Die Welt muss romantisiert werden!

Die Welt muß roman­ti­siert wer­den. So fin­det man den ursprüng­li­chen Sinn wie­der. Roman­ti­sie­ren ist nichts, als eine qua­li­ta­ti­ve Poten­zie­rung. Das nied­re Selbst wird mit einem bes­sern Selbst in die­ser Ope­ra­ti­on iden­ti­fi­ziert. (…) Indem ich dem Gemei­nen einen hohen Sinn, dem Gewöhn­li­chen ein geheim­nis­vol­les Ansehn, dem Bekann­ten die Wür­de des Unbe­kann­ten, dem End­li­chen einen unend­li­chen Schein gebe so roman­ti­sie­re ich es. (Nova­lis)

So ein Dich­ter und Theo­re­ti­ker der roman­ti­schen Lite­ra­tur­epo­che. Den­ken wir heu­te an Roman­tik, mei­nen wir meist so etwas:

titt­tel / pixelio.de

Ein Roman­ti­ker der Epo­che konn­te aber auch so etwas damit meinen:

Gerd Alt­mann / pixelio.de

Geblie­ben von dem Begriff  „Roman­tik“ ist eigent­lich nur die „Ker­zen­schein – Son­nen­un­ter­gang – Säu­sel­mu­sik – Natur – Lie­bes­paar“- Kon­no­ta­ti­on. Wie pas­sen bei­de Bil­der zusammen?

Die Lösung liegt für mich in dem Begriff „ver­rückt“, der ja vom Wort­sinn her nicht ande­res bedeu­tet als etwas von dem ange­stamm­ten Platz weg­zu­rü­cken. Genau das machen wir, wenn wir uns zu zweit eine Ker­ze anzün­den, schö­ne Musik lau­fen las­sen oder bei Son­nen­un­ter­gang im Som­mer an den Strand gehen: Wir geben einer ganz gewöhn­li­chen All­tags­si­tua­ti­on („zwei Men­schen unter­hal­ten sich“) – Nova­lis sagt: „Dem Gemei­nen“ – einen höhe­ren Sinn, indem wir etwas schaf­fen wol­len, an das man sich erin­nert. „Gehen sie doch mal wie­der mit ihrer Frau schön essen“ – da ist sie, die For­de­rung nach der „Wür­de des Unbe­kann­ten“. Max Frisch hat auf sei­ne Wei­se gesagt, wie wich­tig die­se Wür­de für roman­ti­sche Bezie­hun­gen ist.

Es ist bemer­kens­wert, daß wir gera­de von dem Men­schen, den wir lie­ben, am min­des­ten aus­sa­gen kön­nen, wie er sei. Wir lie­ben ihn ein­fach. Eben dar­in besteht ja die Lie­be, das Wun­der­ba­re an der Lie­be, daß sie uns in der Schwe­be des Leben­di­gen hält, in der Bereit­schaft, einem Men­schen zu fol­gen in allen sei­nen mög­li­chen Ent­fal­tun­gen. Wir wis­sen, daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie ver­wan­delt fühlt, wie ent­fal­tet, und daß auch dem Lie­ben­den sich alles ent­fal­tet, das Nächs­te, das lan­ge Bekann­te. Vie­les sieht er wie zum ers­ten Male. Die Lie­be befreit es aus jeg­li­chem Bild­nis. Das ist das Erre­gen­de, das Aben­teu­er­li­che, das eigent­lich Span­nen­de, daß wir mit den Men­schen, die wir lie­ben, nicht fer­tig­wer­den; weil wir sie lie­ben, solan­ge wir sie lie­ben. (Max Frisch)

Die Roman­tik ver­engt ihr Prin­zip des „ver-rückens“ nicht wie wir heu­te auf das Wort­feld Lie­be / Natur. Die Roman­tik ist die Epo­che der Schau­er- und Detek­tiv­ge­schich­ten eben­so wie die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Tie­fen unse­res Geis­tes, die bis in den Wahn­sinn füh­ren kann. Durch das lite­ra­ri­sche Rin­gen mit Phä­no­me­nen wie Geis­tes­krank­hei­ten, z.B. in den Novel­len E.T.A. Hoff­manns, wei­tet die Roman­tik den Blick auf aus einer All­tags­sicht „ver-rück­te“ Din­ge. Das Prin­zip ist das glei­che wie bei unse­rem Abend am Strand. Die Welt ist „ver-rückt“ – in einem auf­ge­klär­ten Umfeld darf genau das nicht sein.  Und noch heu­te pral­len die Geis­tes­hal­tun­gen von Auf­klä­rung und Roman­tik auf­ein­an­der. Gut so.

Denn mei­ner Mei­nung nach brau­chen bei­de Prin­zi­pi­en ein­an­der. Ohne den auf­ge­klär­ten Geist ent­steht wahr­schein­lich nicht das Bedürf­nis nach etwas, was jen­seits des Ver­stan­des liegt. Ohne das Land hin­ter dem Ver­stand hät­te der Geist gera­de bei der Erfor­schung des mensch­li­chen Daseins wahr­schein­lich nicht genug, um zu einer nüch­ter­nen Ana­ly­se zu kommen.

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4 Kommentare

  • Ich tei­le fast alle Ansich­ten dar­an, bin ein gro­ße Freund der roman­ti­schen Epo­che, auch wenn ich der die Auf­klä­rung immer den Vor­zug geben wer­de. Ohne den Spin­ner­kram hät­te der Geist bei der Erfor­schung des mensch­li­chen Daseins nicht genug >em>wovon?
    Beim Ver­rü­cken hal­te ich es für aus­rei­chend, den Blick­win­kel zu ver­rü­cken. Die Welt kann man dabei unan­ge­tas­tet lassen.

    Ein Pro­blem, wenn auch kein unüber­wind­li­ches, habe ich nur mit dem Ker­zen­schein. Post­mo­der­ne Medi­en­men­schen kön­nen damit nicht so ein­fach eine gewöhn­li­che Situa­ti­on ver­frem­den – weil es wenig Gewöhn­li­che­res gibt als das, was so gemein­hin als roman­tisch bezeich­net wird. Seit der Roman­tik wer­den uns die­se Bil­der um die Ohren gehauen.

  • Ich sehe den deut­schen Pie­tis­mus – also einen Hort der Irra­tio­na­li­tät – als wesent­li­chen Ansporn für Gott­sched und sei­ne „Gott­sche­din“. Natür­lich gab es poli­ti­sche Impul­se, aber in der Aus­ein­an­der­set­zung mit den „Kol­la­te­ral­schä­den“ die­ser Bewe­gung wird bestimmt eine der geis­tes­ge­schicht­li­chen Grund­la­gen der Früh­auf­klä­rung zu suchen sein. Die Eso­te­rik heu­te emp­fin­de ich als Ansporn für vie­le wis­sen­schaft­li­che Arti­kel, die ohne die­se Bewe­gung so wahr­schein­lich nie ent­stan­den wären. 

    weil es wenig Gewöhn­li­che­res gibt als das, was so gemein­hin als roman­tisch bezeich­net wird“

    Ich Zei­ten von RGB-Leds und DLNA mag Natur hin und wie­der als durch­aus unge­wöhn­lich erschei­nen. „Es sind unse­re Hän­de“ – sagt ein Wer­bung, meint aber damit letzt­end­lich das Strei­cheln einer glat­ten, küh­len Glas­ober­flä­che. Aber in der Tat ist das wie­der­um Ansichts­sa­che… Geis­tes­wis­sen­schaft fließt eben immer irgendwie.

  • jojo

    Das MF-Zitat ist aus sei­nen Tage­bü­chern?! Und wenn ja aus welchem?

    Gruß,
    jojo

  • @jojo
    Max Frisch: Tage­buch 1946–1949 (Suhr­kamp Taschen­buch 1148), Frank­furt: Suhr­kamp 1985, S. 27ff. – es mag ande­re Aus­ga­ben geben.

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