Präsenztage in der Schule – das Prinzip der sozialen Rekursivität in öffentlichen Debatten

Auch auf­grund von “Vermittlungsproblemen” in der Bevöl­ke­rung sehen sich die Kul­tus­mi­nis­te­ri­en der Län­der nun­mehr “gezwungen”, Prä­senz­ta­ge für Lehr­kräf­te an den Schu­len ein­zu­füh­ren, so jeden­falls ein zunächst wenig beach­te­ter Beschluss der KMK auf ihrer letz­ten Zusam­men­kunft. Als ehe­ma­li­ger Per­so­nal­rat und durch­aus auch kri­ti­scher Betrach­ter der Pri­vi­le­gi­en unse­rer Berufs­spar­te möch­te ich doch die­se Idee nicht unkom­men­tiert lassen.

Wäh­rend Jan-Mar­tin Klin­ge sich eher mit den resul­tie­ren­den Ver­wal­tungs­fra­gen aus­ein­an­der­setzt und sich an Din­gen wie dem Gleicheits­grund­satz im Duk­tus von Beam­ten­deutsch abar­bei­tet, lege ich den Fokus bewusst etwas anders und begin­ne dabei mit einer klei­nen Anekdote:

Als an unse­rer Schu­le schwe­di­sche Lehr­kräf­te zu Gast waren, haben wir Ihnen natür­lich mit eini­gem Stolz unser frisch reno­vier­tes, wirk­lich groß­zü­gig gestal­te­tes Leh­rer­zim­mer gezeigt. Die Reak­ti­on war durch­aus posi­tiv. Das ist hoch zu bewer­ten, wenn man etwas mit schwe­di­scher Schul­ar­chi­tek­tur ver­traut ist. Es kam aber sofort auch die Fra­ge mit dem für mich immer wie­der put­zig anzu­hö­ren­den schwe­di­schen Akzent: “Das ist eine schö­nes Raum. Wo triffst du dich mit dei­ne Kol­legs, um zu arbeiten?” – “Ja hier halt!”, ant­wor­te­te ich. “Nein, das hier ist eine tol­les Sozi­al­raum, aber kei­ne Arbeitsplatz!”, kam sofort der Ein­wand. Für den schwe­di­schen Kol­le­gen war es unvor­stell­bar, kei­nen Arbeits­platz in der Schu­le zu haben.

Ich fin­de, dass die­se Anek­do­te den Kern der Pro­ble­ma­tik zeigt: Selbst wenn ich in der Schu­le arbei­ten woll­te, könn­te ich es selbst nicht mit hin­rei­chen­der Effek­ti­vi­tät tun. Im Leh­rer­zim­mer trifft man sich und tauscht sich aus. Das ist Fluch und Segen zugleich: Fluch für den Wunsch, z.B. läs­ti­ge Kor­rek­tur­ar­bei­ten zügig zu erle­di­gen, Segen für den Aus­tausch zu päd­ago­gi­schen Fra­gen – letz­te­re lie­ßen sich aber weit­aus effek­ti­ver klä­ren, wenn alle Betei­lig­ten anwe­send wären. In der jet­zi­gen Form des KMK-Beschlus­ses ist den Lehr­kräf­ten ja weit­ge­hend frei­ge­stellt, wann sie sich in der Schu­le einfinden.

Dass es in der Schu­le i.d.R. kei­nen geeig­ne­ten Arbeits­platz gibt außer den schnell über­füll­ten Leh­rer­ar­beits­zim­mern bedingt ja zusätz­lich qua­si einen heim­li­chen Vertrag:

“Du Kol­le­ge setzt dein häus­li­ches Arbeits­zim­mer von der Steu­er ab, hast somit vol­le Frei­heit in dei­nem Home­of­fice und dafür spa­ren wir die eine oder ande­re Mark bei der räum­li­chen und säch­li­chen Aus­stat­tung der Schulen.”

An so Din­gen wie den Rege­lun­gen zur Daten­ver­ar­bei­tung auf pri­va­ten DV-Gerä­ten von Lehr­kräf­te (Link auf Erlass hier in Nie­der­sach­sen) sieht man recht hübsch, dass die­ses Kon­strukt auch gele­gent­lich hef­tig knirscht, aber im Gro­ßen und Gan­zen natür­lich funk­tio­niert. Wenn man mich jetzt zwingt, in der Schu­le tätig zu sein, könn­te ich ja auf die Idee kom­men, dar­aus auch Ansprü­che abzu­lei­ten – inso­fern weiß ich nicht, ob der Dienst­herr sich auf lan­ge Sicht damit wirk­lich einen Gefal­len tut.

Ich kann ver­ste­hen, war­um vie­le Men­schen uns Lehr­kräf­te als pri­vi­le­giert wahr­neh­men. Ich bin mir nicht so sicher, ob das nun gesetz­te Signal wirk­lich geeig­net ist, die übli­chen Stamm­tisch­ste­reo­ty­pe über Leh­rer wirk­sam im Sin­ne einer sicher­lich auch inten­dier­ten Für­sor­ge durch den Dienst­herrn abzu­mil­dern – da schei­nen mir Din­ge wie die Unkünd­bar­keit oder Pen­si­ons­re­ge­lun­gen durch­aus gewich­ti­ger in der Wahr­neh­mung “meiner” Stamm­tisch­kon­tak­te außer­halb der Leh­rer­sze­ne. Gera­de in Bezug auf die säch­li­che Aus­stat­tung sind wir als Lehr­kräf­te m.E. eben nicht unbe­dingt gutgestellt.

Das Ein­zi­ge, was man schafft, ist “soziale Rekur­si­on” – man ändert an einer Stel­le etwas, was in der Fol­ge wei­te­re Pro­zes­se in Gang setzt, die sich auf den glei­chen Aus­gangs­punkt bezie­hen, aber im Gegen­satz zur mathe­ma­ti­schen Rekur­si­on kaum vor­her­seh­bar sind. Sicher ist: Wir kom­men immer wie­der bei der glei­chen Fra­ge an.

Was denkt ihr? Könn­ten Prä­senz­ta­ge sinn­voll dabei hel­fen, dass Lehr­kräf­te nicht mehr so pri­vi­le­giert wah­ge­nom­men wer­den? Gin­ge für euch ein sol­ches Ansin­nen auf?

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7 Kommentare

  • Pingback: Erlass zu Präsenzzeiten: Vorverurteilung per Beschluss | Bob Blume

  • Seit im Halb­tags­blog die­ser eigen­ar­ti­ge FKK-Erlass erör­tert wur­de, bin ich sehr vor­sich­tig mit angeb­lich offi­zi­el­len Doku­men­ten, vor allem, wenn ihr drei nur unter­ein­an­der ver­linkt. Daher: Link zum Ori­gi­nal, or it did­n’t happen!

  • Bezüg­lich der Fak­ti­zi­tät hal­te ich es mit Sher­lock Ixsi. Da Jan-Mar­tin noch nicht mal eine grö­ße­re Ver­si­on sei­nes „Scans“ ver­linkt und auch sonst ziem­lich unge­wohnt vage for­mu­liert an man­chen Stel­len, wür­de ich sagen: Well, done, mei­ne Her­ren. Schön ein­ge­fä­del­ter Diskussionsimpuls ;-). 

    Neh­men wir an, es wäre tat­säch­lich so: Ich glau­be nicht, dass ein nen­nens­wer­ter Teil der Bevöl­ke­rung es für sinn­voll hiel­te, dass Leh­rer in den *Feri­en* in der Schu­le anwe­send sind. Dass sie nach­mit­tags teil­wei­se da sein müs­sen, das viel­leicht – aber nur die Ver­bohr­tes­ten wür­den eine Prä­senz in den Feri­en gutheißen.

    • Och, Feri­en­be­treu­ung in der Schu­le fän­den bestimmt eini­ge arbei­ten­de Eltern sinn­voll. Du könn­test dann rich­tig toll vor­be­rei­te­te (und jähr­lich wie­der) aus dem Ord­ner gezo­ge­ne (Steinzeit‑, Koch‑, Garten-)Projekte anbie­ten, und die Klei­nen wären durch päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te ver­sorgt. Oder es könn­te Wis­sen in ein­zel­nen Fächern nach­ge­holt wer­den, so dass ein Schü­ler sei­ne drei Fün­fen nach einer per­fek­ten Vor­be­rei­tung in der Sum­mer School locker ver­bes­sert hat und glück­lich und zufrie­den in das neue Schul­jahr star­ten kann. Kein Sit­zen­blei­ben mehr nötig! *wild lachend ab*

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