Ich wusste es schon immer: Wir sind Mittlerfiguren, wir stehen in der Tradition des Mondes, von Hermes, der Josephsfigur aus Thomas Manns längstem – und genialstem – Roman. Wir sind Lehrer. Wer es nicht glaubt, kann es hier bei Adorno nachlesen, der wahrlich auch die Herausforderungen beim Namen nennt.
Gekommen bin ich auf den Text durch die Sendung „Lehrer aus Leidenschaft“ aus der Sendereihe „Menschen hautnah“. Die komplette Sendung kann man sich als Podcast herunterladen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass der Redakteur bei der Auswahl der Lehrertypen und der Themen sehr oft in Schwarze trifft. Gerade durch die alleinige Untermalung durch Adornos Gedanken gewinnt diese deskriptive Dokumentation in meinen Augen ungemein.
Es gibt immer wieder Versuchungen – Versuchungen, Bilder und Texte einfach so in das Netz hochzuladen. Wenn in der Profilansicht einer 19-jährigen Schülerin, die laut eigenen Angaben seit drei Monaten frisch verliebt ist, Werbung für ein neuartiges Verhütungsprodukt aufpoppt, dann denke ich als misstrauischer Mensch, dass eine Software das Merkmal „weiblich“ mit dem Merkmal „frisch verliebt“ korreliert, obwohl es wahrscheinlich nur ein Zufall ist – ganz bestimmt.
Ich habe mir für meine SuS einige Hilfsfragen ausgedacht, anhand derer man entscheiden kann, wie lange man beim Hochladen mit sich hadern soll (das Hochladen selbst wird keine dieser Hilfsfragen verhindern – so realistisch bin ich).
Wäre es in Ordnung für dich, wenn dein Text/Foto/Forenbeitrag auf einer weißen Wand vor dem Hauptportal deiner Schule für jedermann sichtbar stünde?
Wäre es in Ordnung für dich, wenn dein Bild auf der Titelseite des Regionalblattes erschiene?
Wäre es in Ordnung für dich, wenn in dreißig Jahren jemand aus deinem Umfeld dank verbesserter Suchalgorithmen, dieses Bild, diesen Text trotz Nickname usw. dir zuordnen könnte?
Wäre es in Ordnung für dich, wenn dein Vater/deine Mutter dich so sieht / sowas von dir liest?
Erläuterung:
Das Netz ist ein weltweites Publikationsmedium. Die Reichweite einer regionalen Veröffentlichung ist u.U. weitaus geringer, wenn zufällig relevante Suchkriterien durch z.B. EXIF-Daten eines Fotos erfüllt werden. Ich gehe zusätzlich davon aus, dass wir zunehmend mit unserer Netzidentität leben müssen und dass solche Daten nicht verloren gehen. Gestohlene Kundendaten von Großunternehmen sind ja im strengen Sinne nicht gestohlen – sie sind unauthorisiert kopiert.
Vielleicht bin ich ein misstrauischer Miesepeter – natürlich lernen Jugendliche und Kinder nur durch Erfahrung. Vor der Erfahrung, im Keller Schlagzeug spielen zu müssen, bewahren wir unserer Kinder. Vor der Erfahrung, sich ein Kinderzimmer mit einem Geschwisterkind teilen zu müssen, zunehmend auch. Vor der Erfahrung, in Leben lang mit u.U. Mist aus eigener Produktion umzugehen bewahren wir sie nicht einmal dadurch, dass wir dieser Bedrohung nachgehen oder sie zumindest versuchen zu verstehen. Das eine kann Geld regeln – das andere nicht. sondern nur Zeit. Die (Ganztags-)Schule wird’s richten.
Ich recherchiere gerade recht viel in einer lokalen Community, um herauszufinden, was Jugendliche eigentlich dort genau machen, was die virtuellen „Statussymbole“ und Motivationen sind, gewisse Dinge aus dem persönlichen Leben preiszugeben. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man Communityaccount mit „Tapedeck“ analogisieren kann.
„Tapes“, „MCs“ oder Kassetten haben heute noch ihren Stellenwert auf Flohmärkten (dort werden meist Hörspielkassetten gehandelt). Es ist ein sequentielles, analoges Medium, d.h. man muss, um zu einer bestimmten Stelle zu kommen, vor- und zurückspulen. Es gab eine Zeit, da waren Tapedecks – ein Hifibaustein zum Abspielen und Gestalten von Tapes – in meinen Kreisen extrem beliebt. Dafür ging man in den Ferien arbeiten. Topleute besaßen Tapedecks mit Echtzeitanzeige, die auch beim Spulen mitlief – gab es ab ca. 800–900DM. Mit diesen Tapedecks wurden meist von Schallplatten in liebevoller abendlicher Arbeit Sampler für gute Freunde zusammengestellt – daher war die Echtzeitanzeige auch so praktisch. Viele dieser Sampler hatten irgendeine Aussage – oder sollten eine haben, die der Adressat dann aber nicht verstand. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete, dass man über die intendierte Message hinterher oft nicht sprach. Ich hüte heute noch ein paar tonale Schätzchen aus der Ecke – anders wäre ich nie mit Gruppen wie „CAN“, „The Band“, „Hawkwind“, „Deep Purple“, „The Doors“, „Pink Floyd“ usw. in Verbindung gekommen. Es gab Glaubenskriege um das richtige Tape – große Fraktionen waren die TDK- (SA) und Sony- (UX) Verwender. Für ganz tolle Aufnahmen, z.B. der Mitschnitt des Bob Dylan-Konzertes im Hamburger Stadtpark, musste es natürlich ein sündhaft teures Metallband (TDK MA-Serie) sein, das es bis zu einer Länge von 110 Minuten gab (und das sich ob seiner geringen Dicke gerne verhedderte). Die Elternschaft wusste von dem Treiben nichts – und verstand auch nichts von Tapedecks sowie Tapes. Und das war gut, weil es Raum zur Abgrenzung schaffte.
… sie sollen lernen, sich als mündige Netzbürger zu verhalten und am Netz zu partizipieren, indem sie z.B. auch neues Wissen schaffen und anderen Menschen zugänglich machen. „Harvester“ – d.h. Leute, die hauptsächlich im Netz Know-How abgreifen ohne dafür auch nur eine ideelle Gegenleistung abzuliefern (und wenn es nur eine gewisse Mühe bei der Formulierung von Fragen in z.B. Foren ist), gibt es schon genug. Jeder, der sich aktiv in Foren oder Communities betätigt, sollte das Phänomen kennen, dass zu Zahl der Hilfesuchenden die Zahl der Hilfegebenden oft um Potenzen übersteigt – das ist in Ordnung, wenn die Hilfesuchenden an anderer (inhaltlicher) Stelle ihr eigenes Wissen und ihre eigenen Kompetenzen weitergeben.
Es kann für mich daher nicht darum gehen, SuS allein mit den Kompetenzen auszustatten, das Netz zu „benutzen“. In meinen Augen muss der Weg sein, SuS anzuleiten, das Netz zu gestalten mit ihren Ideen, Visionen und Inhalten. Das geht für mich Hand in Hand: Denn wer erlebt, dass sein Wissen etwas wert ist – etwa weil es oft abgerufen wird – der wird auch eher bereit sein, seine Bemühungen auf diesem Bereich zu intensivieren, was letztlich seine eigene Reputation stärkt: Er ist im Netz vertÅ•eten, nicht allein als Konsument, sondern als Prosument.
Wie beginnen? Harvester sind 1.0 – wer 2.0 erreichen möchte, muss in erster Linie Vorbild sein, weil man – so man authentisch bleiben möchte – SuS nichts abverlangen darf, was man selbst nicht zu leisten bereit ist. Prosumieren wir das Netz. Das kann jeder in jeder Alterstufe: Ob man nun mit Legomännchen Loriotsketche nachstellt, Musikstücke mit eigenen Videos unterlegt oder sonstwas. Alles ist möglich. Erst geschützt und reflektiert (z.B. Moodle), dann öffentlich mit öffentlichem Feedback (z.B. Blog, Twitter…).
… denn unser Wissen selbst veraltet so schnell, dass Inhalte mehr und mehr irrelevant werden. Täglich kommt so viel Wissen hinzu, dass wir einmal mehr dieses Wissen niemals beherrschen können – selbst wenn wir wollten. Deswegen müssen wir in der Schule weg von der Kultur der reinen inhaltlichen Wissensvermittlung. Wir müssen hin zu einer Kultur der Kompetenzvermittlung. Wir müssen den SuS Möglichkeiten und Methoden an die Hand geben, damit diese das Wissen der Welt selbst erschließen.Denn wir bilden heute Menschen für Berufe aus, die es in ihrer Profilierung erst noch geben wird.
Grob zusammengefasst höre ich diese Töne gerade im Kontext von Web2.0 sehr oft. Die Bezeichnung durch das Wort „Töne“ impliziert bereits meine Einstellung zu solchen Sätzen. Ich halte den Anspruch – zumindest in bestimmten Alterstufen für sehr gefährlich. Volker Pispers stellt die in meinen Augen möglichen Konsequenzen sehr überzogen und generalisierend dar, trifft aber den Kern meiner Kritik am verabsolutierten Kompetenzkonzept:
Nehmen wir einmal an, es gibt wirklich Unternehmensberater, Investmentbanker usw., die so klischeehaft handeln, wie von Volker Pispers 2004(!) dargestellt. Sie könnten nach meinem Verständnis nicht existieren ohne gewaltige Kompetenzen im kommunikativen und methodischen Bereich. Was müssten sie aber können, um nachhaltige volkswirtschaftliche Werte zu schaffen? Was müssten sie wissen, um Unternehmen erfolgreich zu beraten?
In meinen Augen müssten sie etwas über z.B. Humanismus wissen. Sie müssten etwas über Soziologie und Politik wissen. Sie müssten etwas über geschichtliche Zusammenhänge wissen. Sie müssten etwas über das Produkt der Firma und die Arbeitsbedingungen in der Firma wissen bzw. erfahren haben, was z.B. körperliche Arbeit bedeutet.
Dazu gehört für mich in Ansätzen auch technisches Know-How, das ich so oft auch im Web2.0‑Kontext vermisse. Der Ausdruck von Unwissen im Web2.0 lauten für mich: „Ich will anwenden, das muss bunt sein und die Technik dahinter interessiert mich nicht – das kann man doch nicht alles wissen!“. Dieses Wissen kann z.B. anhand von Beispielen vermitteln werden, die idealerweise prototypische Konzepte vorbereiten/implizieren. Ohne die Beispiele kann ich den prototypischen Charakter nicht abstrahieren, weil ich dazu ja Parallelen finden muss, bzw. auch parallele Beispiele. Das kann in meinen Augen kein Unterstufenschüler in dieser Absolutheit leisten. Er muss z.B. mit verschiedenen Wertesystemen konfrontiert werden – das geht zunächst nur über den Inhalt, woraus dann Kompetenzen erwachsen, die unbedingt zu reflektieren, auf einer Metaebene aufzubereiten und einzuüben sind, indem man die auf neue Sachverhalte projeziert. Das im Kompetenzumfeld entwickelte Akzeptor-/Donatorkonzept in der Chemie finde ich in dieser Beziehung ganz hervorragend.
Das was wir an Wissen nicht haben, werden wir später durch Kompetenzen nicht aufwiegen. Der reine Kompetenzmensch ist in meinen Augen der abhängige Mensch von Morgen. Wie viele Menschen sind z.B. von einer bestimmten Benutzeroberfläche eines Rechners abhängig, weil sie nicht verstehen wollen, was der Rechner für sie macht? Relevantes Wissen im IT-Bereich bedeutet das Erlernen von Konzepten – etwa der Objektorientierung – die es erlauben, jedes Schreibprogramm, welche objektorientiert arbeitet (das tun fast alle) zu bedienen. Das ermöglich mir Freiheit bei der Wahl meines Softwareanbieters. Dazu benötige ich zunächst aber Wissen um die Objektorientierung und ich brauche jemanden, der erkennt, dass die Objektorientierung relevantes Wissen darstellt. Habe ich dieses Wissen nicht, muss ich andere Leute fragen oder für eine Dienstleistung zahlen.
Kompetenzen fangen für mich immer mit dem Inhalt an – nie mit der Methode, nie mit dem Medium. Wir können nicht alles wissen. Das heißt aber nicht, dass wir kein Wissen mehr vermitteln sollten oder dass wir keines mehr brauchen. Junge Menschen wissen naturgemäß weniger oder andere Dinge über das, was man Leben nennt. Geben wir unser Wissen an die Jüngeren weiter – unser relevantes Wissen bzw. das Wissen, welches wir dafür halten.