Die Welt muss romantisiert werden!
Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts, als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. (…) Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es. (Novalis)
So ein Dichter und Theoretiker der romantischen Literaturepoche. Denken wir heute an Romantik, meinen wir meist so etwas:
Ein Romantiker der Epoche konnte aber auch so etwas damit meinen:
Geblieben von dem Begriff „Romantik“ ist eigentlich nur die „Kerzenschein – Sonnenuntergang – Säuselmusik – Natur – Liebespaar“- Konnotation. Wie passen beide Bilder zusammen?
Die Lösung liegt für mich in dem Begriff „verrückt“, der ja vom Wortsinn her nicht anderes bedeutet als etwas von dem angestammten Platz wegzurücken. Genau das machen wir, wenn wir uns zu zweit eine Kerze anzünden, schöne Musik laufen lassen oder bei Sonnenuntergang im Sommer an den Strand gehen: Wir geben einer ganz gewöhnlichen Alltagssituation („zwei Menschen unterhalten sich“) – Novalis sagt: „Dem Gemeinen“ – einen höheren Sinn, indem wir etwas schaffen wollen, an das man sich erinnert. „Gehen sie doch mal wieder mit ihrer Frau schön essen“ – da ist sie, die Forderung nach der „Würde des Unbekannten“. Max Frisch hat auf seine Weise gesagt, wie wichtig diese Würde für romantische Beziehungen ist.
Es ist bemerkenswert, daß wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und daß auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. (Max Frisch)
Die Romantik verengt ihr Prinzip des „ver-rückens“ nicht wie wir heute auf das Wortfeld Liebe / Natur. Die Romantik ist die Epoche der Schauer- und Detektivgeschichten ebenso wie die Auseinandersetzung mit den Tiefen unseres Geistes, die bis in den Wahnsinn führen kann. Durch das literarische Ringen mit Phänomenen wie Geisteskrankheiten, z.B. in den Novellen E.T.A. Hoffmanns, weitet die Romantik den Blick auf aus einer Alltagssicht „ver-rückte“ Dinge. Das Prinzip ist das gleiche wie bei unserem Abend am Strand. Die Welt ist „ver-rückt“ – in einem aufgeklärten Umfeld darf genau das nicht sein. Und noch heute prallen die Geisteshaltungen von Aufklärung und Romantik aufeinander. Gut so.
Denn meiner Meinung nach brauchen beide Prinzipien einander. Ohne den aufgeklärten Geist entsteht wahrscheinlich nicht das Bedürfnis nach etwas, was jenseits des Verstandes liegt. Ohne das Land hinter dem Verstand hätte der Geist gerade bei der Erforschung des menschlichen Daseins wahrscheinlich nicht genug, um zu einer nüchternen Analyse zu kommen.
Ich teile fast alle Ansichten daran, bin ein große Freund der romantischen Epoche, auch wenn ich der die Aufklärung immer den Vorzug geben werde. Ohne den Spinnerkram hätte der Geist bei der Erforschung des menschlichen Daseins nicht genug >em>wovon?
Beim Verrücken halte ich es für ausreichend, den Blickwinkel zu verrücken. Die Welt kann man dabei unangetastet lassen.
Ein Problem, wenn auch kein unüberwindliches, habe ich nur mit dem Kerzenschein. Postmoderne Medienmenschen können damit nicht so einfach eine gewöhnliche Situation verfremden – weil es wenig Gewöhnlicheres gibt als das, was so gemeinhin als romantisch bezeichnet wird. Seit der Romantik werden uns diese Bilder um die Ohren gehauen.
Ich sehe den deutschen Pietismus – also einen Hort der Irrationalität – als wesentlichen Ansporn für Gottsched und seine „Gottschedin“. Natürlich gab es politische Impulse, aber in der Auseinandersetzung mit den „Kollateralschäden“ dieser Bewegung wird bestimmt eine der geistesgeschichtlichen Grundlagen der Frühaufklärung zu suchen sein. Die Esoterik heute empfinde ich als Ansporn für viele wissenschaftliche Artikel, die ohne diese Bewegung so wahrscheinlich nie entstanden wären.
„weil es wenig Gewöhnlicheres gibt als das, was so gemeinhin als romantisch bezeichnet wird“
Ich Zeiten von RGB-Leds und DLNA mag Natur hin und wieder als durchaus ungewöhnlich erscheinen. „Es sind unsere Hände“ – sagt ein Werbung, meint aber damit letztendlich das Streicheln einer glatten, kühlen Glasoberfläche. Aber in der Tat ist das wiederum Ansichtssache… Geisteswissenschaft fließt eben immer irgendwie.
Das MF-Zitat ist aus seinen Tagebüchern?! Und wenn ja aus welchem?
Gruß,
jojo
@jojo
Max Frisch: Tagebuch 1946–1949 (Suhrkamp Taschenbuch 1148), Frankfurt: Suhrkamp 1985, S. 27ff. – es mag andere Ausgaben geben.