Lehrerdemo am 29. August 2013 in Hannover
Der Philologenverband Niedersachsen ruft gemeinsam mit den anderen Lehrerverbänden im Beamtenbund und der GEW zum Protest gegen im Wesentlichen zwei Maßnahmen der Landesregierung auf:
- Das Deputat für Gymnasiallehrer soll von momentan 23,5 auf 24,5 Unterrichtsstunden angehoben werden
- Die zugesagte Rückkehr zur alten Form der Altersermäßigung ( ab 55 eine Stunde pro Woche weniger, ab 60 zwei) wird gestrichen. Es bleibt bei der jetzigen Regelung (eine Stunde weniger ab 60 bei angehobener Lebensarbeitszeit).
- Die im öffentlichen Dienst von anderen für uns Beamte erstrittenen Gehaltsanpassungen werden erst mit mehrmonatiger Verzögerung angepasst.
Zusatzinfos
Zu 1.)
Dazu muss man einiges wissen: Niedersachsens Lehrkräfte unter 50 haben im Rahmen einer freiwilligen Vereinbarung lange zwei Stunden zusätzlich zu den 23,5 Pflichtsstunden gegeben damit sich das Land die Einstellung neuer Lehrkräften sparen konnte damit sonst drohende Unterrichtsausfälle aufgefangen werden. Die Rückzahlung fiel dummerweise in die Phase der Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren. Deswegen wollte die damalige CDU-Regierung selbige auf die Zeit vor den Pension verschieben, hat dann angesichts der großen Angst vor dem Verlust des heiligen Schulfriedens der stürmischen Proteste von Lehrkräften in Hannover klein beigegeben und sehr flexible Lösungen geschaffen, von denen ich selbst gerade gemeinsam mit meiner Familie ungemein profitiere. Ich bündele diese Auszahlung auf zwei Jahre, in denen ich jeweils acht Stunden weniger unterrichte. Andere lassen sich Betrag auszahlen oder setzen eine gewisse Zeit ganz aus.
Die allermeisten Lehrkräfte bummeln aber pro Jahr zwei Stunden ab, weil sie auf diese Weise ihre angesparten Stunden mit 10% „verzinst“ bekommen. Wer z.B. 18 Stunden angespart hat, darf ein Jahr länger abbummeln, bekommt also eigentlich 20 Stunden zurück.
Genau denen wird jetzt die Arbeitszeit erhöht, die Stunden werden ihnen also quasi zur Hälfte wieder weggenommen.
Zu 2.)
Die bald 55jährigen Lehrkräfte trifft es doppelt hart: Nicht nur, dass sie eine Stunde obenauf bekommen, für sie fällt ja zusätzlich noch die Entlastungsstunde aus Altergründen weg, d.h. de facto arbeiten sie sogar zwei volle Stunden mehr. Diese Gruppe ist dabei gar nicht mal so klein.
Der Philogenverband
… argumentiert vor allem auf Basis dieser beiden Fakten. Dabei ist blöd, dass Niedersachsen über Jahre eine der bundesweit geringsten Unterrichtsverpflichtungen für Lehrkräfte am Gymnasium hatte, d.h. eine Erhöhung der Arbeitszeit wird in der öffentlichen Wahrnehmung als gerechtfertigt, wenn nicht sogar als überfällig angesehen werden.
Vertrauensbrüche soll es auch in Firmen geben. Arbeitslose Führungskräfte (am ehesten mit Lehrergehalt vergleichbar) ab 55 ebenso (selbst im öffentlichen Dienst würden mir Bereiche einfallen, in denen deutlich mehr als 40 Stunden bei weitaus weniger Gehalt gearbeitet wird). Einen so sicheren Arbeitsplatz gibt es sonst nirgendwo.
Das rechtfertigt alles nichts. Aber es ist wahrscheinlich das, was in der Öfffentlichkeit erfahren und gefühlt wird.
Und da ist genau das Problem, wenn man sich auf diesen Punkt konzentriert und ihn in den Mittelpunkt einer Demonstration stellt. Sachargumente wie die fast unögliche Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern (Niedersachsen hat z.B. eine vergleichweise hohe Korrekturbelastung, eine sehr dünne Ausstattung mit Entlastungsstunden für besondere Aufgaben an der Schule und einen deutlich schlechteren Schlüssel für Funktionsstellen als andere Bundesländer) werden genau hinter dieser öffentlichen Wahrnehmung zurücktreten – von der alleingelassenen eigenständigen Schule mal ganz abgesehen.
Ich tippe auf das hier als Ergebnis:
Ihr Gymnasiallehrer leistet euren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Dafür müsst ihr an ein bis zwei Stellen halt weniger Arbeiten korrigieren. Dazu senken wir den Regelfall der zu schreibenden Klassenarbeiten um eins ab. Die Deputatserhöhung ist angesichts der in anderen Bundesländern zu erbringenden Arbeitsleistung zumutbar.
Langzeitfolgen
Zwei Dinge, auf die sowohl die GEW als auch die Lehrerverbände im Beamtenbund hinweisen, machen mir tatsächlich viel Sorge: Zusagen, die politisch gemacht werden, haben offenbar nicht unbedingt verbindlichen Charakter, selbst wenn Zusage und Zurücknahme der Zusage wie hier in Niedersachsen in die Amtszeit der gleichen Koalition (Rot/Grün) fallen. Strenggenommen ist die Zusage ja natürlich eingehalten – jedoch dürfte die Wahrnehmung in der Lehrerschaft eine andere sein. Das macht das Verhandeln zukünftig nicht unbedingt einfacher.
Weiterhin wird es natürlich für Gymnasien schwer, neue Planstellen zu bekommen. Ein großes Kollegium mit 80 Personen „erwirtschaftet“ durch die Arbeitszeiterhöhung 80 Unterrichtsstunden – das sind mehr als drei Vollzeitstellen, die bei gegebenem Klassenschlüssel durchaus zu der Notwendigkeit von Abordnungen oder gar Versetzungen führen werden. Böse Zungen behaupten, dass das sogar gewollt sei, um Gesamtschulen im Oberstufenbereich mit frischen Lehrkräften zu versorgen. So oder so wird die Verjüngung in den Kollegien durch diese Maßnahme langfristig zumindest gebremst werden.