Blogparade: Lehrer von morgen heute denken.

Dejan Miha­j­lo­vic ruft zu einer Blog­pa­ra­de zum Pro­fil kom­men­der Lehr­kräf­te auf. Ich ver­su­che, das mal auf fünf Punk­te ein­zu­damp­fen. Die Lehr­kraft von morgen

  • ver­fügt über pro­fun­des, ver­netz­tes und stets hin­ter­frag­tes Fach­wis­sen und steht damit über dem Stoff, den sie vermittelt.
  • ist in der Lage, Schul­ent­wick­lung über die Bedürf­nis­se der eige­nen Per­son hin­aus mit­zu­ge­stal­ten oder mitzutragen.
  • ist in der Lage, eige­ne Denk- und Unter­richts­struk­tu­ren zu hin­ter­fra­gen und weiterzuentwickeln.
  • erkennt den Wert explo­ra­ti­ven und expe­ri­men­tier­freu­di­gen Ver­hal­tens und nimmt das nicht als Belas­tung wahr.
  • stelllt sich immer wie­der der Rück­mel­dung ande­rer Men­schen, mit denen es in einem Team arbeitet.

Ich glau­be, das reicht dann auch schon. Es zeigt aber auch den Kern der Problematik:

  1. Wie wäh­le ich Lehr­per­so­nen dann aus?
  2. Wel­che die­ser Eigen­schaf­ten sind ver­mit­tel­bar und wel­che nicht?
  3. Wer ver­mit­telt wie?
  4. Ist das dahin­ter­ste­hen­de Men­schen­bild realistisch?

Wasmanie und Komplexitätsreduktion

Bei der Dis­kus­si­on um Ver­än­de­run­gen in der Schu­le wer­den m.E. zwei schwer­wie­gen­de Feh­ler gemacht:

  1. Es gibt vie­le Defi­ni­tio­nen (z.B. Wis­sens­be­griff, Lern­be­griff, Medi­en­be­griff) und For­mu­lie­run­gen „wie Schu­le sein soll“. Ich nen­ne die­se Kon­zep­te „Was­ma­tisch“ – die beschrei­ben, was gesche­hen soll. Es gibt so gut wie kei­ne Trans­for­ma­ti­ons­for­schung dazu, wie man dahin­kommt. Das über­lässt man dem Sys­tem selbst und wun­dert sich, ja ist manch­mal sogar nahe­zu kind­lich-ver­bockt, wenn da nichts passiert.
  2. Man greift sich Aspek­te aus dem Sys­tem her­aus: „Was macht den guten Leh­rer aus?“, „Wie muss ein Klas­sen­raum aus­ge­stat­tet sein?“, „Die zehn bes­ten Apps für den Unter­richt – übri­gens jede Woche gibt es zehn neue“ usw. – eine iso­lier­te Ver­än­de­rung einer Kom­po­nen­te wird im Sys­tem nichts ändern, weil sich sel­bi­ges ein­fach so umkon­fi­gu­riert, dass die Aus­wir­kun­gen der Stö­rung mini­miert wer­den. Man kann z.B. „Tablet­klas­sen“ nicht erfolg­reich iso­liert den­ken. Das ist Komplexitätsreduktion.

Ich docke mit die­sem Arti­kel an Herr Lar­bigs lesens­wer­te Gedan­ken zum Aus­blei­ben der Revo­lu­ti­on im Schul­sys­tem an. Span­nend ist für mich sei­ne Abkehr von z.B. dem Kon­zept „iPad-Klas­se“, weil mei­ne Ein­stel­lung zu sol­chen Set­tings über die Jah­ren ben­falls grund­le­gend anders gewor­den ist und sich mitt­ler­wei­le mit der von Thors­ten deckt.

Was heißt „das System definiert sich um“?

Mir fällt zur Erklä­rung kein bes­se­res Bei­spiel als das Che­mi­sche Gleich­ge­wicht ein – ein fun­da­men­ta­les natur­wis­sen­schaft­li­ches Konzept.

Aus­gangs­si­ta­ti­on:

Wir haben ein Bäl­le­bad, wel­ches in der Mit­te geteilt ist. Ein jedem Bäl­le­bad befin­det sich eine Anzahl von Wer­fern – ein Team. Die Auf­ga­be besteht dar­in, die Bäl­le aus der eige­nen Hälf­te mög­lichst voll­stän­dig in die geg­ne­ri­sche zu wer­fen. Das grü­ne Team ist das stärkere.

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Nach einer Weile:

syst_gleichgewicht_02

Das grü­ne Team ist zwar die stär­ke­re, jedoch hat es nach einer Wei­le im Schnitt weni­ger Bäl­le im Feld, die es län­ger suchen muss. Daher kann es die Bäl­le nicht so schnell zurück­wer­fen wie das blaue Team, das zwar schwä­cher ist, aber viel schnel­ler Bäl­le zum Wer­fen findet.

Es kann Situa­tio­nen geben, in denen die Bäl­le anders ver­teilt sind, aber über die Zeit wird sich ein Mit­tel­wert ein­pen­deln – in die­sem Fall von 15 Bäl­len im blau­en und 5 Bäl­len im grü­nen Feld. In der Che­mie wür­de man jetzt die Anzahl der Bäl­le im grü­nen Feld durch die Anzahl der Bäl­le im blau­en Feld tei­len und fest­stel­len, dass über die Zeit gese­hen eine Kon­stan­te dabei her­aus­kommt ( 5:15 = 1/3 ).

Noch ein Nach­trag, der mir im Kon­text von Dis­kus­sio­nen der letz­ten Tage zu die­sem Arti­kel wich­tig erscheint: Bezo­gen auf Schu­le han­delt es sich bei den Spie­lern im Feld NICHT um Men­schen, z.B. Digi-Leh­rer gegen Ana­log-Leh­rer oder ande­re Ste­reo­ty­pe. Viel­mehr sind abs­trak­te Kräf­te am Werk, z.B. „Reform­druck“ und „Bewah­rungs­stra­te­gien“. Die Kräf­te sind lei­der oft kon­trär. Das darf man ger­ne leug­nen, aber das ändert dar­an nichts. Ein wün­schens­wer­tes Mit­ein­an­der basiert dann auf Din­gen wie Ver­ständ­nis, Ernst­neh­men, Inter­es­se auf bei­den Sei­ten – d.h. es geht dar­um, abs­trak­te Kräf­te zu beein­flus­sen. Bezo­gen auf die Che­mie ist die­ses Bild völ­lig neu­tral. Teil­chen haben eine Natur, sie „wol­len“ nichts, son­dern stre­ben ledig­lich nach der Erfül­lung phy­si­ka­li­scher Geset­ze (z.B. einem ener­ge­tisch güns­ti­gen Zustand) – Was u.U. aber auch für Men­schen gilt – aber das ist eine ande­re Geschichte.

 

Das Wesent­li­che:

In unse­rem klei­nen Sys­tem pas­siert ganz viel – stän­dig flie­gen Bäl­le hin und her (manch­mal mag es sogar schei­nen, als gewän­ne Team grün), aber trotz­dem bleibt das Anzahl­ver­hält­nis der Bäl­le in den jewei­li­gen Fel­dern im Mit­tel kon­stant. Das Sys­tem befin­det sich in einer Art Gleich­ge­wicht. Wir Che­mi­ker nen­nen das ein dyna­mi­sches Gleichgewicht.

Die Stö­rung:

Nun kann es sein, dass ein Spie­ler des blau­en Teams eine Tak­tik ent­wi­ckelt, mit der es mög­lich ist, die Bäl­le schnel­ler ins ande­re Feld zu wer­fen. Die­se Tak­tik wird nun von allen Team­mit­glie­dern adap­tiert. Dadurch ändert sich die Bäl­le­ver­tei­lung. Aber die­se Tak­tik­än­de­rung hat auch Fol­gen für die Stra­te­gie des grü­nen Teams, das sich auf die nun ver­än­der­ten Bedin­gun­gen ein­stellt und ja immer noch gewin­nen will. Da die Bäl­le­ver­tei­lung in den Fel­dern für die Geschwin­dig­keit des Zurück­wer­fens immer noch eine Rol­le spielt, kehrt das Sys­tem irgend­wann in sei­ne Aus­gangs­la­ge zurück.

Auch ein ein­zel­ner Team­play­er, der sich ganz beson­ders anstrengt, ver­liert irgend­wann sei­ne Kraft und wird in sei­nen Leis­tun­gen dann von dem ande­ren Team mit dann mehr kon­di­tio­nel­len Reser­ven kompensiert.

Das Sys­tem kon­fi­gu­riert sich bei Stö­run­gen also immer so um, dass die Aus­wir­kun­gen der Stö­rung mini­miert werden.

Das Digitale als Störung

Das Digi­ta­le ist eine Stö­rung im (Schul-)System, mit der es (noch) nicht gut umge­hen kann. Mit dem Digi­ta­len ist – genau wie z.B. mit einem beson­ders enga­gier­ten Spie­ler – oft die Hoff­nung auf eine Sys­tem­än­de­rung ver­bun­den. Das Sys­tem sucht aber nach Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten – nicht aus Bos­haf­tig­keit, son­dern weil genau das sei­ne Natur ist. Typi­sche Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten sind:

  • Ver­bo­te
  • In mei­nen Augen viel schlim­mer: Über­tra­gung ana­lo­ger Arbeits­for­men in den digi­ta­len Raum

Es gibt m.E. kei­nen Mehr­wert, statt eines Schul­hef­tes ein Blog zu füh­ren, solan­ge man die ver­än­der­ten kol­la­bo­ra­ti­ven Mög­lich­kei­ten des Blogs (z.B. Peer-Review, asyn­chro­ne Feed­back­pro­zes­se etc.) nicht nutzt.

Komplexitätsreduktion

Das Sys­tem von oben ist unglaub­lich sim­pli­fi­ziert, da es nur eine Sor­te an Bäl­len gibt und das Spiel ziem­lich ein­fach struk­tu­riert ist. Es könn­te ja z.B. auch so sein, dass ein jedem Feld Beu­tel mit bestimm­ten Anzah­len ver­schie­den­far­bi­ger Bäl­le gepackt wer­den müs­sen, die man dann ins geg­ne­ri­sche Feld wirft, wo dann die Beu­tel wie­der­um umsor­tiert zurück­ge­wor­fen wer­den. Dann ist die Sys­tem­kon­stan­te nicht mehr durch ein ein­fa­che Zäh­lung bzw. Quo­ti­en­ten­bil­dung zu bestim­men, son­dern viel­leicht durch sowas hier:

    \[ K\textsubscript{(Ausstattung, gesellschaftliche Anerkennung)}=\frac{Ressourcen^4 \cdot Reformabwehr}{Innovationsf{\"a}higkeit \cdot Selbstschutz} \]

Wenn ich in die­sem nicht zuen­de gedach­ten Bei­spiel z.B. die Res­sour­cen erhöh­te, wächst eben der Selbst­schutz­fak­tor zur Kom­pen­sa­ti­on. K selbst bleibt kon­stant – die Aus­wir­kung der „Stö­rung“ ist minimiert.

Man tut aber oft so, als wür­de sich durch Kon­zep­te, die einen bestimm­ten Bereich beackern, irgend­et­was Sub­stan­ti­el­les ändern. Damit ver­kennt man in mei­nen Augen die Kom­ple­xi­tät und die Kom­pen­sa­ti­ons­kom­pe­tenz des Sys­tems vollkommen.

Wenn ich z.B. über eine Prä­sen­ta­ti­ons­lö­sung Arbeits­blät­ter vom Platz der Schü­ler aus­fül­len und prä­sen­tie­ren las­se, mache ich ja nichts Neu­es, son­dern ledig­lich etwas Ana­lo­ges 1:1 digi­tal. Die Denk­wei­se hin­ter dem Arbeits­blatt ändert sich dadurch ja nicht – es wird halt nur etwas beque­mer und ver­spiel­ter im Klas­sen­raum. Die Aus­stat­tung wird ver­bes­sert, aber ande­re Din­ge regu­lie­ren sich dann ein­fach anders ein.

Was tun?

Ein­stein soll angeb­lich gesagt haben:

Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.

Wenn Schu­le sich ver­än­dern soll, rei­chen alte geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Stra­te­gien wie „Begriffs­bil­dung“, „Beschrei­bung“, „Ana­ly­se“ nicht aus, um den Ver­än­de­rungs­pro­zess nach­hal­tig zu imple­men­tie­ren. Es braucht neue Ansät­ze, auf übri­gens sehr vie­len gesell­schaft­li­chen Ebe­nen, z.B. For­schung dar­über, wie Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se gelin­gen kön­nen, die man bis­her ger­ne dem Sys­tem selbst über­lässt und die­sem dann vor­wirft, es „begeg­ne“ den „neu­en Her­aus­for­de­run­gen“ nicht hin­läng­lich. Wann wird nicht umhin­kön­nen, die beque­me (und risi­ko­lo­se) „Was­ma­nie“ zu ver­las­sen und sich dem „Wie“ zuzu­wen­den. Ich kann mir natür­lich ger­ne ein neu­es Sys­tem wün­schen oder eben mit dem arbei­ten, was nun­mal da ist.

Jubelperser und rhetorische Raubeine

… und dann doch die zu wenig Begeis­ter­ten. (das wird hier ein Rant)

Ich fin­de Dis­kurs ja ganz pri­ma. Wenn die Din­ge auf den Tisch kom­men, ist es oft der ers­te Schritt, um Ver­än­de­rung zu initi­ie­ren. Wenn sich Pro­zes­se aber immer wie­der wie­der­ho­len, muss man sich die Fra­ge stel­len, ob es um Ver­än­de­rung oder um Recht­ha­ben, bzw. die Struk­tur des Dis­kur­ses geht.

Und ich stel­le mir die Fra­ge, was man mit die­ser dort gepark­ten Ener­gie alles anstel­len könnte.

Die Schu­len, mit denen ich so Kon­takt kom­me, inter­es­siert die­se in Rela­ti­on zu ihrem Leben wirk­lich­keits­ent­kop­pel­te Twit­ter- oder Blog­dis­kurs­welt nicht. Selbst wenn die Betei­lig­ten in die­se Sphä­re des Digi­ta­len ein­tauch­ten (sie tun es nicht), wären allen­falls Kopf­schüt­teln und Abwehr die Reak­ti­on. Gut so. Gibt ande­re Sor­gen und Probleme.

Es mag eine Zeit gege­ben haben, in der (Geistes-)Wissenschaft Poli­tik bera­ten hat und nicht nur gehört, son­dern auch teil­wei­se adap­tiert wur­de. Das setzt aber poli­ti­schen Gestal­tungs- und Füh­rungs­wil­len vor­aus und die Fähig­keit, nicht nur die eige­ne klei­ne Welt zu sehen, son­dern die Ver­net­zungs­po­ten­tia­le. Wie ver­brei­tet sind die­se Fähig­kei­ten? Wie stark ist heu­te das „Backend“, wel­ches die Gestal­tungs­wil­li­gen z.B. mit Rechts- und Pro­zess­be­ra­tung unter­stützt, ihnen den Rücken freihält?

(Geistes-)Wissenschaft erkennt m.E. nicht, dass die­se Ära ent­schie­den vor­bei ist – sie ist es, die in ihren Struk­tu­ren ver­harrt – oach, wir machen Stu­di­en (mit teil­wei­se m.E. so aben­teu­er­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen wie: „Beför­dern Tablet­klas­sen den Lern­pro­zess?“) oder schrei­ben elo­quen­te Grund­satz­auf­sät­ze (die dann in Fil­ter­bub­bels durch­ge­reicht und dis­ku­tiert wer­den). Ich mag das ja auch, strei­che aber davon für mei­ne Arbeit gleich 95%.

Der Bedarf aber lau­tet (dar­über kann jam­mern oder es hin­neh­men wie im Früh­ling die Blu­men): „Sage mir, wie ich mir mög­lichst wenig Res­sour­cen den Out­put stei­gern kann!“ Sor­ry, und Pssst! – die­sen Bedarf decken längst andere!

War­um soll ich mich als Poli­ti­ker von „dis­kurs­ver­lieb­ten Social­me­dia­fuz­zis“ lei­ten las­sen? Mei­ne größ­te Wäh­ler­grup­pe sind nicht die Fami­li­en. Kin­der und Jugend­li­che schon gar nicht.

Ganz neben­bei machen sich Schu­len – so ganz extrain­ter­ne­tis­tisch – mit ganz ande­ren Moti­va­tio­nen auf den Weg. Da geht es oft zunächst um Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zes­se. Tech­nik hilft dabei. Meta­ge­sei­er über poten­ti­el­le tech­ni­sche Poten­tia­le zunächst ganz viel weni­ger. Was danach kommt – mal sehen. Meist kom­men Ideen.

Wir müs­sen gera­de ganz stark dar­auf auf­pas­sen, hilf­rei­che Metho­den wie Pro­jekt­ma­nage­ment nicht in der Wahr­neh­mung der Schu­len abzu­fa­ckeln. Jacket, Schlips und tol­le Foli­en über Qua­li­täts­ma­nage­ment­pro­zes­se tra­gen genau bis zu der Erkennt­nis, dass es für die Umset­zung Res­sour­cen braucht. Die Kom­pe­ten­zen bren­nen ja schon lich­ter­loh. Die Inklu­si­on schwelt bereits kräftig.

Das Ziel könn­te ja hei­ßen: Bes­se­re Bil­dung und gerech­te­rer Zugang zu ihr. Ist das nicht die Gemein­sam­keit? Und auch ich ertra­ge iPads. Wer mich kennt, weiß: Da kann das mit dem Aner­ken­nen  ande­rer Wege und Schwer­punkt­set­zun­gen doch nicht so schwer sein.

Als Interner das eigene System beraten

Auf dem Edu­Camp in Stutt­gart habe ich bei­läu­fig erwähnt, dass ich an mei­ner Schu­le zwar die IT mana­ge und deren Wei­ter­ent­wick­lung pla­ne, in päd­ago­gi­schen und struk­tu­rel­len Fra­gen aber kei­ne akti­ve Rol­le ein­neh­me – die Reak­ti­on war mehr oder min­der blan­kes Unverständnis:

Es ist doch dei­ne Arbeits­um­ge­bung, es ist dei­ne Schu­le, da bist du doch verantwortlich!“.

War­um das bei mir so ist, erfor­dert eine klei­ne Geschich­te, die nicht von mir stammt, son­dern aus einem Blog einer hoch­sen­si­blen Per­sön­lich­keit.

Ihr seid Bei­fah­rer auf der Auto­bahn, und plötz­lich streikt der Wagen! Es wird rechts ran­ge­fah­ren, der Motor wird abge­stellt, und man steigt aus um zu gucken was los ist…

Du: „Guck mal, der Rei­fen ist platt, den müs­sen wir wechseln!“
Fah­rer: „Oh man, was ist denn jetzt los?“
Du: „Der Rei­fen ist platt, ein­fach mal wech­seln, dann geht’s weiter!“
Fah­rer: „Gera­de eben fuhr der Wagen doch noch“
Du: „Ja, aber jetzt ist der Rei­fen platt! Komm, wir wech­seln den!“
Fah­rer: „Hast DU ’ne Ahnung was los ist? Du bist doch angeb­lich so gut“
Du: „Ja, der Rei­fen! Der muss gewech­selt werden!“
Fah­rer: „Ach Quatsch, was für ein Rei­fen! Ich glau­be der Aschen­be­cher ist voll, viel­leicht liegt’s daran!“
Du: „Nein, es ist der Reifen!“
Fah­rer: „Ich hab gar nicht gemerkt was mit dem Aschen­be­cher los war!“
Du: „Der REIFEN!“
Fah­rer: Du musst ja jetzt nicht laut wer­den, ich such ja schon das Problem!“
Du: „Es ist der gott­ver­damm­te R‑E-I-F-E‑N!“
Fah­rer: „Ich glau­be, ich hät­te den Aschen­be­cher mal vorm los­fah­ren leer machen sollen!“
Du: „…“
Fah­rer: „Hät­test Du mich aber auch mal dran erin­nern kön­nen! Du immer mit Dei­nem blö­den Reifen“
Du: „Es ist aber nun mal der Rei­fen, der Rei­fen, der gott­ver­damm­te Rei­fen! Sieh auf den Reifen!“
Fah­rer: „Mal ehr­lich, glaubst Du es könn­te auch der Rei­fen sein?“
Du: „Ja, ver­dammt noch­mal, das sag ich doch die gan­ze Zeit“
Fah­rer: „Oh man, wer kommt schon drauf dass es der Rei­fen sein könn­te? Hät­test mich aber auch ruhig mal fra­gen kön­nen ob der Aschen­be­cher voll ist, oder nicht… Du inter­es­sierst Dich irgend­wie über­haupt nicht für mei­ne Pro­ble­me… Na komm, jetzt steh da nicht so doof rum, dann wech­seln wir mal den Reifen!“

Quel­le: http://hsp-gedanken.blog.de/2014/10/20/interessierst-gar-19589428/

Die Geschich­te rekon­tex­tua­li­sie­re ich hier ein­mal als Bild. Den Fah­rer gibt es näm­lich nicht. Der Fah­rer ist bezo­gen auf Schu­le immer ein gan­zes Sys­tem. Ein Sys­tem besteht aus vie­len Men­schen und Regeln – vie­le davon heim­lich.

Sys­te­me möch­ten sich und ihre Regeln erhal­ten, weil das Sicher­heit und Bestä­ti­gung schafft. Das ist also nichts per se Böses, son­dern ein völ­lig nor­ma­ler Selbst­er­hal­tungs­re­flex. Abge­schlos­se­ne Sys­te­me sind in beson­de­rer Wei­se davon über­zeugt, dass ihre Regeln und Ver­fah­ren gut und rich­tig sind. Wenn etwas nicht klappt, liegt das aus Sicht des Sys­tems immer schnell am Ver­hal­ten eini­ger weni­ger Men­schen, nie an Struk­tu­ren. Läge es tat­säch­lich an Struk­tu­ren, dürf­te es aus Sicht des Sys­tems das Essen­ti­el­le gar nicht mehr funk­tio­nie­ren. Und das tut es ja. Solan­ge sind ande­re Wahr­neh­mun­gen natür­lich falsch.

Das Wesen von Bera­tung ist für mich aber die Arbeit an Struk­tu­ren. Dabei gibt es eini­ge weni­ge Kernfragen:

  1. Was sind unse­re Strukturen?
  2. Wie erfolg­reich sind wir mit unse­ren Strukturen?
  3. An wel­chem Punkt einer Struk­tur set­zen wir an, damit sich etwas sub­stan­ti­ell verändert?

Im eige­nen Sys­tem bin ich Teil der Struk­tu­ren. Im bes­ten Fal­le sta­bi­li­sie­re ich die Struk­tur gera­de dadurch, dass ich etwas auf­baue, gegen das das Sys­tem sich ver­tei­di­gen muss – und auch wird! Das Sys­tem wird jah­re­lang den Aschen­be­cher rei­ni­gen („Die Wahr­neh­mung des Bei­fah­rers stimmt nicht!“), dann durch einen blö­den Zufall auf den Rei­fen schau­en, um schließ­lich dem Bei­fah­rer vor­zu­wer­fen, er hät­te nicht kon­se­quent genug auf den Misstand hin­ge­wie­sen (Rück­spie­ge­lung: „Du hät­test ja han­deln kön­nen / müssen!“).

Das schließt para­do­xer­wei­se übri­gens nicht aus, dass ein­zel­ne Men­schen in die­sem Sys­tem ganz anders füh­len und den­ken und auch Visio­nen haben, die es für mich mit allem, was ich habe zu stär­ken gilt. Die Umsetz­fä­hig­keit hängt aber in erheb­li­chen Umfang davon ab, ob eine kri­ti­sche Mas­se ent­steht, die neue Struk­tu­ren und Regeln  imple­men­tie­ren kann, die dann fak­tisch nicht nur auf dem Papier in einem Kon­zept ste­hen. Und für mich ist zuneh­mend die Fra­ge, ob das zum jet­zi­gen Zeit­punkt auf demo­kra­ti­schem Wege in ange­mes­se­ner Zeit gelin­gen kann.

Eben­falls auf dem Edu­Camp in Stutt­gart gab es eine Ses­si­on zu sub­ver­si­ver Arbeit. Natür­lich kann ich als Teil des Sys­tems Netz­wer­ke und Ängs­te nut­zen, um Ver­än­de­rung zu initi­ie­ren oder ich kann Orga­ne mit Infor­ma­tio­nen und mei­nem Wis­sen von „Angel­punk­ten“ ver­sor­gen. Das ist dann aber kei­ne Bera­tung, son­dern Mani­pu­la­ti­on. Auch das zur­zeit hoch­mo­der­ne Nud­ging ist für mich im Kern mani­pu­la­tiv. Bei­des klappt umso bes­ser, je eher es dem Sys­tem spä­ter gelingt, die posi­ti­ven Effek­te der ent­stan­de­nen Ver­än­de­rung sich selbst zuzu­rech­nen. Das ist bei sub­ver­si­ven Ver­fah­ren immer mit zu berück­sich­ti­gen, wenn man erfolg­reich sein will. Es hat den Preis, dass man natür­lich dann nicht die Lor­bee­ren erhält. Die bekom­men immer die Trä­ger insti­tu­tio­nel­ler Macht.

Der logi­sche Schritt wäre auf den ers­ten Blick also, sich in insti­tu­tio­nel­ler Macht­po­si­tio­nen zu bege­ben  (z.B. durch Auf­stieg in der Hier­ar­chie im Schul­sys­tem). Damit mei­ne ich nicht die Über­nah­me pri­mä­rer Dienst­leis­tun­gen im Ver­wal­tungs­be­reich, son­dern Posi­tio­nen, die struk­tu­rel­le Gestal­tungs­räu­me bieten.

Das hat sei­nen Preis, z.B. den, dass man immer noch Teil des Sys­tems ist, nun aber in ganz ande­re Zwän­ge hin­ein­ge­rät: Das Sys­tem erwar­tet schließ­lich, dass es wei­ter funk­tio­niert – am bes­ten soll sich nichts ändern. Die Kon­se­quenz muss man tra­gen kön­nen und wol­len. Man wird nur klei­ne Tei­le in sehr klei­nen Schrit­ten bewe­gen kön­nen. Die Arbeit an Hal­tun­gen, die dafür not­wen­dig ist, bleibt immens komplex.

Das kann ich im Prin­zip alles aus­hal­ten. Aber inner­halb mei­nes eige­nen Sys­tems fehlt mir dafür die Geduld. Ich neh­me Din­ge schnell per­sön­lich oder füh­le mich ange­grif­fen – und dahin ist es mit mei­ner Objek­ti­vi­tät und mei­ner Sou­ve­rä­ni­tät in Kon­flikt­si­tua­tio­nen – qua­si der Tod der Sach­ebe­ne. Es gibt schließ­lich eine Geschich­te zu mei­ner Per­son im eige­nen System.

Die­se per­sön­li­chen Impli­ka­tio­nen habe ich als exter­ner Bera­ter für ande­re Schu­len nicht. Der Anspruch einer guten Bera­tung bleibt. Wenn aber Pro­zes­se schei­tern – und das tun sie natür­lich gele­gent­lich – ist mein Name zwar an der betref­fen­den Schu­le „ver­brannt“, aber ich gehe meist trotz­dem gestärkt um Erfah­run­gen aus der Bera­tung in die nächs­te Schu­le. Ich tra­ge Nie­der­la­gen nicht in mei­nem Sys­tem mit mir als Geschich­te her­um. Ich kann in Kon­flik­ten anders bestehen: Weil mei­ne Per­sön­lich­keit im Grun­de nicht bekannt ist, ist es z.B. deut­lich schwe­rer, Kon­flik­te auf eine per­sön­li­che Ebe­ne zu brin­gen, bzw. für mich deut­lich leich­ter, genau das zu erken­nen und „pro­fes­sio­nell“ zu reagie­ren. Maxi­mal ver­lie­re ich ein Sys­tem als Kunden.

Mei­nem Sys­tem wün­sche ich daher immer die Offen­heit für exter­ne Bera­tung, weil allein das neue Per­spek­ti­ven ermög­licht. Ein Sys­tem, wel­ches nur in sich selbst ruht, wird es mit der Ent­wick­lung nach mei­nen Erfah­run­gen sehr schwer haben. Hier und da lässt sich viel­leicht mal eine Schram­me kit­ten, aber eine sub­stan­ti­el­le Ver­än­de­rung wird so eher schwer.

Zum Glück ken­ne ich mitt­ler­wei­le vie­le, sehr kom­pe­ten­te und von mir geschätz­te Men­schen, die ich dafür immer emp­feh­len kann.

Das geht alles nicht und es ändert sich nichts!

Immer noch reden alle von den „10 best apps for edu­ca­ti­on“, immer noch ver­harrt das Schul­sys­tem im bil­dungs­bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­vem Duk­tus, immer noch pas­siert nichts bei der Medi­en­austat­tung der Schu­len, immer noch ist mein Medi­en­be­griff falsch (oder wahl­wei­se nicht weit genug ent­wi­ckelt) und immer noch begreift Poli­tik nicht, wie es eigent­lich funk­tio­niert und immer noch gibt es kei­ne Lösun­gen. Schon schlimm, die­se Welt.

Ich stand letz­te Woche vor der Auf­ga­be, acht Kubik­me­ter Erde und vier Kubik­me­ter Schutt aus dem Haus schaf­fen zu müs­sen. Ich hät­te stun­den­lang dar­über sin­nie­ren kön­nen, wie schlimm das ist – vor allem mit­ten im All­tag in einem bewohn­ten Haus. Aber durch das Sin­nie­ren wur­de die Auf­ga­be nicht klei­ner. Nicht eine Schub­kar­re Schutt fuhr aus dem Haus. Nicht ein Con­tai­ner lie­fer­te sich von selbst.

Mir kom­men die Her­aus­for­de­run­gen im Bil­dungs­sys­tem momen­tan vor wie die­ser Schutt­berg. Ideell, poli­tisch, ideo­lo­gisch.  Ein Hau­fen Anzug­trä­ger und Wis­sen­schaft­ler läuft mehr oder min­der kra­kel­end um ihn her­um: „Schaut her, es ist schlimm, er muss aus dem Haus!“ Es wer­den Vor­trä­ge gehal­ten, Blog­posts wie die­ser geschrie­ben, die immer glei­chen Ste­reo­ty­pe von den bil­dungs­bür­ger­li­chen Ängs­ten und Vor­be­hal­ten gegen­ber digi­ta­len Medi­en beklagt, die immer glei­chen Argu­men­te bemüht. Der Schutt­berg liegt immer noch. Und das liegt natür­lich dar­an, dass ihn kei­ner der Ver­ant­wort­li­chen weg­räumt. Meist, weil die­se halt nicht begrei­fen, dass er weg­ge­räumt wer­den muss. Reden ist eine Hand­lung, Den­ken ist eine Hand­lung. Lei­der küm­mert sich der Schutt­berg einen Scheiß­dreck dar­um und bleibt ein­fach liegen.

Ein schö­ner Rand bis jetzt, aber was macht der Riecken eigent­lich? Ich hand­le nach bestimm­ten Stra­te­gien, die bis­her inso­fern funk­tio­nie­ren, als dass der loka­le Schutt­berg hier vor Ort schwin­det. Lang­sam. Sehr langsam.

  1. Ich habe mich dar­um bemüht, mit einem Teil der Stun­den für ande­re Auf­ga­ben abge­ord­net zu wer­den. Es ist ein Glück, dass das hier in Nie­der­sach­sen mög­lich ist.
  2. Ver­wei­ge­rer im Bereich des Digi­ta­len haben gute Grün­de für ihre Ver­wei­ge­rung. Und ein guter Grund darf auch Selbst­schutz sein. Ein Leh­rer, der anwe­send ist und guten ana­lo­gen Unter­richt macht, ist für mich einem digi­ta­len Flip­pie vor­zu­zie­hen, der unter sei­nen Enga­ge­ment zusam­men­bricht oder durch eben­die­ses sel­ten vor Ort ist.
  3. Ich arbei­te poli­tisch. Ich hel­fe Schul­amts­mit­ar­bei­tern, Vor­stel­lun­gen im ent­schei­den­den Gre­mi­um zu prä­sen­tie­ren oder rede dort selbst. Ich knüp­fe Ban­de mit poli­tisch akti­ven Men­schen. Ich hal­te Poli­tik für eine anspruchs­vol­le Auf­ga­be und bewun­de­re Men­schen, die die­se Auf­ga­be wahr­neh­men. Ich bewun­de­re dabei nicht jede Ein­stel­lung und Hal­tung. Und das sage ich auch bei­des: Das eine wie das andere.
  4. Ich stel­le Schu­len selbst mit mei­nen Hän­den auf zeit­ge­mä­ße­re Tech­nik um. Von der Hard­ware­emp­feh­lung bis zur Raum­aus­stat­tung. Ich habe mir über Jah­re ein klei­ne­res Netz­werk aus Fir­men und Händ­lern dafür auf­ge­baut. Men­schen rufen mich an, wenn sie unsi­cher sind. Ich kann mich dar­auf ver­las­sen, dass die Arbeit fach­ge­recht erle­digt wird und von mir ver­zapf­ter Stuss auch direkt the­ma­ti­siert ist.
  5. Ich habe Geduld und ertra­ge auch her­be Rück­schlä­ge, die es dabei gibt. Das ist so im Leben. Ins­be­son­de­re ist es so in beamti­schen Strukturen.
  6. Ich bera­te und schu­le nicht mein eige­nes Sys­tem. Ich ent­schei­de und bestim­me dort in Hard­ware- und Netz­werk­fra­gen, stel­le Fra­gen, äuße­re Struk­tur­ideen, höre Bedar­fe und habe eine Ziel­vor­stel­lung vom Netz­aus­bau und der Medi­en­aus­stat­tung. Ich orga­ni­sie­re ger­ne exter­ne Bera­tung und Schu­lung, wenn die­se gewünscht und ange­for­dert wird. Ich unter­stüt­ze Kol­le­gen, die etwas zu orga­ni­sie­ren haben tech­no­lo­gisch mit geeig­ne­ten Sys­te­men. Die­ser Punkt mit dem eige­nen Sys­tem ist für mich sehr wich­tig. Ins­be­son­de­re die­se kla­re Grenz­zie­hung. Wenn Kol­le­ge z.B. das SMART­Board so nutzt, dass er einen Zet­tel unter den Pre­sen­ter legt und dar­auf sein Tafel­bild malt, dann ist das so.
  7. Ich ent­wick­le mich wei­ter. Ich ler­ne dazu. Ich blei­be nicht bei einer Stra­te­gie ste­hen, son­dern hin­ter­fra­ge ihre Wirk­sam­keit spä­tes­tens nach 1,5 Jah­ren. Die Wirk­sam­keit der Rede und des Den­kens war bis­her im Hin­blick auf den Schutt­berg eher ein wenig schlecht bis mies.
  8. Ich tei­le Ideen und Stra­te­gien, z.B. hier im Blog, aber auch mit Fir­men. Ich tei­le sie noch so, dass dar­aus für mich kei­ne Ver­bind­lich­kei­ten oder Ver­pflich­tun­gen erwach­sen. Wenn Geld fließt, ent­ste­hen immer die­se Verbindlichkeiten.
  9. Ich bedie­ne außer hier mit die­sem Blog und ein wenig auf Twit­ter kei­ne Öffent­lich­keit. Wenn eine Öffent­lich­keit bedient wer­den muss, bin­det das Resour­cen, die mir hier vor Ort feh­len wür­den. Die Erfol­ge hier in der Regi­on sind für mich der Motor. Aus ihnen ent­ste­hen die ein­zig für mich wich­ti­gen Wäh­run­gen wie Ver­trau­en oder das Gespräch beim gemein­sa­men Bierchen.

Das Schutt­berg­bei­spiel hinkt. Dafür könn­te man sich näm­lich durch­aus Dienst­leis­tun­gen ein­kau­fen. Im Bereich des Digi­ta­len muss man die­se Dienst­leis­tun­gen vor allem in der Flä­che erst noch ent­wi­ckeln oder sogar selbst erbrin­gen. Das wird irgend­wann ein­mal anders sein. Viel­leicht wenn genug gere­det und sin­niert wor­den ist.

 

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