Die Ausbildungsseminare in Niedersachsen haben es zurzeit nicht gerade leicht: In ca. 1,5 Jahren sollen sie bereits Output in Form frischer Lehrkräfte für die Schulen liefern. Die Referendare haben von Anfang an eigenverantwortlichen Unterricht zu erteilen – früher gab es eine Art Schonfrist von einem halben Jahr, in dem der junge Kollege bzw. die junge Kollegin einfach schauen und experimentieren konnte. Auch neu ist, sämtliche Prüfungen für das 2. Staatsexamen an einem Tag durchziehen zu müssen.
Bei mir in Schleswig-Holstein war das damals alles auch so – nur gab es einen zweijährigen Vorbereitungsdienst und an der Schule Mentoren, die mir fest zugeteilt waren, dafür etwas Entlastung bekamen und in der Prüfung auch Stimmrecht besaßen. Das waren zusammen mit dem Schulleiter der Ausbildungsschule immerhin drei von sieben Stimmen. Grundsätzlich war dort die Arbeit als Fachleiter in einem Seminar mit einer Beförderungsstelle mit entsprechend formalisiertem Auswahlverfahren verbunden.
Die Referendare werden hier in Niedersachsen in der Ausbildungszeit schwerpunktmäßig von ihren Fachleitern betreut – die für diese Arbeit m.E. alles andere als eine angemessene Entlastung erhalten, wenn sie als sogenannte „Mitwirker“ fungieren. Ein Mitwirker hat entsprechend der Anzahl der von ihm betreuten Referendare ein gewisses Deputat an Entlastungsstunden. Eine Entlastung für die begleitenden Kollegen an der Schule ist nicht vorgesehen. Das ist bei uns Teil der Dienstverpflichtung.
Das Bild des Fachleiters von der auszubildenden Lehrkraft ist demnach systembedingt ein äußerst punktuelles, allerdings kommen die hiesigen Fachleiter immerhin ein wenig öfter in den den Unterricht der Referendare als meine „damals“.
Die Referendarszeit prägt, die sie sich in der Schwebe von Anpassung und bestenfalls Widerstand bewegt. Von der Beurteilung der Fachleiter hängt in sehr extremen Maße ab, inwieweit ein Mensch seinen angestrebten Beruf auch ausüben kann. Nach einem doch recht langem Fachstudium ohne richtigen akademischen Abschluss besteht da doch ein „gewisser“ Druck (Staatsexamen – was soll das in der Wirtschaft sein?). Inwieweit die Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem hier Entlastungen bringt, vermag ich nicht zu beurteilen. Im schlimmsten Fall sind die Erfahrungen in der Referendarszeit so massiv, dass sie den Umgang mit Autorität für die gesamte Dienstzeit prägen.
Ich erlebe die Ausbildungsseminare jetzt natürlich nur noch aus der Sicht eines betreuenden Lehrers. Bei Beförderungsbesuchen bin ich hin und wieder auch noch selbst Besprechungssituationen ausgesetzt. Eigentlich sollte die regelmäßige Überprüfung meiner Arbeit durch eine externe Instanz selbstverständlich sein – immerhin geht es dabei ja auch um viele andere Menschen, deren Lebenschancen ich beeinflusse.
Bei der Besprechung von Unterricht durch Fachleiter erlebe ich immer wieder Dinge, die aus meiner Sicht gravierende Mängel darstellen, die mich als gestandenen Kollegen nicht sonderlich tangieren, für die „Prägung“ eines Referendars jedoch fatal sei können. Einige der m.E. schlimmsten nenne ich hier stellvertretend:
Fehlende Orientierung an curricularen Vorgaben
Immer wieder erlebe ich in Besprechungen, dass selbige sich nicht am Kompetenzbegriff orientieren, bzw. das Wort „Kompetenz“ nicht einmal außerhalb des Lehrprobenentwurfes Anwendung findet. Man kann zum Kompetenzbegriff stehen wie man will – er ist eine wesentliche Vorgabe der Curricula. Diese wird oft dadurch „erfüllt“, dass man den Referendar zwar nötigt, in seinem Entwurf Kompetenzen auszuweisen, die in der tatsächlichen Stunde relevanten Kompetenzen jedoch allenfalls auf der fachlichen Ebene thematisiert. Hierbei scheint es primär um Bewahrung zu gehen, was den Aufgaben eines Ausbildungsseminar diametral entgegenläuft. Man vermittelt dem Referendar implizit, dass man sich z.B. als Kommission nicht an Regeln halten muss, als Referendar schon. Der Kompetenzbegriff wird bald tot sein und wahrscheinlich durch den Begriff des Prozesses ersetzt werden. Was konstant bleiben wird, ist die durch den Kompetenzbegriff in der Vor-Bertelsmann-Ära intendierten Veränderungen der Haltung.
Verfehlte Kommunikationsstrategien
Jedes Ausbildungsseminar, das mir bekannt ist, vermittelt die Werte der direkten Kommunikation. Ein Schüler soll nicht sagen: „Petras Text ist…“, sondern „Petra, an deinem Text gefällt mir…“. Ich habe noch nie eine Besprechung von Fachunterricht erlebt, in der der anwesende und gegenübersitzende Referendar nicht über einen längeren Zeitraum in der dritten Person „angesprochen“ wurde. „Die Lehrkraft hat <lobendes Satzadjektiv> reagiert!“ – lieb gemeint, aber eine kommunikative Vollkatastrophe, insbesondere wenn es aus dem Mund von Pädagogikfachleitern kommt – und das ist mir mehr als einmal passiert.
Heimliche Regeln
Ich erlebe immer wieder, dass Stunden besprochen werden, wie man sie hätte machen können und nicht Stunden, wie sie im Entwurf stehen (hin und wieder scheint auch der Entwurf selbst nicht hinreichend präsent zu sein). Man kommt zwar selten zu einem anderen Ergebnis, mit der abschließenden Benotung wäre ich oft einverstanden gewesen, nicht jedoch mit der Begründung. Man kann den Spieß ja auch umdrehen: Wenn man eine Stunde hätte anders machen können (und das kann man immer), so hat der ausbildende Fachleiter entweder auf voller Linie versagt oder seine Kriterien für eine gelungene Stunde im Vorwege nicht hinreichend transparent gemacht. Die Kunst als betreuender Kollege besteht oft darin, die heimlichen Regeln des Fachleiters herauszufinden. Typische heimliche Regeln, die ich erlebt habe, sind z.B.
- Jede Stunde muss Form und Inhalt gleichermaßen berücksichtigen. Es gibt keine Begründung für ein anderes Vorgehen.
- Epische Texte dürfen nicht in der Form einer szenischen Interpretation erschlossen werden – das dürfen nur Dramen.
- Die Sicherung muss in der Stunde selbst erfolgen. Es gibt keine Begründung, die ein anderes Vorgehen rechtfertigt.
- Die Notierung von Einheiten hat streng nach IUPAC-Regeln zu erfolgen, z.B. [mL] und nicht [ml]
- […]
Um mit einem Referendar eine Stunde zu bauen, die zu den heimlichen Regeln eines Fachleiters passt, muss man den Fachleiter leider mindestens vorher bei einer Besprechung erlebt haben. Das ist organisatorisch oft schwierig. Wenn mir die Regeln zu heimlich sind, frage ich sie auch schonmal aus dem Fachleiter heraus. Das ist bloß meist recht unangenehm – weil diese Regeln oft nicht reflektiert sind – deswegen ja auch heimliche Regeln.
Verfehlter Einbezug des Entwurfs
Ein Lehrprobenentwurf ist ein umfassende schriftliche Leistung, die zudem hohe Anforderungen an sprachliche Verdichtung und Prägnanz stellt. Er ist aufgrund der enormen Arbeit, die in einem Entwurf steckt, gesondert zu benoten und vor der Benotung einer Lehrprobe zu einem festen Prozentzsatz einzurechnen. Das gebietet die Wertschätzung, nicht die Prüfungsordnung. Das wird generell nicht gemacht und als Grund genannt: „Man muss sich die Note offen halten.“ Entlarvend, oder? Implizit gibt man damit zu, dass eine Stunde nur begrenzt planbar ist und ein guter Entwurf nicht zwingend eine gute Stunde nach sich zieht. Relativ sicher scheint mir, dass schlechte Entwürfe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schlechte Stunde führen werden. Implizit gibt man aber damit zu, dass man sich selbst nicht zutraut, schwere Planungsfehler im Vorfeld einer Stunde zu erkennen. Umgekehrt ist es für den Prüfer viel leichter: „Das ging schief und dieser Fehler ist ja auch schon im Entwurf angelegt!“. Börse ist zwei Tage später auch immer einfach. Das, was ich mir zutraue, darf ich von anderen erwarten.
Fazit
Ich habe auch ausgezeichnete Stundenbesprechungen erlebt, die zeigen, dass Fachleiter und Seminare hervorragend und transparent arbeiten können. Aber das ist nicht selbstverständlich. Deswegen sollten zwingend auch die Ausbildungsseminare m.E. inspiziert und evaluiert werden – genau wie eine Schule. Die Kriterien müssten wahrscheinlich gar nicht so viel anders sein.