Katharsis – gibt es sie noch?
Der moderne Kreon
Ich bin Topmanager
Ich handle im Interesse meiner Firma
Ich entlasse Menschen
Ich führe schwarze Kassen
Ich handle im Interesse meiner Firma
Egal, was dabei geschehen mag:
Die Abfindung ist meine Braut.
Es scheint sie nicht mehr zu geben, die Gerechtigkeit. Kriegsverbrecher werden in ellenlangen Prozessen nur für Teile ihrer Taten zur Rechenschaft gezogen, manch ein Manager scheint auch nach groben Fehlern außer einer Abfindung und einem neuen Job nichts an Konsequenzen erleiden zu müssen und auch die Diktatoren unserer Tagen gehen eher ins Exil denn in das Gefängnis.
Was bleibt, ist oft ein Gefühl der Hilflosigkeit, wenn nicht sogar eine demokratiefeindliche Haltung: Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn es die Großen der Gesellschaft doch nicht zu haben scheinen?
Das Jammern und Schaudern bleibt anscheinend viel zu oft in unseren Tagen. Es erfährt keine Auflösung mehr.
Wie viel besser hatten es da die alten Griechen! Der mächtige Kreon in Sophokles‘ Antigone fällt. Er ist physisch und psychisch vernichtet, weil er gegen göttliches Gesetz verstößt. Was für eine Botschaft und was für ein Kontrast zum bisher Beschriebenen.
Vielleicht ist genau das ein Weg SuS den sehr abstrakten und umstrittenen Begriff der Katharsis zu verdeutlichen, der Reinigung des Zuschauenden durch Jammern und Schaudern von ebendiesen negativen Emotionen selbst, wie es Aristoteles in seiner Poetik verlangt.