Riecken und die Verlage

Ich bekom­me hin und wie­der Ange­bo­te, mei­ne Tex­te und Arbeits­ma­te­ria­li­en auf kom­mer­zi­el­len Platt­for­men ein­zu­stel­len. Gele­gent­lich wird auch der Wunsch an mich her­an­ge­tra­gen, die­ses oder jenes in mei­nem Blog zu ver­lin­ken oder einen Arti­kel dar­über zu schrei­ben – meist ver­bun­den mit einem Frei­ac­count z.B. auf begrenz­te Zeit. Dahin­ter ste­cken natür­lich kom­mer­zi­el­le Inter­es­sen, die ich per se nicht ableh­ne, da ohne Anbie­ter, die für ihre Dienst­leis­tun­gen Geld neh­men, weder das Inter­net noch der Staat fis­ka­lisch funk­tio­nie­ren wür­den. Ich hal­te es für mei­ne Auf­ga­be, das auch Schü­le­rin­nen und Schü­lern zu ver­mit­teln: Für lau wird nie­mand spä­ter euch als Mit­ar­bei­ten­de bezah­len kön­nen. Unter­neh­men bil­den die Säu­le die­ses Staa­tes und schaf­fen Arbeitsplätze.

Je län­ger ich mich im Inter­net tumm­le, des­to mehr Schwie­rig­kei­ten bekom­me ich mit dem Geschäfts­ge­ba­ren so man­cher Ver­la­ge: Ich emp­fin­de es mitt­ler­wei­le sehr oft so, dass die ange­bo­te­nen Ver­trä­ge nicht mehr auf Augen­hö­he geschlos­sen wer­den, son­dern im Klein­ge­druck­ten mehr und mehr Din­ge ste­hen, die mich dar­an zwei­feln las­sen, dass sei­tens des jewei­li­gen Unter­neh­mens eine wirk­li­che Part­ner­schaft gewünscht ist. Die­se Hal­tung hat sich über lan­ge Zeit ent­wi­ckelt und dazu gehört eine län­ge­re Geschich­te. Als Bei­spiel für ein kom­mer­zi­el­les Unter­neh­men möch­te ich ein­mal bewusst die Ver­la­ge her­aus­grei­fen, damit die Geschich­te nicht zu lang wird.

1. Akt

Vor zwei Jah­ren ergab sich ein Kon­takt zu einem Ver­lag, der mei­ne zwei­te Staats­examens­ar­beit ver­öf­fent­li­chen woll­te. Die gesam­te Geschich­te zog sich über drei Wochen hin und ver­schlang ca. 8–10 Stun­den Arbeits­zeit, um mein Pam­phlet „druck­taug­lich“ zu machen. Ich war schon irgend­wie geschmei­chelt, habe mir von Anfang an aber nicht all­zu viel davon ver­spro­chen. Wich­tig war mir die „Tot­holz­di­s­tri­bu­ti­on“ mei­ner Arbeit, da ja nicht jeder im Inter­net unter­wegs ist. Tat­säch­lich ist der Text immer noch bei gro­ßen Por­ta­len gelis­tet, jedoch meist nur inner­halb von acht Tagen lie­fer­bar. Der Preis, der ver­langt wird, ist aus­ge­spro­chen statt­lich und macht das Buch in mei­nen Augen abso­lut unver­käuf­lich. Tat­säch­lich haben wahr­schein­lich nur eini­ge Biblio­the­ken das Ding ange­schafft. Damit ist das Ziel der Dis­tri­bu­ti­on in mei­nen Augen ver­fehlt. Hät­te ich das durch TeX gejagt und hier auf dem Blog zur Ver­fü­gung gestellt, wäre wahrscheinlich:

  1. mehr Geld durch Spen­den her­ein­ge­kom­men (momen­tan sind es 0 – in Wor­ten Null Euro, da ein Min­dest­aus­zah­lungs­be­trag erreicht wer­den muss)
  2. der Ver­brei­tungs­grad viel höher – für lau schau­en da mehr Leu­te hinein

Ein hal­bes Jahr danach habe ich ein Gespräch mit einer Bekann­ten aus der Ver­lags­bran­che geführt und ein müt­ter­li­ches Lächeln geern­tet. Tenor: Dem Ver­lag geht es nicht um den Ver­kauf des Wer­kes. Dem Ver­lag geht es dar­um, mit einem mög­lichst gro­ßen Port­fo­lio bei Groß­is­ten (Libri, Ama­zon usw.) gelis­tet zu sein. Damit die­se Lis­tung erfolgt, ist ein bestimm­ter Ver­kaufs­preis not­wen­dig. Dem Ver­lag geht es wei­ter­hin um den Auf­bau einer Back­list: Soll­te das The­ma der Arbeit noch­mals irgend­wann wirk­lich inter­es­sant für eine brei­te­re Öffent­lich­keit wer­den, kann der Ver­lag das dann kos­ten­güns­tig aus den Rech­ten sei­ner Back­list bestrei­ten. Da die Ver­öf­fent­li­chung für mich nicht mit Kos­ten ver­bun­den war, fällt natür­lich auch mei­ne Betei­li­gung dann sehr gering aus. Gut für den Ver­lag. Hät­te ich die­se Mecha­nis­men vor­her gekannt, hät­te ich nie mei­nen Text über einen Ver­lag distribuiert.

Wei­ter­le­sen

Medienprojekt Wuppertal

Dar­auf gesto­ßen bin ich ein­mal mehr durch René Schepp­ler. Das Medi­en­pro­jekt Wup­per­tal hat/produziert/unterstützt genau die Fil­me, die ich mir schon so lan­ge gewünscht habe für die the­ma­ti­sche Arbeit mit Klas­sen – end­lich wirk­lich sinn­vol­le Ver­tre­tungs­stun­den mit The­men, die wirk­lich „dicht“ dran an den Jugend­li­chen sind. Einen Ver­suchs­bal­lon habe ich der „schwe­ren Zeit vor den Som­mer­fe­ri­en“ mit dem Film über Inter­net­kom­mu­ni­ka­ti­on gestar­tet, den René emp­foh­len hat. Dar­in erzäh­len Jugend­li­che über ihren Inter­net­ge­brauch, ihren guten und schlech­ten Erfah­run­gen. Es tritt kein Erwach­se­ner auf: Allein die Jugend­li­chen kom­men zu Wort. Mei­ne zwei Ver­suchs­klas­sen fan­den den Film sehr inter­es­sant, wenn­gleich natür­lich Unru­he dadurch ent­steht, dass sie bewusst oder unbe­wusst die eige­nen Ver­hal­tens- und Rede­mus­ter durch die Anla­ge des Film gespie­gelt bekom­men. Da ver­schie­de­ne Jugend­li­che zu Wort kom­men, las­sen sich auch ganz her­vor­ra­gend ein­zel­ne Aus­schnit­te zei­gen und the­ma­ti­sie­ren. Ich habe die DVD zum Preis von 30,- Euro erwor­ben, ansons­ten kann man sie auch für 15,- Euro lei­hen. Die DVD ist pro­fes­sio­nell gestal­tet und qua­li­ta­tiv hochwertig.

Nicht nur Reli­gi­ons­leh­rer wer­den sich über wei­te­re Fil­me des Medi­en­pro­jek­tes Wup­per­tal freu­en – hier ein paar will­kür­lich aus­ge­wähl­te Themen/Filme:

  • Lust und Frust“ (1–3) – die Bio­lo­gie der Paa­rung erklä­ren wir ja immer, das Emo­tio­na­le zu oft nicht
  • Mob­bing und Gewalt aus Täter- und Opfersicht
  • Dia­gno­se Borderline
  • Lebens­zei­chen (Selbst­schä­di­gung)
  • Stoned (Can­na­bis­kon­sum)
  • Tren­nungs­kin­der
  • Kanacks & Drugs
  • usw.

Allein die Aus­wahl der The­men, deren Aktua­li­tät und teil­wei­se die Beti­telung spre­chen für mich dafür, dass sich da jemand Gedan­ken macht – einen Film über Selbst­ver­let­zung „Lebens­zei­chen“ zu nen­nen – das hat schon was. Alle Fil­me sind nach dem Mus­ter „Jugend­li­che erzäh­len“ gestrickt. Schaut euch unbe­dingt den Gesamt­ka­ta­log an…  Auch Tabu­the­men wer­den behan­delt, z.B. „Behin­der­te Lie­be“. Die Fil­me sind teu­er, ok. Man bekommt aber sehr viel Mate­ri­al und erwirbt mit dem Kauf auch die not­wen­di­gen Rech­te zur öffent­li­chen Auf­füh­rung in Schulen.

Sie kaufen Suchbegriffe

Die Initia­ti­ve „Wir wol­len ler­nen“, die sich gegen die Ein­füh­rung der sechs­jäh­ri­gen Pri­mar­schu­le in Ham­burg durch fast den kom­plet­ten Senat ein­setzt, kauft offen­bar bei Goog­le Such­be­grif­fe ein – gibt man die Schlag­wor­te „Schul­streit“ + „Ham­burg“ ein, so erscheint ganz oben über den Such­ergeb­nis­sen fol­gen­de Anzeige:

An die­sem Vor­ge­hen ist nichts ver­werf­lich – es zeigt aber in mei­nen Augen ein­mal mehr, dass geziel­te Lob­by­ar­beit im Netz gar nicht so schwie­rig ist und der finan­zi­ell Stär­ke­re auch hier sei­ne Vor­tei­le hat. Vor­teil­haft dürf­te für die Initia­ti­ve zudem sein, dass wahr­schein­lich die Medi­en­kom­pe­tenz vie­ler Nut­zer nicht aus­reicht, die­sen Schach­zug zu erken­nen. Daher hier noch ein­mal ein Ver­weis auf „die ande­re Seite“:

http://www.proschulreform.de

Ich habe bei­de Sei­ten nur kurz über­flo­gen – und bin ver­wirrt: Teil­wei­se wird das glei­che Doku­ment ganz unter­schied­lich aus­ge­deu­tet… Lob­by­ar­beit auf bei­den Sei­te halt. Das dürf­te span­nend wer­den mit dem Volksentscheid.

Abiball 2010

Ca. 140 Abitu­ri­en­tin­nen und Abitu­ri­en­ten waren es dies­mal nebst ihren nächs­ten Ver­wand­ten und Freun­den, d.h. der gute Par­ty­ser­vice hat­te für den offi­zi­el­len Teil des Balls über 1000 Essen zu bewäl­ti­gen. Weil Turn­hal­le und die alt­ehr­wür­di­ge Aula unse­rer Schu­le mit die­ser Anzahl an Men­schen hoff­nungs­los über­for­dert wären, muss­ten wir in die Markt­hal­le unse­rer Stadt aus­wei­chen, die über eine Grund­flä­che von ca. 50x120m ver­fügt. Eigent­lich fin­den dort eher boden­stän­di­ge Ver­an­stal­tun­gen statt, z.B. Mes­sen oder Public Vie­wings etc.. An die­sem Abend war die Hal­le daher kaum wie­der­zu­er­ken­nen: Es gab Tep­pich­be­lag, eine abge­häng­te Decke, Kron­leuch­ter, geschmück­te, run­de 10er Tische – und alles, was noch so dazu­ge­hört. Rus­ti­kal war nur die Tanz­flä­che gehal­ten: OSB-Plat­te, rau, geschlif­fen. „Tat auch“ – wie man hier sagt. Eine her­vor­ra­gen­de und viel­sei­ti­ge Band sorg­te über Stun­den für viel aus­ge­las­se­ne Stim­mung und eine stets gefüll­te Tanz­flä­che – Paar­tanz oder spä­ter zuneh­mend frei – wie es beliebte.

Wer die Wahl hat, hat an sol­chen Aben­den die Qual. Bei so vie­len Men­schen und dem all­ge­mei­nen Laut­stär­ke­pe­gel ist es oft schwie­rig, Gesprä­che zu füh­ren oder sich für Gesprächs­part­ner zu ent­schei­den. Ich ver­su­che an sol­chen Aben­den drei Regeln zu beachten:

Wei­ter­le­sen

Vordemokratisierung von Entscheidungen

Die direk­te Demo­kra­tie ist oft müh­sam – gera­de wenn es dar­um geht, Ent­schei­dun­gen schnell zu fäl­len, was gele­gent­lich ein legi­ti­mes Anlie­gen sein kann. Unter „Vor­de­mo­kra­ti­sie­rung“ ver­ste­he ich Tak­ti­ken, um Ent­schei­dun­gen, die einer demo­kra­ti­schen Kon­trol­le – etwa durch ein Gre­mi­um unter­lie­gen – unter dem Schein eines demo­kra­ti­schen Ablau­fes durch­zu­set­zen. Dabei ken­ne ich zwei Tak­ti­ken, die ich bei­de schon selbst ange­wen­det habe.

1. Schlüs­sel­fi­gu­ren

Ich lote im Vor­feld einer wich­ti­gen Sit­zung eines Gre­mi­ums aus, wie bestimm­te Schlüs­sel­fi­gu­ren, die in die­sem Gre­mi­um ein Gewicht besit­zen – ent­we­der durch eine ideel­le oder insti­tu­tio­nel­le Macht­po­si­ti­on – zu einer anste­hen­den Ent­schei­dung ste­hen und ver­su­che die­se in mei­nem Sin­ne zu beein­flus­sen, sodass die eigent­li­che Ent­schei­dung bereits vor der rea­len Sit­zung gefal­len ist. Dabei nut­ze ich aus, dass der Mensch ger­ne den Kon­sens sucht, weil die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mühe­voll ist und ger­ne ver­mie­den wird – wenn es geht.

2. Tak­ti­sches Überraschungsmoment

Ich las­se ein Gre­mi­um zunächst ziel­los dis­ku­tie­ren und prä­sen­tie­re erst gegen Ende der Sit­zung eine vor­be­rei­te­te Beschluss­vor­la­ge, die dann erst die eigent­li­che Struk­tur auf­weist, jedoch mei­ne eige­ne Posi­ti­on maxi­mal umsetzt. Dabei nut­ze ich aus, dass der Mensch dazu neigt, zu einem schnel­len Ende zu gelan­gen, wenn der vor­an­ge­hen­de Pro­zess als inef­fek­tiv emp­fun­den wird. Die­se Tak­tik ist immer dann beson­ders erfolg­reich, wenn die Mas­se der Gre­mi­ums­mit­glie­der unvor­be­rei­tet zur Sit­zung erscheint.

Bei­de Tak­ti­ken füh­ren in den aller­meis­ten Fäl­len zum Erfolg und sind – in mei­nen Augen vor­geb­lich – demo­kra­tisch legi­ti­miert, weil man ja immer einen mög­lichst ver­klau­su­lier­ten Antrag stellt, über den dann im Gre­mi­um (selbst­ver­ständ­lich demo­kra­tisch) abge­stimmt wird – dann ist es ja eine Mehr­heits­ent­schei­dung. Unin­for­mier­te Geg­ner müss­ten sich bei der ers­ten Tak­tik offen gegen die Ver­tre­ter der insti­tu­tio­nel­len und ideel­len Macht stel­len, die ein Groß­teil des Gre­mi­ums eh schon in der Tasche haben. Im zwei­ten Fall sehen sie sich dem laten­ten Vor­wurf aus­ge­setzt, dass sie die jewei­li­ge Sit­zung unnö­tig in die Län­ge zögen.

Auf der ande­ren Sei­te wer­den durch bei­de oben beschrie­be­nen Tak­ti­ken manch­mal not­wen­di­ge Ent­schei­dun­gen erst mög­lich. Als star­ke Füh­rungs­per­sön­lich­keit kann ich auf die­se Wei­se mei­ne Vor­stel­lun­gen effek­tiv durch­set­zen, woge­gen manch­mal nichts zu sagen ist.

Das Ple­num in sol­chen Sit­zun­gen hat gegen bei­de Tak­ti­ken nur ein Chan­ce, wenn es

  1. inhalt­lich fun­diert vor­be­rei­tet ist
  2. auf einer Meta­ebe­ne erkennt, was dort gera­de läuft
  3. am bes­ten gut ver­netzt ist (per­sön­lich & z.B. über Social Media)

Das alles ist aus­ge­spro­chen schwie­rig, gera­de für Berufs­an­fän­ger. In der „Demo­kra­tie 1.0“ hal­te ich bei­de Ver­fah­ren gele­gent­lich für not­wen­dig, weil sich ansons­ten gera­de in gro­ßen Gre­mi­en Ent­schei­dungs­pro­zes­se ewig hin­zie­hen und das zustän­di­ge Gre­mi­um dadurch hand­lungs­un­fä­hig wird.

In der „Demo­kra­tie 2.0“ ste­hen uns jedoch z.B. über Web2.0‑Tools prin­zi­pi­ell Mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung, Argu­men­te auf sehr brei­ter Basis inner­halb von Tagen beschleu­nigt aus­zu­tau­schen und dadurch der Not­wen­dig­keit einer schnel­len Ent­schei­dung ver­bun­den mit dem Anspruch an mani­pu­la­ti­ons­freie Basis­de­mo­kra­tie gerecht zu wer­den. Bei­de  oben skiz­zier­ten Tak­ti­ken ver­mit­teln näm­lich dem viel­leicht im stil­len kri­ti­schen Gre­mi­ums­mit­glied ein Gefühl der Macht­lo­sig­keit und damit auch Sinn­lo­sig­keit sei­nes Han­delns. Dabei muss Trans­pa­renz sei­tens der Füh­rung heut­zu­ta­ge nicht zwangs­läu­fig zu lan­gen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen füh­ren (das ist die Angst, die dahin­ter steht) – nicht mehr.

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