Differenziertes Argumentieren

Ich schrei­be oft das Wort „undif­fe­ren­ziert“ neben z.B. ein Fazit in einem Auf­satz und mache mir sel­ten Gedan­ken dar­über, ob für Schü­le­rin­nen und Schü­ler über­haupt ver­ständ­lich wird, was ich damit mei­ne – ich weiß eigent­lich, dass das für Schü­le­rin­nen und Schü­ler eben nicht ver­ständ­lich ist. Also habe ich ges­tern dazu in mei­nem Deutsch­grund­kurs in der 12 eine Unter­richts­stun­de gebaut, die wie folgt ablief.

Haus­auf­ga­be / Vorbereitung:

Die Hin­wei­se zum Abitur in Deutsch im Jahr 2016 sehen für den Bereich „Medi­en­kri­tik“ fol­gen­de Tex­te bzw. Quel­len vor:

bei letz­te­rer Quel­le nur:

  • Das kön­nen Pre-Teens und Jugend­li­che am Computermachen
  • Ver­weil­dau­er bei der Onlinen­ut­zung von 14-bis 29-Jäh­ri­gen und Online-Nut­zer/in­nen ab 14 Jah­ren im Jahresvergleich
  • Akti­vi­tä­ten im Inter­net – Ver­gleich Gesamt­be­völ­ke­rung mit 14- bis 29-Jährigen

Zudem sol­len aktu­el­le Stu­di­en mit hin­zu­ge­zo­gen wer­den. 2012 ist ja im Inter­net fast ein Jahr­hun­dert her.

Wir haben uns vor­her im Unter­richt mit weit kom­ple­xe­ren Sach­tex­ten beschäf­tigt. Daher dien­ten mir die­se Tex­te eigent­lich nur noch als Vehi­kel, für den The­men­be­reich des dif­fe­ren­zier­ten Argumentierens.

Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler haben zu die­ser Stun­de arbeits­tei­lig Kern­aus­sa­gen die­ser Tex­te in einem Ether­pad (lite) zusammengefasst.

Stun­den­ein­stieg:

Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler haben die Auf­ga­be bekom­men, Fra­ge­stel­lun­gen zu ent­wi­ckeln, die sich anhand der nun vor­lie­gen­den Stich­punk­te ergeben.

Inputphase/Lehrervortrag:

Aus­ge­hend von dem mathe­ma­ti­schen Kon­zept der Dif­fe­renz ( die Phy­si­ker und Che­mi­ker im Kurs kamen natür­lich sofort auf die in die­sen Fächern stän­dig auf­tre­ten­den Del­tas ) habe ich eine modell­haf­te Über­tra­gung auf Schreib­pro­zes­se ent­wi­ckelt. Das fol­gen­de Modell ist dabei zusam­men mit den den Schü­le­rin­nen und Schü­lern ent­stan­den – mei­nes war bei Wei­tem nicht so aus­ge­feilt ( kli­cken für voll­stän­di­ge Größe ):

differenziertes_argumentieren

Ein paar Fet­zen aus dem Unterrichtsgespräch:

  • für eine Dif­fe­renz benö­tigt man zwin­gend einen Bezugs­punkt ( Minu­end ), der bei einem Schreib­pro­zess durch die Gegen­mei­nung reprä­sen­tiert wird
  • die eige­ne Mei­nung ist qua­si der End­punkt, der sich aber nur in Rela­ti­on zur Gegen­mei­nung ergibt
  • ein Fazit macht dem Leser qua­si „nur“ noch ein­mal die Dif­fe­renz zwi­schen frem­der und eige­ner Mei­nung bewusst
  • Über­zeu­gun­gen des Schrei­bers üben ein Druck aus: Sie ver­lei­hen der eige­nen Posi­ti­on mehr Gewicht und „erleich­tern“ die Fremdmeinung
  • eine wei­te­re Metho­de der Erleich­te­rung iast z.B. die geziel­te Aus­wahl von Argu­men­ten der frem­den Mei­nung, die sich aber ent­kräf­ten las­sen ( indi­rek­tes Argument )

Grob zusam­men­ge­fasst:

Ohne die Berück­sich­ti­gung der „Gegen­sei­te“ ist kein dif­fe­ren­zier­tes Argu­men­tie­ren möglich! 

 

Prü­fung der Fragestellungen:

Jetzt habe wir im Ether­pad die Fra­ge­stel­lun­gen sor­tiert: Wel­che las­sen sich aus wel­chen Grün­den dif­fe­ren­ziert dis­ku­tie­ren und wel­che nicht? Und wieso?

Dabei wur­de auch über­prüft, ob die vor­han­den Aus­sa­gen die „Gegen­po­si­ti­on“ hin­rei­chend berücksichtigen.

( Das tun sie übri­gens nicht, bei­de Tex­te basie­ren weit­ge­hend auf Aus­sa­gen der glei­chen Per­son – was die Schü­le­rin­nen und Schü­ler dazu ver­an­lass­te zu sagen, dass die Text­aus­wahl durch die Kom­mis­si­on wohl nicht sehr dif­fe­ren­ziert erfolg­te. Außer­dem wur­de bei den Dia­gram­men die gerin­ge Stich­pro­ben­grö­ße und die feh­len­de Auf­schlüs­se­lung hin­sicht­lich der Zusam­men­set­zung der Pro­banden­grup­pe moniert – ich las­se das – wenn­gleich recht freu­dig – ein­mal so ste­hen :o)… )

 

Argu­men­te der Gegen­po­si­ti­on sammeln:

Es folg­te eine Recher­che­pha­se, um Argu­men­te der „Geg­ner“ im Netz zu sam­meln. Die Stun­de ufer­te danach in einer inhalt­li­chen, aber doch recht dif­fe­ren­zier­ten Dis­kus­si­on aus. Unter nor­ma­len Umstän­den ( nicht eine Stun­de direkt vor den Feri­en ) hät­te ich jetzt eine Fra­ge­stel­lung aus­ge­wählt und von jeweils drei Lern­grup­pen­mit­glie­dern im Ether­pad aus­for­mu­liert und dif­fe­ren­ziert schrift­lich dis­ku­tie­ren lassen.

Gedan­ken:

  • ohne Tech­no­lo­gie (Ether­pad) ist so eine Stun­de nicht mög­lich, die Tafel wäre als Medi­um viel zu lang­sam und ineffizient
  • ich hof­fe, dass durch die gra­fi­sche Dar­stel­lung deut­lich wird, was mit „dif­fe­ren­zier­tem Dis­ku­tie­ren“ gemeint ist.

 

 

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2 Kommentare

  • lie­ber maik,
    sehr inter­es­sant, und – auch wenn ich nicht da war :-( – dazu fällt mir ein. ja, wie toll, dass du schü­le­rIn­nen dif­fe­ren­zier­tes argu­men­tie­ren bei­bringst. ich ver­ste­he das modell nicht ganz.
    ich wür­de nur ger­ne auf was ande­res hin­wei­sen, was ich in den angel­säch­si­schen län­dern sehr span­nend fin­de: dass man essay-schrei­ben lernt, also wie man die argu­men­te so prä­sen­tiert, dass das dif­fe­ren­zier­te her­aus kommt. die­ses sche­ma hier fin­de ich beson­ders „ein­fach“, von da aus kann man ja noch viel dif­fe­ren­zier­ter werden ;-)
    grüße!
    christian

    https://lifewhileworkingonme.files.wordpress.com/2011/10/hs3-simple-5-paragraph-essay-outline-worm-form-with-writing-process-check-list_page_1.jpg

  • Wolfgang G. Lengefeld

    Ihre Schü­ler ver­ste­hen nicht was mit undif­fe­ren­ziert gemeint ist, schrei­ben Sie. Dann fehlt es ihnen wohl an Lese­kom­pe­tenz*. Ein kur­zer Blick in ein Bedeu­tungs­wör­ter­buch löst das Pro­blem! Undif­fe­ren­ziert bedeu­tet: Kei­ne fei­nen und genau­en Unter­schie­de machen. Ein Fazit aller­dings bedeu­tet: Das abschlie­ßen­de Urteil über eine Sache, Schlussfolgerung.

    Irgend­wie kommt es mir so vor als wenn in ein Fazit gar kei­ne fei­nen und genau­en Unter­schie­de mehr hin­ein­ge­hö­ren, weil die­se ja sicher­lich schon vor­her genü­gend behan­delt wor­den sind.

    * Kom­pe­tenz: Mit dem Wis­sen und der Fähig­keit dazu, das Richtige/Notwendige zu tun.
    (Quel­len: Uni­ver­sal-Duden, Lan­gen­scheidts Großwörterbuch)

    Wenn die Schü­ler Lese­kom­pe­tent wären, dann wüss­ten sie, dass man ein­fach ein Bedeu­tungs­wör­ter­buch zur Hand nimmt, um Wort­be­deu­tun­gen auf­zu­klä­ren, so dass sie zunächst unver­ständ­li­chen Text dann begrei­fen können.

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