Argumente gegen Lehrergejammer

Auf mei­nen Streif­zü­gen durch das Web tref­fe ich immer wie­der auf Leh­ren­de, die jam­mern. Und ich tref­fe auch Men­schen, die die­sem Gejam­mer mit den immer wie­der glei­chen Argu­men­ten begeg­nen. Mit zwei immer wie­der gehör­ten Argu­men­ten möch­te ich mich ein wenig auseinandersetzen.

Jam­me­re nicht: Du bist finan­zi­ell gut ver­sorgt. Du bist unkünd­bar und hast Pri­vi­le­gi­en, von denen ande­re Berufs­grup­pen nur träu­men können.

Das stimmt. Leh­rer haben im euro­päi­schen Ver­gleich fürst­li­che Ali­men­ten. In kei­ner ande­ren Beruf­grup­pe sind Mög­lich­kei­ten der Arbeits­re­du­zie­rung der­ma­ßen groß­zü­gig gere­gelt wie um Berufs­be­am­ten­tum. Kein ande­rer Job ist der­ma­ßen abge­si­chert und beschert ihren Arbeit­neh­mern eine der­ar­ti­ge Zukunfts­si­cher­heit. 50–60 Stun­den­wo­chen sind gera­de im selbst­stän­di­gen Bereich kei­ne Sel­ten­heit, glei­ches gilt für ver­gleich­bar ver­gü­te­te Posi­tio­nen im Ange­stell­ten­be­reich. Leh­rer haben es gut.

Ver­gleicht man die euro­päi­schen Leh­rer­ge­häl­ter fair, rela­ti­viert sich man­ches. Oft stellt sich her­aus, dass in man­chen Län­dern (ich neh­me ein­mal die, die immer als vor­bild­li­che Bil­dungs­län­der gel­ten) die Unter­richts­ver­pflich­tung eine ande­re ist, die Klas­sen­grö­ßen klei­ner sind und Arbeits­mit­tel gestellt wer­den. Zur Zeit ist in Deutsch­land für Leh­rer noch nicht ein­mal das häus­li­che Arbeits­zim­mer steu­er­lich absetz­bar – von einem Arbeits­platz in der Schu­le ganz zu schwei­gen.  Wel­cher Ange­stell­te (abge­se­hen von ange­stell­ten Leh­rern – die trifft es dop­pelt hart) muss die für sei­ne Arbeit not­wen­di­gen Möbel, Mate­ria­li­en und Betriebs­kos­ten weit­ge­hend selbst finanzieren?

Leh­rer haben kaum Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten. Die vor­han­de­nen wer­den zuneh­mend unat­trak­tiv, da sie in der Regel mit mehr Kri­tik und wesent­lich mehr Arbeit ver­se­hen sind. Mit zuneh­men­den Alter rela­ti­viert sich die groß­zü­gi­ge Ver­gü­tung dadurch mehr und mehr im Ver­gleich zur frei­en Wirtschaft.

Leh­rer sind wei­sungs­ge­bun­den. Über Rah­men­be­din­gun­gen haben sie nicht zu bestim­men, die wer­den gesetzt. Streiks – gera­de auch im Hin­blick auf die Ver­bes­se­rung der Unter­richts­qua­li­tät – sind nicht mög­lich. Öffent­li­che Äuße­run­gen zur Poli­tik des Dienst­her­ren sind – wie in der Wirt­schaft übri­gens auch – nur stark ein­ge­schränkt mög­lich (Treue­pflicht). Wenn der Dienst­herr beschließt, dass die Arbeits­zeit um vier Stun­den erhöht wird, wird die Arbeits­zeit um vier Stun­den erhöht. Beam­te bezie­hen kei­nen Lohn, son­dern Ali­men­te – also eine Ver­gü­tung dafür, dass sie Beam­te sind. Die Aus­ge­stal­tung des Diens­tes obliegt ihnen nicht. Die Mög­lich­kei­ten eines Arbeits­kamp­fes sind nicht gege­ben – und damit auch nicht der Schritt in die Öffentlichkeit.

Nicht zu rela­ti­vie­ren sind für mich die groß­zü­gi­ge Feri­en­re­ge­lung, der siche­re Arbeits­platz, die fami­li­en­freund­li­chen kon­se­quen­zen­lo­sen Redu­zie­rungs­mög­lich­kei­ten und die Frei­heit, die eige­ne Arbeits­zeit über wei­te Stre­cken selbst zu gestal­ten – Vor­be­rei­ten und Kor­ri­gie­ren kann ich, wann ich will.  Mon­tag Mit­tag beim Dis­coun­ter ein­kau­fen auch. Zeit mit dem Blog­gen ver­brin­gen sowie­so. Die­se Din­ge gibt es in der Wirt­schaft nicht. Dar­über soll­te ich mich eigent­lich öfter freuen.

Jam­me­re nicht: Du hast dir dei­nen Beruf selbst ausgesucht.

Das stimmt. Lehr­kräf­te haben die­sen Beruf selbst gewählt. Die Aus­bil­dungs­zeit dau­ert dabei min­des­tens 6 Jah­re (straff durch­ge­zo­ge­nes Stu­di­um mit Examens­se­mes­ter + Refe­ren­da­ri­at), in der Regel aller­dings eher 7–8 Jah­re, in denen kein nen­nens­wer­tes Ein­kom­men erwirt­schaf­tet wird.

Dum­mer­wei­se berei­ten bei­de Pha­sen nach mei­nem Emp­fin­den nur sehr ein­ge­schränkt auf den Schul­dienst vor. Solan­ge ich nicht Teil des Kol­le­gi­ums einer Schu­le bin, gewin­ne ich einen nur sehr begrenz­ten Ein­blick in den All­tag eines Leh­rers an einer öffent­li­chen Schu­le. Als Prak­ti­kant bin ich kein Teil, des Kol­le­gi­ums, als Refe­ren­dar nur mit Abstri­chen (wenn sich eine Schu­le viel Mühe gibt, wie z.B. mei­ne dama­li­ge Aus­bil­dungs­schu­le), da die Welt des Aus­bil­dungs­se­mi­nars eben auch noch eine nicht unwe­sent­li­che Rol­le spielt.

Man wählt den Beruf des Leh­ren­den nicht, man spe­ku­liert lan­ge Zeit auf ein Bild, was man sich von die­sem Beruf macht.

Ist man schließ­lich in die­sem Beruf ange­kom­men, dann stellt sich zum ers­ten Mal die fai­re Fra­ge danach, ob die getrof­fe­ne Wahl kor­rekt war.  In der Regel ist dann die Fami­lie gegrün­det, das Haus gekauft (o.ä.) und die 30 Jah­re sind dann auch schon über­schrit­ten. Wer in die­ser Situa­ti­on sagt: „Och nö – lie­ber etwas ande­res“, der ver­dient mei­nen Respekt.

Dazu kommt noch etwas: Der Beruf des Leh­rers ist ideo­lo­gisch beein­flusst von dem umge­ben­den Sys­tem, wel­ches teil­wei­se sogar danach trach­tet, Welt­bil­der extern vor­zu­ge­ben – hin­ter jedem Cur­ri­cu­lum steht  m.E. ein bestimm­tes Welt­bild. Welt­bil­der sind etwas Per­sön­li­ches und selbst in die­sen Bereich erfol­gen Inputs: Wie soll in der Unter­richts­vor­be­rei­tung gedacht wer­den? Das ist für mich ein Allein­stel­lungs­merk­mal jedes päd­ago­gi­schen Berufes.

Alles in allem wuss­te ich noch im Refe­ren­da­ri­at nicht, wor­auf ich mich da eigent­lich ein­ge­las­sen habe – über­aus schlimm fin­de ich den Beruf aller­dings nun auch nicht…

Span­nend fin­de ich Men­schen, die im Kon­text von Schu­le von gro­ßen sys­te­mi­schen Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten reden – die haben für mich von Schu­le ein nur ein­ge­schränkt rea­lis­ti­sches Bild. Rich­tig ist eher, dass im Unter­richt genau die­se Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten (noch) bestehen. Viel­leicht reagie­ren Lehr­kräf­te des­we­gen oft so emp­find­lich, wenn man ihnen genau da hin­ein­re­den möchte…

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7 Kommentare

  • Detlef

    Dazu passt irgend­wie die­ser Blog­ein­trag von der „ande­ren“ Seite
    http://schul-kritik.de/2009/05/15/lehrer-berufliche-freiheit-contra-verantwortung/

    Gruß
    Detlef

  • Pingback: Lehrer - berufliche Freiheit contra Verantwortung - Schul-Kritik.de

  • Pingback: Tolles Zitat – gerade gefunden « -Thousand Sunny’s Weblog-

  • Man wählt den Beruf des Leh­ren­den nicht, man spe­ku­liert lan­ge Zeit auf ein Bild, was man sich von die­sem Beruf macht.

    Das ist für mich ein zen­tra­ler Satz Dei­nes Bei­trags. Ich habe die Erfah­rung gemacht, dass vie­le Dis­kus­sio­nen um den Leh­rer­be­ruf zumeist von einem fal­schen Bild des Arbeits­all­tags von Leh­rern aus­ge­hen. Die neu­tra­le (und auf Ver­trau­en und Respekt beru­hen­de) Kom­mu­ni­ka­ti­on der rea­len Situation(en) muss daher m.E. den Anfang machen.

  • Für den Leh­rer­be­ruf sind ja alle Men­schen Exper­ten: Schließ­lich waren alle ein­mal Schü­ler oder Schülerin. 

    Dass auf der „ande­ren Sei­te“ ganz ande­re Wahr­neh­mun­gen getrof­fen wer­den, kann m.E. nie­mand nach­voll­zie­hen, der nicht wenigs­tens für eine Wei­le mit offe­nen Anten­nen „im Feld“ gear­bei­tet hat. 

    Ins­ge­samt gilt die­ser Satz aber dum­mer­wei­se auch für vie­le ande­re – vor­wie­gend päd­ago­gi­sche oder pfle­ge­ri­sche Beru­fe… (die nicht so gut ver­gü­tet sind).

  • Ja. ;-) Übri­gens: Jeder Mensch ist auch Pati­ent – drum kommt er doch nicht auf die Idee, was vom Arzt­be­ruf zu ver­ste­hen. Komisch, dass das für die Schu­le anders ist – jeden­falls in Deutsch­land, in ande­ren Län­dern ist das ganz anders. Ich glau­be, es pas­siert hier etwas, was auch und erst Recht für den Beruf der Erzie­he­rin­nen gilt: In D. glau­ben alle, Kin­der groß zu zie­hen, sei etwas, was jeder kann, weil es mit NATUR zu tun hät­te. Aber mit­nich­ten. Es hat mit GESELLSCHAFT zu tun und man muss Experte/Expertin sein, wie bei allem, was gelin­gen soll. Der Leh­rer ist ein Exper­te für Lern­pro­zess­ge­stal­tung (oder soll­te es sein). Das ist ein über­aus kom­pli­zier­tes Geschäft und gera­de ändern sich die Bedin­gun­gen des Ler­nens gewal­tig, was das Geschäft noch kom­pli­zier­ter macht. Um die­se ver­ant­wor­tungs­vol­le Arbeit in Über­ein­stim­mung mit den eige­nen pro­fes­sio­nel­len Vor­stel­lun­gen davon, wie sie kom­pe­tent von­stat­ten gehen muss, erle­di­gen zu kön­nen, bräuch­ten die Leh­rer viel mehr Mit­spra­che, was die Arbeits­be­din­gun­gen angeht. Da reicht es nicht, dass nie­mand hin­ter die Klas­sen­raum­tür guckt. Es ist ja nicht wahr, dass man im Unter­richt machen kann, „was man will“. Man kann nur Lern­pro­zes­se in Form des „Unter­rich­tens“ gestal­ten. Unter­rich­ten im Schul­sys­tem heißt: fach­ge­bun­den, lehr­plan­ge­bun­den, zeit­vor­ga­be­ge­bun­den, takt­ge­bun­den (2 x 45 min. pro Woche), allen (30 gleich­zei­tig) gleich, vor­ge­ge­be­ne Form der Ergeb­nis­kon­trol­le mit fol­gen­be­las­te­ter Bewer­tung in Zif­fern­form … usw. Das ist die Art, wie das Schul­sys­tem pro­fes­sio­nel­le Lern­pro­zess­ge­stal­ter in ihrer Tätig­keit ein­schränkt. Und irgend­wann wird das höchst unbe­frie­di­gend, wenn man merkt, dass die­se Form nicht mehr zeit­ge­mäß ist. Und man möch­te pro­fes­sio­nell sein und darf es nicht. Man möch­te die Wider­sprü­che pro­fes­sio­nell und krea­tiv lösen und kann es nicht, weil kei­ne Zeit dafür bleibt in der 60-Stun­den-Wochen-Müh­le. Man möch­te mit den Kol­le­gen zusam­men­ar­bei­ten und kann es nicht, weil kei­ne gemein­sa­me Zeit mög­lich ist und alle gewohnt sind, für sich allei­ne zu wurs­teln. Das ist, was einem nicht den Berufm, aber den Arbeits­platz ganz schön ver­lei­den kann. Finan­zi­el­le Anrei­ze für „mehr“ „Leis­tung“ wird gera­de wie­der popu­lär gefor­dert. Das ich nicht lache! Was heißt denn unter die­sen Bedin­gun­gen über­haupt „mehr“? Mehr Schü­ler pro Stun­de, bes­se­re Noten pro Schü­ler, mehr Lehr­plan­the­men pro Halb­jahr – oder was? Bes­se­re Leh­rer­leis­tung könn­te aber eigent­lich nur hei­ßen: Mehr fro­he und lern­be­geis­ter­te Schü­ler, die den Hals mit Ler­nen nicht voll genug krie­gen. – Das kriegt man aber nicht mit finan­zi­el­len Anrei­zen für die Leh­rern­den, son­dern nur mit einem ande­ren Bildungssystem.

  • Dazu kommt noch etwas: Der Beruf des Leh­rers ist ideo­lo­gisch beein­flusst von dem umge­ben­den Sys­tem, wel­ches teil­wei­se sogar danach trach­tet, Welt­bil­der extern vor­zu­ge­ben – hin­ter jedem Cur­ri­cu­lum steht m.E. ein bestimm­tes Welt­bild. Welt­bil­der sind etwas Per­sön­li­ches und selbst in die­sen Bereich erfol­gen Inputs: Wie soll in der Unter­richts­vor­be­rei­tung gedacht wer­den? Das ist für mich ein Allein­stel­lungs­merk­mal jedes päd­ago­gi­schen Berufes.“

    Genau so ist es! Mit die­ser Erkennt­nis dür­fen Sie sich wahr­schein­lich lei­der nicht zu der Mehr­heit zählen.

    Das Pro­blem liegt dar­in, dass nicht ein­mal im Ansatz ver­sucht wird, den Schü­lern dies auch als das dar­stel­len was es ist. So ver­nich­tet man For­schungs­drang und den Wil­len des Ein­zel­nen, Din­ge zu hinterfragen.

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