Was ich im Netz nicht veröffentliche
Die Netztage Springe rücken näher. Im Gegensatz zum üblichen Web2.0‑Optimismus-Sprech wird hier schon in der Ankündigung ein eher düsteres Bild vom Netz mit seinen Wirkungen gezogen, die es auf Gesellschaft und Kultur entfaltet. Ich biete einen Vortrag zum Thema „Die eigene Datenspur ownen“ an – ein Ausdruck, der von Kristian Köhntopp stammt. In diesem Vortrag geht es um Dinge, die ich im Netz mache und Dinge, die ich nicht oder teilweise auch nicht mehr mache. Ich orientiere mich seit Jahren dabei nicht an Aussagen von Socialmedia-Experten, sondern ausschließlich an solchen von Menschen mit solidem technischen Hintergrund. Insbesondere zwei Artikel von Doepfner (kommerzialisiertes Internet) und Lanier (eher pragmatischer Techniker) zeigen eigentlich ganz gut, wo wir nach meiner Ansicht mit dem Netz heute stehen.
Fotos, Videos und aufbereitete Erlebnisse aus meinem familiären Umfeld
Ich habe fünf Kinder und versuche trotz meiner beruflichen Einbindung es so hinzubekommen, dass ich das nicht nur nach außen sage und tatsächlich meine Frau die Kinder dann „hat“. Das ist nicht immer leicht und auch der Hauptgrund dafür, dass man mich eher selten auf Barcamps antrifft. Familienleben findet eben oftmals geballt am Wochenende statt, da will ich dann da sein.
Philippe Wampfler hat pointiert und hervorragend argumentiert, warum Fotos und Videos von den eigenen Kindern im Netz nichts verloren haben. Die Diskussion zu diesem Artikel ist absolut lesenswert.
Aber auch Geschichten aus meinem familiären Alltag sind für mich absolut tabu für die Veröffentlichung. Dabei zählen gerade solche Blogs und solche Blogs zu meinen Favoriten. Beide Autorinnen ind sich nach meiner Meinung der Grenzen und Probleme ihrer Inhalte sehr bewusst und bewegen sich sehr kompetent in diesem Spannungsfeld. Ich lerne sehr viel von beiden und es macht Spaß, die Texte zu lesen.
Für mich gehören solche Dinge jedoch in kleinere Kreise, aber auch in Vorträge, die ich halte und deren Aufzeichnung ich genau deswegen nicht wünsche. Ich schlage für mich und meine Geschichten da mehr „soziales Kapital“ heraus – wenn man das so kapitalistisch überhaupt sagen kann. Das Gesagte ist flüchtig, das Digitalisierte nicht zwangsläufig.
Mir ist sehr bewusst, dass dadurch ein recht distanzierter Eindruck meiner Person im Netz entsteht. Aber genau das ist so gewollt und vielleicht auch Teil einer Inszenierung, die sich natürlich strukturell nicht von der Selbstdarstellung vieler Menschen in sozialen Netzwerken unterscheidet, nur dass diese bei mir eben sehr kontrolliert abläuft.
Anekdoten und „Produkte“ aus dem Schulleben
Martin Klinge ist der Prototyp eins Bloggers, der Außenstehenden humorvoll, kritisch und oft auch sehr mutig Einblicke in die Welt der Schule ermöglicht. Er hat viele Leser, überregionale Aufmerksamkeit und doch schon so manches Mal aus technischen Gründen sein Blog fast geschlossen – Mensch Martin :o)… Ich war eine zeitlang in dem Bereich auch offener, hatte aber ein bestimmtes Erlebnis mit einem Artikel, der bis heute zu den populärsten dieses Blog gehört. In der Diskussion dazu haben mir Schülerinnen und Schüler gezeigt, dass das Entscheidende nicht meine Interpretation von Anonymisierung ist, sondern das, was Außenstehende wiedererkennen wollen. Gerade Schülerinnen und Schüler in der Pubertät können hier eben nicht immer abstrahieren. Ich hatte das Glück, die Sache direkt klären zu können – andernfalls wäre schultypisch ein Leiche mehr im Keller gewesen.
An Produkten von Schülerinnen und Schülern kann ich rein formal kein Veröffentlichsrecht bekommen. Andererseits finde ich didaktisch-methodische Beschreibungen ohne Belege für eine gewisse inhaltliche Qualität immer schwierig. Dilemma. Herr Rau hatte mal Schülerinnen nund Schülern einen Euro für das Veröffentlichungsrecht gezahlt. Ich selbst habe mit Einwilligungserklärungen der Eltern herumfuhrwerkt. Schlussendlich mache ist das heute nicht mehr.
Ein absolutes NoGo sind auch Erlebnisse mit Kolleginnen und Kollegen. Frl. Rot hat ihr Blog aus Gründen schon privat gemacht, Frl. Krise schreibt auch viel über die Lehrerschaft. Auch diese beiden Blogs lese ich schon ganz gerne, aber stets auch mit einer bedingt voyeuristischen Motivation. Mein persönliches NoGo hat damit zu tun, dass es mein Job ist, Schulen und Lehrkräfte für die Möglichkeiten und Potentiale des des Netzes zu öffnen. Würde bekannt, dass ich das Netz selbst verwende, um bestimmte Dinge öffentlich zu machen, die andere Menschen nicht öffentlich dargestellt haben möchten, bekäme ich sehr rasch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Natürlich juckt es immer in den Fingern, über Unterschiede zwischen den Schulformen gerade in Beratungssituationen zu schreiben. Auch in politischen Kreisen (ja, auch da sind wir Medienberater tätig …) passieren gelegentlich Dinge, die ihren Platz ohne Weiteres in einer Satiresendung finden könnten. Journalisten sind da von Berufswegen immer sehr interessiert.
Korrekturgeschichten
Entlarvend finde ich immer wieder Korrekturtweets, die bei manchen Kollegen üblich sind. Bei bestimmten, eher allgemein auftretenden Fehlern ist natürlich eine gewisse Anonymisierung gegeben. Gleichwohl weiß ich nicht, wie ein Schüler oder eine Schülerin, die den betreffenden Fehler gemacht hat, diesen Tweet dann auffasst. Die Deutungshoheit habe ich im Netz nie. Wenn ich mich also dazu äußere, dann allenfalls zur Stapelhöhe oder eben positiv. Zudem passt es für mich nicht, einerseits Defizitorientierung zu beklagen, um dann überwiegend defizitorientiert zu tweeten und sei es nur im Korrekturkontext. Klar rege ich mich über bestimmte Fehler immer wieder auf, lege dann den Stapel aber lieber erstmal weg, bis dieser Mitteilungsmpuls veraschwunden ist.
Hobbys, Vorlieben, Fähigkeiten
Es gibt eine Reihe von Dingen, die im Netz von mir bewusst nicht sichtbar sind. Ich meide Plattformen, die mich dazu verleiten, mehr preiszugeben als ich eigentlich nach eingehender Reflexion für richtig erachte – daher bin ich z.B. nicht auf Facebook und selbst von Twitter hatte ich mich eine zeitlang verabschiedet, um dann mit einem anderen Ansatz zurückzukommen. Des Weiteren verknüpfe ich Accounts verschiedener Dienste nicht, „fave“, „like“ und „plusse“ auch nicht – wenn ich etwas gut finde, versuche ich zu verlinken, zu retweeten oder zumindest kurz zu kommentieren (Kommentare sind im übrigen technisch auch schwerer auszuwerten als logische Operatoren wie Likes). Mir ist das dann wirklich mehr als einen Klick oder inflationäre Einladung wert – ein ganz schöner Anspruch.
Ich könnte mir nie vorstellen, Daten in das Netz zu stellen, die Rückschlüsse auf mein körperliches Befinden zulassen, etwa die Anzahl der gefahrenen oder gelaufenden Kilometer. Dafür fallen mir viel zu viele künftige Geschäftmodelle ein. Gleiches gilt für Daten aus dem Bereich der Finanzen.
Dadurch bleibe ich in der Wahrnehmung der Menschen im Netz natürlich ambivalent. Einerseits der kritische Mensch, der oft querschlägt, gerade bei Mainstreamdingen und das auch begründen kann, anderseits wohl auch ein Spur Unnahbarkeit, die natürlich auch als Arroganz gedeutet werden muss.
Fazit
Das kann man natürlich alles anders sehen. Mir liegt es fern, das bei anderen Menschen zu werten. Schwierig fände ich aber z.B. Geschrei, wenn mit den freiwillig gelieferten Daten dann tatsächlich Geschäftsmodelle entstehen, die eben nicht für allgemeinen Wohlstand sorgen oder sich als kostenintensiv herausstellen. Unsere Wirtschaftsordnung basiert auf Wachstum.
Wie wahrscheinlich ist es da, dass z.B. Menschen und Schulen, die sich an einen Anbieter fest binden (Mein Lieblingsbeispiel aus der Beratung: Apple) langfristig weniger zahlen? Dieser potentiellen Konsequenz muss man sich bewusst sein und sie dann eben tragen, falls sie eintritt. Welche Strategie verfolgt Google – ein Konzern, der Daten vermarktet – mit GoogleApps for Education? (für OpenSource werden weder Lernbereitschaft noch Ressourcen ausreichen – man wird in der Fläche zwingend auf kommerzielle Anbieter aus ganz pragmatischen Gründen angewiesen sein). Werden langfristig weniger oder mehr Daten verknüpft und verarbeitet? Wie werden privaten Krankenkassen in Zeiten steigender Behandlungskosten ihre Gewinne maximieren? Wie die Kreditwirtschaft?