Kompetenzsimulationen und Prüfungsformate
Axel Krommer hat mit der Übertragung des Gedankenexperiments des „Chinesischen Zimmers“ (Searle) eine bemerkenswerte Analogie zum dem formuliert, was nach seiner Wahrnehmung oft in deutschen Klassenzimmern passiert. In dem folgenden Vortrag werden die Kerngedanken pointiert sichtbar.
https://www.youtube.com/watch?v=JONXT6H4PrQ
In der Kürze des Vortrags sind – wie er selbst einräumt – eher plakative und verkürzte Aussagen notwendig. Ich versuche unter dieser Prämisse die Kerngedanken des Vortrags einmal recht komprimiert wiederzugeben.
- In Schule werden statt des echten Verständnisses von Inhalten gelegentlich nur Lösungsrezepte zum Nachweis einer Kompetenz benötigt. Eine gute Note kann entweder durch Auswendiglernen oder das Schauen von z.B. Youtubevideos erreicht werden, ohne dass ein echter Kompetenzerwerb erfolgt.
- Das Vorhandensein zahlreicher „Rezeptevideos“ und der Erfolg des damit verbundenen Geschäftsmodells ist ein Hinweis darauf, dass es in Schule oft genau so funktioniert.
- Startups und Eduinfluencer zeigen durch ihre Sprache – z.B. „Schule hacken“ – ein problematisches Verhältnis gegenüber Schule.
- Im Kontext des Förderprogrammes „Schließung von Bildungslücken“ besteht die reale Gefahr, dass Startups und Influencer gefördert werden, die diesen problematischen Ansatz verfolgen.
- Diese Startups nehmen für sich in Anspruch, das Schulsystem retten zu wollen, zementieren letztlich jedoch durch „Kompetenzsimulationsangebote“ den Status Quo.
- Echte Veränderungen müssen anders eingeleitet werden, etwa durch veränderte Prüfungsformate.
In sich ist diese Argumentation für mich vollkommen schlüssig. Ich bin nicht vollständig davon überzeugt, dass veränderte Prüfungsformate ein geeigneter Hebelpunkt sein können, weil diese für mich nicht voraussetzungslos sind. Gedanken zur Veränderung von Schule gibt es schon, sehr sehr lange. Es hat auch viele Ansätze gegeben, am System etwas zu ändern. Als der größte Wurf und größte didaktische Hoffnung mag dabei vielleicht die Einführung der Kompetenzorientierung in Kerncurricula gelten.
Ist es nicht erstaunlich, dass heute – mehr als zwei Jahrzehnte später – immer noch Begriffe wie „Kompetenzsimulation“ eine schlüssige Argumentation bedingen? Ist es nicht erstaunlich, dass Unterricht sich offenbar nach Aussage dieses Videos so wenig verändert hat? Hätte es das Internet bereits 1980 gegeben – wäre der Erfolg von Influencern ein anderer? Lehrergenerationen wurden ausgetauscht, aber das Kompetenzmodell wird immer noch oft genug belächelt? Warum eigentlich? Warum sollte es bei Prüfungsformaten anders sein? Läuft doch gut mit dem zarten Pflänzchen der „Präsentationsprüfung“, oder?
Bei der Kompetenzorientierung ist man so vorgegangen, dass man Vorgaben gemacht hat. Im Wesentlichen war es das aber schon. Die Öffnung für weitere Prüfungsformate sind für mich im Kern auch erst einmal Vorgaben bzw. werden diese sich in dieser Form im bestehenden System etablieren – wenn sie sich dann etablieren. So wie die Kompetenzorientierung sich ja etabliert hat.
Meiner Ansicht nach, verliert man oft aus dem Blick, dass Lehrer:innenausbildungsphasen den Grundstein für eine Haltung legen muss, die Kompetenzorientierung und meinetwegen „zeitgemäße Prüfungsformate“ ermöglicht. Und: Der „Domestifikationseffekt“ des bestehenden System bedarf einer wie auch immer gearteten Kompensation:
Was nützt die superduper universitäre Ausbildung, wenn man danach am philologischen Ereignishorizont eines Klafki-Ausbildungsseminars zerschellt? (Sowas gibt es natürlich nicht – ist eine rhetorische Überspitzung).
Meine Wahrnehmung ist, dass man sich im universitären Bereich gerne auf das eigene Fachgebiet zurückzieht. Ich glaube, dass da in den letzten Jahren Großes gedacht und geleistet worden ist. Der Anspruch an Schule ist dann aber gelegentlich vernetztes, systemisches Denken.
Ich kann die Konzentration auf Prüfungsformate verstehen. Es ist greifbar, es ist konkret, man kann auf bestehende Forschung zurückgreifen. Ich bin mir nicht so sicher, ob da mehr dabei herauskommt, wie bei der Kompetenzorientierung. Axels Argumentationsgang lässt sich ja durchaus so lesen, dass das in der Hinsicht komplett optimierbar ist.
Steile These also:
Unter dem Strich ist die (alleinige) Beschäftigung mit Prüfungsformaten eine Schulveränderungsillusionssimulation, wenn sie auf der inhaltlichen Ebene verharrt.
Und ich finde als „Techi“ den Begriff „hacken“ gar nicht so feindselig. Letztlich wendet man beim Hacken lediglich ein System gegen sich selbst – was (in der Softwareentwicklung) oft zu substantiellen Verbesserungen führt und damit in dieser Analogie durchaus ein Baustein für pragmatische Schulentwicklung sein kann. Das ist in Bezug auf die Aufmerksamkeitsökonomie einer Startupszene vielleicht gerade doof, zumal den „Guten“ genau dafür oft die Mittel fehlen. Andere Schulkultur, andere Startups.
So ist das halt. Vielleicht reicht Trommeln in den Echokammern wissenschaftlicher Publikationskultur halt nicht – Axel darf sich in dem Punkt ausdrücklich nicht angesprochen fühlen.