Baufehler des Digitalpakts
Dominik Schöneberg hat schöne Artikel rund um die Problematik beim Digitalpakt geschrieben. Durch Twitter und die Medienlandschaft gehen gerade Artikel, die vorrechnen, wie viel Geld die einzelnen Bundesländer bisher aus dem Digitalpakt abgerufen haben. Da das alles nach langläufiger Meinung viel zu wenig ist, wird der Fehler im komplizierten Antragsverfahren gesehen und nach Vereinfachung gerufen, damit „Gelder schneller fließen“.
Ich möchte gerne dafür argumentieren, dass dieser Ruf absolut schädlich für das Thema Bildung ist. Ich bin frustriert, weil sich nach meiner Meinung eine durch die Bank schlechte Recherchequalität selbst von „Qualitätsmedien“ hier fortsetzt. Ich generalisiere hier, weil ich bisher wirklich nichts aus meiner Sicht Brauchbares oder Differenziertes gelesen habe.
Der Digitalpakt hat Baufehler. Dieser deckt sich strukturell mit dem für mich wahrnehmbaren aktuellen Journalismus zum Thema Digitalpakt: Man hat nicht sorgfältig auf die andere, große Seite des Digitalpaktes geschaut: Den Schulträger.
Baufehler 1: Konzept für Selbstverständlichkeiten
Der Digitalpakt unterscheidet in der Bund-Länder-Vereinbarung nicht zwischen Infrastruktur und Endgeräten: Beides muss eine Schule in technisch-pädagogischen Einsatzkonzepten“ oder ”Medienbildungskonzepten“ begründen. Aber wie begründe ich die Notwendigkeit von Straßen und Schienen, wenn ich mich zwischen Orten mit Verkehrsmitteln bewegen können will? Infrastruktur wird immer benötigt und ist in meinen Augen pädagogikneutral. Spannend wird es eigentlich erst bei der Auswahl von Präsentationssystemen und Endgeräten – da sehe Schulen in der Pflicht, sich Gedanken zum Einsatz zu machen, damit sich die Geschichte der beamergestützten Whiteboardlösungen aus vorangegangenen Konjunkturpaketen nicht wiederholt. Und man hätte die Zeit, die der Aufbau von Infrastruktur benötigt, gut dafür nutzen können, um sich darum Gedanken zu machen. So sind die Schulen schon vorab dazu gezwungen. Meine Befürchtung geht dahin, dass nun Konzepte für den Leitzordner entstehen, die ähnlich wie Hygienepläne oder Methodenkonzepte in der Schule nicht gelebt werden können. Dazu bräuchte es prozessorientierte Ansätze und stetige vernetzte Weiterentwicklung – das Netz wird die nächsten Jahre auch nicht ruhen.
Meine Lösung: Ich stelle Schulen für diesen Punkt Musterformulierungen bereit. Aber nur für diesen.
Baufehler 2: Der Digitalpakt als Einmalfeuerwerk
Der Digitalpakt versteht sich als eine einmalige Anschubfinanzierung. Aber es besteht ein kontinuierlicher Bedarf an finanziellen und personellen Ressourcen in den nächsten Jahren. Mit einem isolierten politischen Zeichen ist es nicht getan. Es braucht eine konzeptionelle Verstetigung.
Die Träger sind natürlich vorsichtig mit Investitionen, weil sie Folgekosten fürchten und damit Recht haben.
Meine Lösung: Ich berate zunächst(!) ganz stringent in Richtung digitale Infrastruktur. Die kostet im Betrieb wenig, in der Planung viel. Endgeräte sind vorerst nett. Ohne Infrastruktur sind sie totaler Mist.
Baufehler 3: Die alleingelassenen Träger
Mit der konkreten Umsetzung stehen die Träger alleine da. Ausschreibungen, Leistungsverzeichnisse, die Gewährleistung von Support u.v.m. sind hier die Herausforderungen. Aufgrund tariflicher Vereinbarungen sind Träger gegenüber der freien Wirtschaft bei der Gewinnung kompetenter IT-Mitarbeiter im Nachteil. Das Arbeitsumfeld Schule ist zudem nur für wenige ITler attraktiv – zu wenig strukturiert gewachsene IT-Landschaften, sehr anspruchsvolle Lehrkräfte und sehr individuelle Anforderungen gilt es zu konsolidieren. Da sind erhebliche kommunikative Konsequenzen erforderlich. Entsprechend angespannt ist die Bewerberlage und entsprechend hoch die Fluktuation.
Meine Lösung: Gibt es nicht. Hier müssen die Träger fachliche Unterstützung erfahren. Niedersachsen hat Standards für IT-Infrastruktur veröffentlicht. Den dort formulierten Anspruch habe ich mit zu vertreten. Die Vorgaben nützen aber nichts, da sie in individuelle Leistungsverzeichnisse und Ausschreibungsunterlagen überführt werden müssen. Hier braucht es Erleichterungen. Im ländlichen Bereich ist es üblich, dass Mittelständler vor Ort Schulen betreuen. Sobald diese aber in Planungen involviert sind, dürfen sie sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen. Es gibt aber oft in der Fläche nicht mehr Kompetenz als diese Mittelständler. Also muss ich Gemeinden raten, den langen Weg über Planungsbüros zu gehen, obwohl man es im Kleinen vor Ort besser lösen könnte. Das erzeugt immense Transaktionskosten und Verzögerungen und Mittelabfluss zum Planer.
Baufehler 4: Die (eigentlich) unlösbare Aufgabe der Lehrkräftequalifikation
Momentan ist so gut wie keine Phase der Lehrerausbildung inhaltlich oder methodisch hinreichend an eine Schule im Zeitalter der Digitalisierung angepasst. Die Lehrkräfte, die die Ausbildung mit hinreichenden Kompetenzen verlassen, haben diese in großen Teilen autodidaktisch erworben. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit für eine Qualifikation ja nicht nur für Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung, sondern für sämtliche Lehrkräfte im deutschen Bildungssystem. Genau wie bei den IT-Supportkräften stellt sich hier schnell die Frage, wer das in diesem gewaltigen Umfang momentan leisten soll. In einigen Bundesländern scheint man dem Mut der Verzweiflung auf Blended-Learningangebote im Internet zu setzen. Multiplikatoren entwickeln Onlinekurse, in den dann im günstigsten Fall ein Rahmen für die Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden gesetzt wird. Verschärfend kommt hinzu, dass Schule Menschen lange Zeit einen Schutzraum geboten hat: Sie können heute noch VHS-Kassetten weitgehend problemlos in einer Schule abspielen. Allein die Ankündigung, dass auch die DVD auf Dauer verschwinden wird, kann an mancher Schule viele Lehrkräfte immer noch erheblich irritieren. Auch das ändert sich, jedoch immer noch langsamer als der technologische Fortschritt mit seiner engen Verflechtung mit kulturellen Veränderungen. Wir stehen wieder einmal mehr vor einer beispiellosen Situation.
Meine Lösung: Corona hat hier viel verändert und ermöglicht Dinge, die ich bisher nicht für möglich gehalten hätte. Im Team mit der Medienberatung, eingekauften Fortbildungsangeboten und den Kompetenzzentren haben wir in der Ferienzeit über 4000 Lehrkräfte erreicht. Die Initiative geht hier in Niedersachsen weiter und wird in über 1000 staatlich getragenen Angeboten münden. Schon in der kurzen Coronazeit hat sich enorm viel getan.
Das Nadelöhr im Digitalpakt sind die Träger, weil man sie nicht angemessen mitgedacht hat. Wenn man jetzt von Grundprinzipien wie „Infrastruktur zuerst“ (und parallel dazu Begleitung, Schulung und Gedanken zum Lernen mit und über Medien) abweicht, hilft man Trägern natürlich auch: Endgeräte auszuschreiben ist pillepalle. Dann noch schön die Auflagen für die Schulen lockern, dass sie ohne gedankliche Vorbereitung Tablets in Mengen beschaffen können (so hätte es ja auch gerne der Philologenverband) und wir sind wieder im Jahre 2009 bei den gescheiterten kommunalen Konjunkturpaketen angelangt. Das ist das vorhersehbare Ergebnis von Forderungen nach „Vereinfachung des Antragsverfahren“.
Was Trägern und Bildung gleichermaßen helfen würde sind Änderungen bei Ausschreibungs- und Vergabeverfahren – das dürfte aber EU-Recht betreffen. Was Träger weiterhin helfen würde, sind Qualifierungsangebote für Mitarbeiter:innen oder besser: Ein Bus voller toller Leute, die vor dem Rathaus aussteigen und den Digitalpakt rocken und gegenfinanziert werden. Solange diese Busse nicht fahren, wird es eben langsam gehen. Aber besser so als die zweite Welle interaktiver Tafelsysteme oder (klischeehafte) Tabletklassen, in denen (klischeehaft) PDF-Dokumente mit Applepencils ausgefüllt werden.