Arbeit an Strukturen
Schon vor den Sommerferien ergab sich auf Twitter eine für mich sehr interessante Fragestellung. Kern war die Diskussion, inwieweit Arbeit an Strukturen außerhalb der eigenen Person sinnvoll und möglich ist. Ich habe diese Frage auch noch einmal auf einer SchiLF aufgeworfen. Ich gebe eine paar Statements aus beiden Quellen wieder, die ich nur sinngemäß zusammenfasse:
„Verändern kannst du dich nur selbst. An den Strukturen, die dich umgeben, arbeitest du dich kaputt.“
„Wenn du für dich sorgst, dann haben du und deine SuS viel gewonnen.“
„Wenn immer mehr Menschen so denken und handeln, dann wird sich auf lange Sicht auch die Struktur verändern.“
[…]
Dahinter steckt ja eine Haltung, aber eben auch eine Erfahrung mit dem bestehenden System. Es geht nicht mehr um „Bildung hacken“, sondern offenkundig – sehr überspitzt formuliert – um die Schaffung individueller Wohlfühlblasen – Stress und Anfeindungen gibt es im System ja wahrlich schon genug.
Ich halte das für eine Kapitulation. Und ich halte das für eine Aufgabe eines solidarischen Prinzips. Meine Wohlfühlblase nützt nämlich einem Gegenüber ggf. gar nichts, weil es u.U. nicht einmal mehr in der Lage ist, von mir die Struktur „Aufbau einer Wohlfühlblase“ zu übernehmen. Selbst wenn, würde dann irgendwann die Anforderung von Links zwischen den Blasen entstehen, wodurch der Stress wieder beginnt. Klar – ich könnte mich selbst jetzt vieler positiver Aspekte meiner existierenden Blase rühmen, aber ich bekomme damit zunehmend Schwierigkeiten.
Man wird mir entgegenhalten, dass der Aufbau von Wohlfühlblasen sowohl ein Recht als auch eine Notwendigkeit ist, um selbst gegen destruktive Einflüsse zu bestehen. Schließlich ist ja nichts damit gewonnen, in selbstzerstörerischen Aktionen im Meer der Selbstausbeutung oder menschenverachtenden Zynismus zu versinken.
Wenn ich mit meinem begrenzten historischen Horizont in die Geschichte schaue, fällt mir aber keine nachhaltige Strukturveränderung ein, die sich in der Wohlfühlzone abgespielt hat, sondern sehr oft waren diese Umwälzungen mit persönlichem Risiko aller Aktiven verbunden.
Daher glaube ich nicht in Ausschließlichkeit an das Konzept
„Wenn viele Menschen an vielen kleinen Orten kleine Dinge tun, wird sich das Gesicht der Welt verändern.“
Aber wie ändert man Strukturen ohne daran zu scheitern?
Zunächst einmal glaube ich, dass das Scheitern selbst eine unausweichliche Nebenwirkung eines solchen Vorhabens ist. Jede Struktur hat aber Schwächen, die sie nur bedingt zu kompensieren vermag. Effizient sind Menschen, die diese Schwächen gezielt finden und ausnutzen können. Was geschieht z.B., wenn sich an Schulen mit Handybenutzungverbot alle SuS ganz offen nicht daran halten?
Ein makabres Musterbeispiel ist in meinen Augen dabei der Terrorismus. Er schafft es mit extrem wenig Ressourcen und gezielten, exemplarischen Schlägen, Gesellschaften zu verändern. Verglichen mit anderen Bedrohungen sind die Todeszahlen bei terroristischen Anschlägen sehr gering. Dennoch wird keine andere Struktur so oft dazu herangezogen, Systemveränderungen im Hinblick auf verringerte Freiheit des Einzelnen zu rechtfertigen und zunehmend auch durchzusetzen. Das schafft in meinen Augen der Terrorismus dadurch, dass er Strukturen der öffentlichen Ordnung bedroht: Mit wenig Aufwand stellt er die Funktionsfähigkeit staatlicher Exekutive in Frage und verringert so das individuelle Sicherheitsempfinden. Damit zerstört er eine funktionsfähige Struktur keineswegs – er greift sie nur partiell in einer sehr destruktiven Art und Weise an – jedoch unglaublich effizient und zwingt sie so zu gravierenden strukturellen Veränderungen. Wer mehr darüber wissen möchte und auch im die dahinerstehenden Gedankengänge, möge sich die entsprechende TNG-Folge anschauen, die genau dieses Phänomen schon weit vor 9/11 thematisiert hat.
Keine Sorge – jetzt kommt nicht der Aufruf, Pflastersteine und Molotowcocktails gegen Verwaltungsgebäude der Kultusbürokratie zu werfen. Jetzt kommt – wie immer – ein fiktives Beispiel, das im Schulalltag so – natürlich – nie, nie vorkommt und an den ich zeigen will, was Arbeit an Strukturen für mich bedeuten kann. Es geht um eine Fachschaft, die etwas für den Unterricht beschaffen möchte. Die Struktur könnte so aussehen:
Mit dem dem „Wohlfühlblasenansatz“ wird sich diese Struktur wieder und wieder wiederholen. Ich persönlich kann mir eine andere Struktur vorstellen:
Arbeit an Struktur bedeutet für mich dann „nichts“ weiter als mir darüber Gedanken zu machen, wie ich Impulse setzen kann, um die eingefahrene, erste Struktur zu verändern, die u.U. natürlich gewachsen ist und auch ihre Berechtigung hat. Das Ändern dieser Beispielstruktur, die keineswegs nur typisch für das System „Schule“ ist, birgt Risiken:
- Es wurde u.U. immer schon so gemacht und ist „demokratisch“ akzeptiert
- Eine Metaebene, d.h. Nachdenken über die eigenen Strukturen tut immer weh, weil sie weniger als Chance, sondern als Kritik internalisiert ist.
- Es wird u.U. als alternativlos im Kontext von Schule gesehen, weil es z.B. kaum „Fachleute“ in ausreichender Zahl gibt
- Fortbildung bedeutet immer Ressourcenaufwand in Form von Aufmerksamkeit und Zeit. Beide Güter sind rar. Der temporäre Mehraufwand wiegt u.U. schwerer als die Perspektive kontinuierlicher Entlastungen bzw. Erleichterungen
- […]
Es gibt also genug Punkte, an denen man bei seinem Vorhaben, diese Struktur zu ändern, scheitern kann, was schon bei diesem kleinen Beispiel zu starken Störungen in der eigenen Wohlfühlblase führt.
Aber ist es effektiv, das in dieser Fom weiterlaufen zu lassen und einfach darauf zu warten, dass mehr Menschen das ähnlich sehen (aber dann auch nicht ihre Wohlfühlblase verlassen)? – wieder sehr überspitzt, klar.
Ich denke, dass jedem in seinem Umfeld Strukturen einfallen, die optimierbar sind. Minimalkonsens: Andere gewähren lassen, die Strukturen verändern wollen und ihnen offen bzw. mindestens neutral entgegentreten. Sie werden ja schon sehen, was sie davon haben, oder?
PS – Workshopidee:
- Strukturen visualisieren, die mich nerven (z.B. mit Flussdiagrammen)
- Gemeinsam mit anderen überlegen, warum diese Struktur genau so ist, wie sie ist – aber allein auf Basis der Visualisierung!
- Gemeinsam mit anderen Schwachpunkte und Ankerpunkte für Veränderungsansätze in dieser Struktur erarbeiten
- Zurück in der Struktur das Erarbeitete ausprobieren
- Gemeinsam auf einem weiteren Treffen die Ergebnisse vorstellen und nachbereiten.