Was ist eigentlich Google Wave?

Dazu ein Bei­spiel aus dem Schul­all­tag: Eine typi­sche Grup­pen­ar­beit im Fach Deutsch könn­te z.B. so aus­se­hen, dass ein kom­pli­zier­ter Text in Abschnit­te zer­legt wird und jede Klein­grup­pe jeweils einen Abschnitt zur Bear­bei­tung erhält. Bei die­ser arbeits­tei­li­gen Form ist auf den ers­ten Blick die Effi­zi­enz höher und auch die letz­te Grup­pe hat etwas zu prä­sen­tie­ren, was für das Gesamt­ergeb­nis wich­tig ist. In einem Unter­richts­ge­spräch oder durch eine ande­re Form wer­den die ein­zel­nen Grup­pen­ar­beits­er­geb­nis­se zusam­men­ge­führt. Jetzt wer­fen wir ein­mal einen Blick auf den Schaf­fens­pro­zess inner­halb einer sol­chen Kleingruppe:

  • jedes Grup­pen­mit­glied liest sei­nen Abschnitt zunächst für sich und mar­kiert bzw. fügt Noti­zen hin­zu (Pha­se 1)
  • die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se wer­den zusam­men­ge­tra­gen (Pha­se 2)
  • er erfolgt in einer Dis­kus­si­on eine Kate­go­ri­sie­rung und Hier­ar­chi­sie­rung (Pha­se 3)
  • es wird ein Grup­pen­vor­trag auf Basis der gewon­ne­nen Ergeb­nis­se erar­bei­tet (Pha­se 4)
  • der Grup­pen­vor­trag wird im Ple­num prä­sen­tiert (Pha­se 5)

Dabei möch­te ich fol­gen­de Beob­ach­tun­gen festhalten:

  1. Doku­men­tiert ist am Ende der Arbeit das Arbeits­er­geb­nis, jedoch nicht der Pro­zess von des­sen Entstehung
  2. Grup­pen wer­den von ein­zel­nen Mit­glie­dern oft domi­niert, wäh­rend – abhän­gig von der Grup­pen­grö­ße – sich auch Rück­zugs­mög­lich­kei­ten für ein­zel­ne ergeben

Was für ein Pro­zess ist inner­halb einer Wave denkbar?

Neh­men wir an, die obi­ge Auf­ga­be sei als Wave kon­zi­piert. Neh­men wir fer­ner an, die Grup­pen­ar­beit lie­fe im PC-Raum ab. Man muss bei Wave noch wis­sen, dass das Sys­tem jeden Tas­ten­druck sofort abbil­det (abschalt­bar).

  • Bereits beim Lesen wür­den Bemer­kun­gen aller Grup­pen­mit­glie­der im Text sicht­bar: Jedes Grup­pen­mit­glied wür­de über einen eige­nen Cur­sor ver­fü­gen, der für alle aus der Grup­pe simul­tan auf dem Bild­schirm erscheint. Daher bekom­me ich als Grup­pen­mit­glied also mit, dass Peter z.B. das Oxy­mo­ron in der ers­ten Zei­le bereits erkannt hat und gera­de rich­tig benennt. Soll­te das nicht der Fall sein, kann sofort direkt zu sei­nem Kom­men­tar eine Anmer­kung machen, die auch wie­der­um alle zum Zeit­punkt ihres Ent­ste­hens mit­be­kom­men. Wenn Peter gut arbei­tet, gehe ich eben schon zur nächs­ten inter­es­san­ten Text­stel­le. Es „wüh­len“ also gleich­zei­tig ver­schie­de­ne „Cur­sor-Amei­sen“ im Text her­um, wobei jede Amei­se in ihrer Arbeit sofort sicht­bar ist. Damit wer­den inef­fi­zi­en­te Dop­pe­lun­gen ver­mie­den – der Text füllt sich qua­si von Geis­ter­hand, in ech­ter, effi­zi­en­ter Arbeits­tei­lung. Kom­men­ta­re u.ä. las­sen sich umschal­ten zu unauf­fäl­li­gen Pic­to­gram­men, die den Lese­fluss nicht stö­ren – klei­ne „More-Tags“ qua­si (Pha­se 1)
  • Das unge­ord­ne­te Zusam­men­tra­gen der Arbeit­er­geb­nis­se ent­fällt, da alle Beob­ach­tun­gen an der rich­ti­gen Stel­le im Text inner­halb der Wave mar­kiert und für jeden sicht­bar sind – es setzt nun ein indi­vi­du­el­ler Lese­pro­zess ein, der even­tu­ell an der einen oder ande­ren Stel­le zu Kor­rek­tu­ren führt, mit wie­der­um sicht­ba­ren „Cur­sor-Amei­sen“ – jedes Mit­glied besitzt eine (Pha­se 2).
  • Es bleibt nun Zeit für das Team für die Erar­bei­tung des Ergeb­nis­ses essen­ti­el­le Kategorisierung/Hierarchisierung. Das kann uns soll­te im Gespräch statt­fin­den – dazu bedarf es eigent­lich einer grup­pen­wei­sen Anord­nung der PCs zu „Lern­in­seln“. (Pha­se 3).
  • Es erfolgt zusätz­lich eine Seg­men­tie­rung des Ergeb­nis­ses, sodass alle „Cur­sor-Amei­sen“ gleich­zei­tig inner­halb der Wave ihr Pro­dukt gestal­ten (Pha­se 4).
  • Inner­halb der Prä­sen­ta­ti­on kann der Ent­ste­hungs­pro­zess mit doku­men­tiert wer­den, da eine Wave qua­si „auf­ge­nom­men“ wird und hin­ter­her chro­no­lo­gisch in belie­bi­ger Geschwin­dig­keit abge­spielt wer­den kann, d.h. der Zuschau­en­de kann den Pro­zess oder aus­ge­wähl­te Tei­le dar­aus „sehen“  (alle Amei­sen…) – die Grup­pen­ar­beit läuft qua­si noch ein­mal in einer Art „Film“ ab (Pha­se 5).

Ach­ja – Wave wird Open­So­ur­ce, d.h. im Gegen­satz zu Goo­g­le­Apps, kann eine Wave auch in einem geschlos­se­nen Intra­net lau­fen, inkl. Anbin­dung an ein vor­han­de­nes Authen­ti­fi­zie­rung­s­ys­tem. Unnö­tig zu erwäh­nen, dass durch die Doku­men­ta­ti­on des Pro­zes­ses – auch für den Leh­ren­den – sich ganz ande­re Bera­tungs­mög­lich­kei­ten auf­tun, ggf. sogar indi­vi­du­el­le Stär­ken und Schwä­chen erkenn­bar wer­den – trotz Grup­pen­ar­beit. Das betrifft auch even­tu­el­le Domi­n­an­zen inner­halb der Grup­pe. Ich könn­te auch Eltern durch die „Play-Funk­ti­on“ vor­füh­ren, was ich sonst nur beschrei­ben kann. Wenn Sys­te­me wie Mood­le jeden Klick doku­men­tie­ren, doku­men­tiert eine Wave sogar tem­po­ra­le Dimen­sio­nen von Ver­hal­ten. Das birgt Gefah­ren, das birgt – sinn­voll ein­ge­setzt – auch Chancen.

Mood­le kann nur asyn­chron, selbst das Chat­mo­dul bzw. der Mes­sen­ger sind nach gän­gi­ger Defi­ni­ti­on allen­falls qua­si-syn­chron. Daher sehe ich für mich bis­her kei­nen sinn­vol­len Mood­le­ein­satz im Unter­richt, wohl aber zur Ergän­zung von Unter­richt oder zu Kom­mu­ni­ka­ti­on über grö­ße­re Ent­fer­nun­gen (da darf ger­ne auch asyn­chron sein), weil ich glau­be, dass man das, was man mit Men­schen tun kann (in der Schu­le gibt es ja wel­che), auch mit Men­schen tun soll­te. Im Unter­richt sind die­se für mich  inner­halb von Mood­le aber nicht in der Wei­se prä­sent, wie sie es in einer Wave wären. Außer­dem zeigt das Bei­spiel, dass inner­halb einer Wave, die „Brot und Butter“-Phase wesent­lich effi­zi­en­ter gestal­tet wer­den kann, wäh­rend die „Salami“-Phase (Dis­kus­si­on!) dadurch mehr Raum erhal­ten könn­te – zumin­dest theo­re­tisch, weil den meis­ten SuS das Kon­zept der Wave (vie­le Ein­drü­cke simul­tan) aus den heu­ti­gen WEb2.0‑Communities nicht fremd ist. Es bleibt als Her­aus­for­de­rung das Pro­blem  des glä­ser­nen Schü­lers, viel glä­ser­ner als in Moodle.

Und: Goog­le Wave ist noch nicht ein­mal fer­tig, son­dern zur Zeit ledig­lich ein Pro­to­typ. Aber das Kon­zeeeehept, das Kon­zept.… Wahn­sinn. Nach den ers­ten Bli­cken wüss­te ich auch nicht, was dage­gen sprä­che, Mood­le und Wave zu inte­grie­ren, da ent­spre­chen­de Apps (z.B. für Blogs) bereits ent­wi­ckelt sind. Mehr als einen Fil­ter in Mood­le wird nicht not­wen­dig sein.

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5 Kommentare

  • Das Bei­spiel hilft, ’ne Vor­stel­lung von Wave-Poten­zen zu ent­wi­ckeln. Danke!
    Trotz­dem – mal so als the devil’s advo­ca­te gefragt – gin­ge das nicht im „nor­ma­len“ Gespräch zumin­dest genau­so effek­tiv? Zumin­dest, solan­ge wir von Kon­takt­un­ter­richts­sze­na­ri­en reden, schei­nen mir (digi­ta­le) syn­chro­ne Kol­la­bo­ra­ti­ons­va­ri­an­ten schnell auf­ge­setzt zu wir­ken. Anders sieht das m.E. bei Text­pro­duk­ti­on aus, sobald man über kom­ple­xe­re Tex­te redet (Bsp media­bird, Wiki o.ä.). M.E. läuft man sonst all­zu schnell in die Fal­le, dass die Zeit, die ich mit dem Gebrauch des Werk­zeugs zubrin­ge, im Ver­hält­nis zum tat­säch­li­chen Mehr­wert ein wenig über­pro­por­tio­niert erscheint. (Wohl­ge­merkt – wir reden im Moment bei Wave ja noch über unge­leg­te Eier – auf tat­säch­li­che Unter­richts­er­fah­run­gen wär ich echt gespannt).
    Wenn man dage­gen Dein Sze­na­rio auf die Zusam­men­ar­beit räum­lich von­ein­an­der getrenn­ter Akteu­re über­trägt, erscheint es (zumin­dest mir) erheb­lich plau­si­bler – obwohl da in der Regel nicht sooo viel gegen Asyn­chro­ni­tät spricht.
    Span­nen­de Zeiten :-)

  • gin­ge das nicht im “normalen” Gespräch zumin­dest genau­so effek­tiv? Zumin­dest, solan­ge wir von Kon­takt­un­ter­richts­sze­na­ri­en reden, schei­nen mir (digi­ta­le) syn­chro­ne Kol­la­bo­ra­ti­ons­va­ri­an­ten schnell auf­ge­setzt zu wirken.“

    Des­we­gen ist ja ein „nor­ma­les Gespräch“ inte­griert, in dem *das Wesent­li­che* abläuft – näm­lich der Denk­pro­zess! Und die Pha­se der indi­vi­du­el­len Erar­bei­tung (1. Lesen) hal­te ich gera­de nicht für effek­ti­ver, wenn man genau die­ses Bei­spiel nimmt. Ist es „effek­tiv“, wenn alle aus der Grup­pe sagen, dass sie in der ers­ten Zei­le ein Oxy­mo­ron gefun­den haben? Die­se Zeit hät­te ich lie­ber für den Denk­pro­zess zur Verfügung. 

    Genau wie Mood­le muss Wave kein „All­heil­mit­tel“ sein, son­dern ledig­lich *ein* Instru­ment im Reper­toire wer­den, wel­ches in bestimm­ten Lern­sze­na­ri­en passt und in ande­ren nicht. Mood­le z.B. passt mir sehr oft *im Unter­richt* nicht, weil ich eben lie­ber in Klas­sen direkt kom­mu­ni­zie­re (und es für mich dann auf­ge­setzt wirkt, wie du es auch kri­ti­sierst). Ich könn­te mir durch­aus vor­stel­len, in unte­ren Klas­sen das Oxy­mo­ron inner­halb eines Glos­sa­res durch SuS erklä­ren zu las­sen – z.B. in einer arbeits­tei­li­gen Hausaufgabe. 

    Die Zukunft in der immer chao­ti­scher wer­den­den Welt wird nach mei­ner Schät­zung Wave oder wave­ähn­li­chen Kon­zep­ten(!) gehören.

  • Hal­lo,

    ist das nicht auch jetzt schon mit einem Ether­pad mög­lich? Da es inzwi­schen auch mit For­ma­tie­run­gen umge­hen kann ist eine kla­re Abgre­nung der ein­zel­nen Blö­cke möglich.
    Ich nut­ze das in ähn­li­cher von Dir skiz­zier­ter Wei­se bei Grup­pen­ar­beits­pha­sen für ein­zel­ne Schü­ler­grup­pen, die ihre Noti­zen real-time zusammentragen.

  • Die Mög­lich­kei­ten des Ether­pads sind mei­nes Wis­sens nach wesent­lich begrenz­ter und die Daten lie­gen bei einem Dienst im Web, für den wie­der die Zusatz-Account­pro­ble­ma­tik besteht. Goo­gle­Wa­ve ist zumin­dest in unse­re Schul­in­fra­struk­tur naht­los integrierbar.

  • Der schu­li­sche – semi geschlos­se­ne – Ein­satz ist natür­lich mit loka­len Instal­la­ti­on bes­ser zu bewerk­stel­li­gen. Ich bin gespannt, inwie­weit Goog­le am Ende Wave als Open­So­ur­ce bereit­stel­len wird und wir an der Schu­le eine kom­plet­te Wave instal­lie­ren kön­nen. Wäre eine super Ergän­zung für Mac OS X Server ;)

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