Abiball 2010

Ca. 140 Abitu­ri­en­tin­nen und Abitu­ri­en­ten waren es dies­mal nebst ihren nächs­ten Ver­wand­ten und Freun­den, d.h. der gute Par­ty­ser­vice hat­te für den offi­zi­el­len Teil des Balls über 1000 Essen zu bewäl­ti­gen. Weil Turn­hal­le und die alt­ehr­wür­di­ge Aula unse­rer Schu­le mit die­ser Anzahl an Men­schen hoff­nungs­los über­for­dert wären, muss­ten wir in die Markt­hal­le unse­rer Stadt aus­wei­chen, die über eine Grund­flä­che von ca. 50x120m ver­fügt. Eigent­lich fin­den dort eher boden­stän­di­ge Ver­an­stal­tun­gen statt, z.B. Mes­sen oder Public Vie­wings etc.. An die­sem Abend war die Hal­le daher kaum wie­der­zu­er­ken­nen: Es gab Tep­pich­be­lag, eine abge­häng­te Decke, Kron­leuch­ter, geschmück­te, run­de 10er Tische – und alles, was noch so dazu­ge­hört. Rus­ti­kal war nur die Tanz­flä­che gehal­ten: OSB-Plat­te, rau, geschlif­fen. „Tat auch“ – wie man hier sagt. Eine her­vor­ra­gen­de und viel­sei­ti­ge Band sorg­te über Stun­den für viel aus­ge­las­se­ne Stim­mung und eine stets gefüll­te Tanz­flä­che – Paar­tanz oder spä­ter zuneh­mend frei – wie es beliebte.

Wer die Wahl hat, hat an sol­chen Aben­den die Qual. Bei so vie­len Men­schen und dem all­ge­mei­nen Laut­stär­ke­pe­gel ist es oft schwie­rig, Gesprä­che zu füh­ren oder sich für Gesprächs­part­ner zu ent­schei­den. Ich ver­su­che an sol­chen Aben­den drei Regeln zu beachten:

Wei­ter­le­sen

Vordemokratisierung von Entscheidungen

Die direk­te Demo­kra­tie ist oft müh­sam – gera­de wenn es dar­um geht, Ent­schei­dun­gen schnell zu fäl­len, was gele­gent­lich ein legi­ti­mes Anlie­gen sein kann. Unter „Vor­de­mo­kra­ti­sie­rung“ ver­ste­he ich Tak­ti­ken, um Ent­schei­dun­gen, die einer demo­kra­ti­schen Kon­trol­le – etwa durch ein Gre­mi­um unter­lie­gen – unter dem Schein eines demo­kra­ti­schen Ablau­fes durch­zu­set­zen. Dabei ken­ne ich zwei Tak­ti­ken, die ich bei­de schon selbst ange­wen­det habe.

1. Schlüs­sel­fi­gu­ren

Ich lote im Vor­feld einer wich­ti­gen Sit­zung eines Gre­mi­ums aus, wie bestimm­te Schlüs­sel­fi­gu­ren, die in die­sem Gre­mi­um ein Gewicht besit­zen – ent­we­der durch eine ideel­le oder insti­tu­tio­nel­le Macht­po­si­ti­on – zu einer anste­hen­den Ent­schei­dung ste­hen und ver­su­che die­se in mei­nem Sin­ne zu beein­flus­sen, sodass die eigent­li­che Ent­schei­dung bereits vor der rea­len Sit­zung gefal­len ist. Dabei nut­ze ich aus, dass der Mensch ger­ne den Kon­sens sucht, weil die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mühe­voll ist und ger­ne ver­mie­den wird – wenn es geht.

2. Tak­ti­sches Überraschungsmoment

Ich las­se ein Gre­mi­um zunächst ziel­los dis­ku­tie­ren und prä­sen­tie­re erst gegen Ende der Sit­zung eine vor­be­rei­te­te Beschluss­vor­la­ge, die dann erst die eigent­li­che Struk­tur auf­weist, jedoch mei­ne eige­ne Posi­ti­on maxi­mal umsetzt. Dabei nut­ze ich aus, dass der Mensch dazu neigt, zu einem schnel­len Ende zu gelan­gen, wenn der vor­an­ge­hen­de Pro­zess als inef­fek­tiv emp­fun­den wird. Die­se Tak­tik ist immer dann beson­ders erfolg­reich, wenn die Mas­se der Gre­mi­ums­mit­glie­der unvor­be­rei­tet zur Sit­zung erscheint.

Bei­de Tak­ti­ken füh­ren in den aller­meis­ten Fäl­len zum Erfolg und sind – in mei­nen Augen vor­geb­lich – demo­kra­tisch legi­ti­miert, weil man ja immer einen mög­lichst ver­klau­su­lier­ten Antrag stellt, über den dann im Gre­mi­um (selbst­ver­ständ­lich demo­kra­tisch) abge­stimmt wird – dann ist es ja eine Mehr­heits­ent­schei­dung. Unin­for­mier­te Geg­ner müss­ten sich bei der ers­ten Tak­tik offen gegen die Ver­tre­ter der insti­tu­tio­nel­len und ideel­len Macht stel­len, die ein Groß­teil des Gre­mi­ums eh schon in der Tasche haben. Im zwei­ten Fall sehen sie sich dem laten­ten Vor­wurf aus­ge­setzt, dass sie die jewei­li­ge Sit­zung unnö­tig in die Län­ge zögen.

Auf der ande­ren Sei­te wer­den durch bei­de oben beschrie­be­nen Tak­ti­ken manch­mal not­wen­di­ge Ent­schei­dun­gen erst mög­lich. Als star­ke Füh­rungs­per­sön­lich­keit kann ich auf die­se Wei­se mei­ne Vor­stel­lun­gen effek­tiv durch­set­zen, woge­gen manch­mal nichts zu sagen ist.

Das Ple­num in sol­chen Sit­zun­gen hat gegen bei­de Tak­ti­ken nur ein Chan­ce, wenn es

  1. inhalt­lich fun­diert vor­be­rei­tet ist
  2. auf einer Meta­ebe­ne erkennt, was dort gera­de läuft
  3. am bes­ten gut ver­netzt ist (per­sön­lich & z.B. über Social Media)

Das alles ist aus­ge­spro­chen schwie­rig, gera­de für Berufs­an­fän­ger. In der „Demo­kra­tie 1.0“ hal­te ich bei­de Ver­fah­ren gele­gent­lich für not­wen­dig, weil sich ansons­ten gera­de in gro­ßen Gre­mi­en Ent­schei­dungs­pro­zes­se ewig hin­zie­hen und das zustän­di­ge Gre­mi­um dadurch hand­lungs­un­fä­hig wird.

In der „Demo­kra­tie 2.0“ ste­hen uns jedoch z.B. über Web2.0‑Tools prin­zi­pi­ell Mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung, Argu­men­te auf sehr brei­ter Basis inner­halb von Tagen beschleu­nigt aus­zu­tau­schen und dadurch der Not­wen­dig­keit einer schnel­len Ent­schei­dung ver­bun­den mit dem Anspruch an mani­pu­la­ti­ons­freie Basis­de­mo­kra­tie gerecht zu wer­den. Bei­de  oben skiz­zier­ten Tak­ti­ken ver­mit­teln näm­lich dem viel­leicht im stil­len kri­ti­schen Gre­mi­ums­mit­glied ein Gefühl der Macht­lo­sig­keit und damit auch Sinn­lo­sig­keit sei­nes Han­delns. Dabei muss Trans­pa­renz sei­tens der Füh­rung heut­zu­ta­ge nicht zwangs­läu­fig zu lan­gen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen füh­ren (das ist die Angst, die dahin­ter steht) – nicht mehr.

Resistance is futile (Widerstand ist zwecklos) – Teil 2

Im ers­ten Arti­kel die­se Rei­he habe ich den Ste­reo­typ „Leh­rer“ bespro­chen, der dem Sys­tem maxi­mal aus­weicht, um die eige­ne Arbeit im, aber auch die eige­ne Anteil­nah­me am Sys­tem Schu­le im Sin­ne eines Selbst­schut­zes zu mini­mie­ren. Heu­te geht es um einen zwei­ten Ste­reo­typ, dem „inno­va­tiv Engagierten“.

Ste­reo­typ II

Das Sys­tem Schu­le bie­tet unend­li­che Frei­räu­me, wenn die for­ma­len Aspek­te berück­sich­tigt sind. Was hin­ter der Klas­sen­raum­tür geschieht, ist fast egal, wenn sich der nach­fol­gen­de Kol­le­ge in der Klas­se nicht beschwert, was in der Schu­le einem rie­sen­gro­ßen Lob ent­spricht. Hier ist man also „unbe­auf­sich­tigt“ und kann die­sen Frei­raum krea­tiv sei­nen Ansprü­chen ent­spre­chend gestal­ten, was bestimmt eine Men­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auch tun. Natür­lich hält man sich dabei nicht immer an die inhalt­li­chen und metho­di­schen Vor­ga­ben der Cur­ri­cu­la, weil sie eh sel­ten durch Kon­ti­nui­tät gekenn­zeich­net sind. Auch das ist eine Form des inne­ren Wider­stands gegen ein Sys­tem, wel­ches zuneh­mend in die­se Fre­ir­räu­me ein­grei­fen möch­te. Auch die­se Form des Wider­stands mag dadurch vor dem eige­nen Selbst legi­ti­miert sein, dass man den Dienst­herrn in sei­nen Hand­lun­gen als illoy­al emp­fin­det und die SuS qua­si „beschüt­zen“ oder ihnen zumin­dest eine ande­re Welt zei­gen möch­te – recht idea­lis­tisch also. Mit die­ser Hal­tung erlebt man viel Bestä­ti­gung – direkt von SuS, indi­rekt durch Eltern. Ich hal­te die­se Ein­stel­lung zusätz­lich für pro­duk­ti­ver und lang­fris­tig gesund­heits­för­dern­der, wenn man die Balan­ce zwi­schen gesun­dem Idea­lis­mus und Selbst­aus­beu­tung zu fin­den ver­mag. Der­ar­ti­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wün­schen sich bestimmt Kul­tus­po­li­ti­ker, wün­schen sich Eltern, wünscht sich eine Schul­lei­tung – min­des­tens dann, wenn auch etwas Vor­zeig­ba­res für die Öffent­lich­keit dabei her­aus­kommt, wenigs­ten ab und zu. Sol­che Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sind für mich sehr oft Aus­druck, Erschei­nungs­for­men von dem, was man „Schul­geist“ nen­nen könn­te. Die ent­schei­den­de Fra­ge ist, ob die­se Form des „Wider­stands“ gegen bzw. bes­ser „Umgangs“ mit dem Sys­tem Schu­le pro­duk­tiv im Sin­ne einer Trans­for­ma­ti­on ist.

Ich den­ke nicht. Klingt böse, des­we­gen eini­ge Erläuterungen:

  1. Ich hal­te die Ver­mitt­lung von Bil­dung für eine Team­leis­tung. Mein Kollege/meine Kol­le­gin hat nichts davon, dass  Kol­le­ge x für sich einen Weg gefun­den habe, mit dem Sys­tem „Schu­le“ umzu­ge­hen. In einer Fuß­ball­mann­schaft braucht es mehr als einen guten Stür­mer, um zu gewinnen.
  2. Tu‘ Gutes, aber erzäh­le nichts dar­über“ – abge­se­hen davon, dass es die Frei­räu­me für die­se Erzäh­lun­gen im Schul­all­tag nicht mehr gibt, bleibt es nach mei­ner Erfah­rung ein ver­brei­te­tes Mot­to unter Leh­re­rin­nen und Leh­rern über­haupt. Das ist ein Pro­blem, weil das „Gute“ damit per­so­na­li­siert mani­fes­tiert ist und mit der Per­son selbst erst ein­mal ver­schwin­det oder durch die feh­len­de Doku­men­ta­ti­on wie­der müh­sam auf­ge­baut wer­den muss. Mich treibt immer wie­der die Fra­ge um, war­um ich sehr viel blog­ge, der­ar­ti­ge Din­ge aber kaum im Kol­le­gi­um breit trete.
  3. Das Sys­tem nimmt Frei­räu­me, vor­wie­gend durch immer aus­ufern­de Doku­men­ta­ti­ons­zwän­ge, was sach­lo­gisch auch mit dem zwei­ten Punkt zusam­men­hängt – es kommt von der „Basis“ fast nichts zurück. Dadurch ent­steht zuneh­men­der Druck auf die „inno­va­tiv Enga­gier­ten“, der die Balan­ce zwi­schen Selbst­aus­beu­tung und  gesun­dem Idea­lis­mus gefähr­det bzw. gar emp­find­lich bedroht. Ein Weg der „Abschot­tung“ läuft über das Wort „Pro­fes­sio­na­li­sie­rung“, was oft genug meint, den „per­sön­lich­keits­ge­fähr­den­den“ päd­ago­gi­schen Eros zu ratio­na­li­sie­ren. Es bleibt frag­lich, ob eine rein prag­ma­ti­sche Ein­stel­lung zum Beruf den uns anver­trau­ten Men­schen gerecht wer­den kann.
  4. Das Sys­tem muss spa­ren. Hier in Nie­der­sach­sen sind es in den nächs­ten drei Jah­ren nach unbe­stä­tig­ten Zah­len ca. 1,2 Mil­li­ar­den allein an Steu­er­aus­fäl­len. Dass Ein­spa­run­gen zu mehr Qua­li­tät im Bil­dungs­sys­tem füh­ren, hal­te ich für unbe­wie­sen. Dass das Bil­dungs­sys­tem als Res­sour­ce der Zukunft von die­sen Ein­spa­run­gen ver­schont blei­ben wird, hal­te ich für unwahr­schein­lich, da es nach mei­nem Erle­ben in der Poli­tik sel­ten um Nach­hal­tig­keit geht. Das Leben für den „inno­va­tiv Enga­gier­ten“ wird schwe­rer werden.
  5. […]

Fazit:

Egal, wel­chen Weg man als Ein­zel­per­son in die­sem Sys­tem wäh­len, egal wo man sich auf der Ska­la der Ste­reo­ty­pen bewe­gen wird: Ich bezweif­le, dass es etwas am Sys­tem ändern wird oder  zu lang­fris­ti­ger inne­rer Zufrie­den­heit führt.

Alle Schu­len, die ich ken­ne, die etwas Grund­sätz­li­ches geän­dert haben, konn­ten die­ses nur nur ein Wort errei­chen: Soli­da­ri­tät. Soli­da­ri­tät bedeu­tet, dass der Ein­zel­ne auch ein­mal sei­ne per­sön­li­chen Inter­es­sen und Bedürf­nis­se zurück­steckt, Soli­da­ri­tät bedeu­tet, inhalt­li­che Kon­flik­te pro­duk­tiv aus­zu­tra­gen – bei­des Dis­zi­pli­nen, in denen ich uns als Leh­ren­de als aus­ge­spro­chen schwach erlebe.

Die Arbeit im Netz ist wich­tig. Genau­so wich­tig ist aber die Arbeit vor Ort und der Aus­tausch dar­über im Netz, weil wir Schu­le nur vor Ort ver­än­dern kön­nen und dort in den auf uns zukom­men­den Zei­ten mas­siv auf Soli­da­ri­tät ange­wie­sen sind, um nicht hilf­los zu sein. Nur Soli­da­ri­tät ver­mag wahr­schein­lich unse­re Arbeits­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern, nicht der Ein­satz von Blogs, Wikis oder Maha­ra. Soli­da­ri­tät ist sehr unbe­quem, Demo­kra­tie ist unbe­quem, weil sys­tem­be­dingt immer ein­zel­ne ihre per­sön­li­chen Inter­es­sen nicht rea­li­sie­ren können.

Wie lässt sich Soli­da­ri­tät an den Schu­len schaf­fen ohne ein äuße­res Feind­bild? Was sind ganz kon­kre­te Schrit­te auf die­sem Weg? Wie lenkt man die Stell­ver­tre­ter­krie­ge zurück zu den eigent­li­chen Ursachen?

Und der Dienstherr?

Was wird der Dienst­herr mit einer Schu­le wohl tun, die sich öffent­lich­keits­wirk­sam, soli­da­risch und qua­li­ta­tiv ver­än­dert? Was wird der Dienst­herr wohl mit einer Schu­le tun, hin­ter der Eltern und Schü­ler ste­hen, die in ihren fach­li­chen Ergeb­nis­sen nicht gegen­über ande­ren Schu­len abfällt, aber nicht alle Vor­ga­ben des Dienst­herrn zuguns­ten päd­ago­gi­scher Qua­li­tät dabei umsetzt? Leis­tet eine sol­che Schu­le dann Wider­stand, den man als Dienst­herr nicht dul­den kann?

Es gibt nichts außer Meinungen

Wenn ich aktu­el­le Dis­kus­sio­nen rund um Bil­dung lese, wird mir mitt­ler­wei­le spei­übel – so wie­der hier:

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/03/Das-perfekt-Schulsystem

Ich fin­de den Arti­kel weder gut noch schlecht, eini­ges gefällt mir, eini­ges nicht. Allein: Die­se Dis­kus­si­on (Kom­men­ta­re) fin­det genau auf dem Niveau schon seit Jah­ren statt. Die Ste­reo­ty­pen, die bedient wer­den, sind auch seit Jah­ren die glei­chen. Am schärfs­ten fin­de ich die Leu­te, die wie­der mal für Reförm­chen A oder Ideo­lo­gie­an­satz B wer­ben und sich gegen­sei­tig Unwis­sen­schaft­lich­keit und Igno­ranz vor­wer­fen. Es dreht sich für mich im Kreis – seit Jahren.

Reden ist Sil­ber, Schwei­gen ist Gold. Machen, ein­fach mal machen. Vor Ort – und dann erzäh­len. Von jedem ver­öf­fent­lich­ten Schü­ler­auf­satz ler­ne ich mehr über eine Bil­dung, die für mich eine kon­kre­te prak­ti­sche Rele­vanz hat – völ­lig unwis­sen­schaft­lich, fern ab von bewie­se­nen und unbe­wie­se­nen Theo­rien. Und wenn irgend­wer mich in nächs­ter Zeit dabei erwischt, wie ich mich an die­sem Gere­de ein­mal mehr betei­li­ge ohne mich zu poli­ti­sie­ren, der schrei­be mir bit­te eine bit­ter­bö­se Mail.

Auf Wiedersehen, Frau Heister-Neumann!

Es ist nun schon eini­ge Tage her, seit­dem Chris­ti­an Wulff sein Kabi­nett umge­bil­det hat. Schlag­zei­len mach­te eine neue Sozi­al­mi­nis­te­rin mit ihrer Anre­gung, reli­giö­se Sym­bo­le aus den Schu­len zu ver­ban­nen, kei­ne oder weni­ge Schlag­zei­len mach­te der Weg­gang von Frau Heis­ter-Neu­mann aus dem Kultusministerium.

Ich habe in der Begrün­dung für die­se Ent­schei­dung oft den Duk­tus der „Herausnahme einer ange­schla­ge­nen, tap­fe­ren Spie­le­rin aus dem Feld“ ver­nom­men. Mei­ner Mei­nung nach stimmt das.

Frau Heis­ter-Neu­mann war aus ver­schie­de­nen Grün­den hier in Nie­der­sach­sen nicht sehr beliebt, im Kon­text mit der Ver­la­ge­rung des Stun­den­kon­tos (LAz­Ko) direkt vor die Pen­si­on kam es zum ers­ten Mal zu Pro­tes­ten von Leh­re­rin­nen und Leh­rern vor dem Land­tag – eigent­lich ein Wider­spruch in sich: Leh­rer soli­da­risch(!) auf der Straße.

Aber auch sonst hat­te Frau Heis­ter-Neu­mann für die mit der Macht­über­nah­me der schwarz-gel­ben Koali­ti­on ein­ge­führ­ten, umfas­sen­den Schul­re­for­men (Abschaf­fung der Ori­en­tie­rungs­stu­fe, zen­tra­le Abitur­prü­fun­gen, Pro­fil­ober­stu­fe, G8, selbst­stän­di­ge Schu­len usw.) gera­de­zu­ste­hen. Neid und Ver­ant­wor­tung sind mit Macht immer sehr stark ver­bun­den – das muss man in der Poli­tik aus­hal­ten. Und es ist ein Zei­chen der Stär­ke, die damit ein­her­ge­hen­de, teils hef­ti­ge Kri­tik auch zu ertragen.

Die meis­ten Refor­men wur­den unter dem ers­ten Kul­tus­mi­nis­ter der schwarz-gel­ben Koali­ti­on, Bernd Buse­mann ein­ge­führt. Die­ser über­nahm nach eini­ger Zeit im Amt das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um von Frau Heis­ter-Neu­mann, die ihrer­seits Kul­tus­mi­nis­te­rin wur­de (Tausch). Ob dabei Sach­zwän­ge eine Rol­le spiel­ten, oder die sich regen­den Her­aus­for­de­run­gen an den Schu­len und der damit ver­bun­de­ne Druck auf den Minis­ter, ist rei­ne Spekulation.

Jedoch sah sich Frau Heis­ter-Neu­mann in mei­nen Augen nun mit Wir­kun­gen von Refor­men kon­fron­tiert, die sie im Kern nicht zu ver­ant­wor­ten hat­te. Frau Heis­ter-Neu­mann ging mei­ner Mei­nung nach sach­lo­gisch vor: Das Gelin­gen von G8 und dabei gera­de der Dop­pel­jahr­gang waren mas­siv von der Ver­sor­gung mit Lehr­kräf­ten abhän­gig. Und just in die­sem Zeit­raum soll­te das Arbeits­zeit­kon­to in die Rück­zah­lungs­pha­se kom­men. Von einem ver­wal­tungs­tech­ni­schen Stand­punkt aus ist es abso­lut logisch, durch eine Ver­la­ge­rung der Rück­zah­lungs­pha­se des Arbeits­zeit­kon­tos das Gelin­gen der Reform per­so­nell sicherzustellen.

Die ent­schei­den­de Fra­ge mit Blick auf die Leh­rer­ver­sor­gung in der Zukunft war für mich bereits damals, war­um die Aus­zah­lung „am Stück“ direkt vor der Pen­sio­nie­rung damit ein­her­ge­hen soll­te und nicht direkt ein Modell ange­strebt wur­de, wie wir es jetzt in Nie­der­sach­sen (erstrit­ten) haben: Die Aus­zah­lungs­pha­se wird auf die Zeit nach dem Dop­pel­jahr­gang ver­scho­ben und es gibt Anrei­ze für KuK, die bereits in die Aus­gleichs­pha­se gekom­men wären, den Ein­tritt in sel­bi­ge zu ver­schie­ben mit teil­wei­se sehr fle­xi­blen Rege­lun­gen. Hat Frau Heis­ter-Neu­mann wirk­lich nicht gewusst, dass sie genau an die­sem Punkt mas­si­ven Wider­stand evo­zie­ren wür­de? Oder lagen dem Kul­tus­mi­nis­te­ri­um Zah­len vor, die die­ses doch recht rabia­te Vor­ge­hen sach­lo­gisch recht­fer­ti­gen können?

Es ist ja viel zuge­sagt wor­den: Z.B. die Sen­kung der Klas­sen­fre­quen­zen (per­so­nal­in­ten­siv) durch Ver­bleib der durch die „Überwindung des Doppeljahrgangs“ neu geschaf­fe­nen Stel­len an den Gym­na­si­en, deren Schü­ler­zahl wahr­schein­lich wei­ter leicht stei­gen wird. Dem ent­ge­gen steht die Aus­gleichs­pha­se des LAz­Ko, die ab dem 1.8.2012 begin­nen wird.

Neh­men wir ein­mal an, dass von 60 KuK an einer Schu­le 20 davon pro­fi­tie­ren, fal­len an die­ser Schu­le ein­mal eben 20x4=80 Stun­den (mehr als drei vol­le Stel­len) weg – die Kol­le­gen unter­rich­ten ja die zwei LAz­Ko-Stun­den nicht mehr und bekom­men zusätz­lich pro Jahr zwei ange­spar­te LAz­Ko-Stun­den ver­gü­tet. Wei­ter­hin geht das Gerücht, dass in den nächs­ten sechs Jah­ren der eine oder ande­re Kol­le­ge bzw. die eine oder ande­re Kol­le­gin in Pen­si­on gehen wird. Ob die ange­dach­te Ver­kür­zung des Vor­be­rei­tungs­diens­tes auf 1,5 Jah­re und der Aus­bau der Stu­di­en­se­mi­na­re die­se Effek­te kom­pen­sie­ren kön­nen, wäre auf Basis von kon­kre­tem Zah­len­ma­te­ri­al zu über­prü­fen. Außer­dem soll es ja in Nie­der­sach­sen auch leich­ter wer­den, als Quer­ein­stei­ger – gera­de in Man­gel­fä­chern – den Beam­ten­sta­tus zu erlangen.

Die ent­schei­den­de Fra­ge ist, ob die­se Maß­nah­men aus­rei­chend sind oder ob der ein­zi­ge Aus­weg doch in einer Erhö­hung des Stun­den­de­pu­ta­tes bestehen wird. Dafür bie­tet sich die Aus­gleichs­pha­se ja nahe­zu an, weil die KuK durch auch noch einer Depu­tats­er­hö­hung um zwei Stun­den unter dem Strich noch zwei Stun­den weni­ger als vor­her unter­rich­ten… Außer­dem hat Nie­der­sach­sen ohne­hin bun­des­weit eines der kleins­ten Stun­den­de­pu­ta­te (wenn man Sei­ten­ef­fek­te wie Stel­len­schlüs­sel und Klas­sen­fre­quen­zen nicht berück­sich­tigt). Die Lob­by von Leh­rern in der Öffent­lich­keit ist – u.U. auch selbst mit­ver­schul­det – klein… Zwei Stun­den – was ist das denn schon? 30–33 SuS mehr. Fällt bei den bis 180 – je nach Fächer­kom­bi­na­ti­on – , die man mit vol­ler Stel­le zu betreu­en hat, auch kaum auf.

Soll­te Herr Alt­hus­mann, unser neu­er Kul­tus­mi­nis­ter, die­se Ent­schei­dung aus Sach­zwän­gen her­aus tref­fen müs­sen und dadurch unter Druck gera­ten, so hof­fe ich wenigs­tens, dass er die­se Schlacht dann sel­ber schla­gen kann und nicht ein ande­res Minis­te­ri­um sei­ner Hil­fe bedarf.

Schö­ner wäre es natür­lich, wenn das Kul­tus­mi­nis­te­ri­um die vor­lie­gen­den Zah­len trans­pa­rent ver­öf­fent­li­chen wür­de… Dann könn­te man gemein­sam über etwas Kon­kre­tes reden, bila­te­ral, kol­le­gi­al und auf Augen­hö­he. Und da Leh­re­rin­nen und Leh­rer in der Sum­me kei­ne Unmen­schen sind, ergä­be sich viel­leicht sogar ein nach­hal­ti­ges Kon­zept für die Zukunft und zurück­ge­won­ne­nes Ver­trau­en – es geht um eines der wert­volls­ten Güter, die wir besitzen.

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