramm im Ein­klang mit gel­ten­den Daten­schutz­richt­li­ni­en über­haupt arbeiten?

Unqua­li­fi­zier­ter Sei­ten­hieb: Den Daten­schutz wol­len ja vie­le sowie­so abschaf­fen – das Pro­blem bestün­de dann natür­lich nicht…

War­um ich Ver­la­ge als Insti­tu­ti­on nicht so gene­rell doof fin­den kann

  1. Auch eine uto­pi­sche Gesell­schaft mit bedin­gungs­lo­sem Grund­ein­kom­men basiert auf For­men von Wert­schöp­fung, gera­de in einer glo­ba­li­sier­ten Welt
  2. Nicht jeder gute Autor ist in der Lage, selbst im Netz geeig­ne­te Stra­te­gien zu fin­den, um sei­ne wirt­schaft­li­che Exis­tenz zu sichern, bzw. Wert­schöp­fung für eine auf bedin­gungs­lo­sem Grund­ein­kom­men basie­ren­de Gesell­schaft zu betreiben.
  3. Nicht das gesam­te Mate­ri­al in den Back­lis­ten von Ver­la­gen ist völ­lig unge­eig­net und schlecht – als Stein­bruch taugt z.B. auch unvoll­kom­me­nes Material
  4. Nicht jeder Ver­lag legt tyran­nisch fest, was zu ler­nen ist. Ich beob­ach­te zur­zeit im Bereich des Unter­richts­ma­te­ri­als eine Fle­xi­bi­li­sie­rung und Diver­si­fi­zie­rung – weil der Wis­sens­ka­non eben nicht durch Ver­la­ge, son­dern viel­mehr durch Cur­ri­cu­lums­kom­mis­sio­nen vor­ge­ge­ben wird. Das wird m.E. das „tro­ja­ni­sche Pferd“ für Ver­än­de­run­gen in der Schul­buch­ver­lags­land­schaft werden.
  5. Es gibt Ver­la­ge, die mich fair behan­delt haben. Das waren klei­ne, enga­gier­te Unter­neh­men mit Netz­af­fi­ni­tät und neu­en Ideen für die eige­ne Wertschöpfung.
  6. Mir macht das inhalt­li­che Niveau von man­chen Dis­kus­si­ons­pro­zes­sen im Netz schon sehr viel Sor­ge – z.B. beob­ach­te ich, dass bei der Bewer­tung netz­po­li­ti­scher The­men (z.B. Daten­schutz, Face­book) oft­mals m.E. völ­lig naiv und selek­tiv dis­ku­tiert wird, indem man sich das aus Tex­ten her­aus liest, was man sofort und ohne Mühe ver­steht – wer hat sich schon inten­siv mit den Wireshark­pro­to­kol­len zu den Face­book­coo­kies aus­ein­an­der­ge­setzt? Da wäre auf­be­rei­te­tes Mate­ri­al von den oft ach so ver­pön­ten Exper­ten manch­mal nicht schlecht, um auch als Laie zu wis­sen, wovon ich da eigent­lich rede – ich könn­te das ver­ste­hen, aber ich habe nicht die Zeit dafür… Die kau­fe ich mir halt. Dabei kön­nen Ver­la­ge z.B. durch Lek­to­rats­dienst­leis­tun­gen durch­aus helfen.
  7. usw.

Mir gefällt vie­les nicht an (Groß-)Verlagen. Ich habe aber auch nichts dage­gen, dass sie Wert­schöp­fung betrei­ben, z.B. für mein Grund­ein­kom­men. Im Web2.0 wer­den ja auch in freund­schaft­li­cher Atmo­sphä­re z.B. Kur­se ver­tickt, für deren Inhal­te man bezahlt. Die Ver­la­ge haben viel ver­säumt – z.B. sich zu über­le­gen, wie ihre eige­ne Wert­schöp­fung in der digi­ta­len Welt funk­tio­nie­ren kann, wie sie fai­re Autoren­ver­trä­ge hin­be­kom­men, die moti­vie­ren, wie sie… 999 Punk­te, die es zu dis­ku­tie­ren gilt und die eng mit­ein­an­der ver­knüpft sind. Aber ob wir sie nicht mehr brau­chen in der „Wis­sens­ge­sell­schaft“? Wer weiß das? Ich zumin­dest nicht. Mei­ne Glas­ku­gel scheint im Gegen­satz zu ande­ren Glas­ku­geln ein­fach nur kaputt zu sein.

Riecken und die Verlage II

Zur Fair­ness gehört es für mich, nicht nur zu schimp­fen, son­dern auch auf Ver­bes­se­run­gen und Reak­tio­nen hin­zu­wei­sen. Auf dem Ver­lags­sek­tor hat sich da in letz­ter Zeit doch eini­ges getan, was mich sehr freut.

  1. Der Verlag20 hat sei­ne AGB recht grund­sätz­lich über­ar­bei­tet und ich sehe die Autoren­rech­te nach mei­ner lai­en­haf­ten Lek­tü­re nun­mehr gestärkt. Man könn­te hie und da immer noch meckern, aber den gene­rel­len Weg fin­de ich so schlecht nicht. Das Ange­bot ist recht breit und zumin­dest im Bereich Che­mie gibt es recht schö­nes Mate­ri­al zur­zeit sogar kos­ten­los zum Down­load – das wird sich aber ändern. Ich war kurz davor, einen klei­nen Bot zu schrei­ben, der ange­mel­de­te Nut­zer und tat­säch­lich pro­du­zie­ren­de Nut­zer ein­mal sta­tis­tisch aus­wer­tet – wahr­schein­lich kommt da aber ledig­lich die übli­che Ver­tei­lung (5% : 100%) bei her­um. Die Platt­form speist sich aus einem Ver­lags- und einem Autoren­an­ge­bot. Für mich kommt eine Betei­li­gung dort nicht in Fra­ge, weil es nicht unbe­dingt Geld ist, was mir im Leben fehlt und mir die Reich­wei­te mei­nes Blogs eigent­lich voll und ganz genügt. Und für die­se Reich­wei­te ist es eben sehr wich­tig, dass Tex­te von Such­ma­schi­nen voll­stän­dig indi­ziert sind. Dage­gen sträu­ben sich Ver­la­ge natür­lich immer noch ziem­lich – mein Mate­ri­al wäre dort also „outer space“. Und wer immer wie­der gegen Apple wet­tert, darf sich kon­se­quen­ter­wei­se dann bei sowas nicht betei­li­gen :o)…
  2. Heu­te lag ein Frei­ex­em­plar „Wikis, Blogs und Pod­casts“ von Will Richard­son bei mir im Brief­kas­ten. Gön­ner­haf­ter Spen­der ist Tibia­Press. Vor­aus­ge­gan­gen ist ein sehr net­ter und per­so­na­li­sier­ter Kon­takt mit den Mit­ar­bei­tern dort. Mein Blog wird dort als Leh­rer­blog mit Screen­shot ganz ein biss­chen erwähnt. Allein des­we­gen soll­te man das Buch kau­fen. Öhm… Nein, natür­lich nicht des­we­gen: Es gibt z.B. einen schö­nen „Rah­men­ver­trag“, der Eltern dar­über auf­klärt, war­um sich z.B. das Blog­gen mit einer Schul­klas­se lohnt. Es gibt vie­le Brü­cken­tex­te, die erklä­ren hel­fen, war­um lang­haa­ri­ge Spin­ner wie ich mit Klas­sen blog­gen, E‑Portfolios betrei­ben und so ande­res moder­nes Zeugs machen – z.B. für kri­ti­sche KuK oder Eltern.

Ach­so – ich bekom­me kein Geld für die­sen Arti­kel. Wir wer­den das Know-How der Ver­la­ge noch eine Wei­le brau­chen und es gibt immer mehr Anzei­chen dafür, dass sich in den Chef­eta­gen dort wirk­lich etwas tut. Fair fin­de ich immer die Aus­ein­an­der­set­zung mit bestehen­den Ver­su­chen und Expe­ri­men­tier­fel­dern, weil sie natür­lich auch poten­ti­ell wei­te­re Betä­ti­gungs- und Ver­dienst­fel­der für Lehr­kräf­te eröff­nen, wenn die Platt­for­men dazu bes­ser wer­den. Und viel­leicht tut es uns selbst auch ganz gut, mit in nor­ma­le wirt­schaft­li­che Abläu­fe ein­ge­bun­den zu sein.

Nein, Moodle ist kein System für Schüler, es ist eines für Lehrkräfte

Ich arbei­te seit fast einem Jahr in mei­nem eige­nen Unter­richt kaum bis gar nicht mehr mit Mood­le. Ich betreue noch immer eine Anzahl von Instal­la­tio­nen, die aber alle­samt pri­mär kei­nen schü­ler­zen­trier­ten Ansatz ver­fol­gen, son­dern in der Haupt­sa­che von den Bedürf­nis­sen der „Macher“ und nicht denen der Teil­neh­men­den getra­gen sind. Das ein­zi­ge mir in mei­nem  direk­ten Umfeld bekann­te halb­wegs schü­ler­zen­trier­te Mood­le­vor­ha­ben im Schul­kon­text ist das euro­päi­sche Come­ni­us­pro­jekt mei­ner Schu­le. Lisa Rosa hat Mood­le in einem Kom­men­tar ein­mal als „Bevor­mun­dungs­platt­form“ bezeich­net, was ich zum dama­li­gen Zeit­punkt nicht in die­ser Radi­ka­li­tät emp­fun­den habe, nun aber etwas dif­fe­ren­zier­ter sehe durch die Erfah­run­gen in der Arbeit mit Blogs.

Ist es nicht frap­pie­rend, dass auf ich auf moodle.org (ich dort schon lan­ge unter­wegs) so gut wie nie einen Bericht oder Erfah­run­gen aus Teil­neh­men­den­sicht gele­sen habe? Wer bestimmt die Wei­ter­ent­wick­lung von Mood­le? Der Teil­neh­mer oder die Leh­ren­den? Wes­sen Pro­dukt und Wunsch sind z.B.  die neu­en Con­di­tio­nal Acti­vi­ties, die für eben­so viel Sup­port­be­darf wie das Rol­len­sys­tem sor­gen werden?

Wei­ter­le­sen

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