Blogparade „Versager im Staatsdienst“
Bob Blume ruft zu einer Blogparade „Versager im Staatsdienst“ auf. Ich beteilige mich aus meiner Sicht als Vater, ehemaliger Personalrat, medienpädagischer Berater und Blogger daran, der gerade gefordert hat, dass Lehrerblogs sich mehr aufeinander beziehen sollten – also eigentlich ist meine Teilnahme alternativlos. Ich habe bewusst vorher keinen der andere Artikel der Parade gelesen.
A) Gibt es an deutschen Schulen generell zu viele schlechte Lehrer?
Eine Antwort aus meinem sehr begrenzten Kontext wäre vermessen. Ich kenne bis jetzt zwei „deutsche Schulen“ aus der Sicht eines Arbeitnehmers und eine ganze Zahl an Kollegien aus der Sicht eines Beraters. Ich denke, dass in jedem Kollegium (Amt, jeder Firma, jedem Verein usw.) Menschen arbeiten, die ihren Job nicht gut machen. Vor einer Quantifizierung müsste man zunächst Kriterien haben, was denn nun genau ein „Versager im Staatsdienst“ ist, was mich zur zweiten Frage bringt:
B) Woran erkennt man, ob ein Lehrer seinem Job nicht gerecht wird?
Es gibt natürlich eine Menge „harte Fakten“: Sind Unterrichtsdokumentationen formal ausgefüllt (Klassen- und Kursbuch)? Wie sieht die Korrektur einer schriftlichen Arbeit aus? An wie vielen Fortbildungen nimmt eine Lehrkraft teil? Werden Terminvorgaben z.B. innerhalb der Prüfungskommission einer Abiturprüfung eingehalten? Erscheint eine Lehrkraft pünktlich zum Dienst (und zur jeweiligen Unterrichtsstunde)? Sind Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit angemessen beaufsichtigt? Werden Pausenaufsichten wahrgenommen? Werden Noten termingerecht eingetragen? usw.. Natürlich muss es hier um einen Gesamteindruck gehen, denn jeder wird an dieser oder jener Stelle mal schlurren.
Viel entscheidender wären für mich als Schulleiter die „weichen Fakten“, an die schwer heranzukommen ist, wenn kaum Zeit für Dinge wie z.B. Mitarbeitergespräche bleibt. Zentrale Fragen dabei sind für mich: Was tut eine Lehrkraft konkret für die Entwicklung ihres aus meiner Sicht wichtigsten Instruments: Ihrer Persönlichkeit? Was tut eine Lehrkraft konkret für die Entwicklung der Schule?
Ein Indiz für Defizite in diesem Bereich kann z.B. unkollegiales Verhalten sein – etwa wenn Beschlüsse des gesamten Kollegiums von einzelnen Personen „aufgeweicht“ werden, wenn Kollegen über andere Kollegen vor Schülerinnen und Schülern herziehen, wenn Kollegen sich prinzipiell pädagogisch sinnvollen Veränderungen verweigern etc. . Ein weiteres Indiz für eine nicht mehr tragbare Lehrkraft ist z.B. ihr eingeschränkter Unterrichtseinsatz, wenn sie z.B. nicht länger als ein Jahr in der gleichen Lerngruppe eingesetzt werden kann. Diese „Maßnahme“ hat ja immer ihre Ursachen und ihre Geschichte.
C) Wie sollte man mit solchen Lehrern verfahren (dürfen)?
Es sollte eine mit den Personalvertretungen abgestimmte Dienstvereinbarung mit einer festen Eskalationskette geben, an deren Ende die Entfernung aus dem Staatsdienst steht. Eine Versetzung löst kein Problem. Modellhaft gab oder gibt es es sowas in Niedersachsen bereits für das Thema „Umgang mit Sucht bei Beschäftigten im Schuldienst“ – so ganz werde ich da aus meinen Rechercheergebnissen nicht schlau. Ein derartiges rechtliches Konstrukt mit einer Kombination aus Hilfsangeboten und Sanktionen halte ich für möglich.
D) Welchen Anteil hat das Lehramtsstudium?
Den Umgang mit Menschen lernt man im Umgang mit Menschen. Wer Menschen erst im Referendariat sieht, bekommt ein Problem. Das Studium kann sich praxisnäher ausrichten. Das Interesse an Menschen halte ich nicht für induzierbar. Da ist auch Eigeninitiative gefordert, die aber mit der zunehmenden Verschulung gerade des Gymnasiallehrerstudiums immer weniger von Studenten zu leisten ist.
Die 18jährige Übungsleiterin der Handball-F-Jugend weiß mehr z.B. über Menschen mehr als so mancher Orientierungspraktikant. Wenn letzterer sich dann noch weigert, wenigstens eine Unterrichtsphase in meiner Begleitung zu gestalten („Ich muss das nicht!“), stelle ich hinterher schonmal die eine oder andere gemeine Frage. Es gibt auch schon im Studium Versager und solche, die es später als Lehrer werden wollen.
E) Was sollte verändert/ verbessert werden?
Ich wäre nicht einfacher Lehrer, sondern reich und berühmt, wenn ich das wüsste. Ich würde aber bei der Qualifizierung von Schulleitungen und der Persönlichkeitsentwicklung von Lehrkräften anfangen, z.B. durch kompetente Supervision, die teuer ist. Alternativ könnte man bis zum Breakdown warten und von vorne anfangen. Aber der Patient ist zäh :o)…
F) Sollten die Schulen die Lehrer selbst aussuchen dürfen?
Ja und nein. Eine Schule in einer attraktiven Region wird mehr Bewerberinnen und Bewerber anziehen als eine auf dem Lande, wo eh niemand hinmöchte, aber eben auch Kinder leben. Klar kann sich eine ländliche Schule durch attraktive Konzepte sexy machen. Dafür braucht es aber engagierte Kolleginnen und Kollegen, womit sich die Katze in den Schwanz beißt. Aus Sicht einer Großstadtschule also ein klares Ja.
G) Sollte der Beamtenstatus abgeschafft werden?
Alle meine Aufgaben werden bereits von angestellten Lehrkräften wahrgenommen, deren BMI oder sonstwas nicht passt (Ich stelle mir gerade einen Streik zur Zeit der Abiturprüfungen vor). Ob die Verbeamtung das Hauptproblem ist, weiß ich nicht. Ob es es ohne die Verbeamtung ausreichend qualifizierten Nachwuchs geben wird, weiß ich nicht. Ich weiß zurzeit nicht einmal, ob es mit Verbeamtung ausreichend qualifizierten Nachwuchs geben wird. Es gibt aber Leute, die das eigentlich wissen müssten. Und es gibt immer Schulen, bei denen alles auch ohne Verbeamtung klappt. Wie viele davon gibt es nochmal in einem Flächenland in der Fläche?
H) Sollte es eine Art „Belohnungssystem“ wie in der freien Wirtschaft geben?
Das Belohungssystem gibt es: Freude am Beruf. Kann man in Geld messen. Muss man aber nicht. Schule ist kein Wirtschaftsunternehmen, obwohl es die Wirtschaft gerne so hätte, sondern im Idealfall ein soziales System. Ob Geld bessere Lehrer macht? Idealistisch-naiv. Ich weiß.
I) Woran gehen die Kollegen denn kaputt?
An der Dissoziation zwischen Wollen und Können. Das findet immer auch in einem Umfeld statt, welches nach meiner Ansicht diese Dissoziation zunehmend begünstigt.
J) Wie entstehen die 30% Lehrer, die laut Schaarschmidt quasi dissoziiert sind?
Das wäre ein eigener Artikel. Die Ursachen sind sehr multidimensional. Ich kenne aber ehemals „dissoziierte“ Lehrkräfte, die durch externe Hilfsangebote heute zu den verlässlichsten Kollegen gehören.
Dazu auch:
Pingback: Versager im Staatsdienst | Lehrerzimmer
Pingback: Blogparade: “Versager im Staatsdienst” | Bob Blume
Gute Tag,
vielen Dank für die ausführliche Reaktion. Vor allem den Schwerpunkt auf die sogenannte „Lehrerpersönlichkeit“ finde ich sehr wichtig, vor allem, weil sie ja von Ihnen im schulischen Rahmen definiert wird. So sollte eine Verweigerungshaltung gegenüber von Innovationen tatsächlich praktische Konsequenzen haben dürfen. Aber da wird es beim jetztigen System auch wieder schwierig. Wir werden sehen, was die Reaktionen ergeben.
Liebe Grüße
Das in Punkt B von Ihnen als Indiz genannte unkollegiale Verhalten sehe ich ganz anders.
Meines Erachtens ist eben für die Entwicklung einer starken Lehrerpersönlichkeit auch eine Verweigerung gegenüber Beschlüssen vom Kollegium erforderlich. Denn im Gegensatz zu Bob Blume im Kommentar vom 4.03.14 denke ich nicht, dass solche Beschlüsse nur innovativ sind.
Sie meinen außerdem, „als Vater“ zu schreiben. Diese Sichtweise erkenne ich weniger in Ihren Erläuterungen. Denn damit sind für mich auch die Interessen des Kindes verknüpft, die Sie scheinbar unberücksichtigt lassen.
@jemand
Nein, solche Beschlüsse sind nicht immer innovativ. Und ja, sie können sich auch „gegen“ Kinder richten – wenn man z.B. die Aussetzung von Klassenfahrten hier in Niedersachsen als Grundlage nimmt. Ich muss prinzipiell nicht gutheißen, was eine Mehrheit beschließt. Und für bestimmte Dinge ist auch auf lange Sicht nicht ohne Weiteres eine Mehrheit zu bekommen. Einerseits zeigt man Rückgrat durch Widerstand.
Andererseits vermittelt man aber auch nach außen, dass man sich an Beschlüsse nicht zu halten braucht. Ich möchte oft lieber daran arbeiten, eine Mehrheit zu bekommen. Das sind langwierige Prozesse. Und sie sind zudem nach außen hin oft nicht sichtbar.
Mir passen einige Regeln an meiner Schule nicht. Ich möchte meist gerne die Regel ändern, damit alle etwas davon haben. Wenn ich die Regel nicht einhalte, haben nur meine Lerngruppen etwas davon und die die Regel verfestigt sich unter Umständen sogar mit der Zeit.
Und ja – je nach Regel kann auch ein „Aufweichen“ manchmal(!) eine Möglichkeit sein – insofern: Verhaltene Zustimmung zu deiner Kritik.
>Meines Erachtens ist eben für die Entwicklung einer starken Lehrerpersönlichkeit auch eine Verweigerung gegenüber Beschlüssen vom Kollegium erforderlich
Wenn ich mir ansehe, wer sich Beschlüssen so verweigert, so halten die sich sicher alle für stark. In Wirklichkeit sagen sie bei Diskussionen einfach nichts – weil sie sich sonst Argumenten stellen müssten – und machen einfach ihr eigenes Ding. Das ist keine Stärke.
Pingback: Blogparade “Versager im Staatsdienst”
@Herr Rau:
Das ist ziemlich genau meine Beobachtung. Aber ich erwische mich gelegentlich auch selbst dabei, obwohl ich es eigentlich anders regeln will.
Pingback: Blogparade: “Versager im Staatsdienst” – Auch der Weg der Lehrerbildung sollte überdacht werden | teacheridoo
@Herr Rau & Maik Riecken
Ich kann diese Argumentation prinzipiell nachvollziehen, ein Problem ist dabei aber mE auch eine mitunter wenig hilfreiche Diskussionskultur. Um das von Herrn Riecken genannte Beispiel „Klassenfahrtboykott“ aufzugreifen: Dort findet eine z.T. sehr emotionale Auseinandersetzung statt, vor allem viele von der Aussetzung der vorher geplanten Arbeitszeitverkürzung betroffene LuL sind dabei zu nennen. In solchen Diskussionen sind nicht nur „Argumente“ Mittel der Auseinandersetzung, sondern auch „Gruppenzwang“ und persönliche Unterdrucksetzung.
Man stelle sich auch vor, wie dort die Reaktion wäre, wenn eine Lehrkraft nicht mit diesem Boykott einverstanden ist und weiterhin freiwillig Klassenfahrten anbieten möchte.
@jemand
Wenn es dann ihre Überzeugung wäre, dann sollte sie es in diesem Fall tun – aber nicht allein und nicht ohne Rückhalt anderer, der auch *öffentlich* abrufbar ist. Es nützt niemanden etwas, wenn die Lehrkraft danach so angefasst wird, dass sie z.B. ihre Arbeit an diesem Ort nicht mehr gerne oder nur noch mit unangehmen Gefühlen ausüben kann. Entscheidungen, die auf Emotionalität beruhen, erlebe ich oft als unglaublich heftig, aber eben auch unglaublich instabil.
Ich möchte auf einen anderen Punkt kommen, denn ich kenne den Klassenfahrtboykott gar nicht – ich unterrichte am anderen Ende von Deutschland ;)
In BaWü gibt es mehrere Einstellungsrunden und die erste liegt allein in der Hand der Schule. Wenn die Schulleitung Bedarf anmelden darf, stellt sie ihr Gesuch ins Netz und die Bewerber melden sich direkt bei der Schule. Gerade flattern massenweise Bewerbungsmappen bei uns ein, obwohl wir eine Schule am Ende der Welt sind – von den Großstädten aus gesehen. Es folgt eine Vorauswahl und dann Bewerbergespräche. Aber auch da kann man reinfallen und sich einen Problemlehrer an die Schule holen. Eigentlich müsste man sie eine Probestunde halten lassen…
viele Grüße aus der Provinz von Frau Henner