Digitalkonzerne, Schulbuchverlage und ihr Einfluss auf Schule

Mein Feed­rea­der ver­heißt, dass es auf Twit­ter vor­weih­nacht­lich hoch her­geht. Und es ist gut, dass Dis­kus­sio­nen sich in die Blogo­sphä­re ver­la­gern, weil hier eine ganz ande­rer Form des Aus­tau­sches mög­lich ist.

Die­ser Arti­kel gehört eigent­lich als Kom­men­tar unter eine „argu­men­ta­ti­ve Fin­ger­übung“ von Axel Krom­mer – lei­der ist mir das Kom­men­tie­ren dort für mich nicht direkt mög­lich, weil ich eben­so wie beim Blog von Phil­ip­pe Wampf­ler an Kom­men­tar­plug­ins zer­schel­le, die mir unter mei­ner regu­lä­ren E‑Mailadresse ein Log­in bei wordpress.com auf­zwin­gen – was ich nicht habe … (und als ich es noch hat­te, war danach der Kom­men­tar weg …).

Ganz ver­kürzt scheint es beim Dis­put u.a. um fol­gen­den Kern zu gehen:

Der Ein­fluss von Schul­buch­ver­la­gen auf schul­in­ter­ne Cur­ri­cu­la ist so immens, dass trotz erheb­lich grö­ße­rer Markt­macht der Digi­tal­kon­zer­ne ein Ver­gleich zuläs­sig ist („Was ist eigent­lich mit den Schulbuchverlagen?“)

 

Schul­buch­ver­la­ge müs­sen hier mit den glei­chen Maß kri­tisch betrach­tet wer­den, wie es oft mit Groß­kon­zer­nen gemacht wird.

Was man vor­her über mich wis­sen muss:

Ich bera­te einen Schul­buch­ver­lag bei der Ent­wick­lung einer „Digi­tal­stra­te­gie“. Man kann auch leicht her­aus­fin­den, dass das der Cor­nel­sen-Ver­lag ist.

 

Axel Krom­mer beob­ach­tet in sei­nem Arti­kel, dass Schul­bü­cher schul­in­ter­ne Lehr­plä­ne „mas­siv prägen“.

Das ist eine gene­ra­li­sie­ren­de Aus­sa­ge, die durch Beob­ach­tun­gen gestützt wer­den kann. Dazu drei Anmerkungen:

  1. Die Gül­tig­keit die­ser Aus­sa­ge ist mei­nen Beob­ach­tun­gen nach – ich beschäf­ti­ge mich mei­ne Funk­ti­on wegen oft mit schul­in­ter­nen Arbeits­plä­nen – stark vom Fach und von der Schul­form abhän­gig. In Spra­chen stär­ker als in Poli­tik und Natur­wis­sen­schaf­ten. In wei­ter­füh­ren­den Schul­for­men stär­ker als an Grund- und Förderschulen.
  2. Dass schul­in­ter­ne Arbeits­plä­ne durch Ver­lags­me­di­en geprägt wer­den, heißt nicht auto­ma­tisch, dass auch Unter­richt davon geprägt wird. Schul­in­ter­ne Arbeits­plä­ne sind oft auch nichts wei­ter als for­ma­le Papie­re zur Befrie­di­gung behörd­li­cher Vor­ga­ben – und bei Kolleg*innen ent­spre­chend „beliebt“. Wie oft hört man die Kla­ge, dass vie­le Kolleg*innen im „alten Trott“ ver­har­ren, obwohl laut den Cur­ri­cu­la schon viel mehr mög­lich wäre.
  3. Ver­la­ge sind in mei­nen Augen nur Teil eines selbst­re­fe­ren­ti­el­len Sys­tems. Als Teil der Guten­berg­ga­la­xis sinkt für sie die Bedeu­tung im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung erheb­lich. Sie über­le­ben in ihrer jet­zi­gen Form des­we­gen, weil Schu­le sich schwer­tut mit Para­dig­men der Digi­ta­li­sie­rung und pri­mär sys­tem­er­hal­tend agiert.
    Ein Kom­men­ta­tor (Ste­fan) auf Axel Krom­mers Blog stellt dazu sehr plas­tisch fest:

    Der Ver­lag „Klett“ ist dem Schü­ler „Klaus“ völ­lig egal, wenn er mit der Schu­le fer­tig ist. Der hat dann näm­lich nichts Rele­van­tes mehr im Angebot.

Erklä­rungs­be­dürf­tig erscheint mir der Aspekt mit der Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät. Cur­ri­cu­la schreibt kein Ver­lag. Es wäre span­nend, über­blicks­ar­tig zu recher­chie­ren, wie Cur­ri­cu­lums­kom­mis­sio­nen in ver­schie­de­nen Bun­des­län­dern gebil­det wer­den, zusam­men­ge­setzt sind und wer sie orga­ni­siert. Das wird höchst unter­schied­lich sein. Und da wäre nach mei­nem Ver­ständ­nis anzu­set­zen mit mehr Pro­fes­sio­nen und exter­nen Experten.

Gleich ist, dass – zumin­dest nach mei­nem Wis­sens­stand – nach Neu­erstel­lung eines Cur­ri­cu­lums ein Anhö­rungs­ver­fah­ren statt­fin­det, in dem u.a. Ver­bän­de gehört wer­den. Nach einer „Beneh­mens­her­stel­lung“ tritt das Cur­ri­cu­lum in Kraft und es wird von den  Schu­len erwar­tet, dass Ver­la­ge dann dazu pas­sen­de Inhal­te in Form von Schul­bü­chern lie­fern, die i.d.R. ein mehr oder min­der stren­ges Zulas­sungs­ver­fah­ren durch­lau­fen. Ein wach­sa­mer Ver­lag wird auf Tuch­füh­lung mit den Cur­ri­cu­lums­kom­mis­sio­nen gehen, um recht­zei­tig „am Markt“ zu sein.

Vie­le Lehrbuchautor*innen sind Lehr­kräf­te. Da die Tätig­keit für einen Ver­lag in „dienst­li­chem Inter­es­se“ des Dienst­herrn liegt, sind die Hür­den für die Geneh­mi­gung die­ser Form einer Neben­tä­tig­keit gering bis gar nicht vorhanden.

Die Fra­ge, wer letzt­end­lich die „schul­in­tern Cur­ri­cu­la“ maß­geb­lich bestimmt, ist damit nicht so ein­fach zu beant­wor­ten. Es wir­ken vie­le Per­so­nen, Grup­pen und Insti­tu­tio­nen mit. Die Ver­la­ge haben dort eine übri­gens zuneh­mend schwie­ri­ge­re Rol­le. Sie sind aber letzt­lich nur ein Teil(!) des Sys­tems mit einem garan­tier­ten Absatz­markt. Sie bestim­men das Sys­tem nicht allei­ne. Dafür sorgt schon das Sys­tem aus sei­nem Selbst­er­hal­tungs­trieb heraus.

Wenn man Ein­flüs­se auf „schul­in­ter­ne Cur­ri­cu­la“ dis­ku­tiert, kann man ein­zel­ne Tei­le des Sys­tems kri­ti­sie­ren. Ertrag­rei­cher wäre es aus mei­ner Sicht jedoch, sich das Sys­tem selbst anzuschauen.

Der Ansatz „Wenn man die Digi­tal­kon­zer­ne kri­ti­siert, muss man auf glei­cher Ebe­ne kri­tisch auf Ver­la­ge schau­en“ trägt für mich nicht. Man muss kri­tisch auf das Sys­tem schau­en. Davon sind Ver­la­ge ein Teil. Die durch Digi­tal­kon­zer­ne bereit­ge­stell­ten Mög­lich­keits­räu­me sind ein System.

Digi­tal­kon­zer­ne sind für mich Insti­tu­tio­nen mit digi­ta­li­sier­ter Metho­dik, aber (noch) „kapi­ta­lis­ti­scher Soft­ware“. Sie inter­agie­ren nicht nur mit Schu­le, son­dern die durch sie bereit­ge­stell­ten (und kon­trol­lier­ten) digi­ta­len Räu­me wech­sel­wir­ken mit Kul­tur und Gesell­schaft auf ganz unter­schied­li­chen Ebe­nen und weit über das Sys­tem Schu­le hinaus.

Das bringt Ste­fan in sei­ner Ant­wort auf den Text von Axel Krom­mer auf den Punkt. Anders könn­te Schu­le durch blo­ße Anwe­sen­heit der durch die Digi­tal­kon­zer­ne bereit­ge­stell­ten Mög­lich­keits­räu­me als Sys­tem nicht so in Fra­ge gestellt werden.

Es wird hof­fent­lich klar, dass es mir nicht dar­um geht, das bis­he­ri­ge Geschäfts­mo­dell von Schul­buch­ver­la­gen zu legi­ti­mie­ren. Das wird sich ändern müs­sen oder es fol­gen Kon­se­quen­zen. Ich habe sehr ein­schlä­gi­ge Erfah­run­gen mit Ver­la­gen und Start­ups (das Bet­teln um Gast­ar­ti­kel auf einem der­ar­tig reich­wei­ten­schwa­chen Blog wie dem mei­nen ist noch die mil­des­te Form). Mir geht es dar­um zu zei­gen, dass der Ver­weis „Und was ist mit Schul­buch­ver­la­gen?“ im Kon­text von Digi­tal­kon­zer­nen natür­lich What­a­bou­tism oder min­des­tens sehr effekt­ha­sche­risch redu­ziert ist. Und natür­lich kann man das auch nicht pri­mär an Umsät­zen messen.

Auf struk­tu­rell ähn­li­cher Ebe­ne ope­riert für mich das Auto­ar­gu­ment. Aber das ist eine ande­re Geschichte.

 

 

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6 Kommentare

  • Ich habe das gera­de in einem Inko­gni­to-Fens­ter bei Chro­me getes­tet: Man kann ohne Anmel­dung kom­men­tie­ren. Wo genau lag da Dein Problem??

    • Ich gebe mei­ne E‑Mailadresse „maik.riecken@gmx.de“, mei­nen Namen und mei­ne Web­sei­te ein. Es folgt eine Log­in­auf­for­de­rung bei wordpress.com. Wenn ich das kor­rek­te Pass­wort ver­wen­de und absen­de, ist danach der Kom­men­tar ziem­lich ver­läss­lich futsch. Ver­schie­de­ne Rech­ner und Gerä­te. Müs­sen wir mal per Screen­s­hot­kas­ka­de klä­ren. Jet­pack halt.

  • Du kannst doch ein­fach irgend­ei­ne eine E‑Mail-Adres­se neh­men, die nicht mit WP ver­knüpft ist.

    • Kann ich. Die Kom­bi­na­ti­on funk­tio­niert sonst im Netz 1a. Habe ja auch eine Lösung gefun­den, nach­dem ich mal wie­der in die uner­war­te­te Fal­le gelau­fen bin. Ver­hal­te mich im Netz ger­ne wie ein nor­ma­ler Anwen­der. Man macht es, ärgert sich und wech­selt das Lokal.

  • Björn

    Dein Aus­gangs­punkt, ein Kom­men­tar eines Ste­fans bei Axel, beruht mei­nes Erach­tens auf einer fal­schen Annah­me. Anzu­neh­men, dass der Klett-Schul­buch­ver­lag halt nur ein paar Schul­bü­cher ver­kau­fen will (und ein paar CD ROMS ;-) ) und dann war es das. Auch Ver­la­ge sind heu­te ein Sys­tem. Aller­dings ver­schlei­ern sie das erheb­lich bes­ser, inso­fern wäre Kri­tik an deren Vor­ge­hen deut­lich offe­ner nötig.

    Die rie­si­gen Ver­lags­grup­pen haben selbst­ver­ständ­lich durch­aus ein Inter­es­se, dich in ihrem eige­nen Öko­sys­tem zu behal­ten. Die Annah­me, der Schü­ler „Klaus“ wäre nach der Schu­le egal, ist mei­nes Erach­tens sehr naiv. Das machen sie dann nur nicht mehr über Schul­bü­cher, son­dern sind heut­zu­ta­ge deut­lich brei­ter aufgestellt.

    Neh­men wir mal einen (ande­ren) der drei Gro­ßen aus dem Oli­go­pol im Schul­be­reich: Die Klett-Grup­pe. Deren Betei­li­gun­gen sind deut­lich leich­ter auf­zu­spü­ren als die der Franz Cor­nel­sen Bil­dungs­hol­ding, in der der Cor­nel­sen Ver­lag (für Schul­bü­cher) mit sei­nen 260 Mio Umsatz nur einen Teil einnimmt.
    Die Klett-Grup­pe hat einen Umsatz von 750 Mio. und zielt natür­lich auch dar­auf ab, dass du dir mög­lichst ein Pons oder Lan­gen­scheidt Wör­ter­buch kaufst – auch noch nach der Schu­le. Und wenn es nicht das Wör­ter­buch ist, dann deren ent­spre­chen­de App – Haupt­sa­che du bleibst mög­lichst lan­ge in deren Sys­tem. (Das wird bei Cor­nel­sen kaum anders sein.) Pons Online gibt es seit 2008. Und da soll kein Inter­es­se vor­han­den sein, die Ver­la­ge mit ihren Ein­nah­me­ga­ran­tien aus den Gel­dern für Bil­dungs­ein­rich­tun­gen die Kun­den auch nach der Schu­le zu behalten?
    Wenn „Klaus“ nach der mitt­le­ren Rei­fe noch etwas lernt, dann doch bit­te in einer BEST-Sabel- oder Frö­bel-Schu­le (aner­kann­te Pri­vat­schu­len mit mög­li­chem regu­lä­ren Abi). Oder wie wäre es dar­auf fol­gend mit einem Stu­di­um an der EUFH oder einem Fern­stu­di­um bei sgd oder ILS? Was da wohl für Bücher genutzt wer­den? Die Wer­bung für die Toch­ter­un­ter­neh­men taucht jeden­falls regel­mä­ßig bei den ande­ren auf, aber das mag nur Zufall sein.
    Was wäre eigent­lich los, wenn eine „Ste­ve-Jobs-Schu­le“ oder „Goog­le-Schu­le“ als regu­lä­rer Teil der Schul­aus­bil­dung oder des Stu­di­ums fun­gie­ren wür­de? Und dann viel­leicht sogar noch Soft­ware ande­rer Anbie­ter unter­sa­gen wür­de? Das Geschrei nach Ein­fluss­nah­me mag ich mir nicht ein­mal vorstellen.

    Die Erwach­se­nen­bil­dung ist nicht gera­de irrele­vant beim Ver­such, Ler­nen­de im eige­nen Öko­sys­tem zu bin­den, also deut­lich nach­dem „Klaus“ die Schu­le schon ver­las­sen hat. Und es hört nicht bei den Bil­dungs­me­di­en auf: War­um wur­de aus dem Cot­ta-Ver­lag für Publi­kums­li­te­ra­tur schon 1977 (da war an die „Big5“ nicht mal zu den­ken) der Ver­lag Klett-Cot­ta? Hat das wirk­lich nichts mit einem kom­plet­ten Sys­tem zu tun, in dem dich (oder Klaus) die­se Unter­neh­men hal­ten wollen?

    Wenn es sich doch als kom­plet­tes Sys­tem zei­gen soll­te, funk­tio­niert dann noch die Argu­men­ta­ti­on, die ja auf die­ser Annah­me beruht? Sind dann die Anbie­ter digi­ta­ler Pro­duk­te so viel anders im Vor­ge­hen als die Groß­ver­la­ge? In mei­nen Augen sind bei­de Anbie­ter gan­zer eige­ner Sys­te­me, wobei die einen es eher offen zuge­ben, die ande­ren es mehr ver­heim­li­chen, sodass man zumin­dest das Gefühl bekommt, der Kun­de Klaus wäre irgend­wann irrele­vant, ohne das er das wirk­lich ist. Das Sys­tem Schu­le als drit­tes Sys­tem hat Schnitt­men­gen mit bei­den und ist für bei­de ande­ren Sys­te­me eine Mög­lich­keit, Kun­den zu gewin­nen und zu binden.

  • Hal­lo Björn,

    Du hast m.E. abso­lut Recht, wenn du bestehen­de Bil­dungs­hol­ding­struk­tu­ren aus einer Guten­berg­per­spek­ti­ve denkst. Dann sind die Struk­tu­ren analog.

    Dei­nem Lexi­kon oder Bil­dungs­me­di­en eines Schul­buch­ver­la­ges ste­hen aber z.B. Ver­hal­tens­vor­her­sa­ge­pro­duk­te von Goog­le ent­ge­gen, die eigent­lich schon seit 2003/2004 kon­ti­nu­ier­lich wei­ter ent­wi­ckelt wer­den. Was die Ver­la­ge und Bil­dungs­hol­dings da so machen (kön­nen), ist tech­no­lo­gisch dage­gen nicht ein­mal Kreis­klas­se – die sind min­des­tens 10 Jah­re hin­ter den Mög­lich­kei­ten der Digi­tal­kon­zer­ne zurück. Deut­sche Wis­sen­schaft­ler for­schen an Schu­len in Chi­na. Mal schau­en, wohin die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se gehen. Undurch­sich­tig­keit und Intrans­pa­renz sind auch pri­mä­re Merk­ma­le der Big5. Shosha­na Zuboff hat das in ihrem Buch „Der Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus“ recht gut ana­ly­siert. Die Big5 sind aber welt­weit auf­ge­stellt und allein dadurch weit­aus schwie­ri­ger zu „fas­sen“.

    Die Goog­le-School wird kom­men. Aus den Ste­ve-Jobs-Schu­len in den Nie­der­lan­den wird man ler­nen. „Man“ muss es nur hin­be­kom­men, dass die Wirt­schaft die dort ver­ge­be­nen Abschlüs­se als Qua­li­fi­ka­ti­on aner­kennt. Und gera­de an sol­chen pri­va­ten Schu­len wird man wahr­schein­lich weder Lexi­ka noch Ver­lags­me­di­en nut­zen – es sei denn aus Hol­dings, die man auf­ge­kauft hat. 

    Es gibt sehr viel an vie­len Aspek­ten für das Schul­sys­tem zu tun. Das wird eine unglaub­lich span­nen­de Zeit werden.

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