Jungen/Jungs/Männer – Verlierer des Bildungssystems?

Wann habe ich als männ­li­cher Schü­ler in der Schu­le eigent­lich Erfolg? Doch (fast) nur, wenn ich flei­ßig, ruhig, kon­trol­liert und reflek­tiert bin.

Wann habe ich als männ­li­cher Schü­ler bei Frau­en Erfolg? Also, bei den Frau­en in mei­ner Klas­se schon­mal nicht. Die ste­hen in der Regel auf älte­re Typen. Bei den jün­ge­ren muss ich oft cool, männ­lich, gut­aus­se­hend, fein­füh­lig, bestimmt sein – meist Sachen, die sich nicht in Ein­klang brin­gen las­sen und dann – dann brennt sie  nach lan­gem Gezie­re doch mit so einem domi­nan­ten Macho­ty­pen durch.

Wann habe ich als männ­li­che Schü­ler in mei­ner Cli­que Erfolg? Wenn ich auch ein­mal Unsinn mache, Gren­zen über­schrei­te, Kon­flik­te ggf. auch mit kör­per­li­cher und ver­ba­ler Gewalt löse.

Das Pro­blem ist nun das folgende:

  1. Als Mann möch­te ich schu­li­schen Erfolg (das erwar­ten mei­ne Eltern und Leh­rer von mir)
  2. Als Mann möch­te ich eine Frau oder zumin­dest eben nicht allei­ne sein (das scheint so ein evo­lu­tio­nä­res Pro­gramm zur Art­erhal­tung zu sein).
  3. Als Mann möch­te ich mit ande­ren Män­nern mes­sen, um mei­nen Stand­punkt im Leben zu finden

Punkt 3 gibt es in Ansät­zen noch im Sport­un­ter­richt – wahr­schein­lich ein Haupt­grund für die hohe Moti­va­ti­on von Schü­lern beim Sport (Mäd­chen wer­den da eher ein­mal spon­tan krank, Män­ner gar nicht so oft – sub­jek­ti­ver Klas­sen­leh­rer­klas­sen­buch­le­se­ein­druck). Ange­ben darf ich nicht (das ist nicht huma­nis­tisch). Hau­en darf ich nicht (das ist nicht sozi­al). Sozia­ler ist es, wenn sich Mädels solan­ge dis­sen, bis das Opfer Selbst­mord­ge­dan­ken hat. So ein non­ver­ba­les Argu­ment kann auch Klar­heit schaf­fen – dürft ihr aber nicht. Das ist Gewalt.

Wenn ich gut bin, haue ich dann vir­tu­ell und nicht real… Da kann ich mei­ne Aggres­sio­nen abbau­en. Wenn ich bes­ser bin, mache ich z.B. Sport zur Kom­pen­sa­ti­on (in dem Bereich darf man noch Mann sein in unse­rer Gesell­schaft, so auch mit z.B. Schrei­en, Schub­sen, Angeben).

Jungs, manch­mal ver­ste­he ich euch, auch wenn ich die Schrift als Aus­druck eures inne­ren Wider­stan­des  (habe gera­de 90+ Arbei­ten – 9. Klas­se –  auf dem Tisch) nicht lesen kann. Ech­te Freund­schaft gibt es nur unter uns. Geschrie­ben wird spä­ter eh am Com­pu­ter. So.

Vom Mythos des Ankommens

Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag habe ich wäh­rend einer lang­wei­li­gen Auto­bahn­fahrt ein Inter­view mit dem Schau­spie­ler Meh­met Kur­tu­luÅŸ zu sei­nem Debüt als neu­er Tat­ort­kom­mis­sar in Ham­burg gehört. Sei­ne Stim­me war mir aus einem mei­ner Lieb­lings­fil­me „Im Juli“ – dort spiel­te er die Figur „Isa“ – nicht mehr ganz geläu­fig, stand in ihrer Sanft­heit gar im Wider­spruch zu dem Bild, was ich bis­her von die­sem Schau­spie­ler hat­te, aber eine Idee, einen Gedan­ken, den er in die­sem Rah­men äußer­te, beschäf­tigt mich doch ein wenig mehr:

Er sprach davon, dass jeder Mensch sei­nen eige­nen Mythos besitzt, qua­si die auf zwei bis drei Wor­te redu­zier­te Essenz sei­nes Daseins. Sei­ner Ansicht nach ist Kea­nu Ree­ves etwa der „Lucky Guy“ (der glücks­be­seel­te Jun­ge), der  allen noch so gro­ßen Gefah­ren ent­kommt und stets die Frau mit der berühm­ten us-ame­ri­ka­ni­schen Hand­voll mit nach Hau­se nimmt (der letz­te Neben­satz kommt dabei aller­dings von mir). Die­ser per­sön­li­che Mythos bestim­me das Leben und Wir­ken von uns allen.

Ich habe auf die­ser Rück­fahrt noch etwas gehört, was sich mit die­sem Gedan­ken ver­bin­den lässt. Wei­ter­le­sen

Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (Henryk Holowenko)

Titelbild Holowenko

Das Auf­merk­sam­keits-Defi­zit-Syn­drom (H. Holowenko)

Wer kennt sie nicht, die unru­hi­gen Geis­ter in der Klas­se, die als „ADS-Kind“ dia­gnos­ti­ziert sind und deren Eltern berech­tig­ter­wei­se einen bestimm­ten Ver­hal­tens­mo­dus von der Lehr­kraft wünschen.

Ich woll­te mehr dar­über wis­sen und habe mir daher von einer päd­ago­gi­schen Fach­kraft (ich als Leh­rer bin ja allen­falls Fach­di­dakt) die­ses Büch­lein aus dem Beltz-Ver­lag entliehen.

Mei­ne Über­zeu­gung vor der Lek­tü­re bestand dar­in, dass ADS-Kin­der (wie Kin­der mit allen ande­ren dia­gnos­ti­zier­ten Lern­han­di­caps) in einem Klas­se mit 29–33 SuS in einem Raum von ca. 60m² (2m² sind in Deutsch­land Vor­schrift für ein Kind) nicht opti­mal auf­ge­ho­ben sind. Was soll ich sagen: Die­ser vor­erst unwis­sen­schaft­li­che Ein­druck hat sich bestätigt.

Der Autor schlägt u.a. fol­gen­de räum­li­che Maß­nah­men für die Schu­le vor:

Für das Kind mit AD/HS (und ande­re) soll­te ein ruhi­ger Platz reser­viert sein, an den es sich zu bestimm­ten Zei­ten zurück­zie­hen kann.

Ich fra­ge mich wirk­lich, wo das sein soll. Bei uns ste­hen Kran­ken­lie­gen in der Gar­de­ro­be und im klei­nen Leh­rer­ar­beits­zim­mer. Zu vie­le Klas­sen­räu­me besit­zen wir auch nicht.

Die rich­ti­ge Sitz­ord­nung und die rich­ti­ge Anord­nung der Möbel im Klas­sen­zim­mer sor­gen dafür, dass es so wenig Ablen­kung wie mög­lich gibt. Ein Kind mit AD/HS muss so sit­zen, dass es Leh­rer, Tafel und posi­ti­ve Rol­len­mo­del­le klar und deut­lich vor Augen hat; von Stö­ren­frie­den soll­te es dage­gen so weit wie mög­lich ent­fernt sitzen.

Ich bin froh, dass in mei­nem Klas­sen­zim­mer die Möbel so ste­hen, dass jeder hin­ein­passt und beim Zurück­leh­nen nicht die Arbeits­ma­te­ria­li­en der ande­ren von der TIsch­plat­te fegt. Aller­dings könn­te man wirk­lich ein KInd mit die­ser Pro­ble­ma­tik even­tu­ell mög­lichst weit vor­ne sit­zen lassen.

Bei ande­ren Din­gen habe ich mich ertappt:

Wei­ter­le­sen

Kinder werden nicht an einem Tag geboren – gilt das auch für pädagogische Konzepte?

Ein Kind wird nicht an einem Tag gebo­ren. War­um eigent­lich nicht? Es hat selbst­re­dend bio­lo­gi­sche Grün­de: Es braucht kom­ple­xe Zell­re­ak­tio­nen und Ener­gie, damit ein neu­es Leben ent­steht. Der Kör­per der Frau muss sich lang­sam auf die Ankunft des Kin­des ein­stel­len. Der Fötus muss ver­schie­de­ne Sta­di­en sei­ner evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lung durch­lau­fen, damit alles an sei­nen ange­stamm­ten Platz gelangt.

Es hat selbst­re­dend auch sozia­le Grün­de: Durch die Schwan­ger­schaft hat das Paar Zeit, sich auf die Ankunft des Kin­des ein­zu­stel­len. Es hat Zeit, sich mit den Ver­än­de­run­gen, die das Kind im Leben mit sich bringt, aus­ein­an­der­zu­set­zen. Es hat Zeit mit dem Kind – jeder auf sei­ne eige­ne Wei­se in Kon­takt – zu tre­ten. So wird das KInd nach und nach zu einem Teil der Fami­lie. Modern aus­ge­drückt: Das Paar erhält Zeit, sich mit dem Kind zu iden­ti­fi­zie­ren, um an sei­ner Ent­wick­lung ger­ne zu partizipieren.

Die Pro­zess der Iden­ti­fi­ka­ti­on ist mei­ner Mei­nung nach wich­tig, da nur so das Kind zu einem Teil des Paa­res wer­den kann – hat die Natur schon schön gemacht. Frau­en und Män­ner, die die Ankunft eines Kin­des über­ra­schend erle­ben, weil sie z.B. die Schwan­ger­schaft ver­leug­nen, tun sich wahr­schein­lich oft schwe­rer in die­sem Punkt.

Päd­ago­gi­sche Kon­zep­te – gleich­wohl wel­cher Art – haben m.E. vie­le Par­al­le­len zu einem her­an­wach­sen­den Fötus. Sie wer­den nach ihrer Geburt schei­tern oder vor sich hin­küm­mern, wenn der Pro­zess ihrer Ent­ste­hung kei­ne Zeit lässt, um Iden­ti­fi­ka­ti­on – eigent­lich eine posi­ti­ve Bezie­hung – auf­zu­bau­en. Päd­ago­gi­sche Kon­zep­te leben von der viel­fäl­ti­gen Par­ti­zi­pa­ti­on der an ihnen betei­lig­ten Men­schen, da sie es sind, die die­ses Kon­zept letzt­lich mit Leben fül­len. Ver­wehrt man die­se Par­ti­zi­pa­ti­on oder zumin­dest das Gefühl der Mög­lich­keit der Par­ti­zi­pa­ti­on, wird auch kei­ne Iden­ti­fi­ka­ti­on ein­set­zen. Dann steht das Kon­zept auf Papier. Es muss aber im Han­deln der es tra­gen­den Men­schen stehen.

Wei­ter­le­sen

1 44 45 46 47 48